aktenlage
Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686

Im Interesse der Herrschaft: Gesindedienstbücher

Christel Gewitzsch

Dienste treu, fleißig und aufmerksam zu verrichten, ist nach der Gesindeordnung von 1810 die Schuldigkeit des Gesindes.[1] Es ist verpflichtet, sich allen häuslichen Einrichtungen und Anordnungen der Herrschaft zu unterwerfen. ...Die Befehle der Herrschaft und ihre Verweise muß das Gesinde mit Ehrerbietung und Bescheidenheit annehmen. Reizt das Gesinde die Herrschaft durch ungebührliches Betragen zum Zorn, und wird in selbigem von ihr mit Schimpfworten oder geringen Thätlichkeiten (körperliche Züchtigungen sind in Folge neuester Gesetzgebung untersagt) behandelt, so kann es dafür keine gerichtliche Genugthuung fordern. Auch solche Ausdrücke oder Handlungen, die zwischen anderen Personen als Zeichen der Geringschätzung anerkannt sind, begründen gegen die Herrschaft noch nicht die Vermuthung, daß sie die Ehre des Gesindes habe kränken wollen.

Der Dienst-Entlassungsschein

Wird das Dienstverhältnis beendet, muss die Herrschaft dem Gesinde einen schriftlichen Abschied und ein der Wahrheit gemäßes Zeugniß über seine geleisteten Dienste ... ertheilen.[2] Im Juni 1816 erließ der Polizeiminister eine genauere Bestimmung dazu, nach der den Dienstboten ein gestempelter Dienst-Entlassungsschein von der Herrschaft ausgehändigt werden musste. Die Formulare dazu waren für eine Gebühr von 2 gGr. (1839 ist von 5 Silbergroschen die Rede) bei den Stempelverkäufern zu haben. Bezahlt wurden sie von den Dienstboten.  

Dieser schriftliche Nachweis über das rechtmäßige Verlassen eines Dienstes wurde 1843 relativiert. Das Innenministerium überließ es den Dienstboten, wie sie die neue Herrschaft darüber in Kenntnis setzten wollten und diese konnte entscheiden, ob sie sich ausreichend informiert fühlte.  

Stojentins Vorschlag  

Mit der Abschwächung der Nachweispflicht begründete die Königliche Regierung in Münster ihre Absage an den Borker Bürgermeister Stojentin, als dieser die Einführung von Gesinde-Dienstbüchern vorschlug. Stojentin hatte in seiner Eigenschaft als Mitglied des 1840 gegründeten Landwirtschaftlichen Kreisvereins einen Entwurf für diese Dienstbücher vorgelegt. Der Kreisverein hatte sich die Verbesserung und Vervollkommnung der Landwirtschaft zu seinem Hauptzweck gewählt,[3]wollte aber auch auf Sittlichkeit und Wohlstand der Kreis-Eingesessenen erfolgreich einwirken. Der Satzungspunkt des Kreisvereins, dem Gesinde für lange, treue Dienste eine Belohnung aus dem Provinzial Fonds für landwirtschaftliche Verbesserung in Aussicht zu stellen, wurde von der Regierung abgelehnt. Die Diskussion über die Einführung von Gesindebüchern sollte aber vom Verein angestoßen werden. Landrat Graf von Schmising gehörte der Kommission für diese Frage an.  

Stojentin wollte mit seinem Vorschlag dem gleichzeitigen mehrfachen Vermiethens des Gesindes einen Riegel vorschieben. Seit einigen Jahren fiel es auf, dass besonders weibliche Dienstboten durch die Zahlung eines sogenannten Weinkaufs dazu verführt wurden, sich bei mehreren Herrschaften anzudienen. Dieser Weinkauf hatte nichts mit Wein zu tun, sondern bezeichnete eine unregelmäßige Entlohnung, hier eine Art Antrittsgeld.  

In dieser Gegend war es üblich, den Frauen als Lohnbestandteil jährlich zwei bis fünf Taler Weinkauf auszuhändigen, wodurch der eigentliche Lohn, der fünf bis acht Taler betrug, erheblich gekürzt wurde und nicht ausreichte. Wenn es einem aber gelang, sich bei mehreren Herrschaften zu verdingen, konnten viele Taler Antrittsgeld eingesammelt werden. Das war zwar verboten und wurde bestraft, aber das Geld konnte in den meisten Fällen nicht wiederbeschafft werden. Stojentin wollte mit den Gesindebüchern eine umfassende Information der Herrschaften über die Person, die Brauchbarkeit und Zuverlässigkeit der Dienstboten und deren bisherige Dienstverhältnisse erreichen. Außerdem sah er vor, in dem Buch eine Zusammenstellung der Rechte und Pflichten des Gesindes abzudrucken. Mit einer großen Fleißarbeit kam er auf 42 Punkte, die er der preußischen Gemeindeordnung von 1810 entnahm.  

Neben der oben genannten Begründung schrieb die Regierung im Juni 1843 bei der Ablehnung des Stojentinschen Gesindebuch-Vorschlags außerdem, dass sie darauf nicht eingehen wolle, da bei der Schwierigkeit der Ausführbarkeit der praktische Nutzen der vorgeschlagenen Maaßregel sehr in Zweifel zu ziehen ist und nicht zu erwarten steht, daß einem diesfälligen Antrage die sichere Genehmigung zu Theil werden wird.

Einführung  

Im September 1846 verordnete allerdings der preußische König für den ganzen Umfang der Monarchie die Einführung von Gesinde-Dienstbüchern, da die bestehenden Vorschriften wegen der dem abziehenden Gesinde zu ertheilenden Entlassungszeugnisse nach den darüber gemachten Erfahrungen nicht ausreichen, um den Dienstherrschaften die erforderliche Kenntniß von der sittlichen Führung des Gesindes zu verschaffen.[4]

Die Regierung in Münster informierte im Dezember 1846 darüber, dass die Steuer-Stellen ab 1847 die Bücher vorrätig hätten und diese beim nächsten Dienstwechsel benutzt werden sollten. Der Verkauf von Gesinde-Entlassungsscheinen wurde gleichzeitig eingestellt. Obwohl der Paragraf 1 der Verordnung eine Verpflichtung zur Anschaffung beinhaltet, lehnte das Innenministerium einen beabsichtigten Erlass der Regierung ab, die Dienstboten zu bestrafen, falls sie kein Gesindebuch vorzeigen konnten. Man war der Meinung, dass das Gesinde schon durch die Forderung der Herrschaft zur Vorlage der Bücher gezwungen würde. Falls dies nicht geschah, hätte die Herrschaft die nachtheiligen Folgen[5] selber zu tragen, denn das Gesetz war nur in ihrem Interesse erlassen worden. 1855 allerdings erließ die Regierung eine Polizeiverordnung mit folgenden Paragrafen:
§.1. Jeder Dienstbote ist verpflichtet, in Gemäßheit der Bestimmung im § 1, 2, und 3 des Gesetzes vom 29.9.1846 sich mit einem Gesinde-Dienst-Buche zu versehen und dasselbe vor Antritt des Dienstes der Polizeibehörde des Aufenthalts-Ortes vorzulegen.
§.2. Dienstboten, welche die Befolgung dieser Vorschrift verabsäumen, werden mit einer Geldstrafe von 10 Sgr. bis 2 Thalern oder mit verhältnißmäßiger Gefängnißstrafen belegt.
§.3. Vorstehende Verordnung tritt mit dem 1. October d.J. in Kraft.
[6]

Aufbau und Handhabung der Bücher

Der Verordnung über die Einführung war folgendes Schema für die Bücher beigegeben, das von der Polizeibehörde des Aufenthaltsortes ausgefüllt wurde:
Formular[7]
zu einem Gesindebuche.
No..... (Ausfertigung der Polizeibehörde.)
Gesindebuch
für (Vor- und Zuname)
aus (Heimathdorf)
alt
Statur
Augen
Nase
Mund
Haare
besondere Merkmale
ob dem Dienstboten die Blattern geimpft sind?
ob er militairpflichtig ist?
N. N., den ....
(L.S.)
Namen der Behörde.

In dem Buch war Platz für sechs Dienstatteste und es kostete zehn Silbergroschen. Bei Dienstantritt war es der Herrschaft vorzulegen, bei der Entlassung hatte diese ein vollständiges Zeugniß über die Führung und das Benehmen desselben in das Gesindebuch einzutragen. Konnte der Dienstherr nicht schreiben, durfte er eine glaubhafte Person mit der Eintragung beauftragen. Machte sich der Dienstbote eines Verbrechens schuldig, notierte die Untersuchungsbehörde die Bestrafung ebenfalls in dem Buch. Bei Verlust wurde ein neues ausgestellt, allerdings mit dem ausdrücklichen Vermerk des Verlustes, damit man sich nicht ohne weiteres ungünstiger Zeugnisse entledigen konnte. Hatte ein Dienstbote sich nach einer nachteiligen Beurteilung zwei Jahre tadellos und vorwurfsfrei geführt, konnte er die Ausfertigung eines neuen beantragen. Wenn ein neues Buch angeschafft wurde, weil das erste voll war, musste auf Verlangen des Dienstboten das bisherige Gesindebuch dem neuen vorgeheftet werden.

Aktivitäten im Amt Bork

Erst nach der oben erwähnten Polizeiverordnung von 1855, die die Bestrafung der Dienstboten vorsah, wenn kein Gesindebuch vorgelegt wurde, legte man im Amt Bork eine Akte an, die mit der Bekanntmachung dieser Verordnung begann. Danach gab es elf Jahre lang keine Einträge. Weil in den Kreisen Ahaus und Coesfeld der Verbrauch von Gesindebüchern Anfang der 60er Jahre unverhältnißmäßig gering[8] war, forderte die Regierung die Landräte zu einer strengeren Kontrolle der Ortspolizeibehörden auf. Nach Lüdinghausen gelangte eine Abschrift zur Kenntnißnahme und gleichmäßiger Beachtung, die der Landrat als Circular umherschickte. Amtmann Foecker ließ noch einmal die Bekanntmachung von 1855 zur Kenntniß des Publikums bringen und kündigte dem Landrat eine Überprüfung der Dienstboten an. 1879, inzwischen waren die Gesindebücher stempelfrei, erinnerte der damalige Amtmann Döpper erneut an die Pflicht zur Anschaffung der Bücher, die in Bork beim Kaufmann Peter Cortner für 15 Pfennig zu haben waren.  

Verstöße wurden erst 1880 aktenkundig, woraus nicht zu schließen ist, dass es vorher keine gegeben hat. Im Juni beschwerte sich die Magd Catharina Wiedenhorst beim Amtmann, weil ihr Dienstherr, der Kötter Bernard König, sich weigerte, das Dienstabschiedszeugnis in ihr Gesindebuch einzutragen. Aufs Amt geladen, bestätigte König die Aussage der Magd und erklärte, er habe geglaubt, es sei nicht nötig gewesen, da nach seiner Kenntnis die Frau in der Gemeinde bleiben und zu ihren Eltern ziehen wollte. Dem König wurde hierüber ein Verweis ertheilt und zur Eintragung eines Zeugnisses in das Gesindebuch angehalten.

Nur zwei Monate später forderte Döpper auch die Colonen Hülsmann und Niemann aus Alstedde unter Androhung einer Strafe von fünf Mark zu Eintragungen in das Dienstbuch des August Wenige auf. Und wieder zwei Monate später lud er den Colon Joseph Richter aus Ternsche auf die Amtsstube, um ihn wegen eines verweigerten Zeugnisses zu befragen. Richter bestätigte, dass sein damaliger Knecht Franz Dülmann, jetzt wohnhaft bei Spinn in Beifang, ihm das Buch vorlegen wollte. Er hatte es nicht angenommen, weil er nach eigener Aussage von der Einrichtung resp. Vorschrift der Gesindedienstbücher keine Kenntniß hatte. 34 Jahre nach Einführung des Gesindedienstbuches kam er mit seiner Unkenntnis durch und Döpper sah von einer Bestrafung ab. Aber anscheinend ging es anderen Herrschaften ähnlich, denn noch 1888 sah sich Landrat Graf von Wedel veranlasst, auf die Verordnung zur Anschaffung der Bücher hinzuweisen.

Erst 1897 meldete die Regierung ein Nachlassen der früher häufigen Klagen über Unzuverlässigkeiten bei Führung der Gesindedienstbücher und dadurch hervorgerufene Schädigung der das Gesinde annehmenden Dienstherrschaften. Sie folgerte daraus, dass die Verordnung nun endlich ihren Zweck erfülle, wollte aber die Auffassung der Landräte und Polizeiverwaltungen hierzu hören. Amtmann Busch berichtete, daß die hier bestehenden Vorschriften betr. die Gesindedienstbücher als ausreichend und als ihren Zweck vollständig erfüllend erachtet und etw. Aenderungen bzw. Ergänzungen dieser Bestimmungen nicht für erforderlich erachtet werden. 

Die Gesindeordnung wurde erst 1919 außer Kraft gesetzt.

Oktober 2018
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[1] und folgende Zitate: H.A. Maschner, Allgemeine Gesinde-Ordnung vom 8. November 1810, nebst Erläuterungen, Naumburg 1856, S. 18ff.
[2] und folgende Zitate: Amtsblatt der Regierung von Münster, Nr. 49, 1816, S. 289.
[3] und folgende Zitate: Stadtarchiv Selm, AB-1 – 157.
[4] Amtsblatt der Königlichen Regierung in Potsdam und der Stadt Berlin, Stück 51, 1846, S. 391.
[5] und folgendes Zitat: Stadtarchiv Selm, AB-1 – 545.
[6] Amtsblatt der Regierung in Münster, Bd.38, 1855, S. 263.
[7] und folgende Zitate: Amtsblatt Potsdam.
[8] und folgende Zitate: Stadtarchiv Selm, AB-1 – 547
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