aktenlage
Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686

Das Institut der Schiedsmänner

Christel Gewitzsch

Am 15. Oktober 1859 veröffentlichte die Regierung in Münster im Amtsblatt die Verordnung der Königlichen Ministerien des Innern und der Justiz(1) zur Einführung des Instituts der Schiedsmänner. Für rund dreißig Kreise der Provinz Westfalen wurde die Genehmigung dazu erteilt, einer davon war der Kreis Lüdinghausen.

In der Provinz Preußen waren die Schiedsmänner schon im Jahre 1827 eingeführt worden. Seit 1847 gab es das Institut in Westfalen – im Kreis Tecklenburg. Nach einem Gesetz von 1855 bestand in Westfalen die Möglichkeit, Schiedsmänner zur Entlastung der Gerichte und der lokalen Polizeibehörden zu berufen, wenn die Kreisstände dies beantragten. Lambert Rospatt, der damalige Stellvertreter des Landrat, begrüßte die Einrichtung zwar, wollte aber erst abwarten, bis ihm der vollständige Gesetzestext vorlag. Später versuchten die Kreisstände, Schiedsmänner für drei Jahre zur Probe einzuführen, was abgelehnt wurde.

Am Tag der Veröffentlichung im Amtsblatt beauftragte Oberregierungsrat Gustav von Mauderode den Landrat Freiherrn von Landsberg in Lüdinghausen, die Wahl der Schiedsmänner nach Maaßgabe der gedachten Verordnung zu veranlassen und die vollständigen alle Gemeinde des Kreises umfassenden Verhandlungen binnen 8 Wochen einzureichen.(2) Amtmann Föcker in Bork konnte am 22. November 1859 die von den Gemeindevertretungen in Bork, Selm und Altlünen gewählten Schiedsmänner nach Lüdinghausen melden.

In Bork war der Kolon Johann Friedrich Hördemann zu Altenbork gewählt worden, in Selm Direktor Wilhelm Brüning zu Botzlar und in Altlünen der Kolon Johann Bernhard Röllmann aus Nordlünen. Föcker beteuerte: Alle die Männer erfreuen sich des besten Rufes und genießen in jeder Beziehung das Vertrauen des Publicums.

Stellenbeschreibung

Die Verordnung forderte allerdings mehr von den Stellinhabern. Als Mindestalter waren 24 Jahre festgesetzt. Besondere Kenntnisse des Rechts wurden nicht verlangt, doch sollten die Schiedsmänner selbständig und mit den Geschäften des bürgerlichen Lebens vertraut(3) sein, sich schriftlich angemessen äußern können und einen völlig unbescholtenen Lebenswandel aufweisen.

Ihre Aufgaben bestanden darin, die Ansprüche und Einwendungen der Parteien, welche sich zur Schlichtung ihrer streitigen Rechtsangelegenheiten an ihn wenden, zu prüfen, die vorzulegenden schriftlichen Beweise einzusehen, erforderlichen Falls den Augenschein an Ort und Stelle einzunehmen, demnächst sich zu bemühen, die Parteien über den Grund oder Ungrund ihrer Forderungen und Einwendungen zu belehren und eine Vereinigung zwischen ihnen zu stiften, solche, wenn sie zu Stande kommt, schriftlich abzufassen, wenn sie aber nicht gelingt, den Parteien die Ausführung ihrer Rechte vor dem Richter zu überlassen.

Kurz und knapp formuliert heißt das im „Handbuch für die Schiedsmänner in der Provinz Westphalen“: Die Schiedsmänner sind dazu bestimmt, streitige Angelegenheiten auf friedlichem Wege zu schlichten. Die von ihnen geschlossenen Vergleiche haben dieselbe Wirkung wie die gerichtlichen.(4)

1860 ließ das Königliche Appellationsgericht in Münster die 25 Paragrafen umfassende Ministerial-Instruktion der Schiedsmänner aus dem Jahr 1841 mit zusätzlichen Bestimmungen von 1844 im Amtsblatt(5) veröffentlichen. Darin ging es u.a. um das Führen des Protokollbuches und der Akten, um den Wirkungskreis der Schiedsmänner, um den Umgang mit den Parteien, um Gebühren und Auslagen, um die Amtsverschwiegenheit und die Aufsicht über das Tun der Schiedsmänner.

Über die Führung und Handhabung des Protokollbuches gab es kleinteilige Vorschriften. Der Richter, der den Schiedsmann vereidigt hatte, überprüfte die korrekte Anlegung des Buches, bevor er den Einsatz genehmigte. In dem Buch durften keine Korrekturen vorgenommen und keine Blätter entfernt werden. Neben dem Protokollbuch war für jeden Fall eine besondere Akte anzulegen, in die alle schriftlichen Äußerungen der Parteien und Belege für Aufwendungen abzuheften waren. Die Schiedsmänner wurden davor gewarnt, sich durch falsches Ehrgefühl oder Überschätzung ihrer Kräfte verleiten [zu] lassen, ihre amtliche Wirksamkeit auch auf solche Rechtsfälle auszudehnen, die ihre Sachkenntniß und Fassungsgabe überschreiten.(6) Die Regierung wollte verhindern, dass unbestimmte und mangelhafte Vergleiche zu um so verwickelteren Rechtsstreitigkeiten Veranlassung geben könnten.

Über die Personen, für die er tätig werden sollte, musste sich der Schiedsmann einen klaren Eindruck verschaffen. Waren sie fähig und befugt, über die Streitsache zu verhandeln? Waren sie überhaupt die, für die sie sich ausgaben? Mit verheirateten Frauen durfte er nicht allein verhandeln. Bei Personen, die nicht schreiben und lesen konnten, war das Protokoll langsam und deutlich vorzulesen und ein weiterer vertrauenswürdiger Mann hinzuzuziehen, der das Handzeichen als Unterschriftenersatz bestätigte. Gab es Probleme bei der Verständigung in der deutschen Sprache, durfte der Schiedsmann sich nur mit der Sache befassen, wenn er in der Sprache des anderen sprechen und schreiben konnte.

Den Amtsinhabern wurden ihre Auslagen, wie Bezahlung der Boten, Briefporto und Reisekosten, erstattet und für die Schreibarbeit durften sie Gebühren erheben. Da diese pro Schreibbogen berechnet wurden, verpflichtete man sie darauf, keine ungebührliche Ausdehnung der Zeilen und Silben vorzunehmen.

Die Aufsicht über die Schiedsmänner führte das Landes-Justiz-Kollegium, das von den Unterbehörden informiert werden musste, wenn ein Schiedsmann sich etwas zu Schulden kommen ließ. Am Ende eines jeden Jahres (bis 1880) reichte der Schiedsmann einen Nachweis beim Landrat ein, in wie vielen Fällen er tätig geworden war, wie viele davon zu einem Vergleich führten, wie oft eine Partei zurücktrat oder die Angelegenheit an ein Gericht weitergegeben wurde, wie viele Fälle fruchtlos endeten. Das Landes-Justiz-Kollegium sollte die Unterlagen der Dienstmänner hin und wieder kontrollieren lassen, um die Wirksamkeit der Einrichtung zu überprüfen. Den Pflichtbewussten wollten man die verdiente Anerkennung ihrer Bemühungen zu Theil werden lassen, die Pflichtvergessenen zur Verantwortung ziehen.

Stelleninhaber

Mit der Meldung der drei in den Gemeinden des Amtes Bork 1859 gewählten Schiedsmänner Hördemann, Brüning und Röllmann an den Landrat gab Amtmann Foecker die Bestellung für die nötigen Amtssiegel auf. Die Protokollbücher mussten gekauft und angelegt, Formulare verteilt, die Entscheidung über die Anschaffung des „Handbuchs für die Schiedsmänner in der Provinz Westphalen“ getroffen werden. Die Kosten dafür trugen die Gemeinden. Nach der Vereidigung konnte die Arbeit beginnen.

Das Handbuch war dabei unerlässlich, denn es gab den Laien im Rechtswesen auf 92 Seiten umfangreiche Anleitungen für all ihr Tun. Im Anhang liefert es Formulierungsmuster für Klageprotokolle, Vorladungen, Vergleiche etc., ganz im Sinne der in der Einleitung formulierten Absicht hauptsächlich zum Gebrauch für die Schiedsmänner bestimmt(7) zu sein.

Gewählt wurden die Schiedsmänner auf drei Jahre. Sie mussten die Wahl annehmen, wenn sie nicht einen der neun anerkannte Entschuldigungsgründe vorlegen konnten. Entschuldigt waren z.B.  Militärpersonen, Beamte und über 60-Jährige. Schwere Erkrankungen und die Versorgung von mindestens fünf Kindern galten auch als Grund. Die Schiedsmänner konnten wiedergewählt werden, waren dann aber nicht mehr verpflichtet, die Wahl anzunehmen.

Die ersten Schiedsmänner im Amt Bork, Hördemann, Brüning und Röllmann, wurden alle zweimal wiedergewählt. Dann trat 1869 in Altlünen der erste Wechsel ein. Für Röllmann kam der Kolon Bernard Ostermann aus Nordlünen, der 1875 durch Schulze Franz Klosterkamp, gt. Pelleringhoff abgelöst wurde. Der blieb bis 1891 im Amt und es folgte ihm bis 1908 der Kolon Heinrich Wieneke aus Wethmar. In dem Jahr erklärte Wieneke, für eine Fortführung des Amtes nicht mehr zur Verfügung zu stehen. An seine Stelle trat der Kolon Wischeler aus Wethmar.

Der Borker Schiedsmann Hördemann wurde 1872 von dem Bäcker und Gastwirt Anton Alstedde abgelöst, der 1888 verstarb. Als Nachfolger wählte die Gemeindeversammlung den Krämer und Strumpfweber Bernard Hentzel aus Bork, der bis zum Ende der Akte (1906) immer im Amt bestätigt wurde.

In Selm blieb Heinrich Brüning bis zu seinem Tode 1874 Schiedsmann. In einer Ergänzungswahl entschied die Gemeindeversammlung sich für dessen Sohn Hugo Brüning, allerdings erst nur für den restlichen Zeitraum bis 1875. Ab 1879, als eine neue Schiedsmannsordnung in Kraft trat, wäre dies nicht mehr möglich gewesen. Da wurde festgelegt, dass Ersatzwahlen immer für die volle gesetzliche dreijährige Amtsdauer erfolgen mussten.

Hugo Brüning wurde 1889 vom Ackerer Heinrich Lippelt abgelöst. 1906 bemerkte Amtsgerichtsrat Graf Westerholt in einem Schreiben, dass der Selmer Schiedsmann Lippelt schon seit längerer Zeit verstorben(8) und noch kein Nachfolger ernannt war. Der Landgerichtspräsident in Münster ordnete an, schleunigst eine Neuwahl herbeizuführen und im Juni meldete Amtmann Busch die Wahl des Kolon Hubert Geiping aus Ternsche. Dieser war 50 Jahre alt, Besitzer eines größeren Hofes von tadelloser Führung und im Genusse des Ansehens der Bevölkerung.

Das Protokollbuch des Lippelt, der laut Selmer Kirchenbuch schon am 24. Dezember 1902 verstorben war, hatte sein Stellvertreter Hentzel übernommen. Als der das Buch 1906 zur Überprüfung einreichte, war seit der vorjährigen Revision kein Eintrag mehr erfolgt, in Selm also kein Streitfall vom Schiedsmann bearbeitet worden.

Die Vertretung der Schiedsmänner wurde durch Reskripte der Innenminister von 1852 und 1863 geregelt. Danach vertraten sich die Schiedsmänner benachbarter Bezirke gegenseitig. Im Amtsbezirk Bork war der jeweilige Borker Schiedsmann Vertreter für Selm und Altünen, und der Selmer vertrat den Borker Schiedsmann. 1889 kam es darüber zwischen dem Präsidenten des Landgerichts und der Borker Behörde zu kurzfristigen Irritationen. Die Formulierung des Amtmanns Döpper über die gegenseitige Vertretung entspräche, so der Gerichtspräsident, nicht den Protokollen. Damit hatte er nicht unrecht, denn der Altlüner Schiedsmann war niemandes Vertreter. Döpper schlug vor, die Vertretung des Borker Schiedsmanns sowohl vom Selmer als auch vom Altlüner Kollegen vornehmen zu lassen, so dass sich die Eingesessenen je nach Wohnlage entscheiden konnten. Damit erklärte sich der Gerichtspräsident einverstanden und Döpper konnte die Bevölkerung dementsprechend informieren.

Probleme

Über die bei den Schiedsmännern vorgetragenen Streitfälle ist in den Akten nichts zu finden. Nur zwei Fällen sind überhaupt erwähnt. Beim ersten wandte sich 1860 der Selmer Schiedsmann Heinrich Brüning an den Amtmann mit der Bitte, vom Selmer Gastwirt Wilhelm Pieper fünf Silbergroschen zu Gunsten der Armenkasse einzuziehen. Pieper, dem eine Beleidigung vorgeworfen wurde, war einer Vorladung des Schiedsmanns nicht gefolgt. Nachdem Amtmann Foecker sich davon überzeugt hatte, dass Pieper der Beklagte und nicht der Kläger war, wies er den Verwalter der Armenkassen, den Selmer Küster Bohle, an, diese Strafe von Pieper einzuziehen.

Im zweiten Fall, neun Jahre später, beschwerte sich der Waldwärter Wilhelm Bussmann aus Hassel beim Landrat über den Schiedsmann Hördemann. Laut Bussmanns Schreiben war seine Tochter von der Frau des Kolon Görke grob beleidigt worden und Hördemann habe seine Vernehmung in dieser Angelegenheit nicht weniger als viermal abgelehnt, zuletzt in Ausdrücken, die man sich schämen muß, aufs Papier wieder zu geben. Bussmann führte Hördemanns Weigerung darauf zurück, dass Frau Hördemann eine Nichte der Frau Görke war.

Hördemann erklärte dazu bei seinem Termin beim Amtmann:
Die Beschwerde des Wilhelm Bussmann ist vollständig grundlos. Derselbe kam fortwährend in dem Augenblicke zu mir und behelligte mich mit Aufnahme der Klage, wenn ich in die Kirche gehen wollte. Und zwar geschah dies immer auf dem Kirchhofe selbst, wo sich dann die ganze Gemeinde versammelt und jeder zuhören konnte, was mich in meiner Stellung sehr unangenehm berührte. Ich wurde hierüber ungehalten und habe Bussmann einfach erklärt, daß, wenn er die Klage aufgenommen haben wollte, er zu mir in mein Haus kommen müsse. Weiteres ist nicht vorgefallen.

Vom Landratsamt ging daraufhin der Bescheid an Bussmann, dass er den Grund seiner Beschwerde selbst beseitigen könne. Er solle nur am geeigneten Orte und zur geeigneten Zeit beim Schiedsmann die Aufnahme der Klage beantragen. Der Kirchhof [sei] kein geeigneter Platz und ebenso die Kirchzeit nicht der geeignete Zeitpunkt für einen Schiedsmann, eine Klage aufzunehmen.

März 2022
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  1. Amtsblatt der Königlichen Regierung zu Münster, Münster 1859, Nr. 42, S. 42ff.
2. Und folgende Zitate: Stadtarchiv Selm, AB-1 – 48.
3. Und folgendes Zitat: Amtsblatt 1859, Nr. 42, S.
  4. Schering (Hg.), Handbuch für die Schiedsmänner in der Provinz Westphalen, Berlin 1859, S. 1. http://dlib-pr.mpier.mpg.de
5. Amtsblatt der Regierung Münster, 1860, Nr.6, S. 47ff.
6. Und folgende Zitate: Ebenda, S. 51, 53, 54, 57.
  7. Handbuch, S. 4.
  8. Und folgende Zitate: Stadtarchiv Selm, Nr. 48.

 
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