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Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686

Dr. Ridder: Er will hier kommen und kömmt doch nicht - 1831

Christel Gewitzsch

1.

Aufforderung an qualifizirte Medizinal-Personen
Lange schon ist der Mangel eines Arztes in den Gemeinde meines Bezirks äußerst fühlbar und unangenehm gewesen, bei der Annäherung der asiatischen Cholera aber fühlen wir diesen Abgang doppelt. Ich finde mich deshalb verpflichtet die qualifizirten Medizinalpersonen hierauf aufmerksam zu machen, mit dem Zusatze, daß ich überzeugt bin, daß eine Arzt hier wohl und gut bestehen kann, auch in der Nähe, als Werne, Lünen, Waltrup, Lüdinghausen, Apotheken vorhanden sind.
Auch selbst die Lage des hiesigen Orts hat manches angenehme und wird deshalb derjenige der Herren Aerzte, welcher sich hier niederlassen wird, nebst reichlichem Verdienst auch einen angenehmen Wohnort finden. Da an mehreren Nachbar-Orten auch keine Aerzte vorhanden sind, so könnte der sich hier niederlassende Arzt seine Praxis in der ganzen Umgegend ausdehnen, und so seine Existenz doppelt sichern. Derjenige der HHn. Aerzte, welcher hierauf reflektiren sollte, wolle sich beim Unterzeichneten melden.
Borck, den 23. Oktober 1831.
Der Bürgermeister.
Köhler.
[1]

Mit dieser Anzeige im Amtsblatt versuchte Bürgermeister Köhler, den Ärztemangel in seinem Bezirk zu beheben. Sehr viel Resonanz brachte diese Bemühung nicht. Drei Bewerbungen trafen im Laufe der nächsten zehn Monate in Bork ein, von denen nur ein Briefschreiber andeutete, auf die Annonce reagiert zu haben. Das war Dr. med. Ridder aus Nienborg, Kreis Ahaus, der sich im November 1831 bei dem Bürgermeister meldete. Zwei weitere Anfragen liefen 1832 ein. Im März erkundigte sich der Chirurg Moses Heinemann aus Herdecke, ob er sich in Bork niederlassen dürfe; im August ließ ein Doktor Schött sein Interesse an der Stelle in Bork über einen Vermittler bekunden.

Vorgestellt wurde Doktor Schött als ein Mann von allgemein geprüften Kenntnißen als Arzt sowohl auch Geburtshelfer und Chirurg. Er ist einige fünfzig Jahre alt, katholischer Konfession und hat sich durch seine Kenntniße, die er seit achtzehn Jahren den Bewohnern von Gladbach bewiesen hat, einen großen Ruhm erworben. Er würde auch seinen jetzigen Aufenthaltsort nicht ändern, geschähe es nicht, durch Zureden seiner Gemahlin, die gerne ihrem Geburtsort näher sein möchte. Sollte es also der Fall sein, daß in Bork noch ein Arzt gesucht würde, so möchte ich Sie bitten sich unter folgender Adresse an den Doctor selbst zu wenden, welcher als dann sogleich selbst die Reise nach Bork machen wird, um den Ort in Augenschein zu nehmen.[2]

Bei der anderen Bewerbung aus dem Jahr 1832 wird aus einem Brief des Bürgermeisters an den Landrat deutlich, warum aus der Anfrage des Schött nichts wurde. Bürgermeister Köhler rechnete fest mit der Niederlassung des Doktor Ridder, sobald Dr. Wiesmann aus Olfen seinen angekündigten Umzug verwirklichte. Die Aussicht auf einen approbierten Arzt war gegenüber dem anderen Bewerber, dem Chirurgen Heinemann, allerdings nicht der einzige Grund der Ablehnung. Köhler berief sich auf den Wunsch der christlichen Einwohner, daß dem p Heinemann die häusliche Niederlassung dahier verweigert würde, zumal wir ohnedem schon hier mit Juden überfüllt sind.

Die Bewerbung des Dr. Ridder

Wohlgeborener, hochzuverehrender Herr Bürgermeister!
Schon lange war ich Willens, mein Etablissement zu ändern und nahm vor zwei Jahren die Freiheit, mich in dieser Hinsicht an den dortigen Pfarrer Bockmann zu wenden, um mich zu Bork als praktischer Arzt, Wundarzt und Geburtshelfer niederzulassen, indessen traten damals manche Hindernisse zu meinem Abzug von hier ein.
Zwar möchte ich mich entschließen, mein Etablissement zu Bork aufs Neue wieder zu begründen, wenn mir einige vortheilhafte Bedingungen, etwa Sichere, wenn auch nur in den ersten Jahren von der dortigen Gemeinde vergönnt würden.
Ich habe die Ehre zu bemerken, daß ich jetzt auch die neue homöopathische Heilmethode ausübe.
Da man nun zu Bork einen praktischen Arzt wünscht, möchte ich Ew Wohlgeboren gütigst ersuchen, mich bald möglichst hierüber zu bescheiden, wo ich dann nicht verfehlen werde wie möglich herüber zu eilen, was ich jetzt wegen der nun angefangenen Impfgeschäfte nicht kann, da hier in dem Grenzort Gronau die Menschenblattern ausgebrochen sind.
Ich habe die Ehre Ew Wohlgeboren wie auch den dortigen Herrn Pfarrer mit vorzüglicher Hochachtung obgleich unbekannt, zu grüßen.
Dr. Ridder.
Nienborg, den 6. November 1831
(Im Kreise Ahaus)

2.

Bork zieht Erkundigungen ein

Das Schreiben des Dr. Ridder stieß in Bork auf Interesse, aber man wollte die Katze nicht im Sack kaufen und erkundigte sich über den Bewerber in Nienborg. Ein Anton Meiners antwortete; in welcher Funktion, wird in dem Brief nicht deutlich, wahrscheinlich war es der Kollege Amtmann. Er äußerte erst einmal sein Erstaunen darüber, daß der hier wohnende Hr. Dr. Ridder gesonnen sey, von hier wegzuziehen, indem selbiger nach meiner Meinung gut hier leben kann, auch hat er ziemlich viel zu thun, so daß es ihm an hinreichender Praxis nicht fehlt. Meiners vermutete, Dr. Ridder würde durch ein festes Gehalt nach Bork gelockt, was aber gar nicht zugesichert war. Er war nicht erfreut darüber, den Arzt zu verlieren, legte ihm aber auch keinen Stein in den Weg und stellte ihm ein gutes Zeugnis aus. Er sei ein sehr bedeutlicher Mensch, der sehr viel Fähigkeit besitze, ein rechtschaffender Mann, von dem er nichts anders als das Beste melden könne. In Bork hatte man daher keine Bedenken, die Bewerbung anzunehmen.

Auch die erwünschte Information über die persönlichen Verhältnisse des Dr. Ridder teilte Meiners mit: Der Doktor sei verheiratet und Vater von einigen Kindern, die aber nicht klein mehr sind.

Die Antwort des Bürgermeisters

An den Herrn Dr. Ridder Wohlgeboren zu Nienborg
Ew. Wohlgeboren wollen verzeihen, wenn ich erst jetzt Ihr verehrtes Schreiben vom 6. November v. J. beantworte. Die Ursache lag darin, indem ich wegen des von Ihnen gewünschten „sicheren Einkommens“ Ihnen bestimmt Antwort ertheilen wollte. Da der Weg der Subscription unsicher, auch wohl nicht bedeutend ausgefallen, dachte ich ein annehmbares Sümmchen auf den Gemeinde Etat zu nehmen, und wandte mich dieserhalb an Hr. Landrath dieser aber wies den Antrag zurück, da er sagte, daß hochlöbliche Regierung solches durchaus nicht passiren lassen würde. Ich bedaure daher Ihren Wunsch in dieser Hinsicht nicht genügen zu können, indessen glaube ich nicht, daß dieses Ew. Wohlgeboren abhalten wird, Ihrem Vorhaben sich hier niederzulassen zu ändern, da ich überzeugt bin, daß Ihr Verdienst von der Art sein wird, daß Sie sehr gut leben können, zumal der Doctor Wiesmann zu Olfen der einzige Arzt hier in der Nähe, von dort verziehen wird.
Ihren ferneren Entschluß bitte ich mir baldgefälligst mittheilen zu wollen, um danach den mehreren eingegangenen Anträgen bescheiden zu können.
Es grüßt mit Achtung
Bürgermeister Köhler
Bork, 17.Feb. 1832

Ein reger Briefwechsel

Mindestens siebzehn Briefe gingen von nun an von Nienborg nach Bork und umgekehrt. Vor der Umsiedlung mussten noch einige Dinge geregelt werden. Zuerst lag es Dr. Ridder am Herzen, mit der Gemeinde zu einer Übereinkunft über ein sicheres Einkommen zu gelangen. Er schlug vor, einige wohlhabende Gemeindemitglieder sollten sich bereit erklären, für diesen Zweck freiwillig etwas in einen gemeinsamen Topf zu zahlen; oder es könnte eine besondere Vereinbarung mit einem praktischen Arzte in Beziehung armer Kranker einer Gemeinde statt finden. Wenn dies zugesichert würde, könne er sofort nach Bork ziehen. Zuerst käme er allein, ohne Familie, denn er müsse sich um ein paar gute Zimmer kümmern, um seine Praxis mit leichterer Mühe dort ausdehnen zu können.

Drei Monate später, im Mai, brachte Ridder einige fehlende Papiere nach Bork, die dort bis zu seiner Umsiedlung aufbewahrt werden sollten. Der August war von ihm als Umzugsmonat ins Auge gefasst worden. Wieder in Nienborg versprach er schriftlich, so bald wie möglich zu kommen, aber im Augenblick hielten ihn viele Kranke wegen eines dort grassierenden Wechselfiebers fest. Im Juni kam ein Brief von ihm, in dem er den September als Termin nannte, falls sein Vorschlag zu einer jährlichen Unterstützung in den beiden ersten Jahren ... von den dortigen Honoratioren wird angenommen sein.

Im September allerdings meldete er, dass er schon längst dagewesen wäre, wenn mich nicht Familienverhältnisse davon abgehalten hätten, ich habe daher mein Vorhaben nach Bork zu ziehen auch nicht aufgegeben. Die Cholera kömmt uns hier näher, ist nur 8 Stunden von hier entfernt. Der hier im Juli stattgefundene Hagelschlag hat sehr viel Schaden angerichtet, und ich kann daher von meinem Guthaben nichts inne erhalten. Mein Abzug würde jetzt schnell erfolgen, wenn die Gemeinde-Glieder von Bork mir auch nur fürs erste Jahr 150 bis 200 T. Zulage bewilligten – Künftig könnten Ew Wohlgeboren dann wohl etwas Sicheres für einen praktischen Arzt ausmitteln.
Wie ich vernommen ist Dr. Wiesmann zu Olfen noch da und wird wahrscheinlich dableiben. Ich bitte mich nun schnell einen günstigen Beschied zu ertheilen, wo ich dann so fort dakommen werde.

Bürgermeister Köhler griff nun zum Mittel der öffentlichen Bekanntmachung. Er informierte die Gemeinde über seine Anzeige im Amtsblatt, über die Bewerbung des Ridders, die positiv ausgefallenen Erkundigungen über denselben und dessen Wunsch nach einer festen Zulage. Mit dem Hinweis auf den bald fortziehenden, sehr geschätzte Herr Dr. Wiesmann, forderte er sämtliche Mitbürger auf, daß jeder sein Schärflein beitrage um den Wunsch des Herrn Dr. Ridder genügen zu können. – Diesem Vorstoß war kein Erfolg gegönnt.

Inzwischen war es Ende Oktober 1832 und Ridder schrieb, Familienverpflichtungen hinderten ihn weiterhin an seiner Abreise. Außerdem hätten er und andere Einwohner bei einem heftigen Hagelschlag im Sommer viel verloren, so dass er ausstehende Rechnungen nicht beitreiben könne. Wenn ihm doch nur für ein Jahr eine Zulage bewilligt würde, ja dann, dann würde er seine Entfernung von hier so fort beschleunigen können. Der Bürgermeister solle ihm doch für die Behandlung armer Kranken ein Fixum besorgen, oder vielleicht stünden ihm noch andere Wege offen, ihm eine Zulage zu verschaffen. Auf jeden Fall wolle er nach dem Umzug schnell seine Familie nachkommen lassen, denn eine doppelte Haushaltsführung könne er sich nicht lange leisten. Leider würde Herr Wesener in Bork auch zu viel Geld für die Wohnungsmiete verlangen. Zehn Taler wolle er haben, für seinen Sohn in Münster müsse er für Kost und Logis nur sechs Taler im Monat zahlen. Und wie stehe es eigentlich mit einem Bürgergeld? Müsse er das in Bork zahlen? Und wenn ja, wie viel? Wenn er vom Bürgermeister eine schnelle Antwort bekäme, könne er ganz bestimmt am 11. December dort sein.

Der nächste Brief aus Nienborg kam Mitte Januar 1833. Dr. Ridder wiederholte sich: Der Hagelschlag hätte ihm geschadet; die jährliche Zulage wäre noch nicht gesichert; verschiedene hier kaum zu schildernde Umstände hielten ihn zurück. Als Ridder im August seinen Umzug für das Herbstende oder den Frühlingsanfang in Aussicht stellte und gleichzeitig um die Rücksendung seiner bis dahin in Bork liegenden Papiere bat, kamen sogar dem bis dahin recht geduldigen Bürgermeister Köhler echte Zweifel an dem Versprechen des Arztes. Er drückte sein Bedauern über die weitere Wartezeit aus und setzte hinzu: Wenn es Ihnen übrigens mit Ihrer Herüberkunft kein Ernst sein sollte, dann wäre es mir lieb, wenn Sie mir ein solches anzeigten, da noch verschieden Ärzte hierhin ziehen zu wollen mir bereits mitgetheilt und ich denselben als dann bescheiden könnte.

Und Ridder war sich nicht zu schade zu schreiben: Noch immer ist es mein Wille, mich dort als Arzt hinzubegeben, nur verschiedene Umstände und Familienverhältnisse verhindern mich daran. – Meine Abreise von hier würde ich beschleunigen können, wenn ich eine gewisse Zulage durch Subscription der wohlhabenden Gemeindeglieder erhielt. Sobald als es mir nur möglich wird, werde ich herübereilen.

Köhler verliert die Geduld

Im November, der Abgang des Olfener Arztes stand wohl kurz bevor, versicherte Ridder, bald möglichst umzuziehen. Aber dann kam ihm noch ein neuer Gedanken und er fragte bei Köhler an: Wo/Wieso es eigentlich für einen praktischen Arzt am besten sei, zu Borck, oder zu Olfen? Olfen ist vielleicht der Mittelpunkt von benachbarten Oertern. Köhler schienen diese Fragen eine Weile die Sprache verschlagen zu haben, denn er reagierte erst einmal nicht. Und Ridder bemerkte die Stimmungsverschlechterung. In seinen folgenden Bitten um Antwort räumte er ein, dass der Bürgermeister vielleicht denke, was kann es nutzen, dem Dr. zu schreiben, er will hier kommen und kömmt doch nicht. Und damit lag er sehr richtig. Inzwischen hatte der Bürgermeister sich beim Landrat erkundigt, ob der junge Arzt aus Drensteinfurt, von dem der Landrat bei seinem letzten Besuch gesprochen hatte, zu einer Niederlassung in Bork zu bewegen sei. Als Köhler in seinem Brief an Ridder im Dezember den am Horizont erschienen Konkurrenten erwähnte, wurde es dem Doktor zu brenzlig. In kurzen Abständen kündigte er sein Kommen an: Mitte Dezember hieß es bald möglichst, am 10. Januar 1834 nannte er den 24. des Monats. Und am 6. Februar beehrte sich Bürgermeister Köhler bei dem Landrat gehorsamst anzuzeigen, daß der Doktor in Bork angekommen sei. Zwei Tage später teilte Köhler den Borkern mit: Herrn Ridder Doctor der Medicin, Chiurg und Geburtshelfer hat nunmehr sein Domicil dahier im Dorfe Borck genommen, welches sämmtlichen Eingesessenen hierdurch zur Nachricht bekannt gemacht wird.

3.

Juni 2018
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[1] Amts-Blatt der Königl. Regierung zu Münster. Nro. 44, Münster, den 29. Oktober 1831, S. 408. https://sammlungen.ulb.uni-muenster.de.
[2] und die folgenden Zitate: StA Selm, AB-1 – 491.

 
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