Es ist nicht so leicht, eine Schule zu bauen
Christel Gewitzsch
Der Gastwirt und Bauunternehmer ad hoc Melchers aus Selm erhielt im Juni 1834 vom Bürgermeister Köhler die Nachricht über den Zuschlag für den Neubau der Selmer Schule. Für 2.860 Taler wollte Melchers den Neubau errichten und nun solle er zügig, so der Bürgermeister, mit den nöthigen Vorkehrungen ... beginnen.[1] Aber anstatt nach Ablauf einer angemessenen Bauzeit das neue Gebäude beziehen zu können, musste sich die Gemeinde Selm 1837 um die Anmietung von Schulzimmern in Gastwirtschaften bemühen, weil im Revisions-Protokoll des Bauinspektors Teuto erhebliche Mängel aufgelistet worden waren, die erst einmal abgestellt werden mussten.
Die Abteilung des Innern der Königlichen Regierung in Münster bezweifelte offensichtlich die dazu nötigen Fähigkeiten des Unternehmers Melchers und empfahl ihm, den Bau-Conducteur Crone wegen der Beseitigung der Schäden zu Rate zu ziehen. Verpflichten wollte sie ihn dazu nicht, kündigte aber an, sehr streng darauf zu achten, daß jene Baumängel in der Ihnen vorgeschriebenen Art und ohne allen fernern Verzug beseitigt werden.
Mängelliste
Auf der vom Landrat geführten Gemeinderats- und Schulvorstandssitzung vom 9. August 1837 berieten die Mitglieder über die Maßnahmen, die gegen den Unternehmer eventuell zu treffen seien, falls es zu keiner gütlichen Einigung mit ihm kommen sollte. Gemeinsam gingen sie das Revisionsprotokoll Punkt für Punkt durch und forderten für insgesamt neun Baumängel schnelle Abhilfe. Das Dach mit dem Dachstuhl musste in kürzester Frist angefertigt werden; untaugliche Balken und schadhafte Decken in den Schulstuben mussten ausgetauscht werden; die vier Ecken des Gebäudes benötigten einen stärkeren Verbund durch eiserne Anker; der Bewurf von Mauern musste entfernt, die Mauern verfugt und der Bewurf erneuert werden; Treppen und Flure waren noch gar nicht hergestellt und an der Schornsteinröhre und den Dachrinnen waren Nacharbeiten nötig.
Die Abnahme dieser Maßnahmen sollte wieder einem königlichen Baubeamten übertragen werden und alle zusätzlichen Kosten zu Lasten des Unternehmers gehen, der sich auch verpflichten musste, für alle Mängel zehn Jahre zu haften. Melchers erklärte sich mit allen Vorschlägen einverstanden und versprach deren Erfüllung.
Im September stimmte die Königliche Regierung diesem Übereinkommen zu und ergänzte, beziehungsweise konkretisierte es in einigen Punkten. Besonderen Wert legte sie darauf, dass das Dach und die anderen Reparaturen vor Beginn des Winterkurses am 15. Oktober fertigzustellen seien. Dazu aber fühlte sich der Unternehmer nicht in Lage. Den „schwarzen Peter“ wollte er der Behörde zuschieben, da es über einen Monat gedauert hatte, bis aus Münster die Genehmigung für die Reparaturen eintraf. Die Arbeiten an den Mauern könnten deshalb vor dem Winter nicht mehr genügend austrocken, doch versprach er, alle Arbeiten bis Ende Mai des nächsten Jahres zu erledigen.
Kontrolle ist gut
Die Regierung schien zwar der Verschiebung des endgültigen Termins zugestimmt zu haben, doch traute sie inzwischen auch dem Schulbau-Management im Amte Bork nicht mehr sehr viel zu und beauftragte den Landrat im November 1837, sich höchstpersönlich vom Fortschritt der Arbeiten zu überzeugen. Der fand Regenwasser in den Schulzimmern und der Wohnstube, eine nicht fertiggestellte Treppe zum Boden und nur teilweise bedachte Stallungen. Landrat Schlebrügge handelte unverzüglich. Er beauftragte den Maurer Lippelt mit einigen Arbeiten am Dach und am Giebel und wies Melchers an, die Treppe nach oben abzuschließen und in den Schweinestall einen anderen Boden zu legen. Den Bürgermeister verpflichtete er zur Überwachung dieser Maßnahmen und rügte dessen Arbeit, indem er schrieb: Es gereicht Ihnen übrigens zum Vorwurfe, daß Sie nicht gehörige Kenntniß von dem Zustande des Schulgebäudes genommen und längst eingeschritten sind und solches in wohnlichem Zustande zu erhalten.
Den Vorwurf wollte Köhler nicht unwidersprochen hinnehmen. Zweimal schon habe er versucht, die Arbeiten für die Instandsetzung des Stalles und der Treppe zu vergeben, doch sei bei den Vergabeterminen niemand erschienen. Das Dach und der Boden des Stalles seien inzwischen fertig gestellt und auch die anderen Arbeiten seien in die Wege geleitet.
Melchers schafft es nicht
Der Monat Mai 1838 ging ins Land und die Arbeiten an der Selmer Schule waren nicht – wie zugesagt – abgeschlossen. Im Juli des Jahres schien auch der Gastwirt einzusehen, dass er sich mit der Annahme dieser Aufgabe übernommen hatte. Mit dem Maurermeister Lippelt aus Selm und dem Schreinermeister Heinrich Krutvage aus Ottmarsbocholt schloss er Verträge zur Fertigstellung des Schulgebäudes. Im Vertrag mit Krutvage war als Endtermin für die Arbeiten der 1. September aufgenommen, weshalb der Schreinermeister den Vertrag auch nur unter Vorbehalt unterschrieb. Er war sich nicht sicher, ob ihm nicht von Seiten Melchers noch Hindernisse in den Weg gelegt werden konnten und meldete deshalb vorsorglich eine Terminverlängerung bis zur Mitte des Monats an.
Im August wiederholte der Landrat seinen Kontrollbesuch und musste feststellen, dass noch keine Hand ans Werk gelegt worden war. Wieder feuerte er den Bürgermeister zu erhöhten Aktivitäten an, der dann auch beim Meister Krutvage anfragte, wann er zu Selm eintreffen und mit der Reparatur beginnen werde. Am 29. August 1838 fing Krutvage mit der Arbeit an, Melchers war für diese Verzögerung jetzt nicht mehr verantwortlich, und Bürgermeister Köhler versprach dem Landrat für Anfang Oktober ein fertiggestelltes Dach und den Beginn der weiteren Maurerarbeiten.
Abnahme und Abrechnung
Am 30. November 1839, fast viereinhalb Jahre nach der Auftragsvergabe, konnte der Bauinspektor Teuto melden, dass die von ihm vorgenommene Revision des Schulbaus zu seiner vollständigen Zufriedenheit verlaufen sei. Der Zimmermeister Krutvage habe alle Arbeiten gut ausgeführt und das vorgeschrieben Holz verwendet.
Nun stand noch die Schlussabrechnung an. Das damalige Gebot Melchers hatte sich auf 2.860 Taler belaufen und nach der Berechnung des Landratsamtes kamen dem Bauunternehmer für die Errichtung der Schule 2.801 Taler zu. Silbergroschen und Pfennig bleiben hier unbeachtet. An Abschlagsgeldern waren ihm im Laufe der Jahre 2.060 Taler in bar gezahlt worden, rund 430 Taler mussten Melchers wegen der Beseitigung der Mängel in Rechnung gestellt werden, so dass dem Bauunternehmer und Gastwirt noch 311 Taler zustanden. Mit den abschließenden Anweisungen an den Gemeinde-Empfänger Lange konnte das Projekt „Schulneubau in Selm“ beendet werden.
Juni 2016
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[1] und alle folgenden Zitate: Stadtarchiv Selm, AB-1 – 252.