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Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686

Feuergefährlich: Rauchen und Streichhölzer

Dieter Gewitzsch

Die preußische Verwaltung hatte sich zur Pflicht gemacht, der Bevölkerung von Zeit zu Zeit oder aus gegebenem Anlass Verordnungen ins Gedächtnis zu rufen. Es entwickelte sich eine Routine, nach der seitens der Regierung zunächst die Landräte adressiert wurden, die ihrerseits Bürgermeister und Amtmänner beauftragten, die jeweilige Botschaft unters Volk zu bringen.

Im April 1824 ging es um das Tabakrauchen. Die Bezirksregierung erinnerte an die nicht aufgehobene Verordnung vom 31ten August 1815, nach der das Tabackrauchen in Städten und Dörfern auf den Straßen, Märkten und öffentlichen Plätzen bei 2 Thaler [Strafe] verbothen war. Landrat Schlebrügge wies den Borker Bürgermeister Köhler an, eine öffentliche Bekanntmachung zu erlassen und beim Eingange der Dörfer, vor den Kirchengebäuden ... mit dem Zusatze anzuheften, daß dem Denuncianten die Hälfte der Strafe gebührt. Köhler verfasste einen entsprechenden Text, ließ ihn mehrmals abschreiben und durch Pfarrer und Polizeidiener veröffentlichen.[1]

Bekanntmachung

Stadtarchiv Selm, AB-1 Nr. 462

Zufolge Verfügung Hochlöblicher Regierung wird die Verordnung vom 31ten August 1815 wornach das Tabackrauchen in den Dörfern, Scheunen, Ställen oder sonst Feuergefährlichen und öffentlichen Plätzen bei 2 Thaler verbothen ist, hierdurch mit dem Bemerken in Erinnerung gebracht, daß nicht nur die Gensdarmerie und Polizeydiener sondern auch jeder sonstiger Denunciant die Hälfte der Strafe erhält.
B. d. 23ten April 1824
d.Brgmstr
Kr (Köhler)

Tabak wurde zu der Zeit fast ausschließlich in Pfeifen geraucht und Köhler hatte schon zwei Jahre zuvor die Pfeifenraucher angesprochen und erklärt, dass diejenigen, die auf offener Straße oder in den Ställen oder an sonst Feuergefährlichen Stellen mit offener Pfeife angetroffen werden, ohne alle Nachsicht bestraft würden.

Jetzt sollte der Bürgermeister an eine Verordnung erinnern, die im August 1815 in Paris erlassen wurde. Der preußische König hatte sich damals in die französische Hauptstadt begeben, um den Übermut der preußischen Soldaten zu zügeln. Napoleon war besiegt, aber für Friedrich Wilhelm III. blieb unbestimmt, „welche Maaßregeln ... zu ergreifen seyn werden, um eine dauerhafte Ruhe für Europa zu sichern“. [2] Der König fand in Paris eine politisch völlig verfahrene Situation[3] vor. Auf der internationalen Agenda stand die Vorbereitung des (2.) Pariser Friedens und obendrein brachte Zar Alexander den österreichischen Kaiser und den preußischen König dazu, ein von ihm aufgesetztes Dokument zur Gründung der Heiligen Allianz zu unterschreiben.[4] Für einige Zeit fand neben diesen Großereignissen auch die „normale“ Regierungstätigkeit in Paris statt und so korrigierte Friedrich Wilhelm III. dort ein Edikt seines Großonkels (Friedrich II. 1712-1786) aus dem Jahre 1764.[5]

Rauchen ist feuergefährlich

Tabak rauchen war in Preußen nicht verboten, auch der Anbau der Pflanze war erlaubt, wurde aber besteuert. Gesundheitliche Bedenken gab es zu der Zeit ebenso wenig wie moralische oder sittliche Vorbehalte, aber Rauchen war Gebrauch von Feuer und damit durfte man nicht leichtfertig hantieren. Verordnungen wider das unvorsichtige und gefährliche Tabackrauchen gab es schon 1717, also zur Zeit Friedrich Wilhelms I. des „Soldatenkönigs“ (1688-1740), der u.a. für das von ihm veranstaltete Tabakskollegium bekannt wurde. Spätere Verordnungen benannten die Orte – in den Heiden (1726) oder in den Mühlen (1764) – an denen nicht geraucht werden sollte und verboten den Tabakgenuss bei bestimmten Handlungen, z.B. beim Stroh- und Heueinfahren und Holzhauen (1758). Auch den Schildwachen war das Rauchen bei strenger Strafe untersagt.[6] Die angedrohte „strenge Strafe“ konnte nach dem Edikt Friedrichs II. vom 19. Januar 1764 „willkürlich“ bestimmt werden und Denunzianten stellte die königliche Verordnung eine stolze Prämie in Höhe von 25 Reichstalern in Aussicht. 1815 bestätigte Friedrichs Wilhelm III. in Paris die Verbote seines Großonkels, „modernisierte“ aber das Strafmaß und die Bestimmung über die Denunzianten-Prämie.

Rauchen belästigt das Publikum

1832 änderte sich die Sicht auf das öffentliche Rauchen in den Städten. Der Gesetzgeber hatte jetzt nicht nur die mit dem Rauchen verbundene „Feuergefährlichkeit“, sondern auch die Belästigung des Publikums im Blick. Den Orts-Polizeibehörden wurde gestattet, Rauchen für bestimmte Plätze, Spaziergänge und Straßen, selbst für ganze Bezirke zu verbieten und zu bestrafen. Vorher seien die Verbote durch besondere in hinreichender Zahl gesetzte Warnungstafeln oder sonst genügend bekannt zu machen.[7]  

Im Mai 1841 machte Landrat Schmising die Ortsbehörden seines Kreises auf Strafverfahren aufmerksam, in denen der Magistrat der Stadt Lüdinghausen das „Tabakrauchen aus ungedeckelter Pfeife“ mit einer Geldbuße in Höhe von fünfzehn Silbergroschen bestraft hatte. Er habe ungern gesehen, dass die Verordnung von 1832 in diesen Fällen ganz mißverstanden wurde, bemängelte Schmising und erinnerte, dass Tabakrauchen wegen Feuergefährlichkeit und außerdem aus Gründen der Schicklichkeit verboten werden kann.

Das Rauchen aus ungedeckelten Pfeifen in den Dorfstraßen – da sah sich der Landrat mit dem Lüdinghauser Magistrat einigsei wegen Feuersgefahr zu bestrafen und zwar nach der Verordnung von 1815 und in Höhe von zwei Talern. Die jüngere Vorschrift habe an der Höhe der Strafe nichts geändert und nur verlangt, dass im Einzelfall besonders erörtert werde, ob das Tabackrauchen zu der Zeit und an dem Orte wo der Rauchende betroffen ward, wirklich mit Feuersgefahr verbunden war?

In der Stadt Lüdinghausen habe man nicht gegen die „Schicklichkeit“ verstoßen (können); es gäbe dort keine lokalen Rauchverbote für bestimmte Plätze oder die ganze Stadt. Das mildere Strafmaß von fünfzehn Silbergroschen sei deshalb gar nicht zu rechtfertigen, ließ Schmising wissen und er hoffe, daß der löbliche Magistrat nach diesen Andeutungen in künftigen ähnlichen Fällen die gehörige Strafe von 2 Thalern gegen den Contravenienten festsetzen wird.

1866 sah sich die Bezirksregierung zu einer weiteren rechtlichen Klarstellung veranlasst; diesmal ging es um die „Denunzianten-Anteile“. Die neue Feuerpolizeiordnung von 1841 habe zwar die Strafbestimmungen des alten Gesetzes von 1815 außer Kraft gesetzt, nicht aber die Bestimmung der Denunzianten-Antheile von den wegen feuer-gefährlichen Tabakrauchens festgesetzten Strafen. Auch nach mehr als fünfzig Jahren war ein Teil dessen, was Friedrich Wilhelm III. in Paris unterschrieben hatte, als in Kraft geblieben zu betrachten.

Gefährliche Phosphor-Zündhölzer

Heinrich Hoffmann, Struwwelpeter, 1858

1857 brannte es in der Stadt Olfen und der amtierende Landrat[8] fasste für seinen „Zeitungsbericht“ zusammen, dass am 31. August, Nachmittags von 1 ½ Uhr bis Abends gegen 5 ½ Uhr ... bei Südwestwinde ... 89 bewohnte Häuser, 1 Laboratorium, 4 Brennereien und 48 Nebengebäude total abbrannten und durch die angestellten Löschungs-Arbeiten 4 Häuser erheblich beschädigt wurden. Die Gebäude seien versichert gewesen, aber nur 32 Haushalte hätten auch ihr Mobiliar gegen Feuersgefahr versichert. –
Ein fünfjähriges Kind habe einen Haufen ausgedroschenes Stroh durch ein Streichzündhölzchen in Brand gesteckt und so den Stadtbrand verursacht.[9]

Das Brandunglück in Olfen war kein Einzelfall. 1873 beantragte der Verband öffentlicher Feuer-Versicherungs-Gesellschaften beim Reichskanzler den Erlass gesetzlicher Bestimmungen, ... um den Gebrauch von Phosphor-Streich-Zündhölzchen zu verhindern oder doch zu verringern. In seiner Begründung hatte der Verband insbesondere hervorgehoben, daß die Brände, welche durch Spielen der Kinder und geistesschwachen Personen, sowie durch fahrläßiges Umgehen Erwachsener mit Streichzündhölzchen entstehen, fortdauernd im Zunehmen begriffen seien.

Allein in den Jahren 1862 bis 1871 habe man bei 33 öffentlichen Versicherungs-Gesellschaften im Ganzen 1.843 solcher Brände gezählt, teilte der Minister für Handel den Behörden mit, das seien drei Prozent sämtlicher bei diesen Gesellschaften zur Feststellung gekommenen Brände. Das Schreiben aus Berlin betonte, dass Unfälle dieser Art nicht nur eine erhebliche Beschädigung des National-Vermögens herbeiführen, sondern auch häufig den Verlust von Menschenleben im Gefolge haben.

Im Ministerium setzte man daher auf die in den letzten Jahren in Gebrauch gekommenen amorphen s.g. „schwedischen Sicherheits-Streichhölzchen“, [die] ungleich weniger gefährlich seien und vollständigen Ersatz für die Phosphor-Zündhölzchen zu bieten vermöchten. Man beabsichtige, die Verwendung von Sicherheits-Streichhölzchen zu fördern und überlege, die Phosphor-Zündhölzchen mit einer Steuer zu belegen, um dadurch ihren Werth zu erhöhen und auf sorgsamere Aufbewahrung derselben hinzuwirken, oder im Wege strafgesetzlicher Bestimmungen die Fabrikation und das Feilhalten solcher Zündhölzchen zu verbieten, oder endlich beide Maßregeln mit einander zu verbinden.

Von der Bezirksregierung verlangte der Minister, sich gutachtlich in dieser Angelegenheit zu äußern und wie üblich erkundigte Münster sich zuvor bei den Landräten und Ortsbehörden.

In Bork schrieb Amtmann Döpper im November 1873 zu den Vorschlägen aus Berlin, daß der Gebrauch der Phosphor Streichhölzchen unverkennbar zur Vermehrung der Brände beiträgt. Eine Belegung derselben mit etwa 100 Prozent Steuer dürfte einen guten Erfolg und namentlich eine sorgsamere Aufbewahrung derselben zur Folge haben. Das gänzliche Verbieten derselben dürfte bedenklich und eine Controle nahezu unmöglich sein.

März 2018

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[1] Im Stadtarchiv Selm, AB-1 Nr. 462, befinden sich Abschriften, die mit Datum vom 23.04. bekannt gemacht bzw. ausgehängt wurden. Bearbeitungsvermerke: Selm Publizird und 8 Tage angeheftet, Schwager Poliz. - Ist publicirt und affigirt worden in Cappenberg d. 2t. May 1824, Aus Auftrag Potthoff - Ist öffentlich Bekannt gemacht. Schlüter Pastor – Ein Schreiben ging an Hochgesang mit Anweisung: Zu publiciren und affigiren darnach mit Bemerkung zurück. [affigieren anschlagen, anheften, aushängen – Die Amtssprache, S. 5.].
[2] Friedrich Wilhelm III. an Prinzessin Charlotte. Paris, 26. Juli 1815, zitiert nach Thomas Stamm-Kuhlmann, König in Preußens großer Zeit, Friedrich Wilhelm III. der Melancholiker auf dem Thron, Berlin 1992. S. 405.)
[3] Heinz Duchhart, Stein, Eine Biographie, Münster 2007, S. 347.
[4] Stamm-Kuhlmann, Friedrich Wilhelm III., ebenda.
[5] GS 1816, Nr. 1, S. 1, Allerhöchste Deklaration vom 31. August 1815.
[6] Johann Carl Kretzschmer, Repertorium aller Königl. Preußischen Landesgesetze, Band 3, Danzig 1.836, S. 483. – books.google.com.
[7] GS 1833, Nr. 1, S. 1, Allerhöchste Kabinettsorder vom 9. Dezember 1832. 
[8] Landratsamtsverweser Franz Jakob von Hilgers.
[9] LAV NRW W – Kreis Lüdinghausen, Nr. 37, Zeitungsbericht für die Monate August/September 1857.

 
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