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Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686

Foecker geht – Döpper kommt (1869)

Christel Gewitzsch

Amtmann in Bork war seit 1856 Hermann Foecker. Im September 1869 übertrug die Regierung ihm die Steuerempfänger-Stelle in Dorsten, weshalb sie den Landrat Freiherrn von Landsberg aufforderte, sich um die Wiederbesetzung in Bork zu kümmern. Erinnert wurde der Landrat an die Paragrafen 70 und 71 der Landgemeindeordnung, wonach als erstes erkundet werden sollte, ob  ein angesehener Eingesessener vorhanden sein möchte, welcher die Amtmannstelle, event. als ein unentgeldlich zu verwaltendes Ehrenamt, zu übernehmen geeignet und bereit wäre.[1]

Lageeinschätzung

1.

Einen solchen Mann vermochte der Landrat in den Gemeinden des Amtes Bork nicht namhaft zu machen. Er bedauerte das nicht, denn er meinte, für die Verwaltung in Bork sei ein besonders erfahrener Beamter erforderlich. Die Arbeit dort schätzte er als schwierig ein; nicht nur, weil der Amtsbezirk nach Drensteinfurt und Lüdinghausen mit seiner Einwohnerzahl von über 5.000 zu den größten zählte, sondern weil in Bork wegen der Nähe zum Kreis Dortmund eine erhebliche Hemmung der Geschäftslust stattfände. Als besonders ungünstig empfand der Landrat die seit Jahren bestehenden vielfachen Parteiungen [...], welche sich gegenseitig befeinden [...], was auch in den Gemeinde- und Amtsversammlungen nicht verborgen blieb.  Beschwerden gegen Verwaltungsbeamte, Verleumdungs- und Injurienklagen u.s.w. sind daher im Amte keine seltene Erscheinung. Landsberg erinnerte sich  wohl noch an die Beschwerde des Schmiedes Klinkhammer aus Hassel gegen den Amtmann Foecker, die er im Juli 1869 als durchweg unbegründet abgelehnt hatte.[2]  

Bewerbungen

Trotz dieser Lageeinschätzung wollten es dreizehn Personen auf sich nehmen, das Amt Bork zu verwalten. Neben einem Amtmann und einem Bürgermeister, drei Schreibern, einem Verwaltungs- und einem Steuergehilfen, einem Gutsverwalter, einem Hilfsassessor a.D. und einem Kandidat der Rechte bewarben sich drei Regierungs-Supernumerare (überzählige Beamte im Vorbereitungsdienst) beim Landrat. Ein weiteres Gesuch wurde nicht termingerecht eingereicht.

Unter den Bewerber kamen zwei aus der Gemeinde Selm, gegen deren Berücksichtigung Landrat Landsberg sich schon in seinem ersten Schreiben aussprach. Beide würden dem schon oben genannten Parteiwesen nicht fern stehen und seien deshalb ungeeignet. Für einen anderen setzte sich der Cappenberger Pfarrer Schemm besonders ein.

Amtmann Fuisting

2. Alexander Fuisting

Landrat Landsberg schlug den Amtmann des Amtes Ameloe Alexander Fuisting aus Vreden vor, den als er erfahrenen, zuverlässigen und energischen Beamten kannte. Der Regierungsvizepräsident folgte dem Vorschlag, wollte aber vor seiner Entscheidung die Amtsversammlung dazu hören. Die stimmte im Oktober 1869 mit einer Ausnahme gegen Fuisting, aus Gründen, die der Landrat zwar nicht nachvollziehen konnte, doch wollte er auch nicht den Fuisting gegen den ausgesprochenen Wunsch der Vertretung des Amts zum Amtmann zu ernennen, da derselbe hierdurch sofort in eine den Eingesessenen gegenüber schwierigen Lage gerathen würde.

Sechs Gründe lieferten die Mitglieder der Amtsversammlung, um ihre Ablehnung zu untermauern. Erstens sei Fuistings Gehalt in Vreden deutlich höher als in Bork; zweitens sei er Vater von mehreren Kindern, für deren Speisung er in Vreden besser sorgen könne, als hier; drittens erwachse daraus schnell eine Unzufriedenheit, die zu ständigen Gehaltserhöhungen oder zu Versetzungswünschen führte; viertens sei er schon über fünfzig Jahre alt und seine Gesundheit könne sich bald verschlechtern; fünftes habe er Verwandte vor Ort, was ihm eine unparteiische Verwaltung erschweren würde und sechstens sei das Amt leicht zu verwalten und bedürfe deshalb keines bewährten Beamten.

Die verwandtschaftlichen Beziehungen nach Selm ergaben sich daraus, dass Alexander Fuisting 1817 als viertes Kind des Caspar Fuisting in Selm geboren worden ist.[3] Gestorben ist er 1878 in Vreden.

Bei seiner Bewerbung hatte er aber wohl übersehen, dass er in Bork niemals die 790 Taler verdienen würde, die er in Vreden bekam. Als er das realisierte, vielleicht hatte er auch schon von der ablehnenden Stimmung in Bork gehört, zog er seine Bewerbung zurück.

Des Pfarrers Neffe

3. Münster, Prinzipalmarkt Nr. 7 heute

Aus Münster, vom Prinzipalmarkt Nr. 7, meldete der Kandidat der Rechte und Landwehr Lieutenant Heinrich Vormann – so wird er in der Liste des Landrats aufgeführt –  sein Interesse an der Stelle in Bork an. Der 1842 in Münster als Sohn eines Gold- und Silberarbeiters geborene, aus einem katholischen Elternhaus stammende, studierte nach dem Besuch des Gymnasiums fünf Semester Jura in Bonn und München, absolvierte danach als Einjährig-Freiwilliger im Königlichen Heer seine Militärzeit und nahm 1866 am Feldzug der Main-Armee teil. Im Mai 1868 wurde er zum Second-Lieutenant im 1. Westfälischen Landwehr Regiment No. 1 befördert.

Nach seiner Militärzeit arbeitet er in der Verwaltung des Amtes St. Mauritz, südöstlich von Münster gelegen, wo er in jedem Zweig der Verwaltung gründliche Kenntnisse [erwarb und] auch hinreichende Erfahrungen [sammelte] um eine Amtmannsstelle verwalten zu können.

Zur Unterstützung dieser Bewerbung wandte sich der Cappenberger Pfarrer Schemm an den Landrat und empfahl diesem die Anstellung des jungen Mannes. Doch nicht darum, weil er [s]ein Neffe ist, sondern weil [er] glaube daß er zur Wahrnehmung der Pflichten eines Amtmann fähig und geeignet seyn werde. In seinem Schreiben war der Pfarrer an einer Stelle ehrlicher als der Bewerber und möglicherweise hat er dadurch die Chancen seines Neffen eher geschmälert als erhöht. Er schrieb über ihn: Nach Absolvirung des Münsterschen Gymnasiums hat er sich zuerst der Jurisprudenz gewidmet, jedoch das Malheur gehabt, zweimal im Examen durchzufallen. Diesen Umstand hatte der Bewerber verschwiegen.

In der Amtsversammlung in Bork sprachen sich einige Mitglieder für Vormann aus; wahrscheinlich deshalb, vermutete der Landrat, weil er als Neffe des Pfarrers Schemm zu Cappenberg Verbindungen mit den Amts-Eingesessenen besitze. Aus dieser verwandtschaftlichen Beziehung leitete niemand das Problem einer möglichen Unparteilichkeit ab. Landsberg wollte sich zu diesem Kandidaten nicht äußern, da er ihm zu wenig bekannt sei. Die Stelle in Olfen, die Pfarrer Schemm für seinen Neffen als Alternative auch noch ins Gespräch gebracht hatte, spielte in der weiteren Korrespondenz keine Rolle.

Der Kreisschreiber Heinrich Fuisting aus Selm

Ob dieser Bewerber mit dem Amtmann Fuisting aus Vreden verwandt war, wird in der Akte  nicht erwähnt. Nach Auskunft von Dirk Fuisting war Heinrich Anton Fuisting (*Selm, 31.01.1832 - † 26.02.1900) das elfte und letzte Kind des Caspar Fuisting, demnach ein Bruder des Mitbewerbers Alexander Fuisting.

In der Amtsversammlung, meinte Landrat Landsberg, dürfte die ein oder die andere Stimme [...] wohl auch den Heinrich Fuisting zu Selm zufallen. Fuisting  schrieb in seiner Bewerbung unter anderem: Was meine Qualification betrifft, so glaube ich solche wohl nicht näher darthun zu brauchen, da sowohl ich persönlich als auch meine Leistungen aus meiner Stellung als Rentei-Sekretair und zeitweiser Hülfsarbeiter auf dem landräthlichen Büreau, Ew. Hochwohlgeboren bekannt sind. Ich darf nun noch die Versicherung geben, daß im ganzen Amte Bork meine Bestellung als Amtmann gewünscht wird und verspreche gleichzeitig, falls ich zur Anstellung gelangen sollte, meinen Dienst-Obliegenheiten mit größter Gewissenhaftigkeit nachkommen werde.

Aber wohl gerade weil der Landrat ihn gut kannte, sprach er sich gegen ihn aus.

Der Verwalter Hugo Brüning aus Selm

4. Botzlar, Anfang des 20. Jahrh.

Hugo Brüning wurde als der mittlere von drei Söhnen des Ökonomierates Wilhelm Brüning auf Gut Botzlar geboren und zwar am 20. April 1840. In seiner Bewerbung teilte er mit, dass er gegenwärtig die Verwaltung zweier von [s]einem Vater angepachteten Güter mit einem Areal von über 1200 Morgen führe. Zu seinem Bildungsgang schrieb Hugo Brüning: Ich war bis Secunde auf dem Gymnasium zu Arnsberg ein Jahr in einem Banquier Geschäft zu Münster, drei Jahre auf der hiesigen Ackerbauschule [die von seinem Vater betrieben und  geleitet wurde] und sodann ein Jahr auf der landwirthschaftlichen Akademie zu Poppelsdorf und seitdem mehrere Jahre hindurch, wie auch noch gegenwärtig Administrator der vorgedachten Güter.

Meiner Militärpflicht habe ich als einjähriger Freiwilliger bei dem westfälischen Kürassier Regiment, Nr. 4, Genüge geleistet. Durch die mehrjährige schwierige Verwaltung der Güter und durch meinen sonstigen Bildungsgang glaube ich diejenigen Kenntnisse mir erworben zu haben und diejenigen Fähigkeiten zu besitzen, um mich baldigst mit den Formalien der Verwaltung bekannt machen und letztere demnächst zur Zufriedenheit der Amtseingesessenen und der höheren Behörde führen zu können.

Sein Vater, Mitglied der Amtsversammlung und Gutspächter auf Botzlar, hätte es gern gesehen, wenn sein Sohn zum Amtmann ernannt worden wäre. Auf der Versammlung im November erklärte er deshalb, sein Sohn würde das Amt auch als Ehrenamt übernehmen, was dieser schriftlich bestätigte. Damit meinten die beiden sicher, einen Joker aus dem Ärmel gezogen zu haben, denn nach der Landgemeinde-Ordnung sollte diesen Personen Vorrang bei der Ämtervergabe eingeräumt werden.

Landrat Landsberg schätzte die Position des Hugo Brüning aber ganz anders ein. Er sei nie in der Verwaltung tätig gewesen, lebe noch im Haushalt seines Vaters, sei von diesem abhängig und zur Zeit  auch nicht als zur Ausübung des Gemeinde-Rechts berechtigt resp. als selbstständig anzusehen. Damit gehöre Brüning nicht zu den Eingesessenen, die nach der Landgemeinde-Ordnung bevorzugt werden sollten.

Gegen Brüning spreche außerdem, dass gerade vom Gut Botzlar in den 60er Jahren vielfältige Beschwerden gegen den früheren Amtmann Foecker geführt worden waren, unter intensiver Mitwirkung des Selmer Gemeindevorstehers Hagen, und dabei eine sehr feindselige Stimmung gegen die Regierung offenkundig geworden war.

Auf der Amtsversammlung in Bork sprachen sich viele Mitglieder für die Ernennung des Hugo Brünings aus, wieder, so sah es der Landrat, unter tatkräftiger Einflussnahme des Vaters und des Gemeindevorstehers.

Der Auserwählte

5.

Nachdem der Landrat seine Stellungnahme zu den Bewerbern abgegeben hatte, bat er die Regierung, dem bisherigen Verwaltungsgehilfen Ludwig Döpper aus Münster die Stelle des Amtmanns in Bork kommissarisch zu übertragen. Derselbe steht bereits in reiferem Alter, ist seit einer Reihe von Jahren in Verwaltungssachen thätig gewesen, und hat ihn der Herr Landrat zu Münster auch auf das Beste empfohlen. Von demselben dürfte daher eine geregelte und umsichtige Amtsführung zu erwarten stehen.

Die Regierung schloss sich seinem Vorschlag an und ernannte in der Verfügung vom 30. November 1869 Ludwig Döpper zum Amtmann in Bork. Döppers Amtseinführung fand am Samstag, den 11. Dezember um 11 Uhr in Bork statt. Sein Diensteid lautete:

Ich Ludwig Döpper schwöre zu Gott dem Allmächtigen und Allwissenden, daß, nachdem ich zum commissarischen Amtmann des Amtes Bork bestellt worden Seiner Königlichen Majestät von Preußen, meinem allergnädigsten Herrn, ich unterthänig, treu und gehorsam sein und alle mir Vermöge meines Amtes obliegenden Pflichten nach meinem besten Wissen und Gewissen, genau erfüllen, auch die Verfassung gewissenhaft beobachten will, so wahr mir Gott helfe und sein heiliges Evangeliums.

Das von der Amtsversammlung empfohlenen Diensteinkommen einschließlich der Dienstkosten-Entschädigung belief sich auf 650 Taler. Der Landrat hielt diese Bezahlung für zu niedrig und plädierte für 750 oder mindestens 700 Taler. Doch er unterlag mit neun zu drei Stimmen, woraufhin die Regierung der Empfehlung der Versammlung folgte.

Definitive Anstellung

Ein Jahr nach dieser Amtsübertragung forderte die Regierung vom Landratsamt einen Bericht über Döppers Arbeit an. Lüdinghausen schrieb: Döpper hat das Vertrauen, welches bei dem diesseitigen Vorschlage und bei der durch Euer Wohlgeboren erfolgten Ernennung in ihn gesetzt worden ist, bis jetzt in rechtem Maße gerechtfertigt. Derselbe ist nicht allein ein fleißiger und zuverlässiger Bureaubeamter, sondern hat auch durch seine sittliche Führung, durch das allseitig anerkannte freundliche Entgegenkommen sich die Achtung und das Zutrauen des ganzen Amtes zu erwerben gewußt. Dies [...] konnte bei den vielfachen früheren Parteiungen von vornherein nicht vermuthet werden. Der definitiven Anstellung des p Döpper stehen demnach diesseits keinerlei Bedenken entgegen und wird dieselbe hiermit dringend befürwortet.

Am 17. Februar 1871 teilte der Regierungs-Vize-Präsident Mauderode dem Landratsamt die Ernennung Döppers zum Amtmann mit, die Amtseinführung fand am 7. März statt. Bis 1873 blieb das Diensteinkommen unverändert, dann wurde ihm eine Zulage von 200 Talern gewährt.

An Döppers Amtseinführungen nahm der Ökonomierat Brüning nicht teil.

Juli 2016
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[1] LAV NRW W, Kreis Lüdinghausen Nr. 1107, auch alle folgenden Zitate, falls nicht anders angegeben.
[2] Christel Gewitzsch, Ruthenhiebe und Lebenshülfe, Selm 2014, S. 19f.   
[3] Für Abbildung 2 und ergänzende Informationen bedanke ich mich bei Herrn Dirk Fuisting recht herzlich.

 
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