aktenlage
Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686

Vereine

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Vereine sind für die freie Zeit, finden ihren Platz im täglichen Leben und ermöglichen ein Miteinander jenseits von Familie und Beruf, Nachbarschaft und Kirche. Im 19. Jahrhundert besetzen sie ein breites Feld zwischen dem noch schmalen öffentlichen Sektor und der individuellen, privaten Betätigung.

Vereine widmen sich bestimmten Zwecken, organisieren Aktivitäten und sind gleichzeitig Orte der Geselligkeit. Als Vereinsmitglied war man weder privat noch beruflich unterwegs. Es war nicht ungewöhnlich, zumindest einen Abend der Woche im „Verein“ zu verbringen. Man traf sich in den Räumen der Wirtshäuser und Gaststätten.

Das Doppelprinzip von Individualismus und Organisation des Zusammenwirkens hat die bürgerliche Welt bestimmt. Den freien Zusammenschluss von Menschen zu unterschiedlichen und zumeist spezialisierten Zwecken entdeckten zuerst bürgerliche Kreise für sich, dann ergriff der Vereinsgedanke auch nicht-bürgerliche Teile der Bevölkerung. Alle Milieus hatten Netze von Vereinen, in denen sie nicht nur organisiert waren, sondern lebten.

Im Zuge der gesellschaftlichen Entwicklung wurden die Vereinszwecke spezieller und das Angebot, sich zu engagieren differenzierter. Im ländlichen Milieu gab es zunächst die sehr breit aufgestellten Lesegesellschaften, dann die landwirtschaftlichen Vereine. Den Krieger- und Gesangvereine folgten ab der Mitte des Jahrhunderts Feuerwehren und letztlich wurden Gesellschaften gegründet, die spezielle Zwecke und Interessen bedienten, wie die Bienenzucht, die Pflege der Stenografie oder die Ausübung einer bestimmten Sportart, z. B. das Radfahren.[1] 

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte es die Verwaltung mit Vereinen zu tun, die durch staatliche Initiative eingerichtet und als „Instrumente der Modernisierung“ gefördert wurden. Im Archiv der Stadt Selm befinden sich drei Akten, die solche Gründungen bezeugen. Die Landräte sahen sich immer wieder gefordert, unter Einbeziehung der Ortsbehörden die Eingesessenen „willig zu machen“, sich im Sinne dieser Vereinszwecke zu engagieren.

So genehmigte der westfälische Oberpräsident 1825 den „Verein zur Beförderung von Handwerken und Künsten unter den Juden“[2], dem er selbst als zahlender Förderer beitrat. Auf Wunsch des Vereins übernahm ein Mitglied des Regierungskollegiums die Leitung der Gesellschaft. Die Landräte wurden aufgefordert, die Eingesessenen Ihres Bezirkes zur Subskription einer Mitgliedschaft zu bewegen.
1828 wünschte die Bezirksregierung, daß in den hiesigen Gemeinden Vereine zur Vorsorge für die aus den Straf- und Besserungs-Anstalten entlassenen Personen … errichtet werden, da deren nützliche Wirksamkeit sich auf eine sehr erfreuliche Weise bewährt habe.[3] 
Im Juni 1836 lag der Bericht des Oberpräsidenten Ludwig von Vincke über den gefährdeten Stand des landwirtschaftlichen Gewerbes und ... dessen Sicherung und Förderung auf dem Tisch, u.a. mit dem Vorschlag, landwirtschaftliche Kreis- und Ortsvereine zu bilden. Im September des Jahres verlieh Landrat Schlebrügge der staatlichen Initiative Nachdruck und stellte den Bürgermeistern des Kreises Lüdinghausen die Statuten des im Kreis Ahaus gebildeten Vereins mit dem lebhaften Wunsche zu, daß es Ihnen gelingen möge, aufgeklärte Landwirthe und Gutsbesitzer geneigt zu machen, zu einem gleichen Verein im hiesigen Kreise zusammenzutreten.[4]

Mit Beginn der 1840er Jahre gab sich Bevölkerung allerdings nicht mehr damit zufrieden, ihr Schicksal vertrauensvoll in die Hand des Beamtentums zu legen. Fortschrittliche Kreise strebten nach verfassungsmäßigen Rechtsgarantien für die Freiheit der Person und die Sicherheit des Eigentums und suchten nach Möglichkeiten, an der Weiterentwicklung der bestehenden Zustände mitzuwirken.[5] Die Konstellation hatte sich verändert: Es war nicht mehr Sache der Verwaltung, Initiativen anzustoßen und in Vereinigungen zu bündeln, sondern die Behörden sahen sich immer öfter mit Bürgern konfrontiert, die sich in Vereinen organisierten, um ihre Zwecke gemeinschaftlich zu verfolgen. 

Als König Friedrich Wilhelm IV im Zuge der Revolution von 1848/49 am 5. Dezember 1848 eine Verfassung für Preußen oktroyierte, garantierte Art. 28, dass alle Preußen das Recht haben, sich zu solchen Zwecken, welche den Strafgesetzen nicht zuwiderlaufen, in Gesellschaften zu vereinigen. In dem sich anschließenden Revisionsverfahren wurden die Artikel, die das Versammlungs- und Vereinigungsrecht betreffen, neu gefasst und mit Datum vom 31. Januar 1850 in Übereinstimmung mit beiden Kammern endgültig festgestellt:[6]

Artikel 29
 [1] Alle Preußen sind berechtigt, sich ohne vorgängige obrigkeitliche Erlaubnis friedlich und ohne Waffen in geschlossenen Räumen zu versammeln.
 [2] Diese Bestimmung bezieht sich nicht auf Versammlungen unter freiem Himmel, welche auch in Bezug auf vorgängige obrigkeitliche Erlaubnis der Verfügung des Gesetzes unterworfen sind. 

Artikel 30
  [1] Alle Preußen haben das Recht, sich zu solchen Zwecken, welche den Strafgesetzen nicht zuwiderlaufen, in Gesellschaften zu vereinigen.
  [2] Das Gesetz regelt, insbesondere zur Aufrechthaltung der öffentlichen Sicherheit, die Ausübung des in diesem und in dem vorstehenden Artikel gewährleisteten Rechts.
  [3] Politische Vereine können Beschränkungen und vorübergehenden Verboten im Wege der Gesetzgebung unterworfen werden. 

Der Obrigkeit schienen die gesetzlich verankerten Rechte, sich zu versammeln und Vereine zu gründen, von Anbeginn durch Missbrauch bedroht, den man sogleich durch eine entsprechende Vorschrift[7] zu verhüten dachte. 

Mit der Verordnung vom 11. März 1850 wurden die Ortspolizeibehörden für das Vereinswesen in ihrem Bezirk zuständig. Fortan waren auch im Amt Bork Versammlungen anzuzeigen, Statuten und Mitgliederverzeichnisse einzureichen und zu Belangen des Vereins Auskunft zu geben. Der Amtmann bestätigte, genehmigte und war sogar befugt, einen oder zwei Polizeibeamte in Versammlungen zu entsenden, wenn dort öffentliche Angelegenheiten erörtert oder berathen werden sollten. Die Beobachter waren uniformiert oder durch ein Abzeichen für die versammelten Vereinsmitglieder kenntlich gemacht. Mit der Verordnung begründete der Staat ein anderes Verhältnis seiner Behörden zu den Vereinen. Es ging nicht mehr darum, für ein Engagement zu werben, sondern um Kontrolle der Aktivitäten.  

Die neue Aufgabe machte die Ortspolizeibehörden zu Adressaten zahlreicher Verfügungen höherer und höchster Stellen, die das Vereinswesen in ihrem Sinne geregelt sehen wollten. So stellte die Bezirksregierung Münster erst einmal klar, wo die Grenzen des Engagements von Beamten in Vereinen zu sehen sind, welche die Einwirkung auf öffentliche Angelegenheiten bezwecken, und informierte als nächstes, dass auch Religionsgesellschaften dem Gesetz unterworfen sind.

Als dann im September 1850 der Lüdinghauser Landrat Graf Schmising dem Borker Amtmann von Stojentin im höheren Anlaß empfahl, dem Vereinswesen die fortgesetzte sorgfältigste Aufmerksamkeit zu widmen, wurde es Zeit, eine betreffende Akte anzulegen, die bis 1909 lief.[8] Auf dem letzten Blatt wollte der Landrat 1909 wissen, ob im Borker Amtsbezirk „Hundezuchtvereine“ bestehen und weil auf eine „Fehlanzeige“ verzichtete, blieb das Schreiben unbeantwortet.

In den 1850er Jahren drängte es die Menschen im Amt Bork nicht dazu, Vereine ins Leben zu rufen. Der nächste Anstoß kam erst im Frühjahr 1864 zur Zeit des deutsch-dänischen Krieges. Der westfälische Oberpräsident teilte mit, man habe in Berlin zur Pflege der im Felde verwundeten und erkrankten vaterländischen Krieger … ein[en] Central-Verein ins Leben getreten lassen und er erwarte, dass sich die Provinz an dem Unternehmen der patriotischen Bestimmung entsprechend beteilige. Die Ortsbehörden seien also gefordert, auf die Bildung von Local-Vereinen Bedacht zu nehmen. Über den Erfolg erwartete der Landrat binnen sechs Wochen einen Bericht.  Amtmann Föcker verfasste einen Aufruf und legte eine Akte an.[9]

Nach der Reichsgründung 1871 schlugen sich die großen innenpolitischen Themen auch in den Akten der ländlichen Amtsverwaltung nieder: Wachsamkeit gegenüber den katholischen Vereinigungen, zu denen man auch den Bauernverband zählte und wohlwollende Aufmerksamkeit den Kriegervereinen gegenüber, deren Gebaren man ordnete und manchmal im Zaum halten musste, wenn die Protagonisten zu eifrig und unbefugt zu Werke gingen. Zu allen Zeiten war der Behörde aufgegeben, ein Auge auf die Sozialdemokratie haben.

Viele der „von Oben“ an die Ortspolizeibehörde Bork gerichteten Verfügungen betrafen allerdings nicht die Verhältnisse im Amtsbezirk, diese Schreiben wurden zur Kenntnis genommen und zu den Akten gelegt. Anders die rund dreißig Briefe, die ortsansässige Vereine an den Amtmann schrieben und die in etwa gleicher Zahl eingereichten Statuten und Mitgliederlisten. Sie lassen die Konturen der Vereinslandschaft in den Gemeinden Bork, Selm und Altlünen erkennen. Bis 1909 verzeichnete man sowohl Gesangvereine, Krieger- und Schützenvereine, gesellige Vereine und Sportvereine als auch konfessionell gebundene Hilfsvereine, berufsständische Organisationen und Konsumvereine. In Cappenberg gab es u.a. den Gesangverein „Concordia“ und eine merkwürdige Gesellschaft „Zur grünen Eiche“ und selbst die „Luftpost Lünen“, ein Brieftaubenverein, findet sich in den Borker Papieren.

aktenlage.net befasst sich mit dem Vereinswesen, wie es im Amt Bork in der Zeit von 1850 bis 1909 aktenkundig gemacht wurde. Das ist größtenteils Verwaltungsgeschichte. Die Geschichte der Selmer Vereine wird anderswo geschrieben. Vielleicht können die Akten des Stadtarchivs dazu einige ergänzende Hinweise geben.

Juni 2019
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[1] Verfasst unter Verwendung von: Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1000-1866, Bürgerwelt und starker Staat, vgl. S. 267ff. und ders. Deutsche Geschichte 1866 – 1918, Band I, Arbeitswelt und Bürgergeist, vgl. S. 168f.
[2] StA Selm, AB-1 308, Verein zur Förderung von Handwerk und Künsten unter Juden,1826-1903.
[3] StA Selm, AB-1 428, Hilfsverein für entlassene Strafgefangene,1829-1883.
[4] StA Selm, AB-1 157, Landwirtschaftlicher Kreisverein, 1839-1867.
[5] Fritz Hartung, Zur Geschichte der preußische Verwaltung im 19. und 20. Jahrhundert, in: Büsch/Neugebauer, Moderne Preußische Geschichte, Band 2, Berlin 1981, S. 696f.
[6] documentarchiv.de/nzjh/verfpr1850.html – 08-06.2019.
[7] Verordnung über die Verhütung eines die gesetzliche Freiheit und Ordnung gefährdenden Mißbrauchs des Versammlungs- und Vereinigungsrechtes. Vom 11. März 1850. – GS, 1850, Nr. 20, S. 277ff.
[8] StA Selm, Ab-1 399 Vereinswesen 1850-1909.
[9] StA Selm, AB-1 601, Verein zur Pflege verwundeter und erkrankter Krieger, (auch Verein vom Roten Kreuz) 1864 – 1907.

 
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