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Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686

Medicinal Pfuscher

Christel Gewitzsch

Die Menschen, die sich Anfang des 19. Jahrhunderts um die Behandlung der kranken Mitbürger kümmern durften, firmierten unter unterschiedlichen Berufsbezeichnungen und der Ausbildungsstand der „Mediziner“ ließ zu wünschen übrig. Über diesen Übelstand hinaus trieben sich auch immer wieder Leute herum, die versprachen, mit allerhand vermeintlichen Heilmitteln Wunder vollbringen zu können. Vor ihnen wurde in den Amtsblättern und Zeitungen gewarnt, Steckbriefe erreichten die Amtsstuben.

Erste Fälle im Amt Bork

Bürgermeister Fuisting, der 1815 mit so einem Fall konfrontiert wurde, zeigte sich überfordert. Er wusste nicht, wie er damit umgehen sollte und erkundigte sich beim noch im Amt befindlichen Landesdirektor Romberg.

Der aus Thüringen stammende Nicolaus Johann Henckel hatte sich in Bork beim Wirt Schumacher eingemietet und trieb in der Gegend einen lebhaften Handel mit Ölen, Tropfen, Pulvern und Salben für Mensch und Vieh. Fuisting fand all diese Mittelchen in Henckels Unterkunft, versiegelte sie und behielt sie ein. Seine Frage an Romberg war, ob diese Medicamente von einem Arzt untersucht, und falls sie für unschädlich befunden werden, dem p Henckel wieder zurückgegebene werden sollen.[1]

Rombergs Generalsekretär Müller zeigte sich entsetzt über die unprofessionelle Handhabung durch Fuisting und beklagte dessen offensichtliche Unkenntnis der Landesgesetze. Henckel hätte sofort vernommen und falls er sich als Unqualifizierter mit Behandlungen von Menschen abgegeben hätte, dem Gericht überstellt werden müssen.

In den nächsten Jahren hatte Fuisting reichlich Gelegenheit, sich kundiger zu machen. Immer wieder hatte er es mit ähnlichen Fällen zu tun. 1816, als Franz Heinrich Altenkamp aus dem Vest Recklinghausen der Frau des Borker Wirtes Breuckmann auf Verlangen, wie er sagte, ein Hausmittel seiner Mutter gegen die Gicht gegeben hatte, wurde er vom Polizeidiener Kalter festgenommen, vom Bürgermeister verhört und mit einer Landsturm Eskorte zur weiteren Untersuchung abgeführt.

Anfang 1817 zeigte sich der ehemalige Kompagnie-Chirurgus und Scherer Nettehoevel aus Datteln besonders hartnäckig und uneinsichtig, als Bürgermeister Fuisting und Landrat Schlebrügge ihm untersagten, in Bork zu praktizieren. Nettehoevel besaß weder ein Niederlassungsrecht in Bork noch Papiere, die ihm die Ausübung medizinischer Anwendungen erlaubte. Seine Tätigkeit sollte, so der Selmer Chirurgus Bohle, auch schon üble Folgen gehabt haben. Vom Aufenthalts- und Praxisverbot unbeeindruckt, machte er einfach weiter. Beckendorf wies den Bürgermeister an, dessen Vergehen unverzüglich dem Stadt-und Landgericht in Werne zu melden, damit dieses ein Verfahren gegen Nettehoevel anstrengen konnte.

Das Gericht forderte Beweismittel. Fuisting reichte die Zeugenaussagen des Wundarztes Bohle und des Michel Hertz ein, die die Pfuschereien belegen sollten. Nettehoevel schlug einen neuen Weg ein. Er bat beim Landratsamt um die Erlaubnis, eine Praxis zu eröffnen. Dafür müsse er erst einmal beim Medizinal Kollegium eine Prüfung ablegen, ließ ihn der Landrat wissen. Damit schien die Sache für Nettehoevel erledigt. Er praktizierte munter weiter und Fuisting informierte das Gericht.

Der Fall des Maurers Zangerl

Am 21. Januar 1856 begehrte Amtsverwalter Hördemann in Begleitung von Dr. med. Füchten und dem Gendarm Schmidt Einlass in das Haus des Maurers Ferdinand Zangerl in Bork, um eine Hausdurchsuchung vorzunehmen. Im Anschluss berichtete Hördemann: Es fand sich eine Schachtel verschiedener Medikamente, als Pülverchen, Pillen und auch Flüssigkeiten, vor. Zangerl erklärte jedoch, daß er diese Medikamente für sich und seine Familie gebrauche. Nicht hat Zangerl wie sich auch durch die Aussagen verschiedener Zeugen bestätigt hat, selbst Arzneimittel verkauft und verordnet, sondern hat nur auf Ansuchen der betr. Leute von dem Dr. Lutze in Cöthen resp. einem Arzte aus Berlin Medikamente requirirt und ist er den Leuten bei Zubereitung derselben behilflich gewesen. –
Es fand sich auch bei Zangerl eine ziemliche Quantität sogen. Gesundheits Kaffees vor von diesem hat Zangerl an die Frau Zurmühlen hiers. verkauft wie dieselbe selbst eingeräumt hat.

Der als Polizeianwalt eingesetzte Bürgermeister von Lüdinghausen, Wormstall, informierte Hördemann über die gesetzlichen Grundlagen und die in Frage stehenden Arzneiwaren. Dann endete er mit den Hinweisen: Um aber Einschreiten zu können, ist es erforderlich sämmtliche Verhandlungen über diesen Gegenstand beizufügen, event. durch Vernehmung des Angeschuldigten und der etwaigen Zeugen die Größe der Uebertretung festzustellen. – Selbstredend ist die Confiscation der Artznei Waaren ein Haupt-Erforderniß um eine vorliegende entscheidende Uebertretung begründen zu können.

Das Königliche Kreisgericht befasste sich mit dem Fall und verurteilte Zangerl Ende Mai wegen Zubereitung und Ablassung von Arzneiwaaren, womit nur die Apotheker handeln dürfen, zu einer Geldbuße von Zwei Thalern eventuell 1 Tag Gefängniß, so wie confiscatio der in Beschlag genommenen Arzneien, und die Kosten des Verfahrens.

Zangerl, dem der Bürgermeister vorher ein positives Führungsattest ausgestellt hatte, ging in Berufung. Im August meldete Wormstall nach Bork: In der Untersuchungssache wider den Maurermeister Ferdinand Zangerl aus Borck hat der Criminal-Senat des Königlichen Appelationsgerichts zu Münster für Recht erkannt, daß der Angeklagte von der Anklage der strafbaren Zubereitung und Ueberlassung von Arzneien kostenfrei freizusprechen [sei].

Damit schien die Angelegenheit beendet. Doch 1861 ging erneut eine Anzeige gegen Zangerl beim Polizeianwalt ein. Der Apotheker Carl Vahle aus Olfen, der in Bork seit 1856 eine Filialapotheke betrieb und diese durch einen Vertreter verwalten ließ, beschuldigte Zangerl erneut, sich seit längerer Zeit mit homöopathischen Kuren und Verabreichungen von Medikamenten befaßt zu haben. Die Frau des Lehrers Sander, das Kind des Schusters Schlüter aus Bork und die Frau des Kötters Kleihegge aus Netteberg seien von ihm behandelt worden.

Amtmann Foecker wurde mit der Zeugenvernehmung beauftragt.
Erschien in Folge Vorladung der Schreiner Kleyhege zu Netteberge und erklärte auf Befragen wie folgt:
Meine in den letzten Tagen verstorbene Ehefrau ist während ihrer Krankheit von dem Dr. med. Althoff in Lünen behandelt worden. Nachdem der selbe mir erklärt hatte, daß meine Frau trotz aller ärztlicher Fürsorge nicht wieder aufkommen würde habe ich zur Vermeidung von Unkosten jede und alle ärztliche Behandlungsweise eingestellt. Meine Frau glaubte zwar, daß sie durch den Gebrauch von homöopathischen Arzneien wieder hergestellt werde, und bat mich, dieserhalb mit einem homöopathischen Arzte Rücksprache zu nehmen. Da hier ein homöopathischer Arzt nicht vorhanden und ich den Wunsch meiner Frau gerne erfüllen wollte, so streuete ich vor den Augen derselben kleine Stückchen Zucker mit Wasser und gab ihr dasselbe mit dem Bemerken zu trinken, daß das homöopathische Arznei sei. Es ist durchaus unwahr, daß der Maurermeister Ferdinand Zangerl von hier meine Frau homöopathische Medicamente verabreicht haben soll. Ich kenn den p Zangerl schon seit längerer Zeit und habe für denselben, schon früher gearbeitet, Als mir derselbe vor einigen Wochen auf dem Wege von Bork nach Netteberge begegnete, bat ich ihn, mit mir zu meiner Wohnung zu gehen und sich meine Frau anzusehen. Ich wünschte dieses, weil Zangerl ein vernünftiger Mann ist und ich mal gerne dessen Ansicht über den Krankheitszustand meiner Frau hören wollte. Derselbe erklärte mir damals gleich, daß seines Dafürhaltens meine Frau wohl nicht durchkommen würde. Diese meine Aussage bin ich bereit, so fern es verlangt wird, eidlich zu erhärten.

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eodem[2] erschien in Folge Vorladung der Schuster Wilhelm Schlüter von hier und erklärte auf Befragen, wie folgt:
Ich leugne nicht, daß mein Kind homöopathisch behandelt worden; übrigens hat nicht mein Schwager der Maurermeister Ferdinand Zangerl von hier, sondern ich dem erkrankten Kinde homöopathische Arzneien verabreicht. Ich besitze nemlich in Gemeinschaft mit meinem Schwager eine homöopathische Hausapotheke, welche in der Wohnung des Letzteren aufgestellt ist. Aus dieser Apotheke hole ich mir die entsprechenden Arzneien, wenn Krankheitsfälle in meiner Familie vorkommen und richte mich beziehentlich der zu verbrauchenden Medicamente nach Anleitung eines Werkes des Dr. Arthur letzte in Cöthen. Die Anzeige, daß mein Schwager Zangerl mein Kind behandelt haben soll, ist demnach eine Erfindung. Schließlich muß ich noch bemerken, daß auch der Lehrer Sanders Miteigenthümer der homöopathischen Hausapotheke ist.

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eodem erschien in Folge Vorladung der Lehrer Wilhelm Sanders von hier und erklärte auf befragen, wie folgt:
Was die Anzeige gegen Maurermeister Ferdinand Zangerl von hier betrifft, daß derselbe meiner Frau homöopathische Arzneien verabreicht habe, so habe ich zu bemerken, daß diese eine reine Erfindung ist. Ich besitze selbst 2 homöopathische Hausapotheken und zwar eine in Gemeinschaft mit dem Pfarrer Pröbsting hier und eine mit dem Maurermeister Ferdinand Zangerl und Schuster Wilhelm Schlüter. Erstere befindet sich in der Regel in der Wohnung des Herrn Pfarrers, letztere hingegen in der Wohnung des p. Zangerl, Die von meiner Frau im Monat Januar genommenen homöopathischen Medicamente habe ich selbst aus der Apotheke, welche dem Pfarrer Pröbsting und mir gehört, entnommen. Die Apotheke befand sich zufällig damals in meinem Hause. Nur ein einziges Mittel, womit die kleine Apotheke nicht versehen war, habe ich aus der Apotheke des Zangerl genommen. Ich kann nicht leugnen, daß ich mit dem Maurermeister Ferdinand Zangerl beziehentlich des Gesundheitszustandes meiner Frau Rücksprache genommen habe, weil es mir bekannt ist, daß derselbe sich mit der Homöopathie vertraut gemacht, sowie daß ich auch nach dessen Urtheile welches mir das richtigere zu sein schien, die Arzneien gewählt habe. Diese meine Aussage kann ich auf Erfordern eidlich erhärten.

Vierzehn Tage darauf lieferte Vahle dem Polizeianwalt weitere zwei Fälle von unbefugter ärztlicher Behandlung des Zangerl und auch zu diesen beiden vernahm Foecker Zeugen. Doch die Aussagen waren ähnlich und keiner wollte vom Maurermeister behandelt worden sein. Foecker traute dem nicht. Er war überzeugt davon, dass Zangerl als behandelnder Arzt aufgetreten und Medikamente verabreicht hatte. Deshalb beantragte er beim Gericht Zeugenvernehmungen unter Eid. Das geschah, doch die Zeugen blieben, bis auf einige Details, bei ihren Aussagen, so dass eine weitere Verfolgung vom Polizeianwalt abgelehnt wurde.

Der Fall des Apothekergehilfen Ohm

Drei Tage nach der Anzeige des Apothekers Vahle gegen Zangerl kam die Retourkutsche des Maurermeisters. Vahles Filialapotheke in Bork wurde von dem Apothekergehilfen Johann Ohm verwaltete und der bekam die Rachegelüste des Zangerl zu spüren. Bei Wormstall ging nun eine vierseitige Anzeige von ihm ein, in der er Ohm beschuldigte, sowohl Mensch als auch Tier behandelt und ohne weitere Hinzuziehung eines Arztes mit Arzneien versehen zu haben. Er kenne das Behandeln ebenso gut, als wie ein Arzt, und es würden sich dadurch die Kranken die Kosten der Ärzte ersparen können, soll Ohm gesagt haben. Und Zangerl erklärte: Er [Ohm] versuchte auf diese Weise seinen Arzneikram zu veräußern, und konnten sich die Leute nicht genug wundern, (nach Empfang der Rechnungen) wie es möglich sein könnte, für eine nur geringe Behandlung eine solche Summe zu verschulden.

Nachdem Zangerl versicherte, er wolle nicht die Menge der Behandlungen hier anführen, um eine so weitläufige Vernehmung von Zeugen zu veranlassen, sondern nur einige Hauptpunkte zur Anzeige bringen, legt er zehn Beispiele für verbotene Behandlung von Kranken, bzw. hohe Rechnungen für Lappalien vor. So habe eine Frau Tropfen gegen Magenkrämpfe von Ohm bekommen, nach deren Einnahme sie erst heftige Schwindelanfälle bekam und sich dann ihr Geist verwirrte. Hörbeschwerden einer anderen hätten sich durch seine Behandlung nur rapide verschlechtert. Mehreren Schwindsüchtigen habe er seine Medikamente aufgeschwatzt, darunter auch einer hochschwangeren Frau, die nur wenige Stunden vor ihrem Tode ihr Kind gebar, usw. Ohm habe zu all dem nur gesagt, die schlimmsten Fälle, die ihn vielleicht treffen könnten, seien verjährt, und er habe durch seine Handlungen nur die Homöopathie hier vertreiben wollen.

Auch nach dieser Anzeige erhielt Amtmann Foecker den Auftrag, Zeugen zu vernehmen, Tatbestände zu klären und all dies der Staatsanwaltschaft zugehen zu lassen. Im Großen und Ganzen bestätigten die Zeugen die Verabreichung von Medikamenten durch den Apothekergehilfen und seine Äußerung, er verstände es beßer als ein Arzt und er hätte schon so mancher geholfen. Dem Staatsanwalt fehlte in den Protokollen aber der klare Hinweis darauf, dass Ohm Geld oder Geschenke für die Behandlung der Leute und nicht nur für die Medikamente bekommen hatte. In einer erneuten Befragungsrunde sagten alle Zeugen, nur die Arznei bezahlt zu haben.

Damit, so erklärte der Staatsanwalt, gehöre die Sache nicht in seine Kompetenz, da Ohm als Apotheker doch sicher polizeiliche Erlaubniß zum Verkaufe von Arzneien gehabt habe. Ohm habe aber dennoch gesetzeswidrig gehandelt, indem er Medicamente von heftiger Wirkung ohne ein von einem approbirten Arzte verschriebenes Recept verabreichte. Solche Übertretungen, so der Staatsanwalt, würden nach der Apotheker-Ordnung mit einer Geldbuße von 25 Thlr, für jeden Contraventionsfall bestraft werden. Der Polizeianwalt solle überprüfen, ob die Fälle weiterverfolgt werden sollten. Wormstall schrieb dem Amtmann, alle Fälle seien verjährt und er möge dem Zangerl von dieser Zurückweisung seiner Denunciation die geeignete Mittheilung machen.

Der Fall des Pfarrers Evers

Als eine Art Kollateralschaden kann die Untersuchung gegen den Selmer Pfarrer Anton Evers gesehen werden, der aufgrund einer Zeugenaussage im Fall Zangerl zu einer Strafe von fünf Talern verurteilt wurde. Der Kötter Johann Heinrich König aus Netteberge hatte ausgesagt: Es ist zwar richtig, daß meine Frau während ihrer Krankheit homöopathische Arzneien eingenommen hat. Uebrigens ist dieses auch nur einmal geschehen, und sind ihr die Medicamente von dem Pfarrer Evers in Selm gegeben worden. Letzterer erklärte damals gleich, daß er wohl für ein mal solche Medicamente zu verabreichen geneigt sei; indessen meine Frau sich an den hiesigen Arzt Hilgenberg zur ferneren Behandlung wenden müße. Die Verabreichung der Medicamente Seitens des Pfarrers Evers ist im vorigen Herbst erfolgt u. ich bin übrigens nicht im Stande den Zeitpunkt, wann solches geschehen, näher anzugeben.

Die Bestrafung des Pfarrers hatte keinen Bestand. Einige Monate später wies der Oberstaatsanwalt darauf hin, daß von einer weiteren Verfolgung dieser Sache deßhalb kein Erfolg zu erwarten sei, weil der Nachweis nicht erbracht werden könne, daß die verabreichten Zucker- oder Milch-Kügelchen wirklich Arzneistoffe enthielten. Um jedoch der unbefugten Behandlung erkrankter Personen nach homöopathischen Grundsätzen durch den Pfarrer Evers künftig vorbeugen, resp. im weiteren Wiederholungsfalle gegen denselben auf strafgerichtlichem Wege vorschreiten zu können, sei ihm klar und deutlich aufzugeben, sich künftig der Heilung äußerer oder innerer Krankheiten zu enthalten.

Der Fall der Frau von Lom

Die Anzeige wegen Medizinal-Pfuscherei gegen die Frau des Kaufmanns Ernst von Lom kam im März 1868 vom Borker Arzt Clemens Hilgenberg. Er war zu den Eheleuten Goldberg gerufen worden, dessen Kind sich beide Hände und ein Knie mit heißem Kaffee verbrannt hatte. Die entsprechenden Arzneimittel waren von dem Arzt verordnet worden. Als er am nächsten Tag die Wunden kontrollierte, stellte er fest, dass sie mit einer Salbe der Frau von Lom verschmiert waren. Sie solle gegenüber den Eheleuten seine ärztliche Behandlung als nicht ausreichend hingestellt haben. Hilgenberg beantragte ihre Bestrafung.

Amtmann Foecker lud Frau Goldberg und Frau von Lom vor und vernahm sie.

Frau Goldberg sagte aus:
Die Frau von Lom hat die für mein Kind, welches sich gestern mit heißem Kaffee verbrannt, verwendete Salbe nicht verordnet, ich habe solche vielmehr selbst bereitet und kannte die Ingredenzien, welche dazu gehörten, aus einer Vorschrift meines in Hart wohnenden Vaters, welcher solche in früheren Jahren für meine Schwester, welche sich ebenfalls erheblich verbrannt, verwendet hat. Ich kann allerdings nicht in Abrede stellen, daß mir Frau von Lom, wie auch verschiedene andere Nachbarsleute, als ich den Verband für das Kind anlegte, hierbei behilflich gewesen ist. Die Salbe ist in meinem Hause zubereitet und besteht aus Baumöl, Wachs und rothem Gallmai. Ich bin der Ansicht, daß es jedem frei steht, Hausmittel, welche er selbst zubereiten kann, anzuwenden.

Frau von Lom gab zu Protokoll:
Daß ich, wie der Arzt Hilgenberg behauptet hat, für das Kind des Jordan Goldberg, welches sich verbrannt, eine Brandsalbe verordnet und zubereitet haben soll, ist vollends unwahr. Goldberg ist mein nächster Nachbar und kam die Frau desselben, als sich das Kind verbrannt hat, in ihrer großen Bestürzung zu mir und klagte mir ihr Unglück. Sie sagte dann ferner, daß ich damals dem Lehrer Sanders, dessen Kind sich ebenfalls verbrannt, ein Hausmittel gerathen, welches sich als sehr gut erwiesen habe, und bat mich, ihr auch solches mitzutheilen. Weiteres habe ich in der Sache nicht gethan. Zugeben muß ich allerdings, daß ich der Frau Goldberg beim Verbande des Kindes behülflich gewesen bin, ich war dies übrigens nicht allein, sondern auch die übrigen Nachbarsfrauen. Bemerken muß ich noch, daß die Brandsalbe, welche aus Baumöl, Wachs und Gallmai besteht, von der Frau Goldberg selbst zubereitet ist und daß dieselbe das Oel von mir, den Wachs von Meyer Rosenberg und den Gallmai aus der Apotheke gekauft hat. Ich halte mich wegen meiner Handlung in keiner Weise strafbar.

Das meinten auch der Amtmann und der Polizeianwalt. Beide sahen in dem Verhalten der Frau keine strafbare Handlung und Wormstall lehnte es ab, die fernere gerichtliche Verfolgung der Angeschuldigten in die Wege zu leiten.
Juni 2021
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[1] und folgende Zitate: StA Selm, AB-1 – 492.
[2] am selben Tag




 
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