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Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686

Polizeidiener in Selm ab 1871

Christel Gewitzsch

Joseph Glowsky, Polizeidiener in Selm seit 1841[1], begab sich am 22. April 1871 auf das Amtsbüro und erklärte: Seit ungefähr 30 Jahren habe ich in der Gemeinde Selm den Dienst als Polizeidiener verrichtet. Da ich jedoch nahezu 67 Jahre alt bin, so möchte ich fortan wohl von meinem Posten entbunden sein.
Da mir von meinem Gehalte ad 110 T, 2/3tel als Pension gebühren so will ich hiervon nur 2/3tel beanspruchen, wenn meinem Sohn Anton Joseph, geboren am 10 März 1844 welcher im Jahr 1865 bei 53 Infanterie Regimente eingestellt und hierbei 3 Jahre gedient hat, diese Stelle wieder übertragen werde
.[2]

Vom Vater auf den Sohn

Die Gemeinde Selm bestritt eine Verpflichtung zur Pensionszahlung für den Unterbeamten, was auch vom Landrat bestätigt wurde. Dieser setzte sich aber dafür ein, dem langjährigen Polizeidiener eine jährliche Pension von 55 Talern zu bewilligen und die Gemeindeverordneten folgten diesem Vorschlag. Der Landrat erklärte sich ebenso bereit, dem Sohn des Glowsky die Polizeidienerstelle auf ein Jahr auf Probe zu überlassen. Hundert Taler sollte er dafür bekommen und zusätzlich ein Kleidergeld von 15 Talern. Auch dieser Empfehlung folgten die Gemeindevertreter, nur das Kleidergeld wollten sie ihm für das Probejahr nicht zukommen lassen. Glowsky jun. solle sich eine Dienstmütze kaufen, die müsste für das erste Jahr genügen. So geschah es. Anton Glowsky begab sich zum Zwecke seiner Vereidigung am 8. September 1871 auf das Kreisbüro, sein Vater ging ab dem 1. Oktober in den Ruhestand.

Ein Jahr später forderte Lüdinghausen ein Gutachten des Amtmanns über die dienstliche Führung des Anton Glowsky an. Amtmann Döpper schrieb: Der Polizeidiener Anton Glowsky aus Selm, welchem seit dem 14.9.v.J. die Polizeidiener-Stelle in der Gemeinde Selm auf eine einjährige Probe übertragen worden ist, hat sich während dieser Zeit in dienstlicher und moralischer Beziehung gut geführt. Derselbe ist nüchtern, rechtlich folgsam und fleißig und genießt das Vertrauen der Gemeinde Eingesessenen.
Die Gemeinde Vertretung hat wie die anliegende Erklärung ergiebt über die Würdigkeit desselben keine Einwendungen vorgebracht und erlaube ich mir daher das Königliche Landraths Amt gehorsamste zu bitten, denselben nunmehr definitiv bestätigen zu wollen.

Der Landrat setzt ein

Nachdem Anton Glowsky 1874 aus dem Dienst ausgeschieden war, glaubten die Amtsverordneten, für alle drei Gemeinden mit nur einem Polizeidiener auszukommen. Das sahen sich die Regierung und der Landrat ein Jahr lang an. Dann teilte Landrat Graf von Wedel mit: Es ist nicht allein die bevorstehenden Eröffnung des Güterbahnhofes, sondern auch das mit Wirthshäusern überfüllt Dorf Selm, welche einen eigenen Polizeidiener mit dem Wohnsitze in Selm dringend wünschen lassen. Ich werde deshalb die Polizeidiener Stelle zu Selm mit dem 1. October wieder besetzen.[3] Wedel brachte den 36 jährigen Holzschuster Wilhelm Schroer in Vorschlag. Amtmann Döpper hatte nichts gegen ihn einzuwenden und am 22. September 1875 leistet Schroer seinen Eid. Die Anstellung galt wie immer erst nur für ein Jahr. Sein Einstiegsgehalt betrug 360 Mark (120 Taler) plus 45 Mark (15 Taler) Kleidergeld. Bei seiner definitiven Anstellung erhöhte der Landrat sein Gehalt auf 450 Mark.

1880 allerdings kamen dem Landrat Zweifel an seiner Personalentscheidung. Dem Amtmann teilte er mit: Ich habe den Eindruck erhalten, als ob der Polizeidiener Schroer zu Selm fast allein seinem Berufe als Handwerker lebte und sich um die ihm obliegenden Geschäfte als Polizei-Officiant garnicht kümmerte. Ich kann es aber nicht stillschweigend mit ansehen, daß die Gemeinde einen Beamten besoldet, welcher seines Lohnes nicht wert ist, oder wenigstens es nicht für nötig hält, dieselben durch regen Diensteifer sich wirklich zu verdienen.
Ich veranlasse daher Ew. Wohlgeboren, den p. Schroer mit täglichen Patrouillen in seinem Bezirke zu beauftragen und Sich über das Resultat derselben allwöchentlich genaueren Bericht erstatten zu lassen.
Zum 1 Julius ist mir mitgetheilt in welcher Weise der genannten Polizeidiener den an ihn gestellten Anforderung entsprochen hat und ist dabei speciell anzugeben, welche Contraventionen
[Gesetzesbrüche] pp von demselben zur Anzeige gebracht sind.

Amtmann Döpper erstattet am 8. Juli Bericht. Ich habe dem Polizeidiener Schroer aufgegeben, täglich Patrouillen in der Gemeinde Selm zu machen. Außer den gewöhnlichen geschäftlichen Aufträgen hat derselbe 2 Contraventionen wegen Viehhütens in Wegegräben zur Anzeige gebracht und kann man daher wohl annehmen, daß der den an ihn gestellten Anforderungen nur in einem sehr geringen Grade entsprochen hat.
Obgleich der Schroer die speciellen Aufträge pünktlich und gut ausführt dürfte es wohl geboten erscheinen, denselben zu einem regeren Diensteifer anzuspornen.

Vermutlich ist dem Amtmann dies gelungen. Als Schroer 1883 mit folgendem Schreiben um eine Gehaltserhöhung bat, bewilligte die Gemeinde ihm 36 Mark jährlich mehr. Der Polizeidiener schrieb dem Amtmann: Ich erlaube mir ein Gesuch der Gemeinde-Vertretung von Selm vorzulegen.
Seit dem Jahre 1875 habe ich die Stelle eines hiesigen Polizeidieners vertreten, und glaube ich, das über meine Dienstleistungen keine Klagen erhoben sind. Die Dienste und Besorgungen der Polizeidiener Stelle sind in den letzten Jahren vielfach vermehrt, und so ist es mir bei Erfüllung meiner Pflichten unmöglich, Nebenverdienste zu erwerben, indem ich meine Zeit hauptsächlich zu Ausgängen benutzen muß. Ich komme in der Regel Abends spädt, und müde zu Hause, so daß ich fernere Arbeiten nicht mehr unternehmen kann.
Mein Gehalt welches ich beziehe, macht pro Tag 12 Sgr 5 Pf. entschädigt mich für meine Dienste nicht, und bitte ich gehorsamst, für mich eine bescheidene Gehalts-Erhöhung zu erwirken.

Öffentliche Ausschreibung

Anfang 1889 starb Wilhelm Schroer. Sein Sohn hatte ihn schon seit Januar des Jahres vertreten müssen. Mit einer Annonce im Lüdinghauser Volksblatt bemühte sich der Amtmann um einen Nachfolger. Zwölf Männer bewarben sich: der Bahnwärter Wilhelm Schwenken, der Stuhlmacher Wilhelm Keutken, der Schuster Joseph Keutken, der Händler Wilhelm Seppendorf, der Maurer Theodor Benning, der Metzger Gerhard Bussmann, der Schuster Franz Heitmann, der Hausierer Johann Heinrich Kortendieck, der Schäfer Anton Mengelkamp, der Rottenarbeiter Joseph Weber, der Knecht Heinrich Greve und der Ackerknecht des Witthoff in Ternsche Heinrich Thier. Sechs von den Bewerbern wohnten in Selm, drei kamen aus Bork, je einer aus Herbern, Dülmen und Lüdinghausen.

Von acht Bewerbern liegen in der Akte die Bewerbungsschreiben vor. Anton Mengelkamp fasste sich ganz kurz:
Gesuch von Anton Mengelkamp / an Herrn Amtmann um die Stelle als Polizeidiener in Selm. / Mengelkamp / geboren den 24. Mai 1861 / 28 Jahre alt / Verheiratet / 4 Kinder / Militär gewesen.[4]

Franz Heitmann stellte sich ausführlicher vor:
Da durch den Tod des Inhabers die hiesige Polizeidienerstelle erledigt ist, so erlaube ich mir, mich um dieselbe zu bewerben. Ich habe als Soldat 3 Jahre in Berlin bei der Königl. Kaiser Alexander Garde Grenadier Regiment 1 gedient. 1866 nahm ich theil an dem Feldzug gegen Oesterreich, 1870/71 diente ich bei der 2ten Ersatz Compagnie desselben Regiments. Ich habe mich mit um das Vaterland verdient gemacht, wie uns damals gesagt wurde. Ich bin groß von Körperbau und kann als Schumacher das sitzen nicht gut aushalten. Auch ist hier unser Handwerk zu stark vertreten, man kann sich kaum mehr damit ernähren. Wenn ich diese Stelle erhalten könnte würde ich wie bisher, mich und meine Familie endlich ernähren können. Ich bitte daher nochmals, diese Stelle mich Verleihen zu wollen.
Hochachtungsvoll / F. Heitmann

Der Borker Bewerber Wilhelm Keutken schrieb:
An Herrn Amtmann Döpper / Unter ausschluß meiner sämtlichen Militärpapiere beehre ich mich, E. w. Wohlgeboren ganz ergebenst, Folgendes vorzutragen. Weil die Polizeidienerstelle zu Selm verkand ist halte ich mich gestütz auf meine Militärpapiere, und lust für diese Stelle zu melden. Schließlich erlaube ich mir, an E.w. Wohlgeboren die dringende Bitte zu stellen, mein Gesuch bei vorlage der Gemeindevertretung hochgeneigtest befürworten zu wollen. Und jetz gebe ich mich den der frohen Hoffnung hin mein Gesuch erfüllt zu sehen.
E.w. Wohlgeboren / unterthänigster / Diener / W. Keutken. / Bork.

Gerhard Bussmann, ebenfalls aus Bork, formulierte folgendes Schreiben:
Unter Ausschluß meiner sämtlichen Militärpapiere beehre ich mich Euer Wohlgeboren ganz ergebenst Folgendes vorzutragen. Weil die Polizeidienerstelle zu Selm vakant ist halte ich mich gestütz auf meine Militärpapiere, und lust für diese Stelle zu melden. Meinen Gesundheitszustand ist wie gerade durch Aerzte bewiesen worden, eine guter, welcher der mir mit der Polizeidienerstelle auferlegte Geschäfte erlauben.
Und welche ich pünktlich und gewissenhaft auszuführen versprechen werde. Die Pension werde ich, wenn ich meine 25 Jahre nicht aushalten kann qittiren.

Als letztes Beispiel dient das Gehorsame Gesuch des Hausirers Joh. Heinr. Kortendieck wohnend zu Dülmen, um Beschäftigung für den Polizeidienst für Gemeinde Selm, das dem Anschein nach nicht allein vom Bewerber verfasst wurde.  
Selm, den 7. März 1889
An das Wohllöbliche Amt zu Bork.
Unterzeichneter unterbreitet dem Amte zu Bork für die Gemeinde Selm in kurzen Zügen seinen bisherigen Lebenslauf um Anstellung zum Polizeidienste zu Selm.
Achtzehnhundert zwei und fünfzig im August zu Selm geboren, katholisch getauft und erzogen, besuchte bis vollendetem 14. Lebensjahre daselbst die Schule, um mich für später dem Kaufmansstande zu widmen. Nachdem ich mich dem Geschäfte schon mehrere Jahre geopfert und gereist hatte, wurde ich im Jahre 1873 fürs Militair bestimmt, wo ich dann bis Herbst 1876 beim Niederrheinischen Füsilier Regiment Nr. 39. in Düsseldorf meiner Dienstpflicht genügte ohne Strafe.
Mich fernerhin dem Kaufmansstande widmend, habe noch Militairübungen machen müssen im Herbst 1877 6 Wochen lt. beil. Attest, ferner 1880 12 Tage in Jülisch und 1882 12 Tage in Münster, sämmtliche diesbezügliche Papiere wie auch einige Privat Zeugnisse sind ohne Tadel und Strafe, bin ich auch gerne bereit, solche der vorgesetzten Behörde auf Wunsch zu jeder Zeit (und etwaiger Aussicht auf Anstellung) vorzulegen.
Meine letzte seitherige Beschäftigung ist Hausirhandel, da dieser so sehr darnieder liegt und ich kein Anderes Geschäft erlernt habe, noch mehr erlernen kann, so möchte ich meinen Dienst der Gemeinde Selm mit Umsicht, Eifer und Pflichttreue gerne widmen.
Hoffend, geneigte Berücksichtigung zu finden zeichne
gehorsamste
Joh. Heinr. Kortendieck

Am 9. März 1889 wurden alle Bewerber über das Ergebnis der Gemeindeversammlung informiert. Die positive Benachrichtigung erhielt der Ackerknecht Heinrich Thier, der sich mit vier zu zwei Stimmen gegen Franz Heitmann durchsetzen konnte. Vielleicht half es ihm, dass sein Arbeitgeber stellvertretender Gemeindevorsteher war.

Vor einem Anraunzer seitens des Amtmanns bewahrte ihn das aber nicht. Als Landrat Wedel 1896 feststellen musste, dass die ihm mitgetheilte Planirung der öffentlichen Wege in der Bauerschaft Ternsche sehr unvollkommen und zum Theil garnicht (Kimmlingshoff, Bergmann) statt gefunden hat[5] und der Polizeidiener erneut mit der Überwachung beauftragt werden sollte, schrieb Busch an Thier: Ich verlange aber ganz entschieden wahrheitsgetreue Berichte, damit ich mich nicht wieder auf unrichtige Angaben Ihrerseits in einem Berichte an den Herrn Landrat stütze. Ich ertheile Ihnen wegen der groben Pflichtverletzung hierdurch einen ernstlichen Verweis.

Allen Polizeidienern des Amtes Bork erteilte der Landrat 1895 die Genehmigung zur Übernahme der Geschäfte eines Vollziehungs-Beamten für die Gemeindekassen des Amtsbezirks.[6] Dafür erhielten sie 100 Mark jährlich.  (Ab April 1907: 200 Mark) Die Gemeinden sahen davon ab, eine Kaution zu verlangen und auch dem stimmte der Landrat zu.

In die Dienstzeit des Thier fiel auch die Ausstattung der Polizeidiener mit Armeerevolvern. Sie würden aber nur getragen, so der Amtmann 1896 an die Regierung in Münster, wenn die Polizeidiener gefährliche Transporte auf den Landwegen, besonders zum Amtsgericht in Werne, zu begleiten hätten. Der Amtmann appellierte, dieses auch ferner zu gestatten,[7]denn die Beamten seien auf diesen Wegen durch die Industriegebiete von Lünen und Altlünen allerlei Eventualitäten als Belästigungen und Ueberfällen durch Complicen der Transportanten usw ausgesetzt.

1906 interessierte sich der Landratsamtverwalter Graf von Westphalen noch einmal genauer für die Bewaffnung der Polizeidiener. In einer mit Geheim! Eigenhändig! versehenen Anfrage wollte er wissen, wer mit Revolvern ausgestattet sei, wo sich die Schusswaffen befänden und ob und wie eine Schießausbildung stattgefunden habe. Im Amt Bork waren die Waffen ständig im Gebrauch der Polizeidiener. Eine Schießausbildung hatte nicht stattgefunden. Anlässlich dieser Anfrage teilte Amtmann Busch darüber hinaus mit, auch er sei im Besitz eines Armeerevolvers, der von seinem Vorgänger (Döpper) angeschafft worden war. Ob eine Genehmigung dazu vorlag, wusste er nicht, aber von ihm sei der Revolver bisher auch noch niemals benutzt worden.

Wegen der Gefährlichkeit des Dienstes, der gesteigerten Kosten und der erheblich gestiegenen Löhne in anderen Berufen beabsichtigte der Landrat 1903 – wie das bei den Herren Amtmänner geschehen ist – dem Kreisausschusse vorzuschlagen, das System der Alterszulage auch bei den ländlichen Polizeidienern einzuführen. Er forderte dazu Unterlagen an, aus denen hervorgeht, dass Thier zu der Zeit außer den 100 Mark als Vollziehungsbeamter 1.100 Mark an Gehalt bezog.

1904 schlug der Regierungspräsident vor, den Titel Polizeidiener abzuschaffen und durch den schon für die städtischen Beamten gebräuchlichen Polizeisergeant zu ersetzen. Der Bevölkerung, so der Regierungspräsident, würde die Bezeichnung „Diener“ minderwertiger erscheinen als die des Sergeanten, dabei sei in einigen ländlichen Industriegemeinden die Arbeit erheblich wichtiger, schwieriger und gefahrvoller ... als der Dienst der gleichen Beamten in vielen kleinen und mittleren Städten.

Amtmann Busch schloss sich dieser Einschätzung an und fortan ist in den Schreiben immer von Polizeisergeanten die Rede. Heinrich Thier übte das Amt noch aus, als 1909 diese Akte geschlossen wurde.

Oktober 2020
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[1] Vorgänger: Maximilian Schwager, (nach eigenen Angaben ab 1813) Polizeidiener in Selm bis 1841. Siehe auch: Christel Gewitzsch, Ruthenhiebe und Lebenshülfe, Selm 2014.
[2] und folgende Zitate: Stadtarchiv Selm, AB-1 – 38.
[3] und folgende Zitate: Stadtarchiv Selm, AB-1 – 51.
[4] und folgende: StA Selm, AB-1 – 38.
[5] und folgendes Zitat: StA Selm, AB-1 – 104.
6] StA Selm, AB-1 – 51.
[7] und folgende Zitate: StA Selm, AB-1 – 38.


 
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