Seide für und aus Preußen
Christel Gewitzsch
Im 18. Jahrhundert
Kostbare Seidentapeten für Sanssouci – gern; das nötige Geld dafür ins Ausland schicken – ungern. Deshalb ordnete Friedrich II. den Aufbau einer eigenen Seidenindustrie in Preußen an und war bereit, dafür eine Menge Geld zu investieren, beziehungsweise investieren zu lassen.
Friedrich II. war nicht der Erste in dem Jahrhundert, der die eigene Seidenproduktion als Geldquelle nutzen wollte. Gottfried Wilhelm Leibniz, Mathematiker und Philosoph war schon mit dem Vorschlag an seinen Herrscher herangetreten, mit der Produktion von Seide die 1700 gegründete Kurfürstliche Brandenburgische Akademie zu finanzieren. In Berlin und Hannover wurden zu diesem Zweck auch Maulbeerbäume angepflanzt, etwas Seide ist produziert worden, aber Geld für die Akademie konnte man damals nicht damit verdienen.[1] Trotzdem förderten die Preußen diesen neuen Wirtschaftszweig auch unter Friedrich Wilhelm I. weiter.
Sein Sohn setzte die väterlichen Bemühungen fort. Mit Werbung und Belobigungen, aber auch mit Druck und Einflussnahme wurde die ländliche Bevölkerung veranlasst, Maulbeerbäume zu pflanzen und sich die notwendigen Kenntnisse für die Zucht der Seidenraupe und die Gewinnung der Seidenfaser anzueignen. Auf viel Begeisterung stießen diese Bemühungen nicht, auch wenn immer wieder Aufsätze über das gute Gelingen und das angeblich leicht verdiente Geld erschienen. Das geringe Engagement lag nicht nur an der oft beklagten Sturheit der Bauern allem Neuen gegenüber, sondern auch an offensichtlichen Beschwernissen, die diesen Nebenerwerbszweig unattraktiv machten. Er war sehr arbeitsintensiv und klimaabhängig, nahm viel Zeit und Raum in Anspruch und brachte keine schnellen Erträge.
Von den circa zwölf Arten des Maulbeerbaumes können nur die Blätter des weißen Maulbeerbaums (Morus alba) als Futter für Seidenraupen genutzt werden. Im Gegensatz zu anderen Arten ist er nur in seinem Jugendstadium frostempfindlich und kann auch im preußischen Klima alt werden. Die Seidenraupe muss, besonders nach ihrer vierten und letzten Häutung, wenn sie von etwa vier Zentimeter Länge auf neun Zentimeter anwächst, mit großen Mengen von Blattwerk versorgt werden. Die Maulbeerbäume dürfe man aber, wie der Gartenbaudirektor Peter Joseph Lennè 1842 schrieb, nur ein Jahr um das andere entlauben [...], also 20 Bäume zu erziehen und zu erhalten sind, um ca. 3 Pfund Seide zu gewinnen, wozu noch kommt, daß eigentlich erst im 20. Jahr nach der Aussaat der Baum mit Erfolg auf Blätter benutzt werden kann.[2] Also, einfach war die Herausforderung nicht zu meistern, die der König an seine Untertanen stellte.
Nach dem Tode Friedrich II. schien das Kapitel „Seidenraupenzucht“ erst einmal abgeschlossen zu sein. Die offiziellen Bemühungen um den Seidenbau ließen nach, aber nur vorübergehend. Mit dem Einsatz einer Landseidenbau-Kommission sollte ein neuer Anlauf für die Unabhängigkeit von Seidenimporten gemacht werden, doch sowohl die Beamten als auch die Landwirte und Lehrer waren der Sache überdrüssig geworden und blockierten, wo und wann sie nur konnten.
Im 19. Jahrhundert
Vereinsgründung
Friedrich Wilhelm III. hatte in den ersten Jahrzehnten seiner Regierungszeit wahrlich andere Sorgen und Interessen, als sich um die Entwicklung der Seidenzucht in Preußen zu kümmern. Als sich aber 1828 in Berlin ein Verein zur Beförderung des Seidenbaues in den Preußischen Staaten bildete, schien man den Versprechungen Glauben schenken zu wollen, daß die im Preuß. Staate erzielte Seide weder der italienischen noch der französischen nachsteht.[3]
Der Präsident des Vereins, der General-Leutnant von Müffling, ließ in seiner Bekanntmachung zur Vereinsgründung keinen Zweifel an der Notwendigkeit dieser Förderung aufkommen. Da nun das Bedürfniß der preußischen Fabriken sehr bedeutend ist, da aus dem Preußischen Staat jährlich Millionen dafür ins Ausland gehen, [...] so dürfte es überflüssig sein, die Wichtigkeit des Gegenstandes der besonderen Aufmerksamkeit aller derer zu empfehlen, welche dem Aufblühen der Erwerbszweige im Preußischen Staat ein besonderes Interesse gewidmet haben.[4]
Aufgrund einer Kabinetts-Order vom 2. Juni 1827 bestätigte das Ministerium des Innern und der Polizei am 9. November 1828 die Statuten des Vereins und mit der Publikation in den Amtsblättern nahmen die staatlichen Bemühungen einen erneuten Anfang.
Reaktion der Eingesessenen des Amtes Bork
Landrat Schlebrügge wies die Ortsbehörden seines Kreises Mitte Mai auf die Bekanntmachung im Amtsblatt hin, fügte seinem Brief zwei Exemplare der Vereinsstatuten bei und warb um Unterstützung. Binnen drei Wochen sollte Bürgermeister Köhler die Personen melden, welche dem Vereine beitreten oder nur überhaupt dessen Zwecke unterstützen wollen. Köhler ließ sich ein bisschen mehr Zeit und antwortete Ende Juni: Obwohl ich die mir mittels zur Seite bemerkten verehrlichen Verfügung übermachten Statuten des Vereins zur Beförderung des Seidenbaus den angesessenen Grundbesitzern mitgetheilt und dieselben zum Eintritt willig zu machen gesucht so hat sich dennoch bis jetzt noch keiner hiezu geneigt erklärt. Das ein halbes Jahr später vom Landrat beworbene Werk vom Berliner Kunsthändler Bolzani Wegweiser zum Seidenbau für Norddeutschland stieß unter den Einwohnern ebenso wenig auf Interesse, niemand wollte es subskribieren.
Die Lehrer werden eingespannt
Wie schon zu Zeiten Friedrich II. versuchte die Regierung daraufhin, die Lehrer zu „interessieren“, indem die Abteilung des Innern im Auftrag des Berliner Ministeriums anfragte, über welche Versuche der Schullehrer zur Einführung des Seidenbaues, über deren Fortgang, Erfolg und Ertrag berichtet werden könne. Köhler wusste darüber nichts zu berichten und fragte bei den Schulen an. Die Lehrer Schlüter aus Altlünen, Schwenniger aus Selm und Didon aus Bork teilten kurz und knapp mit, bisher noch keinen Versuche in dieser Sache angestellt zu haben; Schwenniger ergänzte, daß selbes auch von den Eingesessenen unbeachtet geblieben sei. Nur Alexander Hochgesang in Cappenberg bekundete Interesse, musste aber einräumen, noch zu keinem Ergebnis gekommen zu sein. Es fehlte ihm der Platz für das Setzen der Maulbeerbäume und Räumlichkeiten für die Seidenraupen. Außerdem vermisste er patriotische Theilnahme und unterstützende Fonds, doch würde er auf eigene Kosten beginnen, wenn er nur den Raum hätte. Er schrieb weiter: Der Herr Staats-Minister [Stein] allein könnte hierin was thun, dem ich auch schon einmal darauf aufmerksam gemacht habe, aber deshalb noch keine Resolution erhalten habe.
Köhler schönte in seiner Antwort an den Landrat das Ergebnis seiner Umfrage ein wenig, indem er die Gründe, die Hochgesang angab, für alle Lehrer in Anspruch nahm. Auch des Lehrers Hinweis auf mögliche Unterstützung durch den Freiherrn vom Stein nutzte der Bürgermeister. Scheinbar zuversichtlich schrieb er dem Landrat, dass in Cappenberg wohl am ersten ein solcher Versuch zu Stande kommen wird, weshalb ich mit Sr. Exzellenz darüber selbst Rücksprache nehmen werde.
Zweiter Versuch
Drei Jahre nach der Mitteilung über das Borker Nullergebnis startete die Regierung eine neue Offensive. Albert Vahlkampf, seit einem Monat Regierungs-Vizepräsident in Münster, wandte sich an die Landräte und schrieb von den glücklichen Fortschritten, die der Seidenbau in einigen Provinzen des Staates gemacht habe. Besondere Erfolge hätten manche Schullehrer erzielt und diesen Weg zu gehen, schlug Vahlkampf erneut vor. Er regte an, zusammen mit den Schulinspektoren interessierte Lehrer ausfindig zu machen und ihnen bei der Suche nach Pflanzplätzen zu helfen. Da die Ergreifung dieses Culturzweiges für die Provinz von großem Vortheil und Nutzen werden kann und zugleich den Schullehrern die Aussicht auf eine wesentliche ökonomische Verbesserung verschaft, so ist zu wünschen, daß sie mit lebhaftem Interesse die Stunden ihrer Muße dem Betrieb des Seidenbaues fortan widmen mögen. Die Regierung würde ein Übriges tun und den Start durch unentgeltliche Abgabe von Maulbeerbaumpflanzen erleichtern, soweit der Vorrat des botanischen Gartens in Münster das zulasse.
Den Lehrern in den Gemeinden wurde dieses Angebot offeriert. Als erster meldete Didon, dass er in der Borker Baumschule höchstens 25 bis dreißig Pflanzen unterbringen könne. Knapp sechs Wochen später tagte der Borker Schulvorstand, hörte sich einen Vortrag des Lehrers Krewert und einen Vorschlag des Bürgermeisters an und beschloss, dem Krewert ein Viertel der Baumschule für weitere zwanzig Bäume zu überlassen. Der Nachfolger Hochgesangs in Cappenberg, Johannes Bathe, meinte, dass er wohl Lust habe den Wünschen der Hochl. Königl. Regierung, hinsichtlich des Seidenbaues, nachzukommen und bestellte hundert bis 150 Pflänzlinge. Die Lehrer aus Altlünen und Selm mussten drei Monate nach dem ersten Schreiben vom Bürgermeister unter der Androhung, einen Boten für das Abholen der Meldung zu schicken, angemahnt werden. Schlüter aus Altlünen meldete darauf, falls es nur darum ginge, Blätter für Züchter zu liefern, wolle er wohl fünfzig Bäume pflanzen; wenn er aber selber Seidenbau betreiben solle, möchte er gar keine, denn der Bürgermeister wisse ja, daß [er] als Lehrer, Küster, und Armenrendant unmöglich so viele Zeit gewinnen und übrig haben kann, noch nebst der Pflegung einer Baumschule den Seidenbau besorgen zu können. Schwenniger bat, auch ihm einige Maulbeerpflänzlinge zukommen zu lassen. Bisher hätte er noch keinen geeigneten Platz gefunden, aber nach dem Bau einer neuen Schule könne er die Pflanzen vor kalten Nord- und Ostwinden schützen.
Bürgermeister Köhler sah sich nun endlich in der Lage, die Pflanzenliste beim Landrat einzureichen. 155 bis 220 Maulbeerbaumpflanzen forderte er an, aber er kam zu spät. Seine Bestellung wurde postwendend mit dem Vermerk zurückgeschickt, der Landrat habe die Anforderungen des Kreises Lüdinghausen schon abgesandt und darin sei nur der Wunsch des Lehrers Krewert berücksichtigt worden.
Andauernde Werbung
In den folgenden Jahren – das letzte Schriftstück der Akte stammt aus dem Jahr 1880 – versuchte die Regierung immer wieder durch Werbung, Erfolgsmeldungen und Belobigungen das Interesse für diesen Industriezweig zu wecken. Dem Lehrer Klinkhammer aus Capelle zum Beispiel schenkte der Oberpräsident für dessen Bemühungen um den Seidenbau 1842 hundert dreijährige Maulbeerbäumchen und der Landrat legte Wert darauf, dass Bürgermeister Stojentin dieses den Lehrern seines Bezirkes mitteilte. Aber die zeigten weiterhin kein Interesse; auch nicht, als ein Dr. Kipp, Vorsteher des Westfälisch-Rheinischen Vereins für Bienenzucht und Seidenbau, in seiner Westphälischen Maulbeerschule in Unna ältere Pflanzen anbot, wodurch die Wartezeit bis zur ersten Ernte verkürzt werden konnte. 1856 meldete Bürgermeister Foecker erneut, diesmal direkt nach Münster, kein Maulbeerbaum stünde in seinem Bezirk und niemand widme sich der Förderung des Seidenbaus. Doch 1859 entpuppte sich plötzlich der Lehrer Markfeld in Altlünen als Interessent. 198 Stämmchen habe er schon gepflanzt und er plane, die Anlage im nächsten Jahr bedeutend zu erweitern. Mehr darüber ist aus der Akte aber nicht zu erfahren.
Der Versuch, Filialen des oben genannten Vereins gründen zu lassen, schlug ebenfalls fehlt. Einige Eingesessene besaßen zwar Bienenstöcke und produzierten auch ihren eigenen Honig, der Chaussee-Aufseher Schönewald wird von Schwenniger sogar als vorzüglicher Kenner der Bienenzucht bezeichnet, aber die, die für dieses Thema überhaupt ansprechbar waren, hatten sich schon den Vereinen in Olfen und Lünen angeschlossen.
Lehrer Sanders in Bork nutzte die abermalige Aufforderung zur Berichterstattung und spielte den Ball an die Ortsbehörde zurück. Er erinnerte: Vor 2 Jahren, bei dem Umbau meiner Wohnung, ist mir meine Bitte um Anlegung einer Dachstube, welche ich zum Seidenbau haben, und mir nöthigenfalls selbst beschaffen wollte, von der hiesigen Ortsbehörde gänzlich abgeschlagen worden und habe ich daher auch auf den Ankauf von Maulbeerbäumen, welche ich damals gerade vortheilhaft erwerben konnte, verzichten müssen. Und ohne, dass er selber mit gutem Beispiel voranging, so hätten ihn die Dorfbewohner und seine Schulkinder wissen lassen, würden sie den neuen Erwerbszweig nicht ausprobieren. Falls der Amtmann ihm behilflich sein könnte, so würde [er] mit dem größten Vergnügen ganz bereitwilligst sogleich Hand ans Werk legen, den Seidenbau zu beginnen und würde [...] dann auch gewiß Theilnahme und Nachahmung in der Gemeinde finden.
Abgesang
Im Lauf der Jahre wurden die offiziellen Erfolgsmeldungen immer vager. Eine in Frankreich ausgebrochene Krankheit der Seidenraupen hatte sich ab 1854 auch in Preußen ausgebreitet und die letzten Willigen demotiviert. Drei Jahre später schrieb Gustav Mauderode (Abteilungsleiter, später Regierungsvizepräsident) zwar noch, der Oberpräsident habe anerkannt, daß in letztere Zeit [...] der Seidenbau auch in hiesiger Gegend angefangen hat, sich gedeihlich zu entwickeln, in demselben Schreiben musste er allerdings auch mitteilen, dass in Folge einer Verfügung des Landwirtschaftsministeriums der Handelsminister den seit einigen Jahren aus dortigem Fonds gewährten Zuschuss zur Unterstützung des Seidenbaues zurück[...]ziehe. Als Ersatz für diese Gelder empfahl die Regierung, den Vereinen Unterstützungsbeiträge von mindestens einem Taler aus den Amtsbezirken zukommen zu lassen. Sie selber überlegte, ob der Verein nicht auch in den Genuss der Porto-Freiheit kommen sollte, wie sie den landwirtschaftlichen Vereinen zugestanden wurde. Bork beteiligte sich an dieser Diskussion nicht mehr und teilte lapidar mit: Seidenbau und Maulbeerbaum Zucht Vereine bestehen im Amte Bork nicht.
November 2016
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[1] Hilde Weeg, Alexander Budde, Lange Nacht über Gottfried Wilhelm Leibniz, Deutschlandfunk, Sendung vom 12.11.2016.
[2] Peter Josepf Lennè, Über die Wichtigkeit der Anzucht von Maulbeerbäumen, zitiert nach: Heilmeyer/Seiler, Maulbeeren – Zwischen Glaube und Hoffnung, Potsdam 2010, S. 93.
[3] Amtsblatt der Königlichen Regierung zu Münster, Nr. 17, 2.Mai 1829. http://sammlungen.ulb.uni-muenster.de
[4] und alle folgenden Zitate: StA Selm, AB-1 – 158.