Die letzten Jahre des Dr. Ridder
Christel Gewitzsch
In den frühen 30er Jahren hatte der Arzt Dr. Ridder lange auf sich warten lassen, bevor er sich, wie versprochen, in Bork niederließ.[1] Rund zehn Jahre praktizierte er in der Gemeinde und der Nachbarschaft, ohne dass besondere Auffälligkeiten in den Akten vermerkt wurden. Im August 1842 änderte sich das.
Konkurrenz
Der Medico-Chirurg[2] B. Füchten informierte den Borker Bürgermeister Stojentin über seinen Wunsch, sich in Bork zu etabliren. Eine Woche vorher hatte Füchten sich in Bork umgesehen und Erkundigungen eingezogen, nur den Bürgermeister hatte er zu dem Zeitpunkt nicht sprechen können. Was Füchten während seiner kurzen Anwesenheit erfahren konnte, war für ihn nicht ungünstig, ... um so mehr, da der Herr Dr. Ridder immer kränklich ist und seiner Praxis nicht mehr vorstehen kann. Letzteres und besonders der Wunsch dortiger Einwohner ärztliche Hülfe wieder in ihrem Dorfe haben zu können, würde ihn gleichsam verpflichten, sobald als möglich [seinen] Wohnort daselbst aufzuschlagen, und [seine] Praxis als Medico-Chirurg innerlich und äußerlich zu beginnen.
Dies geschah auch alsbald und in der jährlich zu erstellenden Information an den Kreisarzt über Veränderungen bei den Medizinalpersonen schrieb Stojentin Anfang 1843: Hat sich der Wundarzt I. Klasse Füchten aus Herbern gebürtig, der wohl als Geburtshelfer approbirt ist, hier niedergelassen, es schweben indeß noch Unterhandlungen, ob wegen des noch nicht erfolgten Abganges des Dr. Ridder seine Niederlassung erfolgen darf.
Der Kreisarzt erkundigt sich
Von Dr. Ridder wurde dies auf jeden Fall bezweifelt, wie aus dem folgenden Schreiben des Kreisphysikus Dr. Gerbaulet aus Werne an den Bürgermeister zu entnehmen ist: Da der Wundarzt der ersten Klasse Burchard Füchten aus Herbern sich zu Bork niedergelassen hat und in verschiedenen Gemeinden Ihrer Bürgermeisterei soll öffentlich haben bekannt machen lassen, daß er sowohl zur Behandlung innerer und äußerlicher Krankheiten befugt sey und um gütigen Zuspruch ersuche, so ist der med. Doctor Ridder allda bei der Königl. Regierung dagegen eingekommen und hat darauf angetragen, daß ihm, da er Ridder promovirter Arzt sey, die Behandlung der innerlichen Krankheiten untersagt werde und nur als Wundarzt der 2. Klasse gesetzlich agiren könne. Der Dr. Ridder meint ferner, daß der Burchard Füchten Sich vielleicht auf seine Krankheit bezogen habe und sagt: Obgleich meine Krankheit lange gedauert, so habe er doch alle Kranken, welche zu ihm gekommen wären, gehörig behandelt und zu denen er nicht habe gehen können, habe er sich fahren lassen und daß er seine Geisteskräfte gar nicht verloren hätte. Auch sagte er ferner, daß es zu Bork gar nicht an Ärzten fehlte, denn der Medico-Chirurgus Sulzer aus Olfen käme wöchentlich mehrmals da und in sonstigen Krankheiten würde der med. Doctor Althof aus Lünen hinzugezogen. Die Königl. Regierung hat nun hierauf an mich verfügt, daß ich darüber berichten solle, wie es sich gegenwärtig mit der Krankheit des Doctor Ridder verhalte und in wie fern er zur Ausübung seines Berufes noch fähig sey.
Da ich nun die Krankheit des Doctor Ridder gar nicht kenne, ihn auch seit anderthalb Jahren gar nicht gesehen habe, doch aber von allen Personen, die aus Bork hierher gekommen, gehört habe, daß er an seinen untern Extremitäten ganz gelähmt sey, Selbst gar nicht gehen könne, sondern wenn er irgendwohin wolle, entweder getragen oder gefahren werden müsse, und da ich auch nicht weiß, ob dieser Zustand noch immer bei ihm besteht, und wenn diese, so würde er doch offenbar zu seinem Berufsgeschäfte nicht völlig fähig mehr seyn, so ersuche ich Sie mir doch bald gütigst über seinen gegenwärtigen Zustand zu berichten. Der Doctor Ridder sagt ja auch selbst, daß sehr häufig fremde Ärzte nach Bork kämen [z.B.] Sulzer mehrmals in der Woche. So folgt ja daraus eher, daß er die Kranken allda nicht gehörig bedienen kann, oder daß die Kranken kein Zutrauen zu ihm haben und um das letztere mag auch wohl was Wahres seyn, denn er war wenigsten vorher sehr häufig dem Trunke ergeben und zu Ärzten, die diesem Laster so sehr ergeben sind, können auch kluge Kranke kein Zutrauen haben. Ich muß nun zwar den Doctor Ridder zufolge eine Verfügung der Königl. Regierung über einige Tage zu mir hier nach Werne vorladen um ihn über ein Attest, welches er dem Tagelöhner Bernard Heinz Lensmann, wo dieser sich wegen der großen Uebung zu Warendorf stellen sollte, ertheilt hat, welches aber nicht richtig und der Wahrheit nicht gemäß befunden worden, zu Protokoll vernehmen, wo ich aldann wohl Gelegenheit haben werde seinen Zustand näher kennen zu lernen, aber ich wünsche doch sehr von Ihnen vorher über seinen Zustand unterrichtet zu seyn.
Der Amtmann informiert
Stojentin antwortete: Der Doctor Ridder hierselbst leidet, wie Ihnen aus früheren Jahren bekannt sein wird an einer Rückenmarksschwindsucht und ist an den untern Extremitäten völlig gelähmt. Dieser Zustand hat die natürliche Folge, daß er zur Ausübung jeder Praxis gänzlich außer Stand ist, wozu dann leider auch noch der Umstand hinzutritt, daß Niemand ihm das einem guten Arzt schuldige Vertrauen widmet, was vielleicht in Folge zu großer Uebertheuerung und des ihm nachgesagten Trunkes seinen Grund finden mag. – Wenn der p Ridder indeß behauptet, daß er nach wie vor alle Krankheiten behandle und sich, wo er zu Fuß nicht kommen könne, fahren lasse, so muß ich, wiewohl ich seinen kränklichen und jetzt verarmten Zustand auch gern berücksichtige, dennoch der Wahrheit die Ehre gebe, und amtlich mich dahin auslasse, daß die Angaben des Ridder das Gepräge des Rechts nicht tragen, indem nur lediglich solche Personen zu ihm kämen, die durch die Noth dazu gezwungen werden. Da er aber in solchen Fällen, wie er mir früher es zwar glaubend zu machen versuchte, die Kranken nie zu sehen bekommt und nur seine alten Vermuthen nach durch seinen Sohn verfertigten Medizin Absatz zu verschaffen sucht – wogegen aus Rücksichten noch keine Beschwerde erhoben ist, und wovon ich auch keinen Gebrauch zu machen bitte. – Zu diesen Kranken, die ihn aus Noth gebrauchen, rechne ich auch namentlich diejenigen einer Krankheit wegen, welche die gar nicht vorhanden ist Atteste bedürfen, um dadurch irgend einen Zweck zu erreichen. Sehr bereitwillig scheint er des geringen Verdienstes wegen sich solchen Anliegen hinzugeben, und hat namentlich der Fall mit dem Tagelöhner Lensmann und mehrere andern die ich weiter nicht gedenken will, den sprechendsten Beweis davon getragen.
Zu dem spricht das allgemeine Verlangen der Eingesessenen sich für die Niederlassung eines Arztes hierselbst, also mithin auch dafür aus, daß der p Ridder als Arzt eigentlich nicht mehr betrachtet werden kann.
Dr. Ridder gerät in Bedrängnis
Die Abteilung des Innern der Regierung in Münster entschied, dem Füchten die Niederlassung in Bork bis zur etwaigen Wiederherstellung des Dr. Ridder zu erlauben. Fünf Monate später stellte Ridder einen Antrag auf Unterstützung beim Landrat, woraufhin Stojentin aufgefordert wurde, Auskunft über den Gesundheitszustand und die materiellen und familiären Verhältnisse des Doktors zu geben. Dessen körperliche Verfassung hatte sich, wie auch nicht anders zu erwarten, nicht gebessert. Über die anderen Punkte wusste Stojentin zu berichten, dass der Dr. Ridder jährlich fünfzig Taler aus der Hufelandschen Stiftung[3] bezog und Aussicht hatte, noch mehr zu bekommen. Zur Familie schrieb er, sie besteht außer der Frau noch aus 4 Kindern (2 Knaben und 2 Mädchen) wovon 1 Sohn gegenwärtig im 134. Inf. Reg. dient und 1 Tochter zur Erlernung des Putzmachergeschäftes sich in Münster befindet. Ein Sohn ist im elterlichen Hause und betreibt das Geschäft eines Commissionair [Waren- oder Wertpapierhändler], wovon er, wenn er nicht leichtsinnig seinen Verdienst verschleuderte und das Vertrauen der Eingesessenen nach und nach von sich abwendete, nicht nur selbst recht gut leben, sondern auch seine Eltern mit unterstützen könnte. Eine Tochter ist jetzt zu Hause, nachdem sie mehrere Jahre als Köchin in Münster gedient hat.
In einem weiteren, allerdings durchgestrichenen Kapitel, setzte Stojentin hinzu: Hiernach glaube ich wird der p Ridder so lange er Stiftungsgelder bezieht keine Unterstützung aus Gemeindefonds bedürfen und solche sicherlich von der Gemeinde abgelehnt werden.
Ridder erhoffte sich nun, vom Oberpräsidenten selbst eine Unterstützung in seiner drückenden Armuth zugesichert zu bekommen. Und Stojentin musste wieder Bericht erstatten. Die Vermögensverhältnisse des Doktors seien schlecht, räumte er ein, und es würde ihm wohl schwerfallen, seine Familie zu ernähren, aber da er weiterhin aus der o.g. Stiftung regelmäßig und der Tinnenschen Fundation[4] ab und zu einen Geldbetrag erhielt, kann Seitens der Gemeinde für den p Ridder noch nichts gethan werden, vielmehr dürfte demselben an die Hand zu geben sein, seinen Sohn zu einem sparsamen Haushalte anzuhalten.
Das war Mitte 1844. Im Januar 1847 erklärte Stojentin in seiner Meldung über die Medizinal-Personen des Amtes lapidar: 1. der Dr. Ridder ist mit Tode abgegangen.
Juli 2018
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[1] siehe auf dieser Website: Dr. Ridder: Er will hier kommen, doch er kömmt nicht.
[2] und folgende Zitate: StA Selm, AB-1 – 487.
[3] Vom Arzt Christoph Wilhelm Hufeland (1762-1836) 1830 gegründete Stiftung für in Not geratene Ärzte.
[4] Armenstiftung des Erbmanns Rudolph von der Tinnen (1612-1702), Münster.