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Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686

Carl Rudolph von Stojentin - Amtmann in Bork (1841-1855)

Dieter Gewitzsch

Kartenausschnitt, Quelle s.u.

Carl Rudolph von Stojentin wurde am 6. Juli 1810 in eine alte, weit verzweigte pommersche Adelsfamilie hineingeboren. Die Eltern, Rittergutsbesitzer Carl Friedrich Wilhelm von Stojentin (*1772, †1853) verheiratet mit Johanne Luise Wilhelmine von Kleist (*1782, †1856) lebten in Zemmin[1] im pommerschen Kreis Stolp[2].

Ausbildung beim Militär

Ehemaliges Herrenhaus des Ritterguts Zemmin, Quelle s.u.

Stojentin schlug eine militärische Ausbildung ein, die mit dem Eintritt in ein Kadettenkorps begann. Wo genau er ausgebildet wurde ist nicht bekannt; das nächste Kadettenhaus befand sich aber schon in der Kreisstadt Stolp. Aus dem Kadettenkops schied Stojentin am 26. Juli 1828 aus und wurde als Portepee-Fähnrich dem 15. Infanterie-Regiment überwiesen.[3] Der junge pommersche Offiziersanwärter kam so in den preußischen Westen und diente in Minden beim  „2. Westfälischen Infanterie-Regiment“. Im Januar 1832 beförderte man Stojentin über den Etat zum Sekond-Lieutenant und im Juli des Jahres bekam er eine Planstelle [4]. Nur drei Jahre später wurde Stojentin mit der gesetzlichen Pension entlassen. – Noch 1897 räumte man ihm in der Offizier-Geschichte seines Regiments einen Platz ein, aber der Geschichtsschreiber konnte keine Gründe für den frühen Abschied nennen, auch die spätere Lebensgeschichte Stojentins war ihm unbekannt.

Der Autor: Stojentin verfasst ein Handbuch der Geografie

Buch im Privatbesitz - Foto: dg

In seiner Mindener Zeit widmete sich Stojentin einem bemerkenswerten Projekt: Er verfasste ein Handbuch der Geografie[5] für diejenigen welche Militärschulen und Gymnasien besuchen. Das Buch erschien 1836 im Verlag Ferdinand Eßmann in Minden; der Autor hatte es seinem Regimentschef, dem Prinzen Friedrich der Niederlande, ehrfurchtsvoll gewidmet. Einschließlich der tabellarischen Übersichten zu den nichteuropäischen Kontinenten kommt das Werk auf 504 Seiten und sollte dem „Selbststudium“ nützlich sein. Individuen, die sich dem Waffendienste widmen oder in anderweitige Verhältnisse des Lebens treten wollen, sollte ein Mittel an die Hand gegeben werden, sich auf die billigste Weise, ohne Hülfe eines Lehrers, soweit auszubilden, dass sie Prüfungen beim Militär oder anderswo bestehen könnten. Würden höhere Schulen dieses Werk dem Vortrage des geographischen Wissens zum Grunde legen und jeder Schüler sich im Besitz eines Exemplars befinden, so hätte das den großen Vorteil, das größtentheils sehr aufhaltende Diktiren zu ersparen. Von Anfang bis Ende sei ihm wichtig gewesen, seine Schrift dem Publikum so vorzulegen, daß Jeder im Stande sei, auf die kürzeste und faßlichste Weise den Inhalt derselben aufzunehmen. Nach eigenen Worten ging es Stojentin nicht darum, die bisher erschienen Werke zu vermehren oder zu vervollständigen, er wollte zur Erleichterung des Studiums der Geographie beitragen und sah den Hauptnutzen seines Beitrags darin, Selbstbildung herbeizuführen.

Bücher dieser Art (Handreichungen, Ratgeber oder Sammlungen von Texten zu einem Thema oder für eine bestimmte Zielgruppe) wurden geschrieben, um vorhandenes Wissen zu verbreiten und für die praktische Handhabung bereitzustellen. Der junge, erst am 23. Oktober 1830 gegründete Buch- und Kunsthandel Ferdinand Eßmann in Minden,[6] hatte mehrere auf praktischen Nutzen zielende Titel im Programm und war so für Stojentin ein naheliegender und geeigneter Partner für seine Veröffentlichung. 

Mit schmalem Budget: Stojentin wird Gehilfe im Kreisbüro in Borghorst (Kreis Steinfurt)

Reichtümer erwarb der junge Autor nicht, Stojentins Budget blieb knapp bemessen. Da war zunächst die erwähnte Pension, die gewöhnlich bei Invalidität eines Soldaten gezahlt wurde. Höhe und Dauer der staatlichen Versorgung waren vom Dienstgrad und der absolvierten Dienstzeit abhängig. Nach den für Offiziere geltenden königlichen Verfügungen erhielt Stojentin als Sekondeleutnant nach sieben Dienstjahren zwei Jahre lang eine Pension von jährlich 120 Talern. Pensionen auf eine bestimmte Zeit, erläutert ein zeitgenössisches Handbuch[7], erhalten besonders nur unbemittelte Officiere, damit sie dadurch Gelegenheit erlangen, sich für ein anderes Fach vorzubereiten.[8] Stojentin suchte seine Chance in der kommunalen Verwaltung und wurde als Bürogehilfe im Landratsamt des Kreises Steinfurt eingestellt. Zu der Zeit war Bernhard Cormann (*1782) Landrat und das Kreisbüro befand sich in Borghorst.[9a]

Max Graf von Schmising wird Stellvertreter in Steinfurt und bewirbt sich um die Stelle als Landrat

Quelle s.u.

Bernhard Cormann starb am 25. November 1837.[9b] Am selben Tag informierte der Kreissekretär die Bezirksregierung, dass der Kreisdeputierte Bürgermeister Speckmann aus Emsdetten bis auf weiteres die Amtsgeschäfte des Landrats übernimmt. Münster war mit der Stellvertretung einverstanden und beauftragte Speckmann mit der vom Landratsamt durchzuführenden Wahlvorbereitung. Allerdings stießen die Dispositionen der Bezirksregierung im Innenministerium auf Bedenken, weil der Kreisdeputierte als Bürgermeister zugleich ein Amtsuntergebener des Landräthlichen Officii sei und sich so selbst kontrollieren könne. Innenminister von Rochow hatte auch gleich eine Lösung parat. Mit Datum vom 21.Dezember1837 ließ er die Regierung in Münster wissen, dass er es für in jeder Hinsicht angemessen halte, den Regierungsreferendar Max Graf von Schmising mit der zeitweiligen Verwaltung des Kreises Steinfurt zu betrauen. Die Regierung in Potsdam habe als gegenwärtiger Dienstherr Schmising beurlaubt, der bereits nach Münster abgereist sei. Dann offenbarte Berlin weiterreichende Pläne: Schmising käme nach Westfalen, um als Bewerber um die erledigte Landrathsstelle aufzutreten. Dazu beabsichtige er, ein Gut im Steinfurter Kreise zu erwerben. Die Stellvertretung verschaffe ihm Gelegenheit, sich der Königlichen Regierung und den Kreisbewohnern bekannt machen und seine Qualifikation zur landräthlichen Function auf practischem Wege zu beweisen.

Münster folgte der höheren Verfügung. Die Bezirksregierung entband Speckmann von der interimistischen Verwaltung des Landratsamtes und wies ihn an, Schmising die Geschäfte der Stelle ... sofort nach dessen Ankunft in der Kreisstadt ordnungsmäßig zu übergeben. Ein entsprechendes Protokoll unterzeichneten Schmising und Speckmann am 11. Januar 1838. Zuvor hatte man dem Kreisdeputierten zu verstehen gegeben, dass er (dennoch) die Wahl der Kandidaten für das Amt des Landrats zu leiten und Alles, was darauf Bezug hat, zu besorgen habe. 

Unterstützten Bürobeamte die Kampagne zu Gunsten Schmisings?

Schmising hatte gewiss gute Aussichten, vom Kreistag als Kandidat präsentiert zu werden. Er genoss das Wohlwollen des Ministers und seine Familie wollte ihm ermöglichen, sich im Kreis angemessen ansässig zu machen. Es gab aber weitere Bewerber mit ähnlichen Voraussetzungen, die nicht chancenlos waren. In diesem eher offenen Rennen erhielt Schmising Unterstützung aus den Gemeinden, die sich dem Augenschein nach organisiert mit etwa gleichlautenden Bittschriften direkt an den König wandten und wünschten, dass der gegenwärtige Stellvertreter auf Dauer im Amt bliebe. In Berlin fühlte man sich belästigt. Auch Münster war nicht geneigt, Willensäußerungen außerhalb der ständischen Vertretung zuzulassen und suchte nach dem Ursprung der Immediat-Gesuche. Dabei gerieten auch die Büreaubeamten des landräthlichen Amts ins Visier der Ermittlungen und wurden verdächtigt, bei der der Abfassung und Umhersendung der Bittschriften mitgewirkt zu haben. Auf den Leiter der Kreisbehörde falle kein Verdacht, fand Minister Rochow, aber die unberufen und unschicklich veranlassten Eingaben hätten Schmising kompromittiert und deshalb müsse gegen die Bürobeamten des Landratsamts disziplinarisch eingeschritten werden. – Also gestellte sich [am 31. Januar 1839] der auf dem landräthlichen Bureau beschäftigte Herr Lieutenant v. Stojentin und ließ sich dahin vernehmen

Ad generalia.

Ich heiße Carl Rudolph von Stojentin, früher Lieutenant beim 15ten Infanterie Regiment 28 Jahre alt, evangelisch unverheiratet, bin früher nie in Untersuchung gewesen.

Zur Sache.

Ich habe wohl mehrmal gehört, daß mehrere Gesuche zu Gunsten des landräthlichen Commissars Grafen von Schmising abgefaßt sind und in den verschiedenen Gemeinden cirkulirt haben, wo solche aber abgefaßt sind, kann ich nicht angeben; ich habe nur das eine gesehen welches hier in Borghorst cirkulierte und mir von dem Bürgermeister hierselbst zur Unterschrift zugesandt wurde. Ich habe solches gleichfals unterschrieben, wobei ich um so weniger Anstand fand, da dasselbe bereits von mehren angesehenen Eingesessenen aus Steinfurt und Meteln unterschrieben war. Ob dieses Gesuch in Steinfurt oder wo sonst und von wem abgefaßt, kann ich wie bereits oben bemerkt nicht angeben. Weiter habe ich nichts zuzusetzen

vorgel. geneh. untersch

v. Stojentin 

Karl von Basse wird Landrat des Steinfurter Kreises

Quelle s.u.

Ob die Anstrengungen der Gemeindevertreter ihrem Favoriten Max von Schmising genutzt oder doch geschadet haben, geht aus dem die Regierung Münster betreffenden Schriftwechsel nicht hervor. Jedenfalls zog der Innenminister vor, dem König den an zweiter Stelle präsentierten Karl von Basse aus Unna zur Ernennung vorzuschlagen, der am 21. Januar 1839 unter Vorbehalt der Prüfung zum Landrat des Steinfurter Kreises ernannt wurde.[10] Wie gesehen, wurden die zu der Zeit laufenden Untersuchungen wegen der Immediateingaben fortgesetzt. Stojentin hatte also schon in Borghorst Gelegenheit, Max von Schmising kennenzulernen. Die beiden sollten später im Kreis Lüdinghausen für viele Jahre miteinander zu tun haben.

Stojentin heiratet Karoline Denhardt aus Burgsteinfurt

Für Stojentin blieb 1839 beruflich alles beim Alten, aber seine privaten Verhältnisse änderten sich. Auf den ersten Blick zeigte sich ihm das Münsterland so katholisch, wie seine pommersche Heimat evangelisch war, es gab so gut wie keine andere Konfession. Am Arbeitsplatz in Borghorst war die Bevölkerung zu über 99 Prozent katholisch (1860), aber in der Nachbarschaft befand sich eine protestantische Enklave: In Burgsteinfurt war man mehrheitlich evangelisch, nur knapp jeder Vierte gehörte der katholischen Kirche an. 1860 lebten 86 Prozent der kreisweit gezählten Evangelischen in der Stadt und im Amt Steinfurt.[11] Die zwei Jahre jüngere Karoline Denhardt , die er am 15. August 1839 heiratete, kam aus Burgsteinfurt. 

Für Stojentin blieb es bei seinem Dienst im Kreisbüro bis Landrat Basse 1841 eine mögliche Veränderung ins Gespräch brachte, als es um die Stellvertretung des erkrankten Kreissekretärs Stapel ging.[12] Stapel hatte die gut dotierte Stelle seit dem 1. Januar 1819 inne, drohte aber nach ärztlichem Attest für längere Zeit auszufallen. Da die Kosten der Stellvertretung ... von der Staatskasse getragen werden müssen, zierte man sich in Münster, gleich einen Ersatz für den Erkrankten zu bestellen. Man möge erst einmal die Rückkehr des Bürogehilfen Schreiner abwarten und überlegen, ob eine Stellvertretung des Kreissekretärs dann noch nötig sei. Ansonsten überlasse man es dem Landrat, ein geeignetes versorgungsberechtigtes Individuum vorzuschlagen. Die Regierung selbst sei mehr als die Unterbehörden mit dem Jahresabschluss und sich häufenden dringenden Geschäften befasst, so dass von den zu einer solchen Stellvertretung geeigneten Beamten, vor der Hand keiner entbehrt werden könne. – Basse schlug der Regierung Stojentin vor, fand aber wenig Gegenliebe. Münster hatte andere Pläne und eröffnete dem Landrat, man könne auf seinen Antrag, den Büreau-Gehülfen von Stojentin mit der Vertretung des erkrankten Kreis-Secretairs Stapel zu beauftragen, nicht eingehen, theils weil demselben der Anspruch auf Versorgung oder Beschäftigung im Staatsdienste mangelt, theils weil wir ihn weder im Rechnungswesen noch überhaupt hinreichend qualifiziert erachten können, die Geschäfte eines Kreissecretairs, welcher auch den Landrat zu vertreten bestimmt ist, gehörig wahrzunehmen. Stattdessen werde man den Regierungs-Supernumerar Fritze, der den Anforderungen gewachsen sei, entsenden. Bis dahin möge man sich im Kreisbüro behelfen.

Wiedersehen mit Schmising im Kreis Lüdinghausen

Basse bedurfte der höheren Ermutigung nicht, er entschied selbst, wie er Stojentin einzusetzen habe und vertrat Anfang Februar 1841 seinen Standpunkt gegenüber der Regierung. Er habe Stojentin erst nach reiflicher Überlegung in Vorschlag gebracht, und zwar nachdem er sich von seiner Qualification und von seinem ernstlichen Streben durch Fleiß das Fehlende bald zu ersetzen, überzeugt hatte. Dabei habe er wohl erwogen, dass man von Stojentin, der sich seit mehreren Jahren mit der landräthlichen Geschäftsverwaltung und insbesondere mit den Verhältnissen des Kreises bekannt gemacht habe, mehr Unterstützung als von einem Fremden erwarten könne, dessen Abgang vielleicht dann schon erfolgen werde, wenn er sich durch Bekanntmachung mit den Local-Verhältnissen in den Stand gesetzt hat, etwas zu leisten. Und sollte die Regierung ihre Position nicht ändern, so dürfe es angemessen sein, dem v. Stojentin für geschehene Dienstleitung einige Entschädigung zufließen zu lassen. Derselbe habe während der letzten sechs Wochen mit unverdrossenem Fleiße den größten Teil der Geschäfte des Kreissekretärs zur Zufriedenheit besorgt. – Stojentin vertrat Stapel vom 1. Januar bis zum Eintreffen Fritzes am 15. Februar 1841.  Der von der Regierung entsandte Vertreter blieb bis zum 18. September. Im Mai des Jahres erhielt Stojentin die besagte Entschädigung in Höhe von 25 Talern, aber zu der Zeit war er schon dabei, Bürgermeister zu werden, im Amt Bork, im Kreis Lüdinghausen, wo Max von Schmising seit November 1839 Landrat war.

April 2017
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[1] Ciemino (Główczyce).
[2] Powiat Słupski in der Woiwodschaft Pomorskie.
 
[3] Alfred Cramer, Offizier-Geschichte des Infanterie-Regiments Prinz Friedrich der Niederlande (2. Westfälisches Nr. 15), Nr. 226, Minden i.W. 1897, S. 91.
[4] Beförderung am 14.01.1832; etatmäßige Stelle ab dem 14. Juli 1832.

[5] Carl Rudolph von Stojentin, Fundament der Geographie zum Selbststudium, Minden 1836 . – Wenn nicht anders zitiert, folgt der Text diesem Titel.
 
[6] Otto August Schulz, Allg. Adressbuch für den Deutschen Buchhandel, Leipzig 1840. – digital.slub-dresden.de. – Bei Eßmann erschienen 1836 ebenfalls Adressbücher und andere Reihenwerke, Landwirtschaftliche Berichte, Branchenzeitschriften u.v.a.m.

[7] Ferdinand von Seelhorst, Das Heerwesen des preußischen Staats, Erfurt 1841, S. 362ff.
 
[8] a.a.O., S. 364.
 
[9a] Stadtarchiv Steinfurt, C BF Nr. 2026 - Wir danken Herrn Achim Becker für die Auskunft.
[9b] LAV NRW W – Regierung Münster Nr. 4883 – wenn nicht anders zitiert, folgt die Darstellung dieser Akte.
  
[10] Dietrich Wegmann, Die leitenden staatlichen Verwaltungsbeamten der Provinz Westfalen 1815 – 1918, S. 242.
 
[11] König, Statistische Nachrichten über den Regierungs-Bezirk Münster, Münster 1860.
 
[12] LAV NRW W – Kreis Steinfurt Nr. 1217 – wenn nicht anders zitiert folgt der Text der Akte.

 
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