aktenlage
Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686

Amtmann Busch und die Kraftfahrzeuge

Christel Gewitzsch

Die Minister der öffentlichen Arbeiten und des Innern erachteten es im Juni 1905 für überaus geboten, die nachgeordneten Behörden auf die strengste Durchführung der nun für ganz Preußen vorliegenden einheitlichen Polizeiordnungen für den Fahrverkehr auf öffentlichen Straßen zu verpflichten. Ab nun war festgelegt, dass rechts auszuweichen und links zu überholen[1] ist. Bisher, so die Minister, seien auch die sonst für den Fuhrwerksverkehr bestehenden polizeilichen Vorschriften nicht streng genug gehandhabt worden und sie konnten interessante Beispiele liefern:
Wie die Erfahrung lehrt, pflegen namentlich die Führer der Pferdefuhrwerke jenen Bestimmungen nur geringe Beachtung zu schenken. Bei der Begegnung mit Fuhrwerken weichen sie nicht immer nach rechts, sondern nach der besser befestigten Straßenseite aus. Wenn sie von anderen Fahrzeugen, insbesondere von Kraftwagen, überholt werden sollen, beachten sie die vom Führer des überholenden Wagens gegebenen Zeichen häufig nicht und machen außerdem nicht immer links, sondern je nach dem Zustand der Straße auf der einen oder auf der anderen Seite Platz. Sehr oft wird ferner gegen die Vorschriften verstoßen, die verbieten, daß die Lenker von Fuhrwerken während der Fahrt schlafen oder die Gespanne unbeaufsichtigt auf der Straße stehen lassen. Endlich werden die Wagen während der Dunkelheit häufig nicht vorschriftsmäßig beleuchtet.

Diese Verhaltensweisen produzierten einen großen Teil der Unfälle, besonders seit der stetigen Zunahme des Verkehrs mit Kraftfahrzeugen.

Das Schreiben veranlasste einen Journalisten in einer leider nicht genannte Zeitung unter der Überschrift „Unpolitische Zeitläufte“ zu einem ironischen und kritischen Kommentar:
Die Kutscher sollen während der Fahrt nicht schlafen. Diese und andere schöne Vorschriften sind durch einen feierlichen Ministerialerlaß vom 28. Juni d. J. neu eingeschärft worden, und zwar zum Besten der Kraftwagen, wie im Amtsdeutsch die Automobile genannt werden. Freilich, mit der alten Gemütlichkeit der Landstraßen ist es vollends vorbei, seit diese modernen Fahrmaschinen mit Staub und Stank dahinrasen. ... Je mehr die pferdelosen Wagen zunehmen, desto besser erkennen wir die Tugenden und Vorzüge des braven Wagenpferdes. In seinem beschränkten, aber doch wertvollen Pferdeverstand weicht das Tier, so lange es in seiner Ruhe verbleibt, manchem Hindernis von selbst aus und sucht die Menschen, die ihm in die Quere kommen, zu schonen. Kommt es doch zum Zusammenstoß, so ist das Pferd ein abschwächender Puffer. ... Also auch bei gleicher Fahrgeschwindigkeit ist der Kraftwagen gefährlicher, als der Pferdewagen. Und nun erst bei der doppelten, dreifachen oder noch höheren Geschwindigkeit! Man braucht also den fürchterlichen Staub und den unangenehmen Geruch gar nicht in Rechnung stellen, um so den Volkshaß gegen die Kraftwagen zu begreifen.

Etwas später schließt er nicht aus, dass wie bei den Radfahrern, sich das Schnelligkeitsfieber schon noch legen wird, doch die Eitelkeit nicht. Jetzt kann sich niemand mehr durch den Besitz oder die Benutzung eines Zweirades auszeichnen. Wer den Nobeln herausbeißen will, muß sich in ein Automobil setzen; das gilt für ein aristokratisches (wenigstens geldaristokratisches) Fuhrwerk. Ich glaube, die Prahlhänse werden das Automobil so lange nutzen, bis ein neues Verkehrsmittel entdeckt ist, das noch kostspieliger und künstlicher aussieht.

Der Verfasser kommt am Schluss zu dem Fazit: Der Kulturfortschritt gleicht einer dornigen Rose.

Wie sieht es im Amtsbezirk Bork aus?

Der Zeitungsartikel scheint dem Amtmann Busch in Bork voll aus dem Herzen gesprochen zu haben. (Ihm haben wir es höchstwahrscheinlich zu verdanken, dass der Text in die Akte geriet.) Schon 1901, als die zuständigen Minister es für nötig hielten, im Hinblick auf die Entwicklung, welche das Selbstfahrwesen zu nehmen im Begriff ist, Polizeiordnungen für möglichst große Bezirke zu erlassen, berichtete er erleichtert: Im diesseitigen Amtsbezirk sind ... Kraftfahrzeuge glücklicherweise noch nicht vorhanden.

Aus seiner Skepsis gegenüber dieser Art von Fortschritt machte er von Beginn an keinen Hehl. Er plädierte prophylaktisch für ein möglichst strenges Vorgehen auch bei den scheinbar geringfügigen Uebertretungen und forderte für die Polizei das Recht, den Verkehr mit Kraftfahrzeugen auf bestimmten Wegen und Straßen aus besonderen Gründen ganz zu verbieten. Auch bei Begegnungen zwischen Pferdefuhrwerken und Kraftfahrzeugen müssten die Letzteren verpflichtet werden, zur Seite zu fahren und zu halten; denn es ginge doch nicht an, ihnen die Beurteilung zu überlassen, ob ein Pferd unruhig wird.

Zwei Jahre später, als gerade das erste Motorrad in Bork angemeldet worden war, äußerte Busch sich in ähnlicher Weise. Erst einmal bedauert er diesen Umstand im Namen aller ordnungs- und sicherheitsbewußten Amtseingesessenen, dann wiederholte er die Notwendigkeit, gegen den durch das Selbstfahrwesen und zwar sowohl durch die gewöhnlichen Fahrräder als durch die Kraftfahrzeuge aller Art gezeitigten Unfug energisch vorzugehen.

Im selben Jahr musste er allerdings einräumen, noch von keinem Unfall in seinem Bezirk Kenntnis erhalten zu haben.

Das erste Kraftfahrzeug im Amt

So sehr sich der Amtmann auch gegen das Selbstfahrwesen wehrte, aufhalten konnte er es nicht. Immer mehr Kraftfahrzeuge wurden angemeldet und er beschränkte sich weitgehend darauf, die dazu erforderlichen Arbeiten zu erledigen und die angeforderten Berichte zu schreiben.

Die erste Anmeldung in seinem Amtsbezirk kam im Mai 1903 von dem Ziegeleibesitzer Hugo Reygers aus Bork. Er schrieb:
An das Amt Bork.
Ich befinde mich im Besitz eines Motor-Zweirades und bitte, wenn es erforderlich erscheint, mir eine Nummer für dasselbe angeben zu wollen.
Gehorsamste
Hugo Reygers

Amtmann Busch erklärte ihm, dass das so einfach nicht zu machen sei. Erst einmal bedarf es der Beibringung der Bescheinigung eines Sachverständigen über Fahrzeug und Fahrzeugführer nach Vorschrift der §§ 9.14 + 18 der R.V. v. 10.7.01. Als Sachverständige kommen für Ihren Fall gemäß Verfg. des Herrn Reg. Präs. v. 30.4.02 an erster Stelle die Oberingenieure, sowie der mit allen Befugnissen versehene Ingenieur des Dampfkessel-Ueberwachungsvereins in Betracht. Außer diesen Ingenieuren können auch die Bauinspektoren die Prüfung mit Verläßlichkeit vornehmen. Ferner sind Namen und Wohnort der Fabrik anzugeben.
Ich mache darauf aufmerksam, daß das Fahrzeug erst nach vorschriftsmäßiger Anbringung der Nummer und auch dann selbstredend nur von Ihnen benutzt werden darf.

Hugo Reygers beschaffte sich die nötigen Papiere und am 8. Juni meldete Amtmann Busch an den Regierungspräsidenten (RP): Der Ziegeleibesitzer Hugo Reygers hierselbst hat die Ertheilung einer Nummer für sein Kraftfahrzeug beantragt. Unter Beifügung der vorgeschriebenen Nachweisungen und eine Abschrift der Vorgänge bitte ich um weitere Veranlassung.

Am 21. Juni genehmigte Münster die Erkennungsnummer X 111 für das Gefährt. Busch informierte den Antragsteller. Das von Reygers eingereichte Papier war am 5. Juni vom Direktor des Feuerlöschwesens, Sachverständiger der Polizei Verwaltung Dortmund für die Abnahme von Kraftfahrzeugen ausgestellt worden und besagte: Herrn Gutsbesitzer Hugo Reygers geboren 1. VII. 56 zu Bochold, wohnhaft Bork, Amt Bork, wird hiermit bescheinigt, daß sein dem Unterzeichneten vorgeführtes Motorzweirad aus der Fabrik der Adlerfahrradwerke, Fabrik. Nr. 207864, Gewicht 50 kg, Benzinmotor von 2 HP[2] den gesetzlichen Anforderungen entspricht, und daß er selbst seine Befähigung in der Bedienung des Motors wie im Fahren dargestellt hat. [3]

Weitere Anmeldungen

In dieser Art und Weise liefen die weiteren Kraftfahrzeug-Anmeldungen ab, - und die trudelten ab 1904 auf dem Schreibtisch des Amtmanns ein. Meistens handelte es sich um Motorzweiräder.

1904 beantragten der Borker Kaufmann Jacob Moeres, der Wirt und Fahrradhändler zu Selm Anton Ermann und der Landwirt Franz Veltmann aus Westerfelde für Motorzweiräder eine Zulassungsnummer. Ein Jahr später legte sich auch der Kaufmann Bernard Wallmeyer aus Altlünen solch ein Gefährt zu. Der Schlosser Blomenkämper aus Altlünen meldete 1906 ein weiteres Motorrad an. 1907 kam der Selmer Bergmann Franz Krüger mit einem  Motorzweirad aus dem Jahr 1901 hinzu. Auch bei diesem, von dem Motor- bzw. Metallwerk in Köln-Lindenthal angefertigten Allright Motorrad, wurde die Leistung in Horse Power angegeben.

Der letzte in der Akte vermerkte Antragssteller ist der Volontär Alfred Eik aus Waltrop, der seinen Wohnsitz nach Bork verlegt hatte. Aus Dortmund war sein Schreiben vom 7. November 1907 an die Polizeiverwaltung Bork geschickt worden. Im selben Monat noch trug Amtmann Busch das Fahrzeug der Neckarsulmer Fahrradwerke mit der Nummer 3250 in seine Liste ein.

Die ersten Kraftwagen

Seit 1905 gab es einen ersten Kraftwagen im Amtsbezirk, der des Bergwerksassessor Janssen in Cappenberg. Im April des Jahres kam ein weiterer Kraftwagen hinzu. Der behördlich anerkannte Sachverständige Hermann Weigand aus Düsseldorf bestätigte der Polizeiverwaltung in Bork: Das Mercedes Kraftfahrzeug 15,6 PS, Fabriknummer 3515, Gewicht 1480 Kg (Luxus-Fahrzeug) entspricht den Bestimmungen der Provinzial-Polizeiverordnung vom 1. September 1906 und steht der Ingebrauchnahme diesseits Bedenken nicht entgegen. Im Mai teilte das königliche Bezirks-Kommando in Münster dem Wagen die Erkennungsnummer IX 2555 zu. Als Eigentümer wurde die Bergwerksgesellschaft Hermann eingetragen, als Fabrikant die Daimler Motorwagen-Fabrik zu Untertürkheim, als Anfertigungsjahr 1907 und als Gewicht im Unterschied zu dem Schreiben des Gutachters 1840 kg. Wahrscheinlich ein Zahlendreher des Amtsschreibers.

Bei den Zulassungen der Kraftwagen des Janssen lief nicht immer alles ganz glatt.

Nachdem der Landrat im Februar 1905 Amtmann Busch aufgefordert hatte, ihm jeden Zugang eines Personenselbstfahrers unter Angabe der Konstruktion, des Namens des Besitzers, des Neuwertes sowie des Jahres der Ingebrauchnahme zu melden, schrieb Busch an Herrn Bergassessor Janssen mit der Bitte um gefl. Angabe ergebenst. Janssen teilte Anfang März mit: Mit der ergebenen Mitteilung zurück, daß ich einen 15 pferdigen Dürrkopp-Wagen fahre. Die Maschine besitzt 3 Zylinder. Es können mit dem Wagen bequem 5 Personen, zur Not 7 befördert werden. Sommerdach mit Glasschutz vorn u. hinten ist abnehmbar, ebenso das [...?]
Besitzerin ist die Bergwerksgesellschaft, das Automobil ist seit 1. Okt. v. im Gebrauch, Neuwert 11000 M.

Im November des Jahres wandte sich Janssen erneut an den Amtmann. Da ging es um ein Fahrzeug aus dem Jahr 1902 aus der Rüsselsheimer Fabrik von Adam Opel, mit der Erkennungsnummer Z 101, das von der Polizeiverwaltung in Hamm[4] eine neue Nummer erhalten musste. Da diese aber auf sich warten ließ, hatte der Wagen auch keine Zulassung für Bork.

Janssen kaufte im selben Monat von einem Herrn Weingard in Düsseldorf einen 16 PS starken, nach Art eines sog. Coupé’s gebauten Wagen der Adler-Fahrradwerke in Frankfurt, Nr. Z 7086. Zwei Personen passten auf den Kutschersitz, sechs Personen ins Innere. Auch hierfür musste eine neue Nummer beantragt werden. Die nötigen Papiere lagen bei und im Dezember trug der Amtmann diesen Wagen unter der Nummer X 2304 in seine Liste ein. Vorher hatte sich noch die Polizeiverwaltung Düsseldorf an das Amt Bork gewandt und daran erinnert, dass Janssen zur Führung dieser Nummer [Z 7086] dortselbst nicht berechtigt ist. Busch schickte den Polizeibeamten Fleige unverzüglich los, um die Nummer einzuziehen und meldete Düsseldorf den Vollzug.

Das Auto wurde aber weiterhin benutzt, bis es in Hamm zu einer Anzeige kam. Der Chauffeur Stremmel informierte seinen Arbeitgeber, der sich beim Amtmann beschwerte:
Da das No-schild im Auftrage der dortigen Polizei-Verwaltung Ende vorigen Monats konfisziert worden ist, -- m. E. hatte die Polizei-Verwaltung dazu keine Recht – so hat der Chauffeur Stremmel dem ihn anhaltenden Polizisten gegenüber bemerkt, dass nach Aussage des Polizisten, welcher die Konfiskation vorgenommen hat, er so lange ohne No. fahren könne, bis eine neue No. für das Automobil ausgestellt sei. Die hiesige Polizei-Verwaltung scheint auf einem anderen Standpunkt zu stehen, denn sie hat dem Chauffeur bedeutet, dass er unter allen Umständen eine No. führen müsse und zwar die No, der Rheinprovinz, solange ihm eine für die Provinz Westfalen gültige No. noch nicht ausgestellt sei.

Busch verwies in seinem Antwortschreiben auf eine Verfügung des RP, nach der ein hier stationierter Kraftwagen nicht mit einer Nummer der Rheinprovinz und vor Erteilung einer hier gültigen Nummer überhaupt nicht gefahren werden dürfe.

Im August 1906 meldete sich die Polizeiverwaltung Hamm erneut beim Amt Bork. Es ging um eine Bescheinigung zur Führung des Motorwagens H 2304 für Chauffeur Heinrich Stremmel zu Cappenberg. In Hamm sei der Wagen nicht angemeldet, soll aber im Bezirk Bork zugelassen sein. Busch wusste von nichts und legte das Schreiben auf Wiedervorlage, sobald eine Bescheinigung für den p Stremmel beantragt werden würde.

Die allgemeine Verwirrung ging weiter. Die Bergwerksgesellschaft Trier bat das Amt im September um eine Bescheinigung für den Wagen X 947 des Janssen, damit er versteuert werden konnte. Busch fragte bei Janssen nach, ob dieser Wagen in Cappenberg stationiert sei, woher die Nummer stamme und was mit dem Wagen X 2304 passiert sei. Es stellte sich in diesem Fall aber schnell heraus, dass das Schreiben irrtümlich statt nach Hamm nach Bork geschickt worden war.

Anfrage des Militärs

Das Ministerium der öffentlichen Arbeiten hatte bereits 1904 auf Ersuchen des Kriegsministers besonders darauf aufmerksam [gemacht], daß die Bedeutung des Kraftfahrzeugs als militärisches Verkehr- und Nachrichtenmittel stetig zunimmt, sodaß die Notwendigkeit besteht, den höheren Führern in den Manövern mehr als bisher Gelegenheit zur Kriegsmäßigen Ausnutzung dieses Verkehrsmittels zu geben. Wegen dieser Steigerung des Verkehrs schien es geboten, zur Verhütung von Unfällen vor Beginn der Herbstübungen die Bevölkerung in geeigneter Form hierauf sowie auf die Notwendigkeit einer strengen Befolgung der bestehenden Fahrvorschriften mit dem ausdrücklichen Hinzufügen hinzuweisen, daß gegen alle Verletzungen jener Vorschriften unnachsichtlich vorgegangen werden müsse.

In dieser Angelegenheit verlangte das Königliche Bezirks-Commando Coesfeld 1906 vom Amtmann einen Nachweis über die im hies. Bezirk vorhandenen, mit der Führung von Personenselbstfahrern (Automobilen) vertrauten Personen. Dafür kamen die Chauffeure des Bergassessors Janssen in Frage und dieser reichte die nötigen Informationen ein. Es handelte sich um Heinrich Stremmel und Carl Hügel. Stremmel gehörte von 1897 bis 1899 dem 1. Aufgebot der Seewehr[5] im 3. Seebataillon Kiautschou an und kam als Halbinvalide zurück. Sein Kollege Hügel war Mitglied der Landwehr von 1898 bis 1900. Auch er gehörte zum 1. Aufgebot und diente im Infanterie-Regiment 127 in Ulm. Stremmel, so Janssens Angabe, war mit der Führung des Adler Autos, des Opel-Darrage, des Dürrkopp und Mercedes vertraut, Hügel nur mit den ersten beiden.

Das erforderliche Papier für das Führen des Dürkopp Nro, IX 687 erhielt Stremmel aber erst Anfang 1907 vom Sachverständigen C. H. Schäfer in Hamm, der bescheinigte: Derselbe ist mit den maschinellen Einrichtungen des Kraftfahrzeuges und deren Handhabung sowie mit der Bedienung „völlig vertraut“ und kann daher als „Führer“ dieses Motorwagens zugelassen werden.

Wettrennen

Der RP in Münster legte in seiner Anweisung für die zu erlassenden Polizeiordnungen im Punkt 11 fest: Für Rennen von Kraftfahrzeugen auf öffentlichen Wegen ist in jedem einzelnen Falle die Genehmigung der Ortspolizeibehörde oder, wenn das Rennen sich über die Bezirke mehrere Polizeibehörden hinaus erstrecken soll, der zuständigen Landespolizeibehörde, vorzuschreiben.

Das erste Rennen, welches vom Amt bearbeitet werden musste, war das im Juni 1904 im Taunus stattfindende internationale Wettrennen um den Gordon-Bennett-Preis.[6] Kaiser Wilhelm II. persönlich hatte den Austragungsort bestimmt. Auch der Landrat in Lüdinghausen bekam dazu eine Anweisungen. Das Rennen fand zwar weit weg statt, doch erwartete man ein erhöhtes Verkehrsaufkommen durch Kraftfahrzeuge in sehr grosser Anzahl aus den benachbarten deutschen Bundesstaaten, sowie aus dem Ausland. Man ging zwar davon aus, dass die ausländischen Fahrzeugführer bestrebt sein werden, den preussischen Vorschriften über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen zu genügen und sich besonderer Vorsicht zu befleissigen, doch rechnete der RP mit Unkenntnis und Leichtsinn (mit Bleistift hinzugefügt: böswilliger Rücksichtslosigkeit), und daraus resultierenden Unfällen. Entlang den Hauptverkehrsstraßen sollten daher die fremden Fahrer in Wirtshäusern und an Haltestellen auf die Vorschriften aufmerksam gemacht und zum vorsichtigen Fahren ermahnt werden.

Die Behörden wurden verpflichtet, alle für Kraftfahrzeuge verbotenen Straßen deutlich zu kennzeichnen und unter Umständen Polizeibeamte an gefährlichen Stellen zu postieren. Der RP beendete das Schreiben mit dem Appell: Schließlich ersuche ich sämtlichen Exekutivbeamten einzuschärfen, dass sie sich im Verkehre mit den Führern und den Insassen der Kraftfahrzeuge der grössten Höflichkeit zu befleissigen und ihr Bestreben darauf zu richten haben, diesen das grösste Entgegenkommen zu zeigen, um dem Verkehre der Kraftfahrzeuge nach und von der Rennstrecke keinerlei, nicht unbedingt gebotene Hindernisse in den Weg zu legen.

Lüdinghausen hatte dem nicht viel hinzuzufügen, wiederholte nur die Anweisung, die verbotenen Straße und Wege deutlich* zu kennzeichnen und ergänzte: Wie die Mahnung zur Vorsicht am besten geschehen kann muß ich Ihnen überlassen.

Die Nachfrage des RP, wie sich die Maßnahmen anlässlich des Rennens bewährt hätten, nutzte Amtmann Busch zur wiederholten Mahnung. Auswirkungen des Gordon-Bennett-Rennens habe er nicht feststellen können, aber die Unsicherheit auf öffentlichen Wegen steigere sich ständig. So sei im Mai wegen zu hoher Geschwindigkeit ein Kind angefahren, aber glücklicherweise nicht verletzt worden. Anwohner hatten sich das Kennzeichen gemerkt, so dass der Besitzer mit 50 Mark Strafe belegt werden konnte. Bei einem Wettrennen in Selm fuhr ein Ingenieur aus Hamm mit seinem Automobil mit großer Geschwindigkeit über den Fußweg der Chaussee durch die Fußgänger, an den von dem Rennplatze zurückkehrenden Wagen hohnlachend vorbei, obschon er deutlich sehen konnte, daß Pferde scheuten und obschon ihm von einem Wagen aus zugewinkt wurde, zu halten. Er wurde in 30 M Strafe genommen. Busch resümierte, es werde von Tag zu Tag schlimmer mit diesem Unwesen.

Schilder

Schilder wurden in zweifacher Hinsicht benötigt. Einmal ging es um die richtige Form und Größe der Nummernschilder, zum zweiten um die ersten Verkehrsschilder.

Die Erkennungsnummern für Kraftfahrzeuge wurden in gewissen Abständen vom RP an die Regierungsbezirke übermittelt. Sie bestanden aus einem oder mehreren Großbuchstaben, oder auch römischen Ziffern, und einer Nummer. So erhielten z.B. 1903 der Regierungsbezirk Hannover die Nummern S 901 bis 1200, der Bezirk Posen J 101 bis 200, der Bezirk Magdeburg M 1001 bis 2000.  Dem Regierungsbezirk Münster wurden 1907 die Nummern I X 3101 bis 3500 überwiesen.  Wie die Schilder auszusehen hatten, war in der Polizeiordnung vom 7. September 1906 nachzulesen.

Bei der Kennzeichnung der Kraftzwei- und Dreirädern bestand der RP 1903 darauf, dass unbedingt daran festgehalten werden müsse, die Fahrzeuge auch hinten in der vorgeschriebenen Größe mit den Schildern zu versehen. Klagen darüber, dort nicht über genügend Platz für deren Anbringung zu verfügen, entbehrten seiner Meinung nach jeglicher Grundlage. Wegen einer möglichen Explosionsgefahr wollte man gegebenen Falles zwar stillschweigend auf die Beleuchtung des rückseitigen Erkennungsschildes verzichten, vorne aber sei ein gut beleuchtetes Schild unentbehrlich.

Ein Jahr später fiel die Kritik an den zu großen hinteren Nummernschildern in Münster auf offenere Ohren. Erfahrungen hatten Folgendes gezeigt: Bei kleinen Personen und niedrig gebauten Maschinen lasse der Raum zwischen Sattel und Schutzblech ein Anbringen nicht zu, und müsse das Erkennungsschild daher am unteren Teile des Schutzblechs befestigt werden. Hier aber hindere es beim Aufspringen ungemein, will man das über 1 Ctr schwere Rad nur mit wiederholtem Abtreten vom Boden in Gang setzen können.
Es sei dabei sehr häufig vorgekommen, daß die Fahrer sich die Beinkleider an dem unförmigen Schilde zerrissen hätten, vielfach auch zu Fall gekommen seien und sich körperliche Verletzungen zugezogen hätten
. Die Behörden sollten sich zu ihren Erfahrungen äußern.

Amtmann Busch reagierte wie immer bei diesem Thema. Er schrieb: Wünsche zur Herbeiführung einer größeren Bequemlichkeit von Führern von Kraftfahrzeugen sind hier nicht laut geworden, wohl aber gegentheilige, da der durch die erwähnten Leute fortwährend verübte [Unfug?] sich immer mehr ausdehnt. Die Controle ist so schon ungeheuer schwierig, weil die Erkennungs-Nummern mit Fleiß durch Überziehen u.s.w. verschmutzen, wenn die Schilder nun noch kleiner werden sollen, dann ist den Uebeltätern noch mehr Gelegenheit geboten unerkannt zu entkommen.
Ich kann nur inständig bitten, dahin wirken zu wollen, daß die Controlvorschriften, wie schon in einem früheren Berichte erwähnt, nach Möglichkeit verstärkt werden.

Die zuständigen Ministerien versagten ihre Zustimmung zu einer Verkleinerung und der Oberpräsident in Münster gab den Ratschlag, die geschilderten Übelstände durch Anbringung von sechseckigen Schilder abzumildern, später empfahl er, die Ecken leicht abzurunden. Die Polizeiordnung legte dann fest: Bei Krafträdern kann die Polizeibehörde aus besonderen, aus der Bauart des Fahrzeugs sich ergebenden Gründen von der Anbringung des zweiten Kennzeichens absehen.

Wie die von Amtmann Busch in seinem Kommentar zu den Vorschriften einer zu erlassenden Polizeiordnung vorgeschlagene Möglichkeit, den Verkehr mit Kraftfahrzeugen auf bestimmten Wegen und Straßen aus besonderen Gründen ganz zu verbieten, beschildert werden sollte, blieb ungeklärt. Die Polizeiordnung enthielt später im § 21 die Möglichkeit, zu verbieten, beschränken oder eine Fahrgeschwindigkeit festzulegen. In den Ausführungsanweisungen forderte der RP allerdings zwingende Gründe für ein Fahrverbot. In den meisten Fällen würde wohl eine Geschwindigkeitsbegrenzung genügen. An dieser Stelle wurde die Kennzeichnung angesprochen und empfohlen, für diesen Zweck möglichst gleichartige und in die Augen fallende Vorrichtungen zu verwenden.

Die ersten Straßenschilder, die Busch 1905 beim Elberfelder Emaillier-Werk Schulze & Wehrmann in Auftrag gab, trugen die Aufschrift Achtung! Schritttempo für Kraftfahrzeuge. Die Polizeibehörde. Per Bahn schickte die Firma die 14 Schilder, 60 x 40 cm groß, in zwei Kisten nach Bork. Der ursprüngliche Preis betrug 76,50 Mark, der auf 73 Mark reduziert wurde.

Haftpflicht

Auch die 1903 vom RP aufgeworfene Frage, ob ein Bedürfnis zur reichsgesetzlichen Regelung der Haftpflicht für Personenschäden, die durch den Betrieb von Kraftfahrzeugen herbeigeführt werden, ... vorliegt und er nähere Auskunft einforderte, nutzte Amtmann Busch, seinen Missmut über diese Entwicklung auszudrücken.

Der RP wollte wissen:
1. Wo und wann hat der Unfall stattgefunden?
2. Worin bestand der Schaden?
3. Wen trifft die Schuld oder auch [auf] welche Umstände ist der Unfall zurückzuführen?
4. Hat der Unfall zu besonderen Anordnungen Veranlassung gegeben?

Diese Anfrage führte allerdings nicht zur Einführung der Haftpflicht, die kam erst 36 Jahre später. Im Kraftverkehrsgesetz von 1909 wurde die sogenannte Gefährdungshaftung der Fahrzeughalter festgelegt.

Dem RP antwortete Busch:
Merkwürdigerweise sind, soweit mir bekannt geworden und soweit ich habe ermitteln können, im diesseitigen Bezirke Schäden durch Kraftfahrzeuge noch nicht angerichtet worden. Daß höheren Orts Schutz für das den Automobilen schutzlos preisgegeben Publikum geschaffen werden soll, entspricht ganz gewiß einem dringenden Bedürfniß. Es dürfte sich empfehlen, die Automobilbesitzer nicht nur für den Fall des Todes oder der Körperverletzung eines Menschen haftbar zu machen, sondern auch für sämtliche Schäden, weil es gar nicht ausbleiben kann, daß Menschen, welche den schädlichen Einflüssen des Betriebes der Automobile andauernd ausgesetzt sind, geistig gestört werden.

September 2023
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1. und folgende Zitate, falls nicht anders vermerkt: Stadtarchiv Selm, AB-1 – 422.

2. In späteren Gutachten wird die Leistung in PS angegeben. HP = Horse Power, englische Bezeichnung für PS. In der Firma Adler, Frankfurt/a.M., begann man 1902 mit dem Motorradbau. Wie bei andere Hersteller auch, wurden die Rahmen der Fahrräder verstärkt und es mit einem Motor ausgerüstet. Das von Reygers gekaufte Rad war das Modell 2, das nur 1903 gebaut wurde. Siehe: Adler (Germany) (vintage-motorcycles.eu)

3. mehr zu dem Adler-Kraftfahrzeug siehe unter:
Deutsches Zweirad- und NSU-Museum  https://demomu.de
Heute stellt euch Sven einen Pionier der Mobilität auf zwei Rädern vor: 1903, Adler, Modell 2 HP.
https://m.facebook.com/251521464909428/videos/adler-modell-2-hp-1903-_-deutsches-zweirad-und-nsu-museum-neckarsulm-germany/515122652724733/

Zeitschrift "Motorrad", Fred Siemer 25.11.2011
Dietmar Berg ergatterte per Zufall einen nackten Adler-Einzylinder von 1903 und erschuf das dazu gehörende Motorrad neu. Stück für Stück, in knapp vier Jahren.
https://www.motorradonline.de/klassiker/ein-traum-fuer-bastler-adler-modell-2-sieht-aus-wie-ein-fahrrad-aber-faehrt-mit-adler-einzylinder/

4. In Hamm betrieb die Bergwerksgesellschaft Trier die Zeche Radbod I/II.

5. Als Seewehr bezeichnet man eine Reserveorganisation der Marine.
Das Bataillon war als einziges dauerhaft in Übersee stationiert, in China, Gouvernment von Tsingtau, heute Qingdao. Es wurde für die Aufrechterhaltung, Sicherung und Erweiterung der Kolonialherrschaft eingesetzt, diente als ständige Besatzung der Festung und war am Boxeraufstand (1899–1901) beteiligt.

* im Original unterstrichen.

6. Der Gordon-Bennett-Cup war eine jährlich stattfindende Motorsportveranstaltung, die in den Jahren 1900 bis 1905 ausgetragen wurde. Es war der erste internationale Leistungsvergleich zwischen mehreren Automobilmarken. Initiator war der amerikanische Zeitungsverleger James Gordon Bennett junior (1841–1918). Zugelassen waren drei Fahrzeuge pro Nation, die vollständig (einschließlich Motor, Reifen und aller Kleinteile) in diesem Land hergestellt werden mussten. Das Gesamtgewicht durfte nicht weniger als 400 kg betragen und maximal 1000 kg. Ausschließlich Zweisitzer wurden zum Wettbewerb zugelassen. wikipedia.org.
Die Veranstaltung findet am 17. Juni 1904 statt, der deutsche Kaiser höchst selbst hat den Taunus als Austragungsort festgelegt. Start ist in Bad Homburg. Die 141 Kilometer lange Rennstrecke führt, wie damals meist üblich, über öffentliche Straßen, und zwar über die Saalburg, Usingen, Grävenwiesbach, Weilburg, Limburg, Idstein, Esch, Königstein zurück nach Bad Homburg. Viermal und über insgesamt 564 Kilometer wird die Strecke gefahren. Sie hat viele Kurven, die Höhenunterschiede liegen zwischen 105 und 550 Meter Meereshöhe. Damit bietet sie „volle Gelegenheit, nicht nur die Schnelligkeit der Wagen, sondern vor allem ihre Widerstandsfähigkeit, leichte Lenkbarkeit, kurz die ganze Zähigkeit ihrer Konstruktion zu erproben“, heißt es in einem zeitgenössischen Bericht, „und da besonders in Frankreich schier fieberhaft gerüstet wird, um Deutschland den Preis zu entreißen, wird ein unerhört heißer Kampf entbrennen.“ Man muss wissen: Der Gordon-Bennett-Preis wird vom Automobile-Club de France (ACF) ausgelobt. Gestiftet hat ihn 1899 der Amerikaner James Gordon Bennett, ein Gründungsmitglied des ACF. https://group-media.mercedes-benz.com.

 
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