aktenlage
Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686

Der Umgang mit der Polizeistunde

Christel Gewitzsch

... und daß es meine bestimmte Absicht ist, nicht ferner zu dulden, daß wie bisher, in den kleinen Ortschaften Ihres Amtsbezirks bis zur 4. und 5. Morgenstunde gewohnheitsmäßig gezecht wird.[1] Diese ungehaltenen Erklärung des Landrats Graf von Wedel erreichte Amtmann Döpper im März 1880, nachdem dieser es nicht für notwendig gehalten hatte, einer landrätlichen Verfügung aus dem Jahre 1875 Folge zu leisten. In dieser Verfügung hatte der Landrat eine erneute Bekanntmachung der die Polizeistunde betreffenden Polizeiverordnung gefordert.

Döpper hatte seine Untätigkeit damit begründet, von keinen Missständen gehört zu haben, die auf einen zu langen Wirtshausaufenthalt zurückzuführen seien. Gäste, die sich länger in den Gaststätten aufhielten, würden danach ruhig nach Hause gehen, ohne irgendwie Aergerniß zu geben. Er habe vielmehr feststellen müssen, durch eine strenge Handhabung der Polizeistunde in der Bevölkerung nur viel böses Blut zu erregen und daß es besser sein dürfte, das Publicum hiermit nicht zu behelligen.

Dieser Auffassung widersprach Wedel heftig: Ew. Wohlgeboren veranlasse ich hierdurch, sofort die die Polizeistunde betreffende Verfügung für den ganzen Bereich Ihres Amtsbezirks in ortsüblicher Weise republiciren zu lassen und daß solches geschehen mir binnen 8 Tagen anzuzeigen.
Es handelt sich nicht darum, ruhige Bürger, welche ein Stündchen länger im Wirthshause zu sitzen wünschen, durch Polizei Maßregeln zu chicaniren, sondern lediglich darum, es zu verhindern, daß durch das Fehlen der Anordnung einer Polizeistunde der Richter in die Unmöglichkeit versetzt werde, die durch wüste Gelage die nächtliche Ruhe störenden Personen zur verdienten Strafe zu ziehen. Im Übrigen muß ich zu Ihrem Berichte vom 10.d.M. bemerken, daß die Unterdrückung der Nachtschwärmereien nur böses Blut bei leichtsinnigen, nicht aber bei besonnenen Leuten anregen kann.

Nun hielt es Döpper für opportun, der Anweisung zu folgen und berichtete einen Monat später, daß die Republication der die Polizeistunde betreffenden Polizeiverordnung in sämmtlichen Gemeinde des hiesigen Amtes am 11. dmts in ortsüblicher Weise stattgefunden hat.

Früher

Die Übertretung der Polizeistunde war ein altes Problem für die Ortspolizeibehörden. In Anlehnung an den Zapfenstreich beim Militär soll sie von König Friedrich Wilhelm von Preußen für die Zivilbevölkerung eingeführt worden sein, bekannt war sie aber schon seit dem 15. Jahrhundert. Die Regierung in Münster klagte 1836 über die ständig vorkommenden Übertretungen der Polizeistunde und veranlasste die Landräte, bekannt zu geben, dass jeder Gast eine Strafe bis zu einem Taler, die Wirte aber mit bis zu 5 Talern belangt werden sollten.

Drei Jahre später nahm die Regierung die Weinhäuser und Restaurationen, in denen nur Wein ausgeschenkt wurde, von den Regeln der Polizeistundenverordnung aus. Außerdem verfügte das Innenministerium, allein die Wirte zu bestrafen, denn sie hätten die Aufgabe, die Gäste aus ihrem Wirtshaus zu entfernen. Falls sie dazu nicht in der Lage waren und auch die Polizei nicht zur Hilfe gerufen hatten, sollten sie unter strenge Kontrolle genommen und ihnen eventuell die Konzession entzogen werden.

Die Ausnahmen für Weinhäuser begründete die Regierung 1857 etwas ausführlicher. Sie schrieb, dass die Absicht des Königlichen Ministerii des Innern unzweifelhaft dahin geht, diejenigen Wirthshäuser, in welchen der gebildete Theil des Publikums verkehrt hauptsächlich deshalb durch Festsetzung der Polizeistunde nicht in gleichem Maaße zu beschränken, wie solches in den für die ungebildeten Klassen geeigneten Schankstätten erforderlich ist, weil von den Besuchern derselben ein die nächtliche Ruhe störender Lärm, Unordnung und Excesse weniger zu befürchten stehen.[2]

Die Verhältnisse, so fuhr sie fort, hätten sich inzwischen aber geändert. In den Weinstuben würde nun auch Bier ausgeschenkt. Deshalb erlaubte sie es den Landräten, für solche Lokale unter Umständen die Polizeistunde auf 11 Uhr abends festzusetzen. Bei Ruhestörungen, Schlägereien und Unsittlichkeiten sollte die 10 Uhr Regel gelten.

Zurück zu 1880

Die von Amtmann Döpper nach der klaren Anweisung des Landrats bekannt gemachte Polizeiverordnung lautete im Paragrafen 2:
Diese Polizeistunde beginnt in der Zeit vom 1. Mai bis ult. Septb, Abends 11 Uhr, vom 1. October bis ult. April Abends 10 Uhr und dauert die verbotenen Zeit des Wirthshausbesuches von Abends 10 resp. 11 Uhr bis 4 Uhr Morgens. Diese Fassung wurde schon kurz danach vereinfacht:
§. 1. Für die Gemeinden Bork, Selm und Altlünen wird hiermit die Polizeistunde eingeführt.
§. 2. Diese Polizeistunde beginnt um 11 Uhr abends und dauert bis 4 Uhr morgens.
Während dieser Zeit ist der Wirtshausbesuch verboten.
Bork, den 6. September 1880.

Ein Jahr später meldete sich der Landrat erneut zum Thema. Wieder hatte ein Gericht einen Wirt freisprechen müssen, weil der betreffende Amtmann nicht bescheinigen konnte, daß die Verordnung vorschriftsmäßig publicirt sei. Vorschrift war eine Veröffentlichung im Kreisblatt, die Amtmann Döpper im September 1881 vornehmen ließ. In den folgenden Jahren wurden die Eingesessenen der Gemeinden immer wieder durch das Verlesen auf dem Kirchhof, Gassenruf und Aushängen im Gitterkasten an die Polizeistunde erinnert.


Döpper schöpft Verdacht

Als im Januar 1892 der Gastwirt Theodor Richter aus Bork beim Amtmann die Genehmigung zur Gründung einer geschlossenen Gesellschaft beantragte, glaubte Döpper, es nur mit dem Versuch zu tun zu haben, die Polizeistunde zu umgehen. Er lehnte deshalb diesen Antrag ab, woraufhin Richter sich an den Landrat wandte, der wiederum den Amtmann zur Äußerung aufforderte. Dieser schrieb: Die Bildung einer geschlossenen Gesellschaft zur Pflege des Scatspieles ist ein Vorwand, um die Bestrafung wegen Verweilens im Wirthshause noch nach der bis 11 Uhr abends bei Richter verlängerten Polizeistunde zu umgehen.
Von den Antragsstellern ist sowohl Richter als Beckmann wegen Duldens von Gästen resp. Verweilens nach der Polizeistunde und Beleidigung des Polizeidieners in Conflickt gekommen und hat polizeiliche resp. gerichtliche Bestrafung mehrmals stattgefunden. –
Von den Antragsstellern und sämmtlichen – als wahrscheinlich der geschlossenen Gesellschaften beitreten werdenden bezeichneten Personen, ist der Beitritt noch fraglich – und es sind nur 3, nämlich Richter, Brüning und Alstedde welche Scat spielen.
Was die geschlossenen Gesellschaft anbelangt, so müßte diese von den nur 2 vorhandenen Gaststuben – eine in Anspruch nehmen und scheint es mir sehr zweifelhaft, ob die noch verbleibende eine Stube zum Aufenthalt der sehr gemischten Gäste und Kundschaft sowie der dort logirenden fremden Gäste genügt.
Daß die Bildung einer geschlossenen Gesellschaft nur eine Umgehung der Polizeistunde sein soll, braucht nicht gesagt zu werden - vielmehr wird dieses der
[...] Mensch gleich herausfinden.


Landrat Wedel wollte nun eine Zeichnung der Räumlichkeiten und die Konzession des Gastwirts Richter sehen, doch konnte dieser keine Konzession vorzeigen. Er könne sie nicht finden, erklärte der Gastwirt zuerst, doch dann musste er eingestehen, dass er nie um eine nachgesucht hatte. Er war davon ausgegangen, nach seiner Verheiratung mit der Gastwirtin Kellerhaus deren Wirtschaft weiterführen zu dürfen. Das konnte so nicht hingenommen werden und er wurde beauftragt, die Konzession zu beantragen. Der Antrag auf Gründung einer geschlossenen Gesellschaft solle doch – so der Landrat – zweckmäßig zurückgezogen werden.

August Beckmann, der designierte Vorsitzende der Gesellschaft, ließ sich darauf nicht ein. Er fragte im April noch einmal nach und bot an, eventuell an den Statuten eine Änderung vorzunehmen. Landrat Wedel schien der Sache nun überdrüssig geworden zu sein und beauftragte Döpper mit der Erledigung des Antrags. Döpper forderte vom Beckmann noch eine genaue Angabe darüber, welches Zimmer im Richter‘schen Haus für die Gesellschaft vorgesehen war und nachdem Beckmann eine Zeichnung eingereicht hatte, liest man nichts mehr von diesem Skatclub.

In den folgenden Jahren trudelten nach und nach Anträge auf Verlängerung der Polizeistunde auf 11 Uhr ein. Die ursprünglich allgemeine Einführung dieser Uhrzeit schien zwischenzeitlich zurückgenommen worden zu sein.

Dreizehn Wirten im Amtsbezirk Bork war in den Jahren 1888 bis 1894 die Polizeistunde verlängert worden. Zehn Wirtshäuser durften bis 11 Uhr abends geöffnet bleiben und die anderen sogar bis 12 Uhr. Dies waren die Gastwirtschaften des F. W. Lönne und Engelbert Kreutzkamp in Cappenberg und Theodor Fölger in Wethmar. Dieses Privileg erklärte Amtmann Busch mit dem dort besonders im Sommer herrschenden regen Verkehr.

Die Kontrollen werden verschärft

Im November 1905 wird Amtmann Busch durch zwei Schreiben zu einer strengeren Handhabung der Polizeistunde veranlasst. Vom kommissarisch tätigen Landratsamtsverwalter Graf von Westphalen erhält er den Beschwerdebrief einer Frau Kroll aus Wethmar. Der beginnt mit den Worten: Ich kann es mir nicht mehr länger enthalten Ihnen Herr Landrath, zu schildern wie es in Wethmar mit die jungen Burschen ist. Dann beklagt sie, dass der Turnverein in Wethmar die ganze Jugend verderbe. Schon seit Jahren hielte dieser seine Turnstunden am Samstagabend in der Gastwirtschaft des Herrn Fölger ab. Bis 12 Uhr würde auch geturnt, doch dann gehe man bis 3 ½ oder 4 Uhr zum Kartenspiel mit zum Teil hohen Einsätzen über. Der alte Herr Fölger und sein Sohn – und auch eine Frau Stender - schenkten Alkohol aus, solange auch nur ein Gast da sei. Die Polizei ließe sich das ganze Jahr nicht dort blicken. Lehrer Reling, der sechs Jahre bei Fölger gewohnt hatte, könne dies alles bezeugen.


Von diesem Lehrer kam der zweite Brief. Er hatte von seinem Schwager gehört, dass er als Zeuge für die Duldung hoher Kartenspiele und Verabreichung von Getränken über die Feierstunde hinaus genannt worden war. Er klagt: Die Volksmeinung steht gegen mich, Von einer Seite wurde mir schon angedeutet, ich möge doch am Abend nicht auf die Straße gehen, es könnte mir etwas passieren. Als Lehrer ist mir das äußerst unangenehm. Da ich vollständig unschuldig in der Sache bin. Um den Besuch der Wirtschaften, Kartenspiele, nebenbei gesagt, die ich nicht mal recht verstehe, habe ich mich seit 1 ½ Jahren sehr wenig gekümmert. 5 Jahre habe ich vor meiner Verheiratung bei dem Herrn Gastwirt Fölger gewohnt und für die Zeit kann ich dem Herren Fölger nur das beste Zeugnis ausstellen. Reling wollte den Namen dessen wissen, der ihn als Zeuge benannt hatte, um ihn eventuell zur Rechenschaft zu ziehen.

Busch reagierte auf diese Vorfälle, indem er für alle Wirte die Polizeistunde auf 11 Uhr festlegte und drohte, bei weiteren Verstößen auch diese Vergünstigung zu entziehen. Er kündigte verschärfte Kontrollen und empfindliche Strafen an. In einer Konferenz verpflichtet er die Polizeidiener, ein strenges Auge auf die Wirtschaften zu werfen. Die zufällige Anwesenheit des Gendarm Böde erinnerte Busch daran, beim Landrat seinen schon einmal eingebrachten Antrag auf Einrichtung einer Gendarmerie-Station in Bork zu wiederholten.

Aus Wethmar und Altlünen, als Standorte mit bedeutender Industrie und an das Kohlerevier angrenzend, waren in letzter Zeit häufig Anforderungen wegen eines Gendarmen an ihn gestellt worden. Aber da der Gendarm in Olfen wohnte – zwei Stunden westlich von Bork – und Wethmar mit der Eisenhütte Westfalia zwei Stunden östlich liegt, so vergeht doch bis zu seinem Eintreffen in Altlünen und Wethmar unnötig viel Zeit und der Wert der Institution ist für die erwähnten Zwecke somit nur illusorisch. Des Amtmanns Wunsch wurde nicht erfüllt und die Kontrollen lagen weiterhin in erster Linie bei den Polizeidienern.
August 2022
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1) und folgende Zitate, falls nicht anders vermerkt: Stadtarchiv Selm, AB-1 – 552.
2) LAV NRW W, Kreis Lüdinghausen, Nr. 969.

 
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