aktenlage
Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686

Papa zahlt nicht - 1866  

Christel Gewitzsch

„Unterhaltsvorschuss“ nennt man es heute, wenn ein Elternteil seine Zahlungspflicht nicht erfüllt und der Staat mit Unterstützungen einspringen muss. Die Gemeinde Bork musste ebenfalls zahlen, als 1866 das nur etwas mehr als ein Jahr alte Kind der Eheleute Grieseholt aus Übbenhagen plötzlich ohne Versorgung dastand.

Unterbringung bei der Familie Arendt

Die Mutter des Kindes war wegen Brandstiftung verhaftete worden. Der Vater bat daraufhin die Familie Arendt in Südkirchen, sich für acht bis zehn Wochen um das Kind zu kümmern. Bis dahin würde sich die Unschuld seiner Frau herausgestellt haben, versprach Grieseholt,  und dann könnten seine Frau und er das Kind wieder in ihre Obhut nehmen. Nach circa vierzehn Wochen, die Mutter war inzwischen verurteilt worden, hatte der Vater das Kind noch nicht wieder abgeholt. Weil Arendt zum Militär eingezogen worden war, konnte es sich seine Frau nicht mehr leisten, das Kind zu versorgen. Sie suchte nach dem Vater, konnte ihn aber nicht finden. Gerüchteweise war ihr zugetragen worden, der Vater sei nach Amerika ausgewandert. Frau Arendt bat den für sie zuständigen Amtmann in Ascheberg, sich wegen der Versorgung des Kindes mit dem Amt Bork in Verbindung zu setzen.

Die Armenkasse in Cappenberg ist gefordert

Der Beigeordnete Dörlemann reagierte unverzüglich und forderte Pfarrer Schemm in Cappenberg als Vorsitzenden des Armenvorstandes auf, für eine entsprechende Unterbringung des Kindes zu sorgen. Doch der Armenvorstand akzeptierte seine Zuständigkeit erst einmal nicht. Er meldete nach Bork, dass der älteste Sohn der Grieseholts, der beim Kolon Hördemann in Bork sei, den Aufenthalt seines Vaters kenne. Deshalb solle der Amtmann den Vater ausfindig machen, dessen Besitzungen sicher ausreichten, um die Pflegekosten für sein jüngstes Kind aufzubringen. Falls das nicht der Fall sei, müsse man sich noch einmal an die Familie Arendt in Südkirchen wenden, die die Taufpaten des Kleinen seien. Wenn das alles erfolglos blieb, hätte die Gemeindekasse Bork für eine Unterbringung zu zahlen, da die Mittel der Armenkasse von Cappenberg dazu nicht ausreichten.

Dörlemann widersprach. Weder war der Aufenthalt des Vaters bekannt, noch waren die Taufpaten für eine Versorgung des Kindes zuständig. Der Vater hatte vor einem Monat einen Reisepass nach Ahsen beantragt und erhalten. Er wollte dort eine besser bezahlte Arbeit aufnehmen, war aber nie angekommen. Der verpachtete Kotten des Grieseholt würde auch längst nicht so viel einbringen, um davon Steuern, Zinsen und sonstige Abgaben zahlen zu können. Dörlemann bat den Armenvorstand wiederholt, gefälligst schleunigst [im Original unterstrichen] für ein entsprechendes Unterkommen des Kindes Sorge tragen zu wollen. Er bemerkte außerdem, daß wenn die Mittel der Armenkasse erschöpft sind, die Gemeindekasse Zuschuß leisten wird und ist, soviel wie möglich darauf Bedacht zu nehmen, daß das Kind gegen mäßigen Pflegesatz untergebracht wird, hierzu wird sich auch wohl Gelegenheit darbieten.[1]

Unterbringung in Cappenberg

Knapp zwei Wochen nach dem ersten Anschreiben meldete Pfarrer Schemm den Vollzug. Das Kind der Eheleute Grieseholt war aus Südkirchen abgeholt worden und lebte nun, gegen ein jährliches Pflegegeld von 36 Talern, bei dem auf dem Emptings Kotten zu Uebbenhagen wohnenden Arbeiter Huvendieck.

Der Beigeordnete schrieb sicherheitshalber den Rechtsanwalt Laumann in Lüdinghausen an, der die Besitzung der Grieseholts verwaltete, und fragte nach, ob die Pflegekosten aus deren Vermögen bezahlt werden konnten. Laumann verneinte. Er sah seine Aufgabe darin, den Kotten für die Kinder zu erhalten. Die Einnahmen aus der Verpachtung reichten gerade aus, die Zinsen für das hochverschuldete Haus zu zahlen und diejenigen Gläubiger zu befriedigen, die mit einer Versteigerung gedroht hatten. Er schlug vor, das Kind kostenlos bei vermögenden Verwandten unterzubringen, der Verpflegungssatz von 36 Talern sei viel zu hoch. Dörlemann versicherte, bei der Verwandschaft alles versucht zu haben. Er bat noch einmal um die Zahlung der Gelder aus dem Vermögen, das außer dem Haus wohl auch noch 38 Morgen Land umfasste. Er bekam erst einmal keine Antwort.

Zuschuss aus Bork

Vier Monate später erinnerte der Armenvorstand von Cappenberg an den versprochenen  Zuschuss aus Bork, damit Heinrich Huvendieck seine erste Quartalszahlung erhalten konnte. Die Armenkasse war nur in der Lage, sechs Taler in diesem Jahr dazu beizutragen. Foecker, zurück im Amt,  wies die Gemeindekasse Bork umgehend zur Zahlung der übrigen dreißig Taler an, wandte sich aber auch noch einmal an Rechtsanwalt Laumann und schrieb: Solange nun aber der Kötter Johannes Grieseholt im Besitz von Vermögen ist, derselbe auch sonst körperlich befähigt ist, sein Kind ernähren zu können, und er hierzu auch gesetzliche Verpflichtung hat, kann ich mich nicht damit einverstanden erklären, dieserseits Kosten aus der Gemeindekasse zahlen zu lassen. Ew. Wohlgeboren wollte ich daher hierauf ergebenst ersuchen, aus den Einkünften des Grieseholtschen Vermögens, die mehr bezeichneten Kosten zu Händen des Pfarrers Schemm zahlen zu lassen, und sehe ich ein gef. Erklärung entgegen, ob sie hierzu geneigt sind, - Event. bitte ich, falls Sie die Zahlung der Pflegekosten ablehnen sollten, uns die Gründe angeben zu wollen, weshalb Sie Sich darauf nicht einlassen können, ob namentlich die Vermögens-Substanz nicht soweit ausreichend ist, um demnächst den Kötter Johann Grieseholt polizeilich dazu anhalten zu können, in Bezug auf Erziehung und Pflege seines Kindes seinen Verpflichtungen nachzukommen.

Trotz der Ausgabeanweisung des Amtmanns kam kein Geld bei Huvendieck an. Pfarrer Schemm musste ein halbes Jahr später die Beschwerde desselben weiterreichen und wunderte sich ebenfalls über die verzögerte Bezahlung. Für den Arbeiter, der von seinem Tagelohn kaum selbst leben kann und nun noch das Kind mit davon nähren und pflegen soll, sei es unzumutbar, so lange warten zu müssen. Foecker mahnte daraufhin den Rechtsanwalt noch einmal an, der wiederholte, sämtliche Einnahmen für die Schulden und Zinsen ausgegeben zu haben. In zwei Monaten aber, wenn die nächsten Pachtzinsen für den Kotten fällig würden, könne er vielleicht das Verpflegungsgeld zahlen. Mit dieser Information sollte der Pfarrer, so Foecker, den Huvendieck bescheiden.

Der Vater meldet sich

Nun tauchte überraschenderweise der Vater wieder auf, händigte Pfarrer Schemm sechs Taler aus und versprach, zwei Monate später weitere sechs Taler zu schicken. Jährlich wolle er nun, solange er abwesend sei, sich mit zwölf Talern an den Kosten beteiligen, mehr könne er von seinem jetzigen Verdienst wirklich nicht erübrigen, aber es sei doch zu schade, wenn der Kotten verkauft werden müsse. Das fand auch der Pfarrer und legte beim Amtmann ein gutes Wort dafür ein, die restlichen 18 Taler aus der Gemeindekasse fließen zu lassen.

Für das Jahr 1868 kamen dann 18 Taler vom Rechtsanwalt Laumann, sechs Taler zahlte wieder die Armenkasse Cappenberg und zwölf Taler übernahm Bork. Auch im folgenden Jahr erhielt Huvendieck aus diesen drei Quellen sein Geld, aber das Blatt wendete sich. Johannes Grieseholt aus Übbenhagen wanderte nun wirklich nach Amerika aus. Er selbst hatte seinen Kotten verkauft und verschwand, ohne auch nur einen Pfennig für seine minderjährigen Kinder zurückzulassen.

Pfarrer Schemm rief das Kreisgericht in Lüdinghausen an. Er konnte nicht verstehen, dass von dem Vater auf dem Wege des Rechts kein Geld zu bekommen sei. Es gehe ja nur um den Jüngsten, die anderen seien unentgeltlich bei mildthätigen hiesigen Eingesessenen untergebracht, ... bis auf den dritten, Franziscus, der von den Anverwandten der Mutter im Ksp. Lüdinghausen angenommen worden war.

Bork muss zahlen

Das Kreisgericht sah keine Möglichkeit, an das Geld des Vaters zu kommen und beschied: Die fernere Versorgung seiner Kinder wird daher der Gemeinde Bork zu Last fallen. Die entsprechende Zahlung für 1871 über dreißig Taler als Zuschuss für die Armenkasse Cappenberg ist der letzte Vermerk dazu in der Akte.

Heinrich Huvendieck, der das jüngste Kind aufgenommen hatte, erkrankte 1876 schwer an einem Magenübel und musste ins Krankenhaus eingeliefert werden. Er war inzwischen Witwer und seine beiden erwachsenen Söhne wohnten weit entfernt. Pfarrer Schemm beantragte die Übernahme der Krankenhauskosten durch die Borker Armenkasse, zog nach dem baldigen Tod des Huvendieck den Antrag aber zurück. Huvendiecks Vermögen hatte sich als größer herausstellt als gedacht und der älteste Sohn konnte die Krankenhaus- und Beerdigungskosten aus der Erbschaft begleichen.

Von dem Kind des Grieseholt, das zu dieser Zeit elf Jahre alt war, liest man nichts mehr.

Eine Anmerkung zur Auswanderung des Vaters: Nach Recht und Gesetz ist sie nicht über die Bühne gegangen. Vorauszugehen hatte eigentlich der Antrag auf Entlassung aus der preußischen Staatsbürgerschaft, die seit 1842 nicht mehr verweigert werden durfte, wenn keine besonderen Hinderungsgründe vorlagen. Schulden oder Unterhaltungsverpflichtungen galten allerdings als Grund, den Reisepass zu verweigern.

November 2019
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[1] und alle folgenden Zitate: Stadtarchiv Selm, AB-1 – 328.


 
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