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Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686

Eine neue Prüfungsordnung für die Handarbeitslehrerinnen – 1886

Christel Gewitzsch

Am 22. Oktober 1885 erließ der Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten von Goßler mittels eines Reskripts eine neue Prüfungs-Ordnung für Lehrerinnen der weiblichen Handarbeit und hob die von den Königlichen Provinzialschulkollegien verfassten Vorschriften auf.

Die Regierung zu Münster veröffentlichte das Reskript im Januar 1886(1). Am 1. April trat die Prüfungsordnung in Kraft und am 13. April sollte die Prüfung des Jahres im Lehrerinnenseminar zu Münster von neun Uhr morgens ab stattfinden. Dem Text der Prüfungsordnung stellte die Regierung die  Gesichtspunkte voran, von welchen sie bei der Verfassung der Prüfungsordnung ausgegangen war:

Der Unterricht in den weiblichen Handarbeiten hat unterschiedslos in allen Mädchenschulen ... das Auge und die Hand der Kinder zu üben, ihren Ordnungssinn zu stärken und sie zur Freude an einer, genau und sorgfältig ausgeführten Arbeit zu führen, und es ist daran festzuhalten, daß gerade durch einen zweckmäßig eingerichteten Handarbeitsunterricht ein wesentlicher Theil der erziehlichen Aufgabe der Schule gelöst werden kann. Außerdem soll er die Mädchen befähigen, erst im elterlichen, später im eigenen Hause die ihnen zufallenden Aufgaben zu erfüllen. ... Das Bedürfniß der Familie, in welcher das Kind steht, entscheidet über den Gebrauch der Nadel, zu welchem es ertüchtigt werden soll. ...
Nicht minder hat die Schule, soweit sie es vermag, die heranwachsende Jugend der höheren Stände daran zu gewöhnen, sich unmittelbar im Hause nützlich zu machen.
Alles, was über dies Maß hinausgeht, ist von den Schulen, welche zur allgemeinen Ausbildung der Mädchen dienen, fern zu halten und den für die Förderung der Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts bestimmten gewerblichen Fortbildungs- und Fachschulen zu überlassen. Namentlich ist in den Volksschulen Alles zu vermeiden, was von den Kindern als ein Anreiz, außerhalb des Standes der Eltern ein Fortkommen als Näherin, Schneiderin pp. zu suchen, empfunden werden könnte.

Die Prüfungs-Ordnung

Zwölf Paragrafen umfasste die Ordnung und die Prüfung bestand aus einem praktischen und einem theoretischen Teil. Die Provinzen entschieden, ob sie die Prüfungen ein- oder zweimal im Jahr abhalten wollten. Der Termin und die Örtlichkeit, in der Regel am Sitze des jeweiligen Provinzialschulkollegiums, wurden im Centralblatt für die gesammte Unterrichtsverwaltung in Preußen und in den Amtsblättern bekannt gemacht. Spätestens vier Wochen vor dem Termin musste die Anmeldung zur Prüfung vorliegen. Zur Prüfung zugelassen wurden die Frauen, die bereits eine Prüfung als Lehrerin erfolgreich abgelegt, aber auch Bewerberinnen, die eine ausreichende Schulbildung nachweisen und das 18. Lebensjahr vollendet hatten.

Die Lehrerinnen mussten ihrer Bewerbung ihr Prüfungszeugnis und ein amtliches Zeugnis über ihre bisherige Lehrtätigkeit beilegen. Von den anderen Bewerberinnen verlangte man einen selbstgefertigten, in deutscher Sprache abgefassten Lebenslauf mit dem Hinweis darauf, ob man sich für die Lehrtätigkeit in einer mittleren oder höheren Mädchenschule oder der Volksschule bewarb. Darüber hinaus musste ein Tauf- beziehungsweise ein Geburtsschein, ein Gesundheitsattest, ein Zeugnis über die erlangte Schulbildung und eventuell schon abgehaltene Prüfungen zum Beispiel als Turn- oder Zeichenlehrerin, ein Zeugnis über die Ausbildung zur Handarbeitslehrerin und ein amtliches Führungszeugnis entweder von einem Geistlichen oder der Ortsbehörde vorgelegt werden.

Vor Beginn der Prüfung wurde eine Gebühr von sechs Mark fällig. Nach bestandener Prüfung erhielten die Damen ein sogenanntes Befähigungszeugnis.

Die praktische Prüfung

Für den Nachweis ihrer praktischen Fähigkeiten mussten die Bewerberinnen einen neuen Strumpf und ein angefangenes Strickzeug, ein Häkeltuch mit mehreren Mustern und einer gehäkelten Kante, ein Männer- und ein Frauennachthemd, einen alten Strumpf mit neu eingestrickter Hacke und gestopften Stellen und vier bis sechs Stoffproben mit Flicken, Stopfstellen, gestickten Buchstaben und Zahlen in unterschiedlichen Farben und Stichen am Tag der Prüfung mitbringen. Die vorgelegten Hemden sollten noch nicht fertig gestellt sein, damit die künftige Handarbeitslehrerin neben ihrer Versicherung, die Arbeiten selbst angefertigt zu haben, vor der Prüfungskommission eine Probe ihrer Fertigkeiten ablegen konnte. Über diese Beispiele hinaus durften keine Arbeiten angenommen werden. Ein Ausgleich für eine nicht abgelieferte Probe oder ein Nachweis von besonderen Fähigkeiten in einer der technischen Disziplinen war nicht erlaubt.

Komplett war die praktische Prüfung erst mit der Vorführung einer Handarbeitsstunde in einer Schulklasse.

Die theoretische Prüfung

Für die Lehrerinnen war nur eine mündliche, für die anderen auch eine schriftliche Prüfung vorgesehen. Für alle erstreckte sie sich auf die sittliche und erziehliche Bedeutung des Handarbeitsunterrichts, auf den gesammten schulmäßigen Betrieb desselben, auf Ziel und Aufgabe, auf Lehrgang und Lehrmethode, auf die Auswahl des Lehrstoffes und auf die Kenntniß einiger der wichtigsten einschlagenden Fachzeitschriften.

Die noch nicht zum Lehramt geprüften Bewerberinnen mussten sich zu den wichtigeren Punkten der Erziehungs- und Unterrichtslehre und der Schulkunde, welche bei dem Handarbeitsunterrichte besonders in Betracht kommen äußern. Wenn die Kommission es für nötig hielt, verschaffte sie sich über den Bildungsstand des Prüflings und dessen richtigen und angemessenen Gebrauch der deutschen Sprache einen tieferen Einblick.

Der schriftliche Teil der Prüfung bestand im Schreiben eines Aufsatzes. Unter Aufsicht äußerten sich die angehenden Handarbeitsexpertinnen innerhalb von zwei Stunden entweder über ein Thema aus dem Bereich der Handarbeit oder aus einem anderen Sachgebiet, bei dem eine hinreichende Bekanntschaft bei den Bewerberinnen vorausgesetzt werden konnte.

Auswirkungen für die Elementarschulen

War nun die Zeit der Anstellung der Lehrerfrauen, -töchter und -haushälterinnen für den Handarbeitsunterricht vorbei? Mitnichten. Denn nach der Veröffentlichung erklärte das Königliche Provinzial-Schul-Kollegium, dass diese Prüfungsordnung nicht obligatorisch, nicht bindend sei. An den Land- und Volksschulen durfte bei der Einstellung von Handarbeitslehrerinnen so verfahren werden wie bisher. Einer offiziellen Prüfung mussten sich diese Lehrerinnen weiterhin nicht unterziehen. Nur wer an einer mittleren oder höheren Mädchenschule dieses Fach unterrichten wollte, musste das Befähigungszeugnis vorlegen.

Februar 2022
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1. alle Zitate: Amtsblatt der Königlichen Regierung zu Münster, Stück 4., Münster, den 23. Januar 1886., S.25ff.



 
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