aktenlage
Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686

Schulze-Haverkamp gegen Köhler und umgekehrt

Christel Gewitzsch

Bürgermeister Friedrich Köhler suchte Unterstützung. Er wandte sich im Juli 1833 an Landrat Schlebrügge, damit er mit einer landrätlichen Verfügung im Rücken dem Netteberger Bauerschafts-Vorsteher Schulze Haverkamp gestärkt entgegentreten konnte. Zeller Ickerodt hatte sich bei Köhler über Haverkamp beschwert. Dieser habe ihn und den Herrn Zurmühlen mehrere Male allein dazu eingeteilt, Vorspanndienste für den Transport von Steinen für die Wegeverbesserung zu leisten. Alle anderen würden einmal bestellt, er sei schon zum vierten Mal verpflichtet worden.

Die Verfügung wurde postwendend erteilt und Köhler schrieb an Haverkamp:  In Gefolg Landräthlicher Verfügung vom 4.d. werden Sie hierdurch aufgefordert sich zu verantworten warum Sie von der Ihnen gegebenen Vorspannliste bei den Bestellungen abweichen, und namentlich dem Zeller Ickerott und dem Herrn ZurMühlen jedesmal ohne Zuspann bestellen laßen, welches denselben zur Beschwerdeführung veranlaßt hat.[1]

In Haverkamps Antwortschreiben tauchen 26 Männer auf, die zu Spanndienstleistungen verpflichtet worden waren. Und alle, außer den beiden obengenannten, waren paarweise benannt worden. Haverkamp vertrat die Ansicht, dass Ickerodt als Vollerbe die Verpflichtungen leichter übernehmen könne, ebenso der Gutsbesitzer Zurmühlen. Die beiden hätten also nichts zu klagen, übrigens ist dieses von uns andern Interessenten so eingetheilt und hätten beyde diese Versammlung mit beytreten können.

Der Ärger schien aber größer zu sein, als Haverkamp vermutete. Drei Wochen später, als es galt, Ziegelsteine abzuholen, erschien niemand. An der Ziegelei wartete man vergebens und die Maurer musste nach Hause geschickt werden. Köhler sah in diesem Vorgang einen erneuten Beweis für das widerspenstige und eigenmächtige Benehmen des Haverkamp und ersuchte den Landrat dringend, Haverkamp als Vorsteher zu entlassen.

Der Landrat aber wollte erst überprüft wissen, ob die Pferdebesitzer der Bauerschaft Netteberge auf einer Versammlung der Regelung zugestimmt hatten. Köhler lud sie vor. Vier meinten, keine Einladung von Haverkamp bekommen zu haben, zwei von ihnen und ein weiterer hatten die Versammlung nicht besucht, zwei erklärten, nicht einverstanden gewesen zu sein, einer wollte gar nichts dazu sagen. Die anderen hatten die Liste akzeptiert, aber ohne zu wissen, dass sie von Haverkamp geändert worden war.

Wie in diesem Fall weiter verfahren wurde, steht nicht in der Akte, aber diese Zankerei war nur der Auftakt zu einem weiteren, verbissen geführten Kampf zwischen Köhler und Haverkamp. Dabei ging es im Kern um die unterschiedliche Auffassung über Rechte und Pflichten des Vorstehers, aber unterschwellig auch um einen Machtkampf zwischen den beiden Strategen. 1835 legte Haverkamp in einem ausführlichen Brief an den Landrat dar, dass mit dem Besitze des Schulze Althoff Hofes im Kirchspiel Borck Bauerschaft Netteberge [...] seit undenklichen Jahren das Vorsteher-Amt der genannten Bauerschaft verbunden war. Er habe 1820 das Gut in einem Prozess für sich gewinnen können und ihm sei von der Behörde aufgetragen worden, das Vorsteher-Amt zu übernehmen. Er fügte sich der Anordnung und übernahm die Aufgabe, besonders die der Beaufsichtigung der Wege. Doch wollte er auch die seit unvordenklichen Jahren gewährte Befreiung von der Pflicht zur Instandsetzung und Besserung der Wege für sich in Anspruch nehmen. Sein Anteil müsse von den anderen Eingesessenen übernommen werden.

Bürgermeister Köhler war anderer Meinung. Weder stimmten die Kosten für die Wegeunterhaltung, die Haverkamp in seiner Argumentation angeführt hatte, noch war ihm schon 1820 das Vorsteheramt angetragen worden. Erst 1827 habe er ihn selbst dazu bestellt. Außerdem seien früher die Vorsteher von persönlichen Diensten beim Wegebau nur dann befreit gewesen, wenn sie die Aufsicht übernommen hatten. Auch habe die Regierung schon 1818 alle früheren Ausnahmen in Bezug auf die Wegebesserung aufgehoben. Zum Schluss schrieb Köhler dem Landrat: Der Antrag des Althoff ist daher fast in aller Hinsicht nicht allein unwahr sondern auch ungerecht, worauf derselbe gemessenst zu bescheiden sein dürfte.

Der Landrat übernahm Köhlers Darstellung in seinem Schreiben an Haverkamp. Der aber gab nicht auf, ging nach Lüdinghausen und erklärte im Büro des Landrats:
Es werden bei der gegenwärtig in Betrieb gesetzten Besserung der sogenannten Steinstraßen welche von Borck nach Netteberge führen, große Unordnungen veranlaßt, indem der Bürgermeister bald ihm Comparenten, bald dem Colon Borgmann den Auftrag zur Bestellung der Pflichtigen ertheile, und auch von dem Bürgermeister selbst bestellt würden, daher die Pflichtigen nicht wüßten wie sie dran wären, und woran sie sich halten sollten, er wolle darauf antragen, daß ein für allemal allein der Vorsteher mit der Bestellung der Leute beauftragt werde und habe er sich auch darüber zu beschweren, daß er zu diesen Wegearbeiten bestellt werde, da er als Vorsteher die Aufsicht dabei führe, und demnach herkömmlich von persönlichen Diensten und Spanndiensten befreit sei.

Da am selben Tag diese Beschwerden auch von Schulze Geiping, Kolon Bullerbeck und Hörstken zu Protokoll gegeben wurden, sollte Köhler sich dazu äußern. Der erledigte das sehr ausführlich und gab an, Haverkamp schon seit einem Jahr nicht mehr beauftragt zu haben. Denn dieser würde eh nicht seinen Vorschriften folgen und die anderen mehr aufwiegeln als einsetzen. Besonders Haverkamps Erklärung, daß er zur Besserung des Bauerschaftsweges von Netteberge nach Borck gar keine Anstalt treffen würde, und wenn die Bauern nicht durchkommen könnten, sie den Weg mit ihren Leichen bessern sollten, habe das Fass zum Überlaufen gebracht. Bei früheren Einsätzen des Haverkamp hätte es immer Beschwerden gegeben, auch von Schulze Geiping und Bullerbeck. Zu spät kommende Bauern wären wieder nach Hause geschickt, oder als fehlend gemeldet worden, weil Haverkamp kurz nach Beginn der Arbeiten die Baustelle wieder verlassen hatte. Um all dem Ärger aus dem Weg zu gehen, würde er, Köhler, nur noch den Gemeinderat Borgmann beauftragen, mit dem er einen rechtschaffenden und in der Gemeinde wohlgelittenen Mann gefunden habe. Der Landrat solle doch die fünf von ihm genannten Männer befragen, um den Charakter des Haverkamp besser kennenzulernen.

Schlebrügge bekräftigte gegenüber Haverkamp und den drei Zeugen, dass Borgmann seit einem Jahr das Vorsteher-Amt ausübe und die von ihm vorgenommenen Einteilungen zur Wegebesserung befolgt werden müssten. Die ausgefallene Arbeitsschicht sei nachzuholen. Die drei erschienen zum Arbeitseinsatz, nur nicht Haverkamp. Leider erschien auch der aufsichtsführende Polizeidiener Geischer nicht. Er hatte den Termin vergessen, so dass alle wieder nach Hause gingen. Die Arbeit des Haverkamp ließ der Bürgermeister auf dessen Kosten nachholen.


Die Brücke über den Paßbach

Eine neue Baumaßnahme – ein neuer Krach. Als es 1837 darum ging, eine massive Brücke über den Paßbach auf dem Wege von Bork nach Netteberge zu bauen und Haverkamp verpflichtet wurde, 1 Schachtruthe 44 Kubikfuß Bruchsteine dafür zu liefern, beschwerte er sich wieder beim Landrat. Da der Bürgermeister nachweisen konnte, dass die Eingesessenen der Bauerschaft die Verteilung der Lasten einstimmig beschlossen hatten, durfte Haverkamp, der, wie Köhler anmerkte, dazu noch aus der Fremde hier eingezogen war, sich dieser Lieferung nicht entziehen. In der Zwischenzeit schlug Haverkamp, übermittelt durch dessen Sohn, dem Bürgermeister einen nicht näher bezeichneten Vergleich vor. Köhler war dieser zu unbestimmt, um darauf eingehen zu können. Auch könne er nicht allein darüber bestimmen. Wenn ein konkreterer Vorschlag vorläge, würde er die Gemeinde zusammenrufen und darüber abstimmen lassen. Was Köhler allerding dazu brachte, diesen Bescheid mit Ich grüße Sie freundschaftlich zu unterschreiben, bleibt sein Geheimnis.

Drei Monate später musste er An den Herrn Haverkamp zu Althoff schreiben: Für nicht geleistete Gemeinde Dienste, sowie für unterlassene Anlieferung der Steine zum Bau der Brücke p über den Paßbach, und zur Deckung der Kosten derselben nach dem Juny cur. angelegten Repartition, restiren [schulden] Sie insgesammt 21 T 6 Sgr. 5 Pf. An die ungesäumte Einsendung dieses Betrages werden Sie hierdurch freundlichst erinnert und darf ich solchen umsomehr recht bald entgegen sehen, als Sie durch Vorenthaltung nur mir zu, für mich äußerst unangenehmen, Maaßregeln zwingen würden.

Haverkamp zahlte nicht. Polizeidiener Niggetied mahnte und drohte, zu einer Pfandergreifung zu schreiten. Am 19. Januar 1838 war es dann so weit. Niggetied pfändete zwei Rinder. Haverkamp selber schlug keine Pfändungsgegenstände vor und verweigerte die Unterschrift zu dem ganzen Vorgang. Er beauftragte einen Anwalt, Rechtsmittel einzulegen und den Verkauf der Rinder zu verhindern. Damit stoppte er eine schnelle Erledigung.

Der Landrat ließ noch einmal die Zeugen vorladen und Köhler fasste den Verlauf der Auseinandersetzung erneut zusammen. Eine Woche danach wurde Köhler vom Landrat angewiesen, sämmtliche Verhandlungen, den Bau einer massiven Brücke über den Paßbach betreffend, binnen 8 Tagen anhier einzureichen. Haverkamp hatte sich inzwischen auf den Standpunkt gestellt, auch deshalb keinerlei Verpflichtungen bei dem Brückenbau zu haben, da die Brücke gar nicht in Netteberge, sondern in der Gemeinheit Kley liege. Köhler beschrieb die Lage bis ins Kleinste und nannte Haverkamps Ansicht als wieder ganz falsch.

Das Ganze zog sich eine Weile hin. Nach drei Monaten vermeldete Köhler ein großes Murren in hiesiger Gemeinde. Die anderen Betroffenen sahen, dass gegen Haverkamp nicht ernstlich eingeschritten wurde und kündigten vereinzelt an, wenn er damit durchkäme, sich auch nicht mehr an der Wegeverbesserung zu beteiligen. Auch bat Köhler um die Genehmigung, den vier Männern, die Haverkamps Arbeitseinsätze übernommen hatten, vorschussweise aus der Gemeindekasse ihre Bezahlung zukommen lassen zu dürfen. Das wurde genehmigt. Die Leute bekamen ihr Geld. Wegen der Maßnahmen gegen Haverkamp wartete der Landrat auf die Entscheidung der Regierung.

Diese Entscheidung fiel folgendermaßen aus: Nach Einschätzung der Regierung hatte der Bürgermeister nicht das Recht, Haverkamp aus seinem Vorsteher-Amt zu entlassen. Deshalb musste Haverkamp auch nicht die Kosten erstatten, die dadurch entstanden, dass andere für ihn die Wegedienste übernommen hatten. Wäre er im Amt verblieben und hätte er die Aufsicht führen können, wäre er von den Kommunal-Diensten bei der Wegebesserung befreit gewesen. Die Gründe des Bürgermeisters für die Entlassung erkannte die Regierung nicht an. Die Zeugen gegen Haverkamp hielt sie für parteiisch und unglaubwürdig. Die Kosten für die verweigerte Anfuhr von Steinen musste Haverkamp allerdings übernehmen.

Machte er aber nicht. Wieder sollte gepfändet werden, doch Haverkamp verweigerte die Herausgabe. Ein neuer Termin wurde angesetzt und mit Hilfe des Gendarmen Pepper konnte das Pfand, eine Kuh, beschlagnahmt werden. Ein ausführlicher Briefwechsel zwischen Bürgermeister, Landrat, Regierung und Haverkamp um die Fragen der Abläufe, Verpflichtungen, Zahlungen, Pfändungen, Zuständigkeiten etc. etc. folgte. Haverkamp fühlte sich ungerecht behandelt und schrieb von kränkenden, ehrenrührigen Vorgängen für einen Schuldlosen. Köhler beklagte sein Schicksal mit den Worten: Wehe dem Beamten der das große Unglück hätte ein halb Dutzend solcher Widerspenstiger und rachsüchtiger Menschen in seiner Gemeinde zu haben. Der Landrat musste viel Zeit dafür erübrigen, sich ein Bild von der Lage zu machen. Die Regierung schätzte die Arbeit des Bürgermeisters als unordentlich, unvollständig und eigenmächtig ein und gab ihm nur in Teilen Recht.

Mitte 1839 beschwerte sich Haverkamp noch einmal bei der Regierung, diesmal wegen der Beschlagnahme der Kuh. Die Regierung ließ sich Zeit mit ihrer Antwort, bis Anfang 1841. Der Hauptpunkt der Beschwerde lautete, daß man zur Pfändung und Abholung einer Kuh geschritten, ohne vorher Erkundigung einzuziehen, ob dieselbe entbehrlich und ohne den Beschwerdeführer zur Bezeichnung eines Pfandes aufgefordert zu haben. Die Regierung erwiderte darauf: ad 1) lediglich die Widersetzlichkeit des Beschwerdeführers bei dem ersten dadurch vereitelten Pfändungsversuche eine Vermehrung der Kosten und somit die Ergreifung eines werthvollen Pfandes, nämlich einer Kuh, statt des früher als Pfand bezeichneten Rindes herbeigeführt hat, diese Kuh aber, weil Beschwerdeführer, obschon dazu aufgefordert, die anderweite Pfandbezeichnung  verweigerte, umso mehr für entbehrlich angenommen werden mußte, als dem Beschwerdeführer noch ein Viehbestand von 39 Kühen und Rindern verblieb.

Der Verkauf der Kuh hatte mehr Geld eingebracht als benötigt wurde. Die Erstattung von einem Taler an Haverkamp kam aber nicht zustande, er verweigerte die Annahme.

Am 14. Mai 1841 wurde Bürgermeister Köhler vom Dienst suspendiert, warum genau, ist nicht zu ermitteln. Von Unregelmäßigkeiten war die Rede. Carl Rudolph von Stojentin, sein Nachfolger, musste die Reste der langjährigen Auseinandersetzung abräumen. Die Wiedereinsetzung des Haverkamp in das Vorsteher-Amt hatte Köhler verweigert. Der Landrat verfügte: Sie wollen deshalb dem p Haverkamp zu Protocoll bedeuten, daß seiner Wiedereinsetzung in das Vorsteher Amt keine weiteren Schwierigkeiten entgegenstünden, daß ihm aber hierbei in Wiederhohlung der ihm unterm 24.März 1839 ertheilten Bescheides Königl. Regierung ausdrücklich bemerklich gemacht werden müsse, daß ihm nur dann, wenn er bei dem Wegebau die Aufsicht führe, Befreiung von den Grunddiensten, keinenfalls aber Befreiung von den Spanndiensten zugestanden werden dürfe, daß er bei Ausführung der Wegebauten sich unbedingt der Anordnungen des Bürgermeisters respect. des vom Bürgermeister entsandten und instruirten Polizeidieners fügen müße, und er endlich gewärtigen könne, nur äußerst selten zur Aufsichtsführung zugelassen zu werden, da der Regel nach der Polizeidiener damit beauftragt werden müße.

Am 24. Juli 1841 endlich konnte Stojentin die letzten Schreiben zu dieser langwierigen Auseinandersetzung zu den Akten legen.

April 2023
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  1. und folgende Zitate: Stadtarchiv Selm, AB-1 – 117.

 
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