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Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686

Die Begräbnisplätze in Selm 

Christel Gewitzsch

Wie üblich, so wurden auch in Selm jahrhundertelang die Verstorbenen im Bereich der Kirche beerdigt. Weil sich sehr viele Friedhöfe in einem erbarmungswürdigen Zustand befanden, erließ die Königliche Regierung in Münster im August 1818 eine umfangreiche Verordnung über Begräbnisplätze. Wo eine Erweiterung des bisherigen Kirchhofes nicht möglich war, sollte nach einem neuen, zweckmäßigen Platz Ausschau gehalten werden.

Im Januar 1819 kam die Gemeinde mit dem damaligen Dorfschulzen Franz Weischer überein, zwei Stücke von seinem „Krummen Kamp“, zunächst gelegen der Straße, die vom Dorfe in die Geist führte [heute:  Breite Straße], auf „ewige Zeiten“[1] für drei Reichstaler, zwei Groschen jährlich zu pachten. Fünf Gemeindeverordnete verweigerten die Unterschrift zu dem Vertrag, weil sie einen neuen Friedhof für unnötig erachteten und die Kosten dafür scheuten. Die Regierung aber genehmigte die Vereinbarung.

Besonders schnell ging es dann trotzdem nicht. Mitte 1822 schrieb der Selmer Pfarrer Adolph Ewers an Bürgermeister Friedrich Köhler, er habe schon seit langem die Ermächtigung der geistlichen Oberbehörde, den neuen Friedhof einzuweihen, nur müssten noch der Weg dahin ordentlich in Stande gesetzt, und die etwaigen Mängel am neuen Kirchhof ausgebessert[2] werden. Zwar sei der Weg ohnlängst bis an die sogenannte Brinkkuhle mit Sand befahren worden, doch sei er inzwischen schon wieder sehr verdorben. Ein Tor hatte nicht den gewünschten Zweck erfüllt, es stand meistens offen und jeder fuhr hindurch. Ein Steg, der über den Weg führte, musste noch verbreitert werden, da sonst die Sargträger nicht ohne Gefahr hinüberkamen. Auf dem Landweg nach Bork strömte bei starkem Regen das Wasser hinunter. Ein Graben und ein Überweg waren nötig, sonst sei der Weg unpassierbar. Der Pfarrer wünschte außerdem die Anbringung eines Bildes oder eines Kruzifixes am Friedhofskreuz, wie solches nach unserer Religion wenigsten usus ist. Dieses Schreiben hatte Pfarrer Ewers offensichtlich auch dem Landrat zukommen lassen, denn drei Wochen später erhielt Köhler von Schlebrügge ähnlich lautende Anweisungen.

Im September machte sich der Amtmann daran, einen Selmer Unternehmer für die Verfertigung zwei neuer Wasserrinnen oder gossen zu interessieren.

Der nächste Brief des Pfarrers, vom 22. März 1823, befasste sich schon mit einem anderen Übel:
Da nun bald die Prozessionen um den Kirchhof ihren Anfang nehmen, und der Prozessions-Weg um den hiesigen Kirchhof sehr im Unstande ist, auch wieder so vieles Holz darauf liegt, so bitte ich Ew. Wohlgeboren gehorsamst, jenen ein bischen, z. B. durch guten Sand, in Stande setzen, und dieses wegräumen zu lassen.

Bis 1844 passiert auf und an den Friedhöfen nichts so Bedeutendes, dass es in die Akte Eingang gefunden hätte. Dann machte ein kleiner eiserner Zapfen am Eingang zum Kirchhof in Selm vor dem Hause des Wirths Froning von sich reden. Einige Einwohner waren über diesen Zapfen gestolpert und zu Schaden gekommen. Die Klagen darüber erreichten den Landrat, der den Amtmann aufforderte, vom Kirchenvorstand entweder den Zapfen entfernen zu lassen oder den dazugehörigen Pfahl dauerhaft einzusetzen. Man einigte sich.

1851 liest man  über das Schneiden der Friedhofshecke durch den Gärtner Johann Fimpler, bis 1862 die Gemeindevertretung Selm den Aufseher Schönewald mit einem Kosten-Anschlag über Anlage und Instandsetzung des Kirchhoffs im Dorf Selm beauftragte. Schönewald beschreibt die Aufgaben ausführlich, bevor er zur detaillierten Kostenaufstellung kommt:
Der Kirchhoff zu Selm ist zwischen den gepflasterten Umgang so versunken, daß bei Regenwetter, das Wasser darauf stehen bleibt, um dieses abzuändern soll derselbe planirt und die fehlende Erde angefahren werden.

Der gepflasterte Umgang, soll aufgenommen und in egaler Breite von 8 Fuße, nach der in der Zeichnung roth gezeichneten Linie neu gepflastert werden, das Pflaster erhält nicht wie jetzt eine Wölbung, sondern soll mit ¾ Zoll p Fuß bis zum innere Rande des Kirchhoffs steigen, erhält deshalb in der ganzen Breite 6 Zoll Gefälle, hierdurch muß das Wasser, von allen Seiten in den am Umgange befindlichen Rinnstein fallen und nicht wie bis jetzt auf einer Stelle ablaufen und so den angefahrenen Sand wieder abschwemmen, besonders wenn die innere Kante des Umgangs, so viel wie eben möglich, horizontal, und das Gefälle so in den Rinnstein gelegt wird, daß eine Seite bei Pieper und Wormstall und die andere Fläche bei Wormstall, Schule und Pieper ablaufen kann, wird dieses Abschwemmen abgeholfen sein.
Das Pflaster soll in sogenanntes Raupflaster angelegt und tüchtig fest gerammt werden; die aus den Umgang gewonnenen Einzelsteine sind allein und die neuen guten Kopfsteine zusammen zu pflastern.
Mit der auf der Höhe bei Wormstall und Lonnemann zu gewinnende Erde, ist die Fläche an der Seite der Schule bis zum Pflaster der Thurmthüre anzuschütten und mit der fehlende, neu neu zugefahrende Erde die andere Fläche anzuhöhen und demnächst nach Schnur und Pfähle zu planiren.
Auf den innern Raum sind ungefähr 2 Fß Vom Pflaster 20 Stück hochstämmige Maulbeerbäume auf ungefähr 2 Ruthen Entfernung anzupflanzen.
Die Pflanzen werden hoffentlich aus der Vereins-Baumschule zu Unna unentgeldlich bezogen werden können, weshalb die Pflanzung auch nicht veranschlagt ist.

In der Gemeindeversammlung vom 29. November 1862 beschlossen die Vertreter unter Punkt 4, daß die Anlage und Instandsetzung des Kirchhofs im hiesigen Dorfe sowie die Anlage eines Pflasters an der Scheune der Lehrerwohnung hierselbst nach den von dem Aufseher Schönewald aufgestellten Kostenanschlägen öffentlich wenigstfordernd zu verdingen, das Resultat des Verdinges in nächster Sitzung vorzulegen und demnächst darüber befunden werden solle, ob der Verding zu genehmigen sei. In der ausschnittsweisen Kopie des Protokolls vermerkte Amtmann Foecker am Rande: Die Anhöhung des Kirchhofs zu Selm mit Sand ist mit Hand- und Spanndiensten der Gemeinde-Eingesessenen geschehen.

Es vergingen fast zehn Jahren bis zum nächsten Eintrag. Der Bildhauer A. Ney aus Münster meldete sich beim Ökonomierat Brüning zu Botzlar und erinnerte an die Restzahlung für das auf dem Begräbnisplatz aufgestellte Christusbild. Er erwartete noch siebzig Taler für das Denkmal, sechs Taler für das Einhauen der Schrift, für Eisenklammern und Gips und Verzugszinsen für die 76 Taler. Als nicht zuständig reichte Brüning das Schreiben an den Ortsvorsteher Hagen weiter, dieser übergab es dem Amtmann, der nach zwei Monaten siebzig Taler aus der Gemeindekasse überweisen ließ. Eine Verzinsung lehnte er ab, denn die Restforderung war erst ein Jahr nach Ablieferung fällig. Sechs Taler für die Schrift bezahlte der Amtmann auch nicht, da diese zur Vollendung des Bildes gehöre.

Mitte 1875 sah sich das Landratsamt veranlasst, von den Amtmännern und Bürgermeistern Berichte über den Zustand der lokalen Friedhöfe einzufordern. Die Verhältnisse in einem größeren Dorfe hiesigen Kreises[3], in dem die Toten noch in der Mitte des Ortes auf dem Kirchhof begraben wurden, hatten dazu den Anlass geliefert. Landratsamtsverwalter Graf von Wedel schrieb:
Der geweihete Platz aber war nicht allein dazu bestimmt zur letzten Ruhestatt der Verstorbenen zu dienen, er war zugleich Verkehrsweg für die Umwohnenden und Spielplatz für die Knaben der daran liegenden Schule. Platt getreten wie eine Tenne, durch kein Kreuz, keinen Stein ausgezeichnet, glich er mehr einem Marktplatze als einem Todtenhofe. Wenn schon hierdurch das Gefühl empfindlich berührt wurde, so mußte dasselbe geradezu angewidert werden, bei dem Gedanken, daß die Kleinheit des Platzes, den Todten nicht gestattete, den Gang alles Fleisches zu vollenden. Halb verwesete Leichnahme mußten aus den Gräbern gerissen werden, um später Verstorbenen Platz zu machen. Solche schändliche Profanationen mußte die christliche Bevölkerung eines wohlhabenden Ortes fast täglich mit ansehen. Der Gedanke hat mir fern gelegen, daß derartige Zustände im 19. Jahrhundert zumal in unserem Lande noch möglich. Da sie thatsächlich bis in die jüngste Zeit hinein bestanden haben und ihnen erst durch polizeiliche Schließung des Kirchhofs ein Ende gemacht ist, so halte ich es für meinen Pflicht die Herren Amtmänner und Bürgermeister hierdurch zu ersuchen, bis zum 1. Juli c. ausführlich mir mitzutheilen, welcher Art die gedachten Verhältnisse in den resp Gemeinden sind und in welcher Weise event. schreienden Uebelständen in möglichst kurzer Zeit abgeholfen werden kann.

Amtmann Döpper antwortete, dass Übelstände der geschilderten Art im Amt Bork nicht anzutreffen seien. Alle Begräbnisplätze befänden sich außerhalb der Ortschaften und seien gepflegt und ordentlich eingefriedet. 

Anfang des Jahres 1875 hatte sich die Gemeindeversammlung schon weitsichtig gezeigt, als sie die Gelegenheit bekam, den am neuen Friedhof gelegenen Fimpler’schen Garten zu erwerben. Es war absehbar, dass der Begräbnisplatz mit der Zeit vergrößert werden musste. Die Versammlung beschloss, den Garten zu erwerben und bevollmächtigte den Gemeindevorsteher Spinn gt. Evert mit dem Ankauf. 1882 war es dann so weit. Nachdem der Kreisphysikus Dr. Wynen ein Gutachten über die Verwendbarkeit dieses Gartens als Begräbnisplatz vorgelegt hatte, genehmigte die Abteilung des Innern die Verwendung dieser Parzelle. Dr. Wynen hatte für sein Gutachten eine örtliche Untersuchung vorgenommen und um Grabungen bis zu einer Tiefe von 200 bis 250 cm an 3 verschiedenen Stellen des Grabens gebeten, damit er sich von dem Stande des Grundwassers und der Bodenbeschaffenheit überzeugen konnte.[4]

Die Regierung erinnerte in ihrer Genehmigung zur Erweiterung des Friedhofes an die Bestimmungen über die Anlage, Erweiterung und Verschönerung von Begräbnisplätzen vom 5. August 1818. Die Verordnung wird folgendermaßen eingeleitet:
Die polizeiliche Fürsorge fordert geräumige zur völligen Verwesung der Körper geeignete und mit lebendigen Hecken, Zaunwerk oder Mauern wohl eingefriedete Begräbnißplätze.
Die Achtung, Liebe und Dankbarkeit der Hinterbliebenen gegen ihre Todten gebietet eine dem Herzen wohlthuende Einrichtung und Verschönerung der Ruheplätze derselben.
Je mehr diese des Gegenstandes würdig ist, je mehr spricht sich der Charakter der Zeitgenossen vortheilhaft aus. Die ungünstigen Zeitereignisse haben leider ungünstig auf diesen wichtigen Gegenstand gewürkt, und es ist zum Theil die größte Vernachlässigung sichtbar, daher nothwendig erachtet, die Gemeinden auf die Mängel ihre Begräbnißplätze aufmerksam zu machen.
[5]

Zuerst wird festgelegt, nach welchen Kriterien ein neuer Platz ausgesucht werden muss. Die Entfernung zu den Wohnungen, Beschaffenheit des Bodens, Lage des Platzes und erforderliche Fläche sind zu berücksichtigen. Dann geht es um die Einfriedung des Platzes. Eine Mauer oder Hecke von mindestens vier Fuß Höhe (ca. 1,20 m) und nach der Straße hin eine Pforte, welche wenigsten mit einem Flügelthor von Latten versehen seyn muß sind vorgeschrieben. Im dritten Punkt legt die Verordnung die Aufteilung der Gesamtfläche in gleichmäßige Felder fest, Raseneinsaat bis zur Belegung, Abstände werden bestimmt, Baumpflanzung und Denkmalsetzung geregelt und die Kostenträger und Aufsichtspersonen festgelegt. Der letzte Punkt richtet sich in erster Linie an die Totengräber. Die Tiefe und Breite der Sargkuhlen soll ein vorsichtiges Einsenken der Särge ohne Störung ermöglichen. Werden Knochen oder nicht zerfallen Särge gefunden, müssen diese vom Todtengräber ohne Aufsehen und Geräusch an einen andern schicklichen Ort, etwa zwischen den Bäumen versenkt werden. Stoßen sie aber auf nicht verweste Leichname, ist die angefangene Gruft sofort wieder zuzuwerfen.

Mit der Weitergabe der Genehmigung setzte Landrat Graf von Wedel dem Amtmann eine vierwöchige Frist, binnen derer er über die Umsetzung der Bestimmungen informiert werden wollte. Er musste aber mehrere Monate warten und dreimal anmahnen, dann erfuhr er vom Amtmann Döpper:
In der Gemeinde Selm ist ein nach Vorschrift der Verordnung vom 5. August 1818 Amtsblatt S. 261 eingerichteter Kirchhof vorhanden. Derselbe reicht noch langen Jahre aus, und wird erst beim Eintritte des Bedürfnisses der von der Gemeinde Selm angepachtete
[angekaufte] Garten mit dem Begräbnißplatz in Verbindung gebracht, der Garten aber bis dahin von der Gemeinde Selm als Garten verpachtet. Die in der vorgedachten Verordnung gegebenen Vorschriften werden bei der Vergrößerung des Begräbnißplatzes gebührend Beachtung finden, jedoch können dieselben zur Zeit noch nicht angewendet werden.[6]

Die Akte gibt keine Auskunft darüber, ob das Gartengrundstück je hinzugezogen wurde. Laut „Ergänzungen zum Heimatbuch Selm“[7] fanden auf dem Friedhof bis 1911 Begräbnisse statt. Mit der Einrichtung des neuen Kommunalfriedhofs an der Funne wurde er aufgegeben und verfiel. Heute ist das Gelände überbaut.

Mai 2021
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[1] Heimatverein Selm (Hg.), Ergänzung zum Heimatbuch Selm 858-1958, 3. Auflage 1990, S. 92.
[2] Und folgende Zitate: StA Selm, AB-1 – 277.
[3] und folgendes Zitat: StA Selm, AB-1 – 279.
[4] und folgende Zitate: StA Selm, AB-1 – 277.
[5] und folgende Zitate: Amtsblatt der königlichen Regierung zu Münster. Nro. 34, 1818, S. 261ff.
[6] StA Selm, AB-1 – 277.
[7] Heimatverein Selm (Hg.), Ergänzungen zum Heimatbuch Selm 858-1958, 3. Auflage 1990, S. 92f.




 
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