Was verlangte die Feuerordnung von den Dorfbewohnern? (1816 ff.)
Dieter Gewitzsch
Im Selmer Stadtarchiv befindet sich die Akte AB-1 Nr. 462 Feuerpolizei Generalia, deren Inhalt beispielhaft illustriert, wie die preußische Verwaltung ab dem Jahre 1816 die Dinge in der Provinz ordnen wollte. Nach den Vorstellungen des Oberpräsidenten Vincke sollte man an Vorhandenes anknüpfen und die Institute und Vorschriften bis zu einer mittleren Ebene (die der Kreise) vereinheitlichen. Von den Landräten und Bürgermeistern forderte man mehrfach Bestandsaufnahmen und erwartete deren Vorschläge, wie die allgemeinen Regeln an die speziellen Verhältnisse in den Verwaltungsbezirken anzupassen seien. Die für die Provinz geltenden Vorschriften sollten durch Kreis- und wo nötig auch durch Orts-Feuerordnungen ergänzt werden.
Eine Feuersbrunst war in Friedenszeiten die größte Gefahr für Leib und Leben, Hab und Gut. Schon in vorpreußischer Zeit gehörte es zu den wichtigsten Aufgaben der zivilen Verwaltung, Bränden vorzubeugen und ausgebrochenes Feuer zu bekämpfen. Im Gebiet der Bürgermeisterei Bork galt die allgemeine Feuer-Ordnung für das Großherzogthum Berg vom 5ten September 1807, die von der preußischen Regierung übernommen wurde.
Jeder ist verantwortlich ...
Das am stärksten strapazierte Wort dieser Verordnung ist „jeder“: Jeder ist verantwortlich, jeder ist zuständig, jeder muss helfen, denn jeder kann betroffen sein.
Jeder Hauswirt muss nicht nur vorzüglich aufmerksam sein, dass seine Hausgenossen mit Feuer und Licht ... behutsam umgehen, er hat auch zu wachen, dass seine Nachbarn in dieser Hinsicht die nöthige Vorsicht gebrauchen und soll, wenn freundschaftliche Warnung nichts fruchten sollte, davon der Obrigkeit sogleich die Anzeige zu machen. Diese noch allgemein gehaltene Vorschrift leitet einen Katalog von 24 Vorsichtsmaßregeln ein, die allesamt dazu dienten, einer Feuersgefahr vorzubeugen. Konkret und nah an den Lebensumständen wird geklärt, was zu tun und zu unterlassen ist, um Brände zu verhüten. Wer mit heißer Asche und glimmenden Kohlen umgeht, Feuer herumträgt oder eine Feuerstelle löscht, wurde zu erhöhter Vorsicht ermahnt und besondere Sorgfalt war jedem aufgegeben, der brennbare Destillate erzeugt, mit Pulver handelt oder mit Feuerwerk hantiert. Kinder seien zu beaufsichtigen und man müsse auf Personen achten, denen verantwortliches Handeln nicht ohne weiteres unterstellt werden könne. Man sprach von „Gesindel“ oder meinte allgemein „fremde Leute“.
Vorschriften für Häuser und Werkstätten
Dreher, Schreiner, Bender, Wagener und ... dergleichen Handwerksleute, welche mit Holz und Spänen umgehen, haben Acht zu geben, dass alle feuerfangenden Sachen auf Abstand zu offenem Licht gehalten werden. Auch zur Winterszeit dürfe man offene Kamine, Herde oder Kohlenpfannen in den Werkstätten nicht dulden. Mit Stroh und Schindeln eingedeckte Dächer werde man künftig ebenso verbieten wie die Verwendung von Strohdocken und für neue Dächer müsste Ziegel oder Schiefer verwendet werden. Gleiches galt für die Kamine, die nur noch in Mauerwerk ausgeführt werden sollten. Der Bau hölzerner Rauchfänge wurde verboten. Nun waren nicht alle Hauser stark genug gebaut, um steinerne Kamine zu tragen, weshalb die Feuerversicherung Kredite für die Ertüchtigung der Gebäude bereitstellte. In jedem Fall sollten Kamine öfter und regelmäßiger gereinigt werden. Die Kaminfeger wurden verpflichtet, Mängel sofort anzuzeigen. Für das Aufstellen und Anschließen eines Ofens verlangte die Feuerordnung, dass jedes Mal ein Werksverständiger hinzugezogen werde.
Strafandrohung
Die Nichtbeachtung der Vorsichtsmaßregeln wurde unabhängig davon, ob es zu einem Schaden gekommen war oder nicht, mit einer Geldbuße in Höhe von sechs Talern bestraft. Fahrlässig Handelnde hatten zudem den verursachten Schaden zu ersetzen und wer vorsätzlich Feuer anlegt, oder Brand stiftet, wurde nach der Strenge der Criminal-Gesetze ... als Brandstifter oder als Mordbrenner ohne Nachsicht bestraft.
Aufsicht und Kontrolle
Den Ortsbehörden wurde aufgetragen, wenigstens zwei Mal im Jahr, im Frühjahr und im Herbst, alle Feuerstätten zu besichtigen und dabei zu prüfen, ob die Anordnungen zur Verhütung von Bränden überall richtig befolgt werden. Ein drittes Mal – oder so oft wie nötig – solle die Visitation zusätzlich zur unbestimmten Zeit stattfinden. Schließlich hatte die Verwaltung innerhalb von drei Monaten ein Verzeichnis aller Gefahrenquellen vorzulegen (Stroh- und Schindeldächer, hölzerne Rauchfänge, Strohdocken, „Malz-Essen“), damit auf die möglichste Verminderung oder Abschaffung derselben ... Bedacht genommen werden könne.
Wasser
Es dürfe nie an Wasser zu Löschen gebrechen mahnte die Feuerordnung und an Orten, wo sich keine starken Bäche befinden, müsse man Brunnen, Weiher, Teiche und „Pfühle“ so anlegen und unterhalten, dass selbst bei der größten Dürre kein Wassermangel entsteht. Zu jeder Jahreszeit und bei jeder Witterung habe in jedem Haus ein Behältniß mit Wasser zu stehen.
Vom Feuereimer bis zur ...
Private und „gemeine“ Feuereimer standen ganz oben auf der Liste der Gerätschaften zur Brandbekämpfung. Auf dem platten Land war zunächst jeder Hausbesitzer verpflichtet, einen beschrifteten tauglichen ledernen Eimer anzuschaffen und denselben, ohne ihn zu etwas anders zu gebrauchen, unten im Hause aufzubewahren, wo er gleich ergriffen werden konnte, wenn es galt, mit dem Eimer zum Feuer zu eilen. Die „gemeinen“ Eimer musste die Gemeinde beschaffen und an einem wohlverwahrten trockenen Orte lagern, damit sie im Brandfall sogleich zur Hand waren. Außerdem verlangte die Feuerordnung, Leitern und Haken bereitzuhalten; auch seien Feuerpatschen nützlich. Bei dichterer Bebauung sollten mehrere Häuser gemeinsame Wasserkufen unterhalten, die auf Schlitten bewegt wurden.
... Feuerspritze
Nicht in jedem Fall vorzuschreiben, aber zu wünschen wäre, dass in einem jeden wenigstens mittelmäßigen und großen Dorfe eine große metallene Feuer- oder Schlaugspritze gehalten werden könne. Sollte die Anschaffung einer einzelnen Ortschaft zu beschwerlich fallen, so empfiehlt die Verordnung den Zusammenschluss mehrerer Gemeinden zum Kauf einer Brandspritze, die dann aber in der Mitte der concurirenden Ortschaften ... aufbewahrt werden müsse. Alle Feuergerätschaften seien regelmäßig in Augenschein zu nehmen. Die Spritzen müsse man regelmäßig probieren und Mängel auf der Stelle ausbessern. Sollten die Gemeindemittel für Anschaffung und Unterhaltung der Geräte nicht ausreichen, so seien die Kosten als Communal-Last auf alle Gemeinheitsglieder ohne Unterschied umzulegen.
"Feuerlärm"
Wenn es dann brannte, musste „jeder“ der den Brand wahrnahm, unverzüglich das Feuer ausrufen und Lärm machen. Es war bei Strafe verboten, ein Feuer zu verheimlichen oder sich im eigenen Haus auf das Selbstlöschen zu verlassen. War Feuer ausgebrochen, so hatten die Einwohner mit ihren ledernen Eimern zur Brandstätte zu eilen. Die gemeinen Feuergeräthschaften wurden herbeigebracht, wobei die Besitzer von Pferden ihre Tiere für den Transport der Spritzen und Wasserkufen einsetzen mussten. Auch die Bewohner der Nachbarorte sah die Verordnung in der Pflicht, mit ihren Geräten herbeizueilen und den Notleidenden alle mögliche Hülfe zu leisten.
Ordnung halten, Verwirrung beseitigen
Bei alledem galt es, solche Ordnung zu halten, daß alle Verwirrung beseitigt werde. Deshalb sollten sich diejenigen zuerst beim Feuer einfinden, denen von Amts wegen eine gewisse Autorität zugeschrieben wurde: Magistratspersonen, Beamte, Richter, Vögte, Schultheißen, Bürgermeister und Vorsteher, sie alle waren aufgerufen, für Ruhe zu sorgen und die Leute zu den Löscharbeiten anzuweisen. Die Leute sollen nicht auf einem Fleck stehen, sondern in Reihen so verteilt werden, daß einer den andern in der Arbeit nicht hindere und man möge unbrauchbare Leute und Kinder, welche beym Löschen nichts helfen können, sondern nur Hindernisse verursachen, ... mit Ernst abhalten. Überhaupt dürften keine müßigen Zuschauer geduldet, sondern diese zur Arbeit oder sonstiger Hülfsleistung angewiesen werden.
Von Schornsteinfegern, Dachdeckern, Zimmerleuten und Maurern wurde erwartet, dass sie mit ihren Werkzeugen zur Brandstätte eilen, sie waren von der Eimerpflicht befreit und sollten mit ihrer Sachkenntnis helfen, die Ausbreitung des Feuers zu verhindern, wobei nicht ausgeschlossen wurde, nächstgelegene Gebäude niederreißen zu müssen ... mit aller Vorsicht, ohne den Brand zu vergrößern oder Flugfeuer zu verursachen.
Nach dem Brand: Belohnung, Bestrafung und Berichterstattung
Zum Ende hin spricht die Feuerordnung wieder von Strafe und Belohnung, weil auch angesichts großer Gefahr nicht unterstellt werden konnte, dass sich wirklich „jeder“ angemessen oder uneigennützig verhält. Der Katalog verrät, was an Verhalten mutmaßlich vorgekommen ist oder für möglich gehalten wurde. Ungehorsam und Widerspenstigkeit gegen Anordnungen seien ebenso zu bestrafen, wie Sachbeschädigung an den Gerätschaften bis hin zur Blockade der Spritzen in die Unrath oder sonstige hindernde Sachen geworfen wurden. Angedroht wurden dafür Geldstrafen von drei bis sechs oder gar zehn Talern und nach Umständen auch Gefängnis. Wer indessen bei dergleichen unglücklichen Begebenheiten das allergeringste, wie wenig es auch sey, beiseiteschaffen würde, sollte als Dieb gelten und peinlich gestraft werden.
Eifer, Fleiß und Aufmerksamkeit seien dagegen zu belohnen; es wurden die Schnellsten prämiert. Wer zuerst alarmierte bekam einen Taler und für das Heranschaffen des ersten Feuerhakens, der ersten Leiter und der ersten Eimer gab es zweieinhalb Taler. Vier Taler wurden dem gezahlt, der die erste Feuerspritze herbeibrachte und ein Taler für die erste mit sauberm Wasser gefüllte Kufe. Endlich bekam derjenige Handwerks- oder sonst herzhafte Mann, der sich zuerst auf den brennenden Bau waget, seine Bravour zeiget, und vor andern ersprießliche Rettungshülfe leistet eine Prämie von vier Talern.
Nach jedem Feuer hatte die Ortsbehörde innerhalb von drei Tagen die Brandursache zu untersuchen. Zu berichten war auch, ob es beim Löschen zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist und wie die Säumigen, Ungehorsamen, oder Widerspänstigen wirklich bestraft worden sind.
Bekanntmachung der Feuerordnung
Damit sich niemand der Unwissenheit halber entschuldigen konnte, wurde die Feuerordnung durch das Wochenblatt bekannt gemacht und sollte jährlich Ostermontag von allen Kanzeln deutlich verkündigt werden. Den Pfarrern und Predigern fiel dabei die Aufgabe zu, eine passende Anrede zu halten, um jedem die in Beziehung auf diese Feuerordnung obliegenden Pflichten gegen sich selbst, gegen seine Nachbarn, und gegen den Staats recht begreiflich zu machen. Weil die meisten Unglücke aus der Vernachlässigung der ... Vorsichts-Maßregeln entstünden, sollten die betreffenden 24 Paragrafen vierteljährlich von den Kanzeln verlesen werden. Ausdrücklich wurden Beamte und Magistrate für die Handhabung dieser allgemeinen Feuerordnung verantwortlich gemacht, weil die Behörden bei gutem Willen, und Eifer für das allgemein Beste, die Mittel und Gewalt in Händen haben, ihre Untergebenen zur Erfüllung ihrer Schuldigkeit zu vermögen.
Mai 2017