aktenlage
Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686

Die Mobilmachung 1859

Christel Gewitzsch

Als Österreich Ende April 1859 Piemont und damit auch dessen Verbündeten Frankreich den Krieg erklärte, um seine norditalienischen Interessen zu wahren, war dies verfassungsrechtlich für den Deutschen Bund ohne Belang. Das Territorium des Bundes war nicht direkt betroffen. Involviert war er aber allemal. Ein Mitglied befand sich im Krieg; Österreich erwartete Hilfe; ein Sieg Frankreichs war wegen dessen dann erstarkenden Stellung am Rhein nicht wünschenswert. Die öffentliche Meinung plädierte für eine Unterstützung Österreichs in Oberitalien, doch Preußen widersetzte sich. Es wollte insgeheim als Helfer in der Not auftreten, um damit Österreichs Stellung im Bund zu schwächen und für sich den Oberbefehl am Rhein und den Vorrang in Norddeutschland zu ergattern.

Am 4. und 24. Juni erlitten die Österreicher in Magenta und Solferino verheerende Niederlagen und für Preußen schien der richtige Zeitpunkt gekommen.

Erste Anforderungen an das Amt

Diese kriegerische Auseinandersetzung lag schon eine Weile in der Luft und Preußen bereitete sich aus der Position der ‚bewaffneten Neutralität‘[1] durchaus auf ein Eingreifen vor.

Die im März erlassene Anweisung des Landrats Landsberg wegen der Klassifikation der Reservisten, Wehrleute 1. Aufgebots und der Trainsoldaten (Train bezeichnet das militärische Transportwesen) enthielt schon die mahnenden Worte, die ergangenen Bestimmungen genau zu beachten. Veränderungen in den Verhältnissen der Leute sind mit rother Dinte unter Beifügung des Datums event. einzutragen, auch die öffentliche Bekanntmachung rechtzeitig zu erlassen.[2] Amtmann Foecker folgte dem. Er gab den Termin zur Klassifikation pünktlich bekannt und schickte auch die Liste mit eingetragenen Veränderungen zeitig ab.

Da bei diesen Bekanntmachungen die Betroffenen jeweils aufgefordert wurden, sich zu melden, wenn sie genügende Gründe haben, im Falle einer Mobilmachung der Armee berücksichtigt werden zu können, - Berücksichtigung bedeutete in diesem Zusammenhang, nicht zur Armee eingezogen zu werden - , fügte Foecker seinem Schreiben an den Landrat die bei ihm pünktlich eingegangenen Reklamationen an. Das waren 15 insgesamt und einer der Antragsteller (oder auch dessen Schreiber) ahnte genau, was kommen würde. Er begann sein Gesuch mit den Worten: Die gegenwärtigen politischen Verhältnisse zwischen Frankreich, Ostreich und Italien, geben uns die ziemliche Gewißheit, daß bei einem möglichen Ausbruche eines Krieges auch Preußen mit verwickelt werde, und könnte deshalb eine Mobilmachung des stehenden Heeres wohl nicht weit in Aussicht stehen.

Am 27. April forderte der Landrat sämtliche Gemeindevertreter auf, da es in Folge der unterm 20. d.M Allerhöchst angeordneten Kriegsbereitschaft eintreten kann, daß der dortige Ausmusterungsbezirk zu diesem Zwecke Pferde zu gestellen hat, veranlasse ich Ew. Wohlgeboren ..., für diesen Fall baldigst die erforderlichen Vorarbeiten zu treffen, insbesondere für die Aufstellung der Pferdebefundslisten zu sorgen. Das bedeutete, alle Pferdebesitzer aufzulisten. Zu den Pferden musste das Alter, das Geschlecht, die Farbe und Abzeichen der Pferde Auskunft zu geben. Später wurde den Besitzern mitgeteilt, wann und wo sie welche Pferde zur Musterung vorzustellen hatten.

Im nächsten Monat folgte aus Lüdinghausen die Anweisung an den Amtmann, die Familien zu benennen, die wegen der Einberufung von Reservisten und Landwehrmännern in Not geraten würden. Im ersten Verzeichnis benannte der Beigeordnete Hördemann nur drei Familien. Die Zahl erhöhte sich später. Hördemann musste übrigens alle weiteren, die Mobilmachung betreffenden Arbeiten erledigen, weil Amtmann Foecker zum Militär einberufen worden war.

Die Hilfsbedürftigkeit beim Ausfall des Ernährers erklärte sich meistens dadurch, dass die Frau wegen der Versorgung der Kinder erwerbsunfähig war. Auf ein Vermögen konnten diese Familien nicht zurückgreifen und Angehörige, die helfend hätten einspringen können, waren nicht vorhanden, eher im Gegenteil. Oft mussten die Frauen sich nicht nur um die Kinder, sondern auch um weitere, oft alte und kranke Familienmitglieder kümmern. Den als hilfsbedürftig anerkannten Familien standen jeweils monatlich für die Frau 1,10 oder 1,15 Taler und je Kind 0,15 Taler zu.

Ende Mai erwartete der Landrat auch die Liste für die Männer des 2. Aufgebots und Hördemann forderte die Wehrleute wieder zur Meldung auf. Damit war er ein bisschen vorgeprescht, denn im Juni wollte der Landrat zwar schon die etwaig eingegangen Gesuche vorgelegt bekommen, eine Aufforderung zur Reklamation wollte er aber noch nicht veröffentlicht wissen. Vielleicht hoffte er, die Antragszahlen gering halten zu können.

Als am 17. Juni die Gestellungsbefehle für das 1. Aufgebot ausgeteilt wurden, kam der nächste Antragsschub. In den Akten finden sich knapp dreißig Anträge. Grundsätzlich konnten Militärpflichtige zurückgestellt werden, wenn ihre körperlichen oder geistigen Fähigkeiten nicht ausreichten, oder wenn sie wegen häuslicher und gewerblicher Verhältnisse unentbehrlich waren. Die genauere Darstellung einiger dieser Fälle folgt in einem gesonderten Text.

Mobilmachung

Am 17. Juni 1859, morgens um neun Uhr, ging folgende Einberufungs-Ordre im Amt Bork ein:
Die Ortsobrigkeit der umstehend genannten Ortschaften werden hierdurch aufgefordert, die in der beigefügten namentlichen Liste aufgeführten Beurlaubte, Reservisten und Wehrmänner der verschiedenen Waffengattungen unter sofortiger Aushändigung der speciellen Gestellungs-Ordre anzuweisen, den Marsch zum Landwehr-Bataillons-Stabe nach Warendorf, die der Garde Infanterie I. Aufgebots zum Garde-Landwehr-Bataillons-Stabe nach Hamm unter Mitnahme ihrer sämmtlichen Militair-Papiere incl: der gegenwärtig erhaltenden Gestellungs-Ordre derart anzutreten, daß sie pünktlich zur bestimmten Zeit daselbst eintreffen.
Den Mannschaften wird für diesen Marsch das chargenmäßige Reisegeld, für die Zahl der Meilen, welche die Entfernung ihres Wohnortes von dem Bataillons-Stabs-Quartier ergiebt, eine jede angefangenen Meile als ganze Meile gerechnet vergütigt; nach Abzug der ersten drei Meilen.
Die vorbemerkte namentliche Liste haben die Orts-Obrigkeiten an den unterzeichneten Bataillons-Kommandeur mit den einberufenen Mannschaften zurückzusenden und die Gründe darin zu bemerken, wenn etwa einzelne Gestellungs-Ordres den betreffenden Mannschaften nicht haben eingehändigt werden können, oder einzelne Einberufenen dem Befehle nicht nachzukommen vermögen.
Warendorf, den 16. Juni 1859
v. Memerty
Major und Kommandeur

Diesem Schreiben war ein Vordruck für die Landräte beigefügt, mit dem sie den Ortsobrigkeiten befahlen, die Einberufenen anzuweisen, sich dergestalt auf den Marsch zu begeben, daß sie pünktlich zur bestimmten Zeit an den bezeichneten Orten eintreffen. Für die pünktlichste Ausführung dieses Befehls, der nach genommener Kenntniß sogleich durch einen reitenden Boten weiter zu senden ist, werden die Orts-Obrigkeiten hierdurch verantwortlich gemacht.

Hördemann zeigte dem Major an, die Stellungsbefehle eine Stunde nach Empfang auf den Weg gebracht zu haben. Nur zwei mussten wegen Wohnortwechsels in ein anderes Amt, bzw. an die Polizeidirektion Köln gesandt werden.

Die Liste der einbeorderten Landwehrmänner I. Aufgebots umfasst 80 Namen. Die Männer hatten sich, mit Ausnahme von zweien, die nach Hamm mussten, vom 21. bis 24. Juni in Warendorf einzufinden; 48 Wehrmänner aus Bork, 22 aus Selm und 10 aus Altlünen. Die meisten wurden der Infanterie, sieben der Garde zugewiesen. Da der Kreis Lüdinghausen verpflichtet war, Trainhandwerker und Pferdewärter zu stellen, bestimmte der Landrat sieben Männer der jüngeren Jahrgänge zu Trainsoldaten.

Der weitere Gang der Dinge

Zu diesem Zeitpunkt, Mitte Juli 1859, als die Vorbereitungen in Preußen in vollem Gange waren, hatten Österreich  und Frankreich allerdings schon einen Vorfrieden geschlossen. Der endgültige Friedensvertrag folgte am 10. November. Österreich nahm lieber den Verlust der Lombardei in Kauf, als seine  Stellung in Deutschland zu schwächen und Napoleon III. war sich nicht mehr sicher, ob er angesichts der erstarkten italienischen Nationalbewegung die französischen Interessen in Italien weiter durchsetzen konnte.

Für die eingezogenen preußischen Soldaten bedeutete dieser Vorfrieden aber nicht, dass sie sofort nach Hause gehen konnten. Und für das Amt hieß es auch nicht, dass die Arbeiten rund um die Mobilmachung beendet werden konnten.

Noch am 1. August fragte die Regierung an, ob dem um Entlassung bittenden Soldaten Anton Horstmann mit der Unterstützung nicht genügend geholfen sei; oder ob nicht der Bruder, der entlassen worden war,  für ihn einspringen konnte. Erst am 5. August ist von der Demobilmachung der Armee die Rede, aber der o.g. war auch am 15. noch nicht wieder in die Heimat zurückgekehrt.

Dafür unterschrieb aber Amtmann Foecker seit August wieder die Briefe des Amtes. Seine ersten Schreiben befassten sich weiterhin mit den Reklamanten, die immer noch ablehnende Bescheide bekamen. 

Foecker setzte sich am 8. des Monats wiederholt für die Entlassung des Anton Horstmann ein. Die Familie, so schrieb er, könne von der gewährten monatlichen Unterstützung von 2 T 25 Sgr. nicht existiren, vielmehr ist der Ruin des Hausstandes bereits eingetreten. Der Bruder, nach dem er sich erkundigen sollte, war zwar inzwischen entlassen worden, doch hatte er selbst eine große Familie zu versorgen und wohnte zwei Stunden entfernt, so dass er den Verwandten nicht vertreten konnte. Erst am 22. August 1859 kam Horstmann zurück. Die Rückkehr von zwei anderen Wehrmännern, die auch Unterstützung erhielten, fand erst Anfang September statt.

Die weitere Korrespondenz dieser Jahre behandelt die Abwicklung der Pferdegestellung. Dazu später mehr. 

Auswirkungen

1. Auch wenn Preußen nicht in das Kriegsgeschehen eingegriffen hatte, zog es aus den Kriegsvorbereitungen doch seine eigenen Konsequenzen. Die nicht befriedigend abgelaufene, schleppende Mobilmachung bestärkte - neben anderen Gründen - die Verantwortlichen darin, dringend eine Reform des Heeres vorzubereiten.

2. Der Schweizer Henry Dunant beobachtete nach der Schlacht von Solferino, dass den verwundeten Soldaten nicht geholfen wurde. Dieses veranlasste ihn, zusammen mit anderen das „Internationale Komitee der Hilfsgesellschaften für Verwundetenpflege“ ins Leben zu rufen, aus dem das Rote Kreuz hervorging.

3. Eine weitere Folge dieses Krieges war die Stärkung der italienischen Nationalbewegung. Mit den Ergebnissen des Friedensvertrages nicht zufrieden, kämpften regionale Bewegungen weiter. 1860 verloren einige Herrscher ihre Gebiete, der Kirchenstaat wurde verkleinert, Giuseppe Garibaldis Aktivitäten führten zur Vertreibung der Bourbonen in Neapel-Sizilien und im März 1861 wurde das Königreich Italien proklamiert.

4. Auch Napoleon III. geriet durch die Ergebnisse des Krieges in die Bredouille. Kirchliche und konservative Kreise empörten sich über die Behandlung des Kirchenstaates. Und das Misstrauen einiger europäischer Mächte isolierte Frankreich, nachdem es darauf  bestanden hatte, sich Savoyen und Nizza einzuverleiben.

Januar 2020
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[1] Franz Herre, Kaiser Wilhelm I., Köln 1980, S. 270.
[2] und folgende Zitate, falls nicht anders vermerkt: StA Selm, AB-1 – 591.


 
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