Immer diese Kühe!
Christel Gewitzsch
Die Notwendigkeit einer Feld-Polizei-Ordnung[1]
Sicherheit der Flur – ist die Seele der Kultur,[2] ein Sprichwort, dem nicht mehr genügend Beachtung geschenkt wurde, dem die Verwaltung keine Taten folgen ließ, so klagten die Landwirte Anfang des 19. Jahrhunderts. Eine Feldpolizei müsse her, sonst wäre der Staat selbst in seinen Fundamenten erschüttert.[3]
Das Landeskultur-Edikt von 1811 enthielt das Versprechen, Beschädigungen von Feldern und Wiesen, Baumfrevel und Felddiebstähle in Zukunft strenger zu bestrafen, doch nach der Veröffentlichung der Gemeinheits-Theilungs-Ordnung von 1821 herrschte bei den Regierungen die Ansicht vor, den Behörden genügend Mittel an die Hand gegeben zu haben, für die Sicherheit der Flur zu sorgen.
Um die Mitte des Jahrhunderts erschienen die Regelungen als nicht mehr ausreichend und der Erlass einer Feld-Polizei-Ordnung wurde geplant. Diese trat am 1. November 1847 dort in Kraft, wo das Allgemeine Landrecht galt, ergänzt wurde sie durch Instruktionen vom 1. Juli 1856 und Entscheidungen des Königlichen Ober-Tribunals.
Vergehen im Bereich des Amtes Bork:
Overmann gegen Cirkel
Die Akte, die über Vergehen gegen diese Ordnung im Amt Bork angelegt wurde, beginnt 1852 mit einer Anzeige des Kolon Jobst Overmann aus Hassel gegen den Kaufmann Ludwig Cirkel.[4] Dieser habe mehr als die ihm zustehenden zwei Fuder Roggen von einem Acker des Overmann genommen, außerdem ein anderes seiner Grundstück ohne Erlaubnis befahren und einen Plaggen- und Düngerhaufen darauf gesetzt. Der Kolon forderte eine Bestrafung und die Verhängung eines sogenannten Pfandgeldes von insgesamt zwei Talern und zwanzig Silbergroschen und bezog sich dabei auf Paragrafen der Feld-Polizei-Ordnung.
Die Anzeige des Overmann auf dem Borker Amtsbüro fand eine schnelle – ob nur vorübergehende wird nicht ersichtlich – Erledigung. Ludwig Cirkel gab an, Pächter des fraglichen Ackerlandes zu sein und zum Plaggenhieb die Erlaubnis des Overmann zu besitzen. Falls dieser Forderungen an ihn stelle, müsse er die Gerichte bemühen.
Mit dem Pfandgeld hat es Folgendes auf sich. Wenn ein Tier auf einem fremden Grundstück angetroffen wurde, konnte es gepfändet und mit dem Pfandgeld ausgelöst werden. Aber auch ohne eine vollzogene Pfändung wurde die Zahlung fällig. Das Pfandgeld sollte Schadensersatzforderungen überflüssig machen. Der Beschädigte behielt aber weiterhin das Recht, einen vollen Ersatz seines Schadens zu fordern, einschließlich der vielleicht anfallenden Kosten für einen vereidigten Taxator.
Das Pfandgeld hing von der Größe des Tieres und der Art des fremden Grundes ab. Der Schaden auf einem bepflanzten Acker fiel danach höher aus als auf Wegen, Plätzen oder Dorfstraßen. Für ein Stück Federvieh betrug der geringste Tarif drei Pfennige, für ein Pferd der höchste Satz zwanzig Silbergroschen. Bei mehreren Tieren durfte beim Federvieh der Gesamtbetrag von zwei Talern und bei Pferden u. ä. der von zwanzig Talern nicht überschritten werden.
Verschiedene Verstöße
Insgesamt 19 Fälle sind – in sehr unterschiedlicher Ausführlichkeit - auf 15 Jahre verteilt in der Akte aufgeführt. Die Anzeigen dafür gingen fast alle von den Geschädigten aus. Je einen Vorfall meldeten der Gendarm Schmidt aus Olfen und der Selmer Polizeidiener Glowsky. Bei fast der Hälfte der Verstöße ging es darum, dass Kühe auf fremdem Grund grasten oder auf Äcker und Felder ausbüxten, weil Hüter oder Treiber nicht gut genug aufgepasst hatten. Aber auch Pferde, Schafe und Schweine holten sich ihr Futter auf verbotenem Terrain.
Einmal beschwerte sich ein Grundstücksbesitzer darüber, dass sein Feldnachbar die Grenzen zwischen den Grundstücken verändert hätte. Eine Lokalbesichtigung zwischen Bork und Hassel wurde angeordnet, bei der man zu einer schnellen Einigung kam. Was übrigens bei einigen Verstößen der Fall war. Die Strafen wurden in den überwiegenden Fällen akzeptiert, manchmal ein bisschen nachverhandelt. Ein anderes Mal verzichtete der Amtmann auf eine Bestrafung, weil kein Vorsatz zu erkennen war, bei einer Wiederholung würde die gesetzliche Strafe aber verhängt werden. Und der Gutspächter Wilhelm Brüning erließ Heinrich Homann aus Westerfelde die Strafe für zwei auf seinem Haferfeld weidende Kühe, wenn Homann das Pfandgeld von einem Taler und zehn Silbergroschen sofort bezahlte. Ein Verstoß wegen zu schnellen Fahrens auf dem Fußweg von Bork nach Selm wurde nach Paragraf 344 des Strafgesetzbuches mit einer Geldstrafe von einem Taler belegt, die der Verurteilte nicht bezahlte, weshalb er für 24 Stunden vom Polizeidiener Aswerns in das Gefängnis zu Bork gebracht wurde.
Kemmler gegen Klausing
Manchmal drängt sich allerdings auch der Eindruck auf, dass die Besitzer von Grund und Boden schnell einen Taler nebenbei verdienen wollten. Der Tagelöhner Heinrich Marks, genannt Kemmler, aus Wethmar trug zum Beispiel vor, der Schäfer Caspar Klausing, im Dienste des Kolon Wienke stehend, habe eine Schafsherde von 115 bis 120 Tieren auf sein an der Lüner Heide gelegenes, mit Rüben bestandenes Ackergrundstück geführt und dort Schaden angerichtet. Vom Beklagten wurde dies bestritten. Er habe keineswegs die Herde auf den Acker geführt, allerdings seien acht bis zehn Schafe übergetreten, als er sich um ein krankes Tier kümmern musste. Sofort habe er sie zurückgeholt und ein Schaden sei dabei nicht entstanden. Der als Zeuge vom Kläger benannte Knecht Carl Korf hatte von dem ganzen Vorfall gar nichts mitbekommen. Er habe zwar auf dem besagten Feld Rüben ausgesät, aber ob dort welche gewachsen seien, könne er nicht angeben. Er wisse nur noch, dass der Kläger ihn ersucht habe, den Verklagten aufzufordern sich mit ihm zu vertragen. Nachdem der Schäfer seine Absicht bekundet hatte, die Angelegenheit vor Gericht klären zu lassen, konnten die Kontrahenten sich doch noch einigen. Für einen Scheffel Roggen zog Kemmler seine Anzeige zurück.
Osterhaus gegen Auerbach
Den umfangreichsten Vorgang in dieser Akte löste die Anzeige des Schulzen Osterhaus aus Selm gegen den Kaufmann Selig Levy Auerbach zu Lüdinghausen aus. 14 Kühe des Kaufmanns wären in sein Roggenfeld übergetreten als diese zur Weide getrieben werden sollten. Insgesamt sieben Zeugen wurden zu diesem Vorfall vernommen, die alle versicherten, dass dies nicht der Fall gewesen sei. Es mag mal die eine oder andere Kuh vom Wege abgekommen sein, die Felder des Osterhaus seien weder durch Hecken noch durch Gräben gesichert, doch hätten die Hirten sie gleich wieder auf den Weg zurückgetrieben, so dass nur ein ganz geringer Schaden entstanden sein könne. Bork verurteilte den Kaufmann zu einem Pfandgeld von fünf Talern, worauf dieser Beschwerde einlegte. Die Regierung in Münster hob den Beschluss des Amtmanns auf, weil kein Verschulden der Treiber vorlag, und die Thatsache des Uebertretens allein, den Anspruch auf Zahlung des Pfandgeldes nicht begründet.
Kinder als Hirten
Der Paragraf 3 der Feld-Polizei-Ordnung lautet: Wer sein Vieh anders, als unter der Aufsicht eines hierzu tüchtigen Hirten zur Weide gehen oder außerhalb eingefriedigter Plätze weiden läßt, soll mit Geldbuße von fünf Silbergroschen bis zu drei Thalern bestraft werden.[5] Welche Befähigungen ein tüchtiger Hirt mitbringen muss, wird nicht näher festgelegt, weil die Anforderungen je nach Situation sehr unterschiedlich sein können. Als der Polizeidiener Glowsky im September 1851 auf der Amtsstube meldete, dass die Kinder des Schneiders Blume aus Selm, Franz und Elisabeth, zum wiederholten Male mit zwei Kühen im Landwehrgraben von Selm nach Lüdinghausen angetroffen worden waren, bezog man sich aber nicht auf diesen Paragrafen. Obwohl der Vater selbst das Alter der Kinder – sie waren sieben und elf Jahre alt – als Entschuldigungsgrund für die polizeiliche Übertretung anführte und bat, deshalb von einer Bestrafung abzusehen, verhängte der Amtmann nur die auch sonst übliche Geldbuße und das Pfandgeld in Höhe von insgesamt 25 Silbergroschen. Bei Zahlungsunfähigkeit wäre auch in diesem Fall eine Gefängnisstrafe von einem Tag fällig; für den Vater natürlich, nicht für die Kinder.
Oktober 2015
______________________________
[1] Mehr über die Polizeiarbeit im Amt Bork von 1815 bis 1866 unter: Christel Gewitzsch, Ruthenhiebe und Lebenshülfe, Selm 2014.
[2] Hazzi, Ueber Feldpolizei als Grundfeste der Landwirthschaft, München 1831, S. 1. - google books.
[3] Hazzi, ebenda, S. 1f.
[4] StA Selm, AB-1 – 412, und alle folgenden Zitate.
[5] C. Hahn (Hg.), Die Feld-Polizei-Ordnung vom 1. November 1847, Breslau 1864, S. 3. - http://resolver.staatsbibliothek-berlin.de/SBB000074B700000000