Altersversorgung der Staatsdiener und deren Hinterbliebenen
Christel Gewitzsch
Im 15. und 16. Jahrhundert, so der namentlich nicht genannte Verfasser eines Buches über die Pensions-Rechte der Staatsdiener[1], kam es selten zur deren Pensionierung, weil die Beamten, auch wenn ihre Kräfte nachließen, als erfahrene Mitarbeiter geschätzt und im Dienst gehalten wurden. Auch später hielt man es nicht allein für ungerecht und unbillig, sondern auch für den Staat unwürdig und nachtheilig, ... einen Staatsdiener ... aus seinem Amt zu entfernen und mit den Seinigen dem Mangel und Sorgen Preis zu geben.[2]
Im Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten, zweiter Teil, fand 1794 zum ersten Mal eine Regelung des Beamtenrechts in Preußen statt. Für eine pflichtbewusste, hingebungsvolle und korrekte Erfüllung ihres Dienstes winkte den Beamten als Gegenleistung eine regelmäßige, gute Bezahlung und Versorgung der Hinterbliebenen. Dies galt in erster Linie für die Staatsbeamten, wurde aber als Richtschnur für die Behandlung von Kommunalbeamten herangezogen.
Das Preußische Civil-Pensions-Reglement für Staatsdiener von 1825 sicherten den Beamten, die vorher vielfach von der Gnade der Behörde abhängig waren, eine Pension zu. Paragraf 1 des Reglements sagt aus, dass Staatsdiener dann einen Pensionsanspruch haben, wenn sie 1. ihre Besoldung aus Staatsmitteln beziehen, 2. nach einer bestimmten Dienstzeit und 3. nach einer pflichtmäßigen Dienstführung, 4. durch physisches Unvermögen und körperliche Gebrechlichkeit, oder durch Schwächung der Geisteskräfte und der intellectuellen Thätigkeit dienstunfähig geworden sind.[3] Eine feste Altersgrenze gab es nicht. Die Initiative zur Einleitung der Pension konnte vom Beamten oder von der vorgesetzten Behörde ausgehen.
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Als der Borker Polizeidiener Kalter 1828 pensioniert wurde, forderte Landrat Schlebrügge vom Bürgermeister Köhler einen Beschluss des Gemeinderates über die zu bewilligende Pension an. Als es 1841 um die Pension des Selmer Polizeidieners Schwager ging, musste Schlebrügges Nachfolger Schmising ebenfalls diesen Beschluss des Gemeinderats reklamieren und bezog sich dabei explizit auf die Grundsätze des Pensions-Reglements für die Staatsdiener.[4]
Danach standen dem Schwager nach der von ihm behaupteten 28-jährigen Dienstzeit (schriftliche Unterlagen gab es dazu nicht) circa 27 Taler zu. Einem Antrag auf Erhöhung, den Schwager am Ende des Jahres gleich an den Oberpräsidenten Vincke richtete, wurde nicht entsprochen. Der Oberpräsident begründete dies damit, dass der Bittsteller nach eingezogener Erkundigung nicht in so bedrängten Umständen, wie er sie schildert lebt. Denn wenn er auch selbst nicht mehr erwerbs fähig ist, so ist doch sein Sohn, welcher das Weberhandwerk betreibt, wohl im Stande, ihn mit zu ernähren zumal dieser vom Bittsteller, neben einem sehr guten Wohnhause, Garten, und einigen Grundstücken, 2 Kühe, und 2 Schweine erhalten hat.
Nach der Landgemeindeordnung für Westfalen von 1856 galten von den Kommunalbeamten nur der Amtmann und der Gemeindeeinnehmer als pensionsberechtigt, falls nichts anderes vereinbart war. Im Fall des Polizeidieners Glowsky löste diese Regelung noch 1867 einen regen Briefwechsel zwischen Landrat und Amtmann aus. Freiherr von Landsberg wies zunächst Amtmann Foecker darauf hin, dass eine Verpflichtung der Landgemeinden zur Zahlung einer Pension an ihre Polizeidiener nie ausgesprochen und mit Glowsky bei seiner Anstellung auch nicht vereinbart worden war. Doch sah er eine moralische Verpflichtung der Gemeinde, nach einer 26-jährigen Dienstzeit eine angemessene Pension zu bewilligen. Neben der Moral stand die praktische Vernunft, denn bei einer nicht zugebilligten Pension würde Glowsky nebst seiner Familie ja doch der Gemeinde zur Last fallen.
Über seine Vorstellung von der Höhe seiner Pension befragt, meinte der Polizeidiener, dass er nach so vielen Jahren des Dienstes auf zwei Drittel seines jetzigen Gehaltes, das wären 80 Taler, Anspruch hätte. Die Gemeindeverordneten wollten von einer Pensionszahlung aber nichts wissen. Das Problem wurde vertagt, indem Glowsky einfach weiterarbeitete. Die Frage holte alle Beteiligten 1871 wieder ein, als Glowsky sein Amt endgültig niederlegen wollte. Die Gemeinde fand sich nun bereit, 48 Taler Pension zu zahlen, die auf Intervention des Landrats um 7 Taler erhöht wurde. Dem Polizeidiener machte er klar, dass er keinerlei Anrecht auf eine Pension habe und ihm somit ein Widerspruch nicht zustände.
Die Regierung in Münster erkannte 1877 die oft missliche Lage der Unterbeamten und verfügte, um die hieraus erfahrungsmäßig vorzugsweise für die Polizeidiener auf dem Lande sich ergebenden Härten abzuwenden[5], vor deren endgültiger Anstellung auf die Amts- bzw. die Gemeindeversammlung dahingehend einzuwirken, den künftigen Polizeidienern die Pensionsberechtigung zuzugestehen.
Das fand im Amt Bork deutlich später statt. Als in den 70er und 80er Jahren die Regierung sich nach und nach einen genaueren Überblick über die Verhältnisse der Kommunalbeamten verschaffte, meldete Amtmann Döpper noch 1884, dass nur er selbst und der Gemeinde-Empfänger Clerck pensionsberechtigt seien. Erst im Zusammenhang mit der Bildung einer Pensionskasse für die Beamten der ländlichen Kommunen ließen sich die Gemeindevertretungen darauf ein, ihren Polizeidienern die Pensionsberechtigung zuzuerkennen.
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Die Pensionskasse
Vorausgegangen war ein werbendes Schreiben des Landrats von Wedel an Döpper, worin er ihm die Vorzüge der Pensionskasse nahelegte. Es liege nicht nur im Interesse dieser Beamten, daß sie für den Fall der Dienstunfähigkeit den Anspruch auf Pension erwirken, es ist auch unzweifelhaft zum größten Nutzen der Ämter und Gemeinden, wenn ihre invaliden Beamten ihnen später nicht zur Last fallen, denn wenn auch die rechtliche Verpflichtung zu ihrer Versorgung nicht besteht, der moralischen Pflicht der Unterstützung werden die communalen Verbände sich doch nie entziehen können.[6] Der geringe Zuschuss zur Kasse, so der Landrat, sei leichter zu tragen als mögliche spätere hohe Unterstützungsausgaben.
Innerhalb von zwei Wochen konnte Döpper die nötigen Beschlüsse aus Bork, Selm und Altlünen vorlegen und den Landesdirektor, der sich zur genaueren Erhebung der Beiträge einen Überblick verschaffen wollte, darüber informieren.
Am 15. November 1887 verschickte der Landesdirektor die ersten Beitragsberechnungen. Als Diensteinkommen waren etwas andere, niedrigere Zahlen als die von Döpper angegebenen verwendet worden und der Gemeinde-Empfänger wurde zur Gemeinde Bork zugehörig gelistet. Als Beitrag zur Pensionskasse waren 5 Prozent des Diensteinkommen zu zahlen. Für Döpper waren das 103 Mark, für Clerck 38,75 Mark, aus der Gemeindekasse von Selm 16,50 Mark und von Altlünen 13,90 Mark. Der Borker Polizeidiener taucht in dieser Berechnung nicht auf.
Im August 1888 traf eine weitere Liste ein, deren Zahlen von der vorherigen etwas abwichen. Insgesamt mussten das Amt und die Gemeinden von einem Gehaltsvolumen von 4.481 Mark rund 202 Mark an Beiträgen in die Pensionskasse einzahlen.
Ab dem Jahr 1888 hatten die Amtmänner regelmäßig im März/April die Nachweise über die pensionsberechtigten Einkommen der Amts- und Gemeindebeamten beim Landrat einzureichen. Kummer machten der Pensionskasse die oft verspäteten Meldungen zu Gehalts- oder Personalveränderungen, weswegen immer wieder Beitragsnachzahlungen erforderlich wurden. Auch der Landesdirektor beklagte die unzuverlässigen Angaben. Als besonders schwierig stellte sich dabei die Berechnung des Diensteinkommens des Amtmanns heraus. Neun Punkte sprach der Landesdirektor an, wobei es in erster Linie darum ging, welche Einnahmen des Amtmanns für die Pension anrechnungsfähig, welche eine fortlaufende oder eine zeitlich begrenzte Vergütung waren.
Der Landesdirektor äußerte sich zum Stellungsgehalt, zur persönlichen Zulage, zu Repräsentations- und Dienstaufwandskosten, zur freie Dienstwohnung oder Mietsentschädigung, zum freien Bezug von Brand und Licht, freier Dienstkleidung oder Kleidergelder, zu Amts-Anwaltschaft-Gebühren, zur Entschädigung für die Wahrnehmung der Geschäfte des Standesbeamten, zu Gebühren der Kommissarien der Provinzial-Feuer-Sozietät für die Wahrnehmung dieser Funktion und für die Ausfertigung der Sozietäts-Kataster-Auszüge, zu den Gebühren für die Auszüge aus den Grundsteuer-Mutterrollen und zu guter Letzt zu den Gebühren der Gemeinde zur Bestreitung der Nebenkosten der Veranlagung der Klassen- und Gewerbesteuer. Aber nach all diesen Erläuterungen kam es weiterhin auf die lokalen Umstände und die Art der Beschlüsse an, die dazu getroffen worden waren. In Zweifelsfällen, so der Ratschlag, sollten in den Gemeinden klärende und eindeutige Beschlüsse gefasst werden.
Viele Jahre lang waren von diesem Reglement nur der Amtmann, der Gemeinde-Empfänger und die Polizeidiener betroffen. 1900 beschloss die Amtsvertretung eine Erweiterung. Daraufhin erhielt der Amtssekretär in Bork, Eduard Goebel, der bisher vom Amtmann privat angestellt war, eine Anstellung auf Lebenszeit und die Zusage der Pensionszahlung. Die Anrechnung seiner Dienstjahre in der Privatanstellung wurde nach einer ersten Absage unter der Voraussetzung genehmigt, dass das Amt sich zur Nachzahlung der Beiträge bereitfand, was geschah. Andere, sogenannte Unterbeamte, die vorwiegend mechanische Dienstleistungen zu verrichten hatten, wurden mit einer Kündigungsfrist und ohne Pensionsberechtigung angestellt.
Die letzte Beitragsaufstellung der Akte stammt aus dem Jahr 1910. Inzwischen gab es sieben pensionsberechtigte Beamtenstellen (ein weiterer Amtssekretär war hinzugekommen). An Diensteinkommen mussten Amt und Gemeinden 18.092 Mark zahlen, die Pensionskassenbeiträge beliefen sich auf 1.200 Mark und die Witwen- und Waisenkasse erhielt 414 Mark.
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Unzufriedenheiten
Unruhe in die Beamtenschaft brachte die Behandlung des Regulativs der Pensionskasse im Westfälischen Provinziallandtag 1895. Ein dort beschlossener Nachtrag, der die anzurechnende Dienstzeit auf Anstellung in Reichs- und Staatsdiensten und Kommunalverbänden u.ä. innerhalb des Deutschen Reiches konkretisierte, war vom Minister nicht genehmigt worden, weil sie seiner Meinung nach mit dem Paragrafen 25 der Kreisordnung im Widerspruch stand. Dafür legte der Minister unmissverständlich fest, dass in Folge nur diejenige Zeit in Betracht komme, während welcher der zu pensionirende Beamte thatsächlich Beamter eines Amtsverbandes oder einer Landgemeinde der Provinz Westfalen gewesen ist.
Im Namen der Beamtenschaft schrieben sechs Herren an den Königlichen Staatsminister und Minister des Innern, Ritter höchster Orden, Herrn Freiherrn von der Recke von der Horst Excellenz zu Berlin und baten, dem besagten Paragrafen eine solche Auslegung geben zu wollen, die die Existenz vieler Kommunalbeamten nicht bedrohe. Die nun verbotene Anrechnung der Militärzeit wäre den Beamten beim Übertritt in den Kommunaldienst zugesichert und bei den bisher in Pension gegangenen auch erfüllt worden.
Amtmann Busch war von dieser Neuauslegung betroffen und äußerte sein Befremden. Seit 1874 arbeite er, unterbrochen nur von einer einjährigen Militärzeit und einigen militärischen Übungen, in Diensten der Kommunal-, Staats- und Reichsverwaltung. Bei einer Pensionsberechtigung erst ab 1890 oder 1893 geriete er in eine Notlage, die vom Gesetzgeber gegenüber pflichtgetreuen Beamten nicht gewollt sein konnte. Mit dieser Regelung würden sie schon während der Amtszeit verbittern und die Schaffensfreudigkeit erheblich beeinträchtigt. Außerdem gab er zu bedenken, dass die Amtsverbände, die bisher keine Beamten in Pension geschickt hatten, benachteiligt seien. Sie müssten einerseits zu den höheren Ruhegehältern der schon Pensionierten beitragen und in der Zukunft voraussichtlich zur Abwendung von Noth, Zuschüsse zu den kärglichen Ruhegehältern leisten.
Nachdem der Provinzial Landtag die Staatsregierung aufgefordert hatte, per Gesetz dafür zu sorgen, dass die Militärzeit mit angerechnet werden konnte; nachdem auch das Reichsgericht sich für die Anrechnungsfähigkeit ausgesprochen hatte, entschied der Minister, daß die Anrechnung der Militärdienstzeit bei der Pensionierung der aus dem Stande der Militäranwärter hervorgegangenen Amtmänner, Amts- und Gemeindeeinnehmer erfolgen könne. Bei den übrigen Amts- und Gemeindebeamten sei das nicht der Fall, denn diese hätten keinen gesetzlichen Anspruch auf eine Pension und deshalb fänden all die Regelung auf sie keine Anwendung.
Über eine weitere Ungerechtigkeit beklagte sich Amtmann Busch 1904, als der Landeshauptmann die Feuersozietätsgebühren als Bestandteil seines pensionsfähigen Diensteinkommens strich. Schon neun Jahre lang habe er diese bei den jährlichen Nachweisen angegeben und nie sei ihm eine Mitteilung über eine Absetzung gemacht worden. Durch die generelle Streichung aus dem Jahr 1902 hatte Busch sich nicht angesprochen gefühlt. Er bezog sich auf die Ausnahmeregelung, die für einige Stellen zur Vermeidung von Härten eine weitere Berücksichtigung dieser Einnahme nicht ausschloss. Diese Ausnahme setzte allerdings voraus, dass Beiträge für die Einnahmen gezahlt worden waren, was – so der Landeshauptmann – bei Busch nicht der Fall gewesen war. Des Amtmanns Beschwerde blieb deshalb unberücksichtigt.
Vom Landeshauptmann selbst kam 1902 der Hinweis auf eine andere mögliche Ungerechtigkeit. Da die Versetzung in den Ruhestand erst ein Vierteljahr nach Bekanntgabe der Pensionierung und der Höhe der Pension erfolgte und die Festsetzung der Pension wegen mangelhafter Datengrundlagen oft lange auf sich warten ließ, schlug er vor, einen Zeitpunkt des Pensionsbeginn mit dem jeweiligen Beamten zu vereinbaren. Schon öfter sind Fälle vorgekommen, daß beim Eintritt des Zeitpunktes der Pensionirung nur wenige Tage an der Vollendung eines Dienstjahres fehlten. Da bei Festsetzung einer Pension nur volle Dienstjahre berücksichtigt werden können, verliert der betreffende Beamte ein volles Jahr, sodaß sich die Pension um 1/60 niedriger stellt.
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Die Versorgung der Beamtenwitwen
Als der Borker Polizeidiener Kalter wegen seiner starken Alkoholabhängigkeit im Sommer 1828 in den Ruhestand versetzt werden sollte, starb dieser, bevor über seine Pension ein Beschluss gefasst werden konnte. Auf eine Pension für seine Witwe wollte der Gemeinderath sich nicht einlassen und erklärte derselbe, daß der Kalter sich darnach nicht betragen um solches bewilligen zu können.[7]
Doch so einfach konnte sich die Gemeinde nicht aus ihrer Verantwortung stehlen. Im „Preußischen Civil-Pensions-Reglement für Staatsdiener“ vom 30. April 1825 bestimmte der Paragraf 29 , dass die bewilligten Pensionen[8] den Erben nicht nur für den Sterbemonat, sondern auch für den folgenden Monat gezahlt werden müssten. Auch wenn im Fall Kalter die Pension noch nicht bewilligt war, sei der Witwe der Rest des Gehaltes des Sterbemonats und des folgenden zuzubilligen. Da Kalter allerdings noch Schulden bei der Gemeindekasse und beim Amtmann hatte, gestaltete sich die Abwicklung etwas schwieriger.
1836, beim Tod des Borker Polizeidieners Friedrich Geischer, dem Nachfolger Kalters, ging alles unkomplizierter. Bürgermeister Friedrich Köhler bat den Landrat nur um eine zügige Anweisung der Gelder auf die Gemeindekasse, da die Witwe das Geld für den Sterbe- und Gnadenmonat dringend brauchte.
Als Bürgermeister Carl von Stojentin im Jahr 1855 starb, erhielt die Witwe für den Sterbemonat Dezember und dem folgenden sogenannten Gnadenmonat insgesamt 79 Taler und fünf Silbergroschen. Der Landrat i.V. Rospatt forderte im Januar die Gemeinderäte der Einzelgemeinden außerdem auf, darüber hinaus einen Vorschlag betreffend die Fürsorge für die verwittwetet Frau Bürgermeister von Stojentin[9] vorzulegen und zu beraten.
Über die Regelung von 1825 ging das Gesetz, betreffend die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten[10] von 1873 hinaus. Danach wurde den Beamtenwitwen oder den ehelichen Nachkommen für ein Vierteljahr nach dem Sterbemonat die volle Besoldung des Verstorbenen (Gnadenquartal) zugesichert. Gab es diese Nachkommen nicht, so konnten andere nahe Verwandte bei Bedarf das Gnadenquartal in Anspruch nehmen., aber eben nur bei Reichsbeamten.
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Die Hinterbliebenen der Beamten der Kreise, Stadt- und Landgemeinden in Westfalen konnten erst seit 1884 auf eine Verbesserung ihrer Lage hoffen, als die Westfälische Wittwen- und Waisen-Versorgungs-Kasse gegründet wurde. Doch mussten sich viele lange mit der Hoffnung begnügen, da der Beitritt nicht für alle Verbände verbindlich war. Sie mussten der Kasse ausdrücklich beitreten und alle Beamten, die pensionsberechtigt waren, mussten dort versichert werden. Diesen Schritt überlegten sich viele Gemeindevertreter sehr gründlich und auch im Amt Bork war die Bereitschaft zum Beitritt nicht vorhanden.
Im März 1889 startete Landrat Wedel auf Anregung des Oberpräsidenten und des Regierungspräsidenten einen erneuten Werbeversuch. Der Zuspruch zur Kasse war bisher zu gering gewesen, um sie effektiv arbeiten lassen zu können. Amtmann Döpper sollte auf die Amts- und Gemeindevertretungen einwirken, um sie zum Beitritt zu der Kasse zu bewegen. Wedel schrieb: Die Gehälter der Communalbeamten sind thatsächlich nicht so hohe, daß es denselben möglich ist, bei Lebzeiten Rücklagen zu machen oder die Prämie für eine Lebensversicherung von einiger Bedeutung zu erschwingen. Die communalen Verbände erscheinen daher ihren verdienten Beamten gegenüber moralisch verpflichtet, die Fürsorge für deren Hinterbliebenen durch Beitritt zu der in der Provinz gegründeten Versorgungs-Anstalt zu übernehmen und ich zweifle nicht, daß die Vertretungen, wenn ihnen von diesem Gesichtspunkte aus die Sachlage dargestellt wird, der gegebenen Anregung Folge leisten werden.[11]
Wedel war nicht naiv genug, allein auf die moralische Verpflichtung zu hoffen. Er schrieb auch von Überlegungen, die Gehälter der Kommunalbeamten, für deren Hinterbliebenen nicht gesorgt war, zwangsweise zu erhöhen, damit davon eine Lebensversicherung bezahlt werden konnte. Döpper hatte trotzdem nichts Erfreuliches mitzuteilen. Er hätte schon Mühe genug gehabt, schrieb er dem Landrat, die Polizeidiener als pensionsberechtigt anerkannt zu bekommen. Nach Rücksprache mit einigen Gemeindeverordneten sei er sicher, einen Beitrittsbeschluss nicht herbeiführen zu können.
Zur gleichen Zeit war bei der Gemeindevertretung von Selm der Brief der Witwe des Polizeidieners Schröer eingegangen, der die Einschätzung der Lage durch den Landrat bestätigte. Die Witwe machte in dem Brief auf ihre bedrängte Lage aufmerksam. Seit dem 1. Januar schon hatte ihr Sohn den Vater vertreten müssen und tat es immer noch. Weit entfernt von der Hoffnung auf eine Unterstützungszahlung bat sie nur, doch wenigsten die Arbeit des Sohnes zu vergüten, da sie sonst nicht im Stande wäre, die Familie zu ernähren.
Zwei Jahre nach dem ersten Werbeversuch erkundigte sich der Oberpräsident erneut nach den Fortschritten. Amtmann Döpper konnte im Mai 1891 nur erwidern, daß in hiesigem Amtsbezirke die Amts und Gemeinde Vertretungen nicht geneigt sind, die Wittwen und Waisen der Communalbeamten bei der gegründeten Kasse versichern zu lassen.
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Überraschenderweise änderte sich im September schlagartig die Lage. Döpper beantragte im Namen der Gemeinden die Aufnahme der drei Polizeidiener in die Versorgungskasse. Der Borker Polizeidiener erhielt zu diesem Zeitpunkt jährlich 760 Mark, der Selmer 710 und der Altlüner 510 Mark.
Ende des Jahres erhielt Döpper die Aufnahmebestätigung für die drei Beamten. Nun ging es ans Bezahlen. Der Beitrag betrug fünf Prozent des pensionsfähigen Diensteinkommens, war auch für den Gnadenmonat zu entrichten und musste vierteljährlich an die Kasse abgeführt werden. Kommunalverbände, die der Kasse erst ein Jahr nach Gründung beitraten, mussten ein sogenanntes Eintrittsgeld zur Verstärkung des Grundkapitals zahlen. Für die drei Gemeinden des Amtes Bork sah das folgendermaßen aus: Bork musste für den Polizeidiener Fleige 38 Mark Jahresbeitrag und 170,73 Mark Eintrittsgeld zahlen; Selm für den Polizeidiener Thier 35,50 Mark Beitrag und 159,50 Mark Eintrittsgeld; Altlünen für den Polizeidiener Böcker 25,50 Mark und 114,57 Mark; insgesamt 543,80 Mark.
Eigentlich war vorgesehen, dass die Hälfte davon die Polizeidiener selbst tragen mussten, doch sie baten, davon befreit zu werden, was in Selm und Bork auch geschah. Mit den nun zu zahlenden Beträgen waren die Gemeindekassen allerdings überfordert. Döpper beantragte beim Kreisausschuss die Genehmigung von Etatüberschreitungen, die er auch erhielt.
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Kognitive Dissonanz in Altlünen
In Altlünen gab es Probleme. Die Gemeinde war bereit, 51 Prozent des Beitrags zu übernehmen, doch wollte sich der Polizeidiener darauf nicht einlassen. Beide einigten sich darauf, dass die Gemeinde sein Gehalt erhöhte, den Antrag zum Versicherungsbeitritt aber zurückzog. Die Gemeindeverordneten glaubten, mit Rücksicht auf den geringen Umfang des Dienstes des Polizeidieners, auf die geringe Potenz der Gemeinde und auf die ihr verbleibende Verpflichtung auf event. Unterstützung der Familie Böcker völlig genug gethan zu haben, da der Böcker die Erhöhung seines Gehalts der Zugehörigkeit zur Wittwen- und Waisen-Versorgungs-Kasse vorgezogen habe.
Amtmann Döpper bestätigte, dass die Leistungen des Böcker über die eines Boten nicht weit hinaus gingen und dass der Polizeidiener außerdem nebenbei noch als Fassbinder arbeitete. Beim Landeshauptmann kamen die Erklärungen aus Altlünen gar nicht gut an. Er wies darauf hin, dass ein Rücktritt vom Beitritt nicht mehr möglich sei. Der Polizeidiener hätte seine Weigerung zur Übernahme des halben Betrages vorher erklären müssen. Böcker aber konnte sich nur wiederholen: Bei den jetzigen theueren Verhältnissen und bei seinem geringen Einkommen und seiner zahlreichen Familie sei es ihm nicht möglich, das Einkaufsgeld für seine Person aus seinen Mitteln zu zahlen. Er bat die Gemeinde, das Einkaufsgeld ganz zu übernehmen, dafür würde er die Jahresbeiträge zahlen. Diese Vereinbarung hielt aber nur knapp ein Jahr. 1893 bat Böcker die Altlüner Gemeindevertretung, seinen Beitrag zu zahlen. Nun stimmten die Verordneten zu.
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Erfreuliche Neuerung
Parallel zum Briefwechsel des Amtes Bork mit dem Landeshauptmann waren die Beitragssätze herabgesetzt worden. Ab dem 1. April 1892 waren anstelle von fünf nur noch drei Prozent vom Einkommen zu zahlen. Für Fleige in Bork belief sich der Beitrag nun auf 22,80 Mark (statt 38 Mark) und für Thier in Selm auf 21,30 Mark (statt 35,50 Mark).
Der Regierungspräsident Schwarzenberg hoffte, mit dieser Nachricht auch die zögerlichen Kommunalverbände zum Beitritt bewegen zu können und forderte von den Landräten entsprechende Bemühungen. Ende des Jahres wollte er über Verweigerer informiert werden. Mit einer weiteren Verbesserung für die Rechnungsjahre 1894/95 und 1895/96 sollten die letzten Unwilligen willig gemacht werden. Das Einkaufsgeld wurde vom 7,709fachen Betrag der Beiträge auf den 5fachen Betrag gesenkt.
In den verbleibenden 90er Jahren trafen die Beitragsrechnungen regelmäßig ein und wurden einigermaßen pünktlich beglichen. Ab 1900 kamen Amtmann Busch und Amtssekretär Goebel zu den Versicherten hinzu. Die letzte Rechnung in der Akte stammt von 1905. Für den Amtmann mussten bei einem Gehalt von 3.600 Mark 108 Mark, für den Sekretär für 1.600 Mark 48 Mark, für den neuen Polizeidiener in Altlünen Keitgen für 1.200 Mark 36 Mark, für Fleige von 1.400 Mark 42 Mark und für Thier von 1.300 Mark 39 Mark Jahresbeitrag für die Versicherung gezahlt werden.
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Gezahlte Witwen- und Waisengelder
Den erste Antrag an die Versicherung zur Berechnung des Witwen- und Waisengeldes füllte Amtmann Busch am 31. Januar 1895 für den am 9. Oktober 1894 verstorbenen Altlüner Polizeidiener Theodor Böcker aus. Er musste die Sterbeurkunde, Böckers und seiner Ehefrau Geburtsurkunde, die Trauungsurkunde, die Geburtsurkunden der beiden Kinder unter 18 Jahren – insgesamt hatten die Eheleute fünf Kinder – und die Militär- und Zivildienstpapiere des Verstorbenen einreichen.
Mitte Februar traf die Berechnung der Gelder für die Hinterbliebenen in Bork ein. Sie lautete:
Bei einer anrechnungsfähigen Dienstzeit von 19 vollen Jahren und einem pensionsfähigen Dienst-Einkommen von 660 Mark würde die Pension des Verstorbenen 24/60 X 660 Mark = 264,00 Mark betragen.
Das Wittwengeld besteht in dem dritten Theile der vorstehend berechneten Pension, muß jedoch mindestens 160 Mark betragen.
... Als Waisengeld ist für jedes Kind 1/5 des Wittwengeldes zu zahlen.
Die Provinzial-Hauptkasse wird angewiesen, vom 1.11.1894 ab, bis zu welchem Tage den Hinterbliebene das Gehalt belassen ist, der Wittwe Böcker Bernardine geb. Hauschop zu Altlünen
als Wittwengeld jährlich 160,00 Mark ... in monatlichen Raten von 13 Mark 33 1/3 Pfg.
an Waisengeld je 32 Mark ... in monatlichen Raten von 2 Mark 66 2/3 Pfg und zwar für 1. Bernard Heinrich geboren am 25.3.1875, 2. Bernardine Maria geboren am 26.3.1881
durch Vermittelung der Gemeindekasse Altlünen zu Bork gegen vorschriftsmäßige Quittung zu zahlen und für 1894/95 mit
66,67 Mark Wittwengeld
26,66, Mark Waisengeld
zusammen 93,33 Mark ... als verausgabt nachzuweisen.
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Das Amt fehlt noch
Der 1895 noch kommissarisch tätige Amtmann Busch stellte den Antrag, seine frühere Mitgliedschaft bei der Kasse als Verwaltungssekretär in Hagen wieder aufleben zu lassen. Das ging so einfach nicht, denn als im November 1891 die Polizeidiener bei der Kasse versichert wurden, waren nur die Gemeinden, nicht das Amt Bork beigetreten. Die Amtsversammlung musste erst einen entsprechenden Beschluss fassen. Dieser Beschluss hatte für die Zukunft auch den Gemeinde-Empfänger Tiemann einzuschließen, der im Augenblick noch nicht definitiv angestellt, aber angeblich Amtsbeamter war. Busch kümmerte sich zügig um einen Beschluss. Für Tiemann sollte das im Laufe des Jahres geschehen. Eine kleine Überraschung löste die Meldung aus, dass für Busch erneut ein Eintrittsgeld zu zahlen war. Die frühere Zugehörigkeit als Beamter der Stadt Hagen machte dabei keinen Unterschied.
Anfang 1897 lief es dann doch anders. Die Amtsversammlung beschloss am 19. Februar nur den Beitritt des Amtmanns. Busch erklärte dem Landeshauptmann, der Gemeinde-Empfänger sei in erster Linie Beamter der Gemeinde und verwalte die Amtskasse nur mit. Das wurde so akzeptiert. Über die Gemeindekassen wurde er auch nicht versicherte, weil er nur im Nebenamt tätig war. Die neue Berechnung sah für Busch 360 Mark Eintrittsgeld und einen Beitrag von 72 Mark vor.
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Kriminelle Energie
Ein einziger Fall von Veruntreuung veranlasste den Minister des Innern 1904 eine dringliche Mahnung an die Regierungsbezirke zu verschicken. Sie sollten die nachfolgenden Behörden über einen erfolgreichen Betrug bei der Witwen- und Waisenkasse informieren, der der Staatskasse einen erheblichen Verlust zugefügt hatte. Die Witwenpension einer 1874 verstorbenen Beamtenwitwe war noch bis zum Jahre 1901 ausgezahlt worden. Der Schuldige [war] der Sohn der Verstorbenen, welcher es verstanden hat[te], die Unterschrift seiner Mutter unter den Quittungen zu fälschen und sich vermöge seines Auftretens die vorgeschriebenen Beglaubigungen über Leben, Witwenstand und eigenhändige Unterschrift der Empfängerin von Polizeibeamten zu verschaffen.
Der Minister ermahnte alle zuständigen Beamten, Bescheinigungen jeder Art erst dann auszustellen, wenn sie sich über die Zu- und Umstände ein komplettes Bild verschafft hatten. Den Kassen fehlt es an der Möglichkeit zur Nachprüfung der Richtigkeit jener Bescheinigungen. So lange sie beigebracht werden, wird die Fortdauer der Zahlungspflicht des Staates angenommen. Leichtsinnigen Beamten drohte bei falsch ausgestellten Quittungen eine Ersatzpflicht.
Amtmann Busch in Bork schickte das Schreiben an alle Gemeinde-Vorsteher und empfahl dringend die allergrößte Vorsicht bei Beglaubigungen.
November 2024
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1. Staatsrechtliche Bemerkungen über die Pensions-Rechte der Staatsdiener nach deutscher und preußischer Verfassung, Berlin 1848. http://books.google.com.
2. ebenda, S. 9.
3. Pensions-Reglement für die Civilbeamten vom 30. April 1825, ttps://www.deutsche-digitale-bibliothek.de.
4. und folgende Zitate: Stadtarchiv Selm, AB-1 – 38.
5. Stadtarchiv Selm, AB-1 – 26.
6. und folgende Zitate: Stadtarchiv Selm, AB-1 – 35.
7. Stadtarchiv Selm, AB-1 – 38.
8. Preußische Civil-Pensions-Reglement für Staatsdiener“, Berlin, 30. April 1825.
9. Stadtarchiv Selm, AB-1 – 26.
10. Gesetz, betreffend die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten, Berlin 1873, Wikisource.
11. Und folgende Zitate: Stadtarchiv Selm, AB-1 – 45.