aktenlage
Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686

Das Militär braucht Pferde   

Christel Gewitzsch

In der Kavallerie, der berittenen Truppe, aber auch in den anderen Waffengattungen, brauchte die Armee Pferde. Sie wurden eingesetzt für Transporte aller Art, als Reitpferd, Packpferd oder als vorgespanntes Pferd bei Kutschen und Wagen. Eine Abteilung des Kriegsministeriums war für die Ergänzung des Pferdebestands der Armee – für das Remontewesen – zuständig. Die Pferde, die die Landwehr für ihre Übungen und im Mobilmachungsfall brauchte, mussten von den Eingesessenen der Landwehr-Bataillons-Bezirke gestellt werden. Auch die Gelder dafür mussten vor Ort aufgebracht werden.

Über wie viele Pferde man überhaupt verfügen konnte, sollte im Regierungsbezirk Münster 1818 ermittelt werden. Dazu forderte die Regierung die Bürgermeister auf, alle Pferde von 5 bis 10 Jahren, nach unten befindlichem Schema, zu verzeichnen, mit alleiniger Ausnahme der ausschließlich zur Zucht benutzen Stuten und Beschäler, der von den Posthaltern contactmäßig zu haltenden Pferde, der etatsmäßigen Dienstpferde der Beamten, und der bei Pferdehändlern erweislich bloß zum Handel vorräthigen Pferde. Die Bürgermeister werden diese Nachweise unfehlbar bis zum 24. August an die landräthlichen Behörden einschicken, welche, ... solche den Kreis-Ersatz-Commissionen bei ihrem Zusammentritt vorlegen, und diese die Revision des gesammten verzeichneten Pferdebestandes vornehmen, und die betreffenden Colonnen, mit Bemerkung der Brauchbarkeit der Pferde zu dem vorgesetzten Zwecke, ausfüllen, sodann die Verzeichnisse uns einschicken werden.[1]

Besonders dringend mussten Armee und Landwehr sich im Falle einer Mobilmachung um die nötige Zahl von tauglichen Pferden kümmern. 1848, als Landrat Schmising von den traurigen Ereignissen der neueren Zeit[2] schrieb, glaubte er, die Gemeinden für den Fall der Fälle vorbereiten zu müssen. Zwar sei noch keine Mobilmachung ausgerufen worden und vielleicht käme sie auch gar nicht, doch sollten die Ortsbehörden sich seiner früheren Verfügungen zur Gestellung, Auswahl und Abschätzung der Mobilmachungspferde erinnern, damit sie beim Eintreffen des entsprechenden Befehls sofort handlungsfähig seien. Wenn es soweit war, musste es schnell gehen: Sämmtliche Pferde im Alter von 4 bis 11 Jahren aus den Gemeinden Bork, Selm, Altlünen, Stadt und Kspl. Olfen müssen auf die ergehende Ordre in Selm binnen weniger Stunden der Bezirks-Aushebungs-Commission bei Strafe von 5 bis 50 T. vorgeführt werden.

Um dieses zügig über die Bühne zu bringen, verpflichtete Schmising die Amtmänner, sofort die Listen der Pferdebesitzer mit der Anzahl ihrer Pferde aufzustellen, beziehungsweise, sie auf den neuesten Stand zu bringen. Anhand dieser Listen konnte die vollständige Vorführung aller Pferde kontrolliert und wenn nötig, fehlende Pferde bei ihren Eigentümern abgeholt werden.

Etwas über 600 Pferde erwartete der Landrat aus dem Aushebungsbezirk Selm. Damit die Vorführung in geordneten Bahnen ablief, hatten der Amtmann, die Polizeidiener, ein Gendarm und weitere geeignete Personen vor Ort zu sein.  Die zusätzlichen Männer sollten die vom Besitzer nicht vorgeführten Pferde einsammeln.

Die ganze Prozedur einer Mobilmachungsphase wird anschließend anhand des Ablaufes anlässlich des italienischen Krieges 1859 dargestellt.

Pferdevorführungen 1859

Die erste Anweisung erhielt Amtmann Foecker vom Landrat Landsberg Mitte Februar. Eine Musterung, der als militairdiensttauglich anzusehenden Pferde[3], war höheren Orts angeordnet worden. Foecker machte sich an die Arbeit. Er schickte Schreiben an die Gemeindevorsteher und –verordneten und informierte die Betroffenen mit Bekanntmachungen darüber, dass sie sich mit ihren Pferden zum angegebenen Termin, dem 22. Februar, mit Ausschluß der Hengste und derjenigen, welche noch nicht das 3. Lebensjahr vollendet haben, auf der Weide des Vorstehers Schulze Weischer in Selm einzufinden hatten. Um der Aufforderung genügend Gewicht zu verleihen, endete er mit folgendem Hinweis: Gegen diejenigen, welche ihre Pferde gar nicht oder nur zum Theile gestellen sollten, wird die im Gesetze angedrohte Strafe zum höchsten Satze in Anwendung gebracht werden.

Nach der Musterung legte der Amtmann das Verzeichniß der im Amtsbezirk Bork im Falle einer Mobilmachung tauglichen Pferde an. Foecker nannte 86 Pferdebesitzer, die 134 Pferde besaßen. Die meisten Pferde, nämlich neun, musste Graf von Kielmannsegge vorführen; gefolgt wurde er vom Ökonom Haverkamp aus Netteberge mit fünf Pferden. Fünf weiter Personen besaßen je vier Pferde, einer hatte drei und 18 zwei Pferde, alle anderen nur eins.  Eine  Übersicht aus dem ganzen Musterungsbezirk Selm, zu dem noch Stadt und Kirchspiel Olfen gehörten, fehlt in der Akte.

Ein weiterer Vorstellungstermin für Pferde wurde im Mai anberaumt. Dieses Mal ging es um die Ergänzung des Pferdebestandes der Linie. Vorzustellen waren sämtliche Pferde, auch Hengste und tragende Muttertiere, die das 3. Lebensjahr vollendet hatten. Die Vormusterung wurde am 16. Mai abgehalten und am 20. sah sich die Abnahme-Kommission  die tauglichen Pferde noch einmal an. Wieder wurden die schon oben angeforderten Personen verpflichtet, anwesend zu sein. Der Landrat wies besonders darauf hin, daß bei der Vorstellung der tauglichen Pferde vor die Abnahme-Commission die Besitzer selbst, oder bevollmächtigte Stellvertreter zugegen sein müssen, damit selbigen die vorgeschriebene Verwarnung in Betreff des Nichtverkaufs der Pferde gemacht werde.

Pferdeabnahme

Als im Juni der Mobilmachungsfall eintrat, erhielten die Besitzer der tauglichen Pferde die Aufforderung, diese zur Abnahme nach Lüdinghausen zu bringen. Jedes Pferd war mit Halfter, Trense und zwei Stricken von guter Beschaffenheit[4] auszustatten. Auch der Hufbeschlag musste in gutem Zustand sein. 57 Pferdebesitzer waren betroffen. Sie musste am 21. und 22. Juni zusammen 73 Pferde abliefern.

Für den Transport der Pferde nach Lüdinghausen und für deren Verpflegung bis zur Abnahme gab es keine Vergütung. Für die Abgabe hatte die Kommission den Wert der Pferde taxiert (ungefähr zwischen 140 und 200 Talern) und den Besitzern darüber eine sogenannte „Anerkenntnis“ ausgestellt. Die Gelder für die Linienpferde wurden aus dem Staatsfond bezahlt. Um die Kosten für die Landwehrpferde decken zu können, musste der Kreistag Beschluss fassen.

Knapp 10.000 Taler erhielt der Kreis im Juli von der Hauptkasse in Münster, um die Linienpferde zu bezahlen. Der Steuerempfänger in Werne, der mit der Auszahlung betraut war, schickte dazu über das Amt den betroffenen Zahlungsempfängern Quittungen, die sie im Beisein des Amtmanns / Beigeordneten unterschreiben und beglaubigen lassen mussten. Mit diesen Quittungen und den bei der Abgabe der Pferde ausgestellten Anerkenntnisscheinen hatten die Männer sich am 29. Juli zum Steuerbüro zu begeben, um ihr Geld in Empfang zu nehmen. Das genügte dem Empfänger noch nicht, er schrieb: Da ich ferner persönlich verantwortlich bin, daß die Gelder nur an die zur Empfangnahme berechtigten gezahlt werden, mir jedoch nicht alle Betheiligten von Person genau bekannt sind, so ersuche ich Ew. Wohlgeboren ferner ganz ergebenst, bei der Auszahlung dieser Gelder einen Gemeinderath, welcher diese Personen genau kennt, von Anfang bis Ende gegenwärtig sein zu lassen. Auch bitte ich, in Betracht, daß ich die Listen bereits am 30.d.M. der Regierungs-Hauptkasse zurücksenden muß, den Betheiligten gefälligst aufzugeben, sich an dem benannten Tage pünktlich in Person einzufinden.

Geldprobleme

Die Leute, die Pferde für die Landwehr abgegeben hatten, mussten längere Zeit auf ihr Geld warten. Einen Monat nach der Abgabe der Pferde meldete der Vertreter des Landrats, der Kreissekretär Hintze, daß die betreffenden Taxpreise in nächster Zeit noch nicht liqide gemacht werden können. Mit Genehmigung der Königlichen Regierung durfte er deshalb  Schuldscheine ausstellen, die ab dem 1. Juli mit 4 Prozent verzinst wurden.

Wieviel Geld der Kreis aufbringen musste, war noch nicht geklärt. Die dazu nötigen Listen lagen noch nicht vollständig vor. Doch sollte die Ortsbehörde damit beginnen, ein Verzeichnis der steuerzahlenden Eingesessenen anzufertigen, damit später nur noch die von ihnen zu zahlenden Beiträge hinzugefügt werden mussten.

Bezahlung

Die ersten zehn Gläubiger konnten ab Mitte August ihre Schuldscheine beim Steuerempfänger vorlegen und sich ihr Geld auszahlen lassen, einschließlich der Zinsen. Sie waren ausgelost worden. Nicht die Steuerzahler brachten das nun vorhandene Geld auf, es war durch den Verkauf der zurückgegebenen Landwehrpferde eingenommen worden. Neunzig Landwehrpferde hatte der Kreis gestellt und 84 davon waren beim ersten Verkaufstermin versteigert worden. Ein zweiter Termin sollte in Kürze stattfinden und der Kreissekretär hoffte, dann den Rest verkaufen zu können.

Ganz ungeschoren kamen die Steuerzahler aber nicht davon. Mitte September legte der Amtmann die Hebeliste auf seinem Büro zur Einsicht aus. Innerhalb einer gesetzten Frist konnten Einwendungen dagegen vorgebracht werden, was aber nicht geschah. Die Hebung der Gesamtstaatssteuer machte für zwei Monate für Bork fast 800 Taler, für Selm rund 335 und für Altlünen 234 Taler aus. Zuerst wurden nur die Steuern für einen Monat der Kreiskasse zugeführt. Ob der zweite Betrag noch erhoben werden musste, hatten die Kreisstände zu entscheiden. Das Geld reichte erst einmal, um alle restlichen Pferdegesteller auszuzahlen. Im Dezember verkündete Landrat Landsberg dann die frohe Botschaft, dass weitere Beiträge nicht zu leisten waren.

Nachbesserungen

Von wirklich großen Problemen hört man bei dieser Mobilmachung der Pferde nichts. In nur drei Fällen lief es nicht ganz rund. Beim Landwirt Wilhelm Schulte aus Selm hatte das Landratsamt die Versendung des Anerkenntnisscheines versäumt. Der Schein wurde umgehend nachgeliefert. Dem Landwirt Hermann Haverkamp, der zwei Pferde gestellt hatte, fehlte eine Anerkenntnis und der Beigeordnete bat auch in diesem Fall um eine zweite Ausfertigung. Das wurde in Lüdinghausen abgelehnt. Haverkamp hatte beide Belege bekommen, einen aber verklüngelt. Jetzt lag es bei ihm, den Schein wieder herbeizuschaffen.

Etwas schwerer wog die Beschwerde des Kolon Wiesmann. Er hatte im vorigen Sommer zwei Pferde gestellt, die beide als tauglich eingestuft worden waren. Da er aber für die Feldarbeit ein Pferd selber brauchte, musste er nur eins abgeben. Beide Pferde waren braun, eines vier, das andere acht Jahre alt; das jüngere Pferd taxierte die Kommission mit 161 Talern und das ältere mit 148. Wiesmann behauptete, er sei aufgefordert worden, das teurere und jüngere  Pferd abzuliefern, was er auch getan habe. Als Taxpreis waren ihm aber nur 148 Taler gezahlt worden. Darüber hatte er sich schon einmal beschwert. Zur Antwort erhielt er damals die Mitteilung, dass die Abnahme-Kommission nicht die Ueberzeugung hat gewinnen können, daß er das andere zu 161 T taxirte Pferd gestellt habe, wenigsten nicht angenommen wird, daß ihm bei der Pferdeabnahme die Weisung ertheilt worden, dieses Pferd abzugeben.

Um die Kommission umzustimmen, legte Wiesmann den Ablauf bei der Abnahme genauer dar: Als nämlich die Mobilmachungspferde abgeliefert werden mußten, schickte ich meinen Bruder Theodor mit meinen beiden designirten Pferden nach Lüdinghausen. Während Letzterer sich vom Sammelplatz entfernt und in die Stadt begibt, bittet er meinen Nachbar Sohn Friedrich Hördemann, die Pferde für ihn einen Augenblick zu halten. Wenige Augenblicke nach der Entfernung meines Bruders wird mein Name verlesen, worauf Hördemann mit „hier“ antwortet. Der Militair-Kommißar fordert demnächst dem p Hördemann auf, ein Pferd zurückzustellen und als derselbe hierauf antwortet, welches Pferd er denn vorzustellen habe, zeigt der Militair-Kommißar ausdrücklich auf die 4 jährige braune Stute und fordert ihn auf, dieses Pferd vorzuführen. letzteres ist geschehen. Hördemann hat die zu 161 T taxirte Stute für mich zum Königlichen Militairdienst abgeliefert und zwar in Folge besonderer Ordre des Herrn Militair-Kommißar. Meine Angaben dürften demnach nicht länger bezweifelt werden, um so mehr nicht, als auch ich bereit bin, eidlich zu erhärten, daß ich das fragliche Pferd wirklich geliefert habe.
Ich muß demnach wiederholt bitten, mir meine Restforderung mit 13 T. nunmehr zahlen zu laßen, als ich mich sonst veranlaßt sehe, die gerichtliche Klage sofort zu erheben.

Der Landrat reagierte umgehend auf diese Beschwerde und schrieb: ... Da auch jetzt vom Wiesmann nichts Neues von Erheblichkeit vorgebracht ist, so bin ich nicht in der Lage, bei Königl. Regierung die Anweisung des Nachtragsliquidats in Antrag bringen zu können. Hiernach ist Wiesmann in meinem Namen zu bescheiden.
März 2020
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[1] Amtsblatt der Regierung Münster, Band 3 1818, S. 245.
[2] und folgendes Zitat: Stadtarchiv Selm, AB-1 – 589.
[3] und folgende Zitate: Stadtarchiv Selm, AB-1 – 590.
[4] und folgende Zitate: StA Selm, AB- 1 – 591.

 
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