aktenlage
Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686

Feuchtfröhliches Beisammensein

Die Gesellschaften „Zur grünen Eiche“ und „Erholung“ und der Verein „Germania“

Christel Gewitzsch

Einen Mangel an Vereinen, in denen sich die Eingesessenen des Amtes Bork im 19. Jahrhundert treffen und engagieren konnten, gab es nicht. Ob zu wohltätigen, sportlichen, patriotischen, künstlerischen oder sonstigen Zwecken, für jeden schien etwas zu finden zu sein. Dennoch beschlossen einige Herren in Cappenberg am 12. August 1894 eine weitere Gründung, nämlich die der geschlossenen Gesellschaft „Zur grünen Eiche“.

Der Zweck der Gesellschaft sollte laut Satzung sein, den Mitgliedern gesellige Zusammenkünfte und Erholung im Kreise gleichgesinnter Freunde und Bekannte zu gewähren, indem sie unter sich verkehren und diejenigen Personen davon fern halten, die ihnen nicht zusagen.[1] Politische oder religiöse Absichten wurden ausdrücklich verneint. Mitglied konnten Männer ab dem 18. Lebensjahr werden, die im Vollbesitz der bürgerlichen Ehrenrechte waren. Lehrlinge blieben ausgeschlossen.

Es war geplant, für die Treffen ein Lokal anzumieten, das den Mitgliedern zu jeder Zeit offenstand. Zur Bewirtschaftung des Treffpunkts wurde ein Kastellan eingestellt, der Speisen und Getränke ausgab und Schriften und Zeitungen auslegte. Diese Aufgabe übertrug der Vorstand seinem Mitglied Anton Heuser, der für das erste halbe Jahr eine Vergütung von fünfzig Mark erhielt. Die Mitglieder zahlten als Eintrittsgeld 25 Pfennige. Wenn nötig, war die Generalversammlung berechtigt, einen regelmäßigen Mitgliedsbeitrag einzuführen. Eintritt ins Lokal hatten auch die Leute, die sich an einer Aufnahme interessiert zeigten, solange nicht ein Mitglied Einspruch dagegen erhob.

Neben dem vierköpfigen Vorstand (Präses H. Heuser, Stellvertreter Th. Klönne, Kassierer W. Steinmeyer, Schriftführer Anton Heuser) und weiteren zwölf Mitgliedern der ersten Stunde traten der Gesellschaft bis zum 2. September 1894 sechzig neue Mitglieder bei. Bis Anfang Dezember stieg die Zahl auf 161 und in den ersten beiden Monaten des folgenden Jahres kamen noch 19 Männer hinzu. Die Anmeldung konnte mündlich oder schriftlich erfolgen. Der Name des Neuen wurde auf der im Lokal aushängenden Tafel vermerkt, doch musste sich das Neumitglied in der nächsten Vorstandssitzung noch einer sogenannten Ballotage unterziehen, einer geheimen Abstimmung mit weißen oder schwarzen Kugeln.

Der schnelle Anstieg der Mitgliederzahlen zeigt, dass die Initiatoren mit der Gründung die Bedürfnislage vieler Eingesessener richtig eingeschätzt hatten. Warum musste sich der Vorstand dann in der Sitzung vom 3. März 1895 mit der Absicht der Borker Polizeibehörde befassen, die hiesige geschloßene Gesellschaft „Zur grünen Eiche“ ohne Weiteres aufzuheben?

Es bestand das Recht, sich zu Gesellschaften zu vereinigen, wenn dabei nicht gegen Strafgesetze verstoßen wurde. Politische Vereine mussten mit Beschränkungen und Verboten rechnen. Die Amtmänner sollten das Vereinsleben in ihren Bezirken kontrollieren. Und Amtmann Busch in Bork hatte im Fall der „Grünen Eiche“ wohl erhebliche Bedenken.

Der Vorstand des Vereins vermutete zwei Gründe für dieses Misstrauen. Die Behörde könnte annehmen, die Gesellschaft betätige sich politisch oder sie betriebe eines der sogenannten Schnaps-Kasinos. Beides wies man weit von sich.  Im Protokollbuch der Gesellschaft liest sich das so: Die hiesige Gesellschaft ist nicht zu Gunsten ihres Administrators simuliert sie ist vielmehr eine erlaubte Privatgesellschaft und steht auf denselben Grundlage[n] wie die in Werne a/d Lippe bestehende geschlossen Gesellschaft. In Werne sei sogar Bürgermeister Thiers der Leiter der Gesellschaft und jedermann hätte Zugang zu den Treffen.

In Cappenberg erklärte man selbstbewusst, allen polizeilichen Vorschriften Genüge getan zu haben. Die Gründung sei pünktlich angezeigt worden und auf die Frage nach der Verpflichtung zu weiteren Formalitäten habe man keine Antwort erhalten. Das Protokoll der Sitzung sollte der Polizeibehörde in Bork zugeschickt werden, mit der Bitte, von dem beabsichtigten Vorgehen gegen die hiesige Gesellschaft geneigtest Abstand nehmen zu wollen, da sie – es wird nochmals ausdrücklich betont – kein Schnapskasino bildet, in welchem politische Gegenstände in specie socialdemokratische Agitationen erörtert werden. Falls die Auflösung der Gesellschaft dennoch betrieben würde, sollte der Vorsitzende bis in die höchstzulässige Instanz dagegen vorgehen.

Der Verweis auf mögliche sozialdemokratische Propaganda kam nicht von ungefähr und die erhöhte Aufmerksamkeit der Polizeibehörden hinsichtlich der Schnaps-Kasinos erscheint damit hinreichend erklärt. Die Arbeiterkolonien in den Industriegemeinden des Ruhrgebiets lagen in den Anfängen in den Randlagen, die Wege zur nächsten Kneipe waren entsprechend lang. Sich nach der Schicht in der Wirtschaft zu treffen, engen Wohnverhältnissen zu entkommen, Feste zu feiern, zu klönen und die Welt zu regeln gehörte zum sozialen Leben. Der Mangel an nahegelegenen Wirtschaften, die ungünstigen Öffnungszeiten für Schichtarbeiter und die Getränkepreise beförderten die Idee, sich durch die Gründung der geschlossenen Gesellschaften eigene Treffpunkte zu schaffen. Die angemieteten Räume wurden auch für Treffen der Gewerkschaften und der SPD genutzt. Die Partei klagte, daß sie nur mit Mühe Räume für die Versammlungen bekäme und daß ‚die Wirte, die den Sozialdemokraten ihre Säle zu Versammlungen hergeben, über Nachteile durch die Behörden klagen‘.[2] In den Schnaps-Kasinos fand sie Aufnahme, obwohl sie sich andrerseits nicht generell für diese Treffpunkte stark machte, da sie fürchtete, die Konsumgesellschaften durch sie in Misskredit zu bringen.

Prozesse

Amtmann Busch, im Kampf gegen die Roten in anderen Fällen durchaus engagiert, sah in der Cappenberger Gründung wohl nicht so sehr einen politischen als einen wirtschaftlichen Hintergrund. Für Maßnahmen gegen die Gesellschaft besorgte er sich die entsprechende Rückendeckung. Am 29. Januar 1895 beauftragte ihn das Landratsamt, gegen den Heuser zu Cappenberg bezw. das in dem Hause desselben vorhandene Schnapskasino sofort vorzugehen und über das Ergebniß der polizeilichen Maßregeln binnen 14 Tagen zu berichten. Wenn Busch einen unerlaubten Schankbetrieb vor sich hatte, konnte er die Mittel des unmittelbaren Zwanges androhen, wie z.B. Schließung des Schanklocals, Wegnahme der Schankutensilien u.s.w., auch wenn ein Freispruch eines Schöffengerichtes vorlag.

Und so einen Freispruch errang auch die Cappenberger Gesellschaft beim Schöffengericht in Lüdinghausen am 31. Juli 1895. Die Staatsanwaltschaft ging in die Berufung. Die nächste Verhandlung in der Strafsache gegen den Anstreicher und Händler Anton Heuser zu Uebbenhagen wegen Gewerbevergehens fand am 18. Dezember 1895 im Landgericht in Münster statt. Unter der Leitung des Landgerichtsdirektors Dr. Büscher wurde das Lüdinghauser Urteil aufgehoben und Anton Heuser zu einer Geldstrafe von 62 Mark wegen Vergehen gegen die Gewerbeordnung und Übertretung des Gewerbesteuergesetzes verurteilt.

In der Urteilsbegründung erfuhr man, dass Anton Heuser um die Konzession für eine Schankwirtschaft nachgesucht hatte. Erst als diese abgelehnt worden war, schritten die Beteiligten zur Gründung der Gesellschaft. Ob die Gründer von vorherein einen illegalen Schankbetrieb betreiben wollten, erschien dem Gericht als unerheblich. Dass der gewählte Kassierer Wilhelm Steinmeyer, ein in Lünen ansässiger Kaufmann, nur zufällig bei der Gründung anwesend war, im Uebrigen an dem Bestehen der Gesellschaft kein Interesse hatte, kam den Richtern schon verdächtig vor. Jeder Besucher des Lokals, so stellte es sich bei der Beweisaufnahme heraus, ob Mitglied oder nicht, erhielt Getränke zu den üblichen Wirtshauspreisen. Des Scheines halber mußten Nichtmitglieder zwar sich in ein Buch, das das Mitgliederverzeichniß der Gesellschaft enthielt, eintragen. Dieses Einschreiben wurde jedoch lediglich als Formlichkeit behandelt, was daraus hervorgeht, daß die Unterzeichner gar nicht die Absicht hatten, die Mitgliedschaft zu erwerben.

Schornsteinfegermeister Gersdorf, Holzschuhmacher Giesenkemper, Landbriefträger Brackelheyer und ein Dahlkamp bestätigten diese Praxis. Ein Eintrittsgeld, wie es die Satzung vorsah, mussten sie nicht zahlen. Der Erlös aus dem Getränkeverkauf blieb beim Angeklagten, er wurde nicht in die Gesellschaftskasse abgeführt.

Somit betrieb Heuser die Schankwirtschaft als ein Gewerbe, für das er keine polizeiliche Genehmigung hatte. Der gesetzlichen Verpflichtung, dieses steuerpflichtige Gewerbe anzumelden, war er nicht nachgekommen. Die Regierung hatte vor dem Prozess in Bork angefragt, wie hoch ... der gewerbesteuerpflichtige Gewinn des Anstreichers Heuser Cappenberg pro 1894/95 aus den Gewerbebetrieben einschließlich Schankwirtschaft gewesen war und als Antwort den Betrag von 1.500 Mark genannt bekommen. Nach diesem Betrag bemaß sich die Strafe. Die Jahressteuer darauf betrug 31 Mark und da der Angeklagte bisher noch nicht straffällig geworden war, verurteilte das Gericht ihn zur Zahlung des doppelten Betrages.

Rückfälle

Das Urteil vom 18. Dezember 1895 beeindruckte Heuser nicht nachhaltig. Im folgenden Februar meldete Amtmann Busch dem Landrat drei neue Verstöße wegen Gewerbevergehens. Er kündigte an, an einem der nächsten Samstage gemeinsam mit dem Gendarm das Lokal einer unerwarteten Revision unterziehen zu wollen. Im März erhielt Heuser dann folgenden Brief des Amtmanns:
Da Sie trotz erfolgter Bestrafung den unerlaubten Betrieb des Schankgewerbes fortzusetzen scheinen, so verwarne ich Sie hierdurch mit dem Bemerken, daß die weitere Fortsetzung des Betriebes event. durch Anwendung unmittelbaren Zwanges verhindert werden wird.

Die Kontrollen und die erneuten Anzeigen änderten Heusers Verhalten. Im Juni berichtete Busch dem Landrat, daß Heuser auf die diesseitigen Verwarnungen hin, daß Schnaps-Casino bereits seit Mitte März d. Js. vollständig eingestellt habe.

Zwei weitere Gesellschaften

In Selm hatten sich in den späten 60er und frühen 90er Jahren zwei weitere Gesellschaften, genauer eine Gesellschaft und ein Verein, gebildet, die in den Verdacht geraten konnten, so etwas ähnliches wie ein Schnaps-Kasino zu sein. Die Gesellschaft „Erholung“ hatte beim Handelsmann Heinrich Sander zwei Zimmer mit Küche und Keller angemietet, die zu jeder Zeit geöffnet waren. Der Vorstand besorgte Getränkte und Zeitungen. Die Getränke durften, wie bei den anderen beiden Gesellschaften, auch mit nach Hause genommen werden. Die Mitgliederzahl war unbeschränkt, auch Auswärtige hieß man willkommen, doch konnten nur solche Personen in die Gesellschaft als Mitglieder aufgenommen werden, gegen deren moralische und untadelhafte Führung nichts zu erinnern war. Freunde von Mitgliedern hatten ebenfalls Zutritt, doch mussten sich sowohl die Eingeladenen als auch die Einlader in das Fremdenbuch eintragen. Als wirklich „geschlossene Gesellschaft“ konnte die Versammlung nicht angesehen werden.

Probleme mit den Behörden gab es trotzdem nicht. Das mag an dem angegebenen Zweck der Gesellschaft gelegen haben, der darin bestand, sich zu Berathungen über Oeconomie und die hierin zu erzielenden Verbesserungen zusammenzufinden. Außerdem schienen die 48 Namen auf der eingereichten Mitgliederliste die Beschäftigung mit dem Thema glaubhaft zu machen.

1894 erteilte Amtmann Döpper dem Verein „Germania“ in Selm die Bestätigung. Der Vereinsvorstand versprach, das in Selm schwer darniederliegende gesellschaftliche Leben zu pflegen und zu fördern. Die Mitglieder trafen sich in einem separaten Zimmer beim Gastwirt Stodt. An der Zimmertür sollte ein Schild „geschlossene Gesellschaft“ angebracht werden, doch konnten Mitglieder auch hier Freunde mitbringen. Man wollte sich alle 14 Tage donnerstagabends zum gemütlichen Beisammensein treffen, wobei Themen aus Politik und Religion außen vor bleiben sollten. Bei der Auflösung des Vereins ging laut Satzung das Vermögen an würdige Arme.

Neben dem Vorsitzenden und seinem Stellvertreter, dem Schriftführer und Stellvertreter, dem Rendanten, drei Beisitzern und drei Rechnungsräten unterschrieben den Gründungsantrag weitere zehn Mitglieder. Auch in diesem Fall ist kein Misstrauen von Seiten der Behörde ausgesprochen worden. Eine weitere Korrespondenz über die Aktivitäten dieser Gruppe gibt es nicht.

April 2021
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[1] und folgende Zitate: Stadtarchiv Selm, AB-1 – 399.
[2] Jürgen Reulecke, Wolfhard Weber (Hg.), Fabrik, Familie, Feierabend, Wuppertal 1978, S. 161.


 
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