Unglücksfälle, Diebstähle und sonstige Verbrechen
Christel Gewitzsch
Lohgerber Schneider gegen Zimmermann Dreyer
Bork, 25. November 1872 [1]
Erschien der Lohgerber Theodor Schneider aus Selm und erklärte:
Am Samstage den 23 dmts Abends gegen 7 ½ Uhr wurde ich und mein Geselle, welcher mit mir in der Werkstätte gearbeitet hatte zu Tische zum Abendessen gerufen. Ich war bereits in die Küche gegangen und mein Geselle in der Werkstatt noch etwas zurück geblieben. Gleich darauf kam dieser Geselle Namens Franz Mühlenhoff in die Küche gelaufen und theilte mir mit, daß der Zimmermann Bernard Dreyer aus Selm welcher in der Nähe der Werkstätte wohnt, mit einem dicken hölzernen Gegenstand ein Sprosse und 2 Fensterscheiben an dem Fenster meiner Werkstätte zertrümmert habe. – Ich habe mich hierauf wieder zur Werkstätte begeben und als ich die Angabe meines Gesellen bewahrheitet fand habe ich dem Dreyer über seine Handlung Vorhaltungen gemacht und ihm bedeutet daß ich polizeilichen Schutz nach suchen würde. Als der Dreyer hierauf tobte und mich beschimpfte mich Demokrat nannte, bin ich wirklich fortgegangen um den Polizeidiener Glowsky zu holen. Als ich kurz darauf mit dem Polizeidiener Glowsky zurückkehrte, kamen mir der Wilhelm Budde und auch einige andere Leute entgegen und frugen mich, wie es mit meiner Frau sei.
Ich erfuhr hierauf, daß der Dreyer meine Frau, als dieselbe dem Dreyer, wie er vor der Thüre meines Hauses gestanden und dort getobt und gewüthet hatte zur Ruhe ermahnt und ihm gesagt hatte, er Dreyer, möge sich nach Hause begeben, mit einem schweren Stein an den Kopf geworfen und bedeutend verletzt habe.
Zu Hause angekommen, fand ich meine Frau in der Küche am Eimer sitzend vor, wie mehrere Nachbarn, ihr die am Kopfe vorhandene blutende Wunde auswuschen. –
Ich habe sodann gleich den Dr. Ulbusch aus Bork holen lassen, welcher meine Frau in ärztlicher Behandlung hat und werde den Wundbericht baldigst einreichen. –
Der p Schneider erklärte noch, daß der p Dreyer ihn, als er den Polizeidiener habe holen wollen, eine Strecke auf der Straße verfolgt habe, und daß seine Frau, als sie von dem Dreyer verletzt worden sei, grade ein 4 ½ jähriges Kind auf den Arm getragen und betäubt zu Boden gefallen sei.
Als Zeugen dieses Vorfalls wurden benannt.
1. der Gerbergeselle Franz Mühlenhoff
2 der Zimmerlehrling Christoph Richter bei Wulfert in Ternsche
3 der Tagelöhner Joseph Fechte in Selm
4 der Tagelöhner Anton Disselbrede
5 der Stuhlmacher Franz Walter
6 der Zimmermann Wilhelm Budde
7 der Sohn des Korbmachers Wilhelm Kortendieck
sämmtliche in Selm wohnhaft.-
Comparant bat, den Dreyer zur Untersuchung und Bestrafung zu ziehen und bemerkte, daß derselbe vor etwa 2 Jahren den Johann Pennekamp, welcher damals als Knecht bei Brüning auf Botzlar gewohnt habe, mit einem scharfen Messer den Schenkel aufgeschnitten und ihn, damit er die Sache nicht anzeige, wie verlautet, 15 T gegeben habe. Ferner habe der Dreyer vor einigen Jahren dem Colonen Langermann in Ondrup, sowie dem Wirth Franz Knipping in Selm eine Menge Mobiliar zerschlagen, welches nur deshalb hier von ihm angegeben sei um den bösen Character des Dreyer zu schildern.
Vorgelesen, genehmigt, unterschrieben
Th. Schneider
a-u-s[2]
der Amtmann Döpper
Zum 30. November 1872 lud Amtmann Döpper die von Schneider genannten sieben Zeugen auf die Amtsstube, um ihre Beobachtungen zu protokollieren.
Auf Vorladung erschien und erklärte auf Befragen wie folgt:
1. der Gerbergeselle Franz Mühlenhoff wohnhaft bei dem Gerber Schneider in Selm
Am Samstage den 23 dmts Abends zwischen 7 und 8 Uhr stand ich im Begriffe von der Werkstätte ins Haus zu gehen, als ich auf der Straße einen Ruf „Demokraten“ und die Drohung hörte, daß die Boudicke eingeschlagen werden solle. Unmittelbar hierauf erfolgte auch ein Schlag gegen das Fenster unserer Werkstätte so daß 2 Scheiben und eine Sprosse zertrümmert wurden und ein Holzstück, welches als Lampenhalter gedient hatte in die Werkstätte hinein flogen.
Auf der Straße war ein Auflauf von Menschen und erfuhr ich von diesen daß der Zimmermann Bernard Dreyer diesen Frevel verübt hätte. Der Vater desselben den ich persönlich kenne, versuchte auch, seinen Sohn ins Haus zu bringen, jedoch vergebens. Der Dreyer verfolgte nun meinen Meister und war bis an die Hausthüre des Schneiders vorgedrungen. Die Frau des Schneider welche ein 5 jähriges Kind auf dem Arm hatte, wollte den Dreyer beruhigen, worauf dieser einen schweren Stein mit beiden Händen aufhob und die Frau Schneider damit an den Kopf warf, daß sie bedeutend verletzt wurde und besinnungslos zu Boden stürzte. Kurz darauf wollte der Dreyer in das Schneidersche Haus dringen, woran er durch den Disselbrede abgehalten wurde.
v-g-u[3]
Franz Mühlenhoff
2. der Tagelöhner Joseph Fechte aus Selm.
Am Samstag den 23 dmts Abends gegen 7 ½ Uhr hörte ich einen Straßenscandal und begab mich dorthin. Auf der Straße in der Nähe der Schneiderschen Wohnung gewahrte ich den Zimmermann Bernard Dreyer, welcher mir angetrunken schien, am schimpfen und toben. Ich habe jedoch nicht gesehen, daß er Scheiben eingeschlagen und die Ehefrau Schneider mit einem Stein geworfen hat.
Weiter weiß ich zur Sache nichts anzugeben.
v-g-u
Theodor Fecht
3. der Tagelöhner Anton Disselbrede aus Selm
Am Samstage den 23 dmts Abend gegen 7 ½ Uhr hörte ich den Zimmermann Bernard Dreyer vor dem Schneiderschen Hause schimpfen und toben und habe auch gesehen, daß die Frau Schneider zu Boden fiel.
Ich habe jedoch nicht gesehen, daß der p Dreyer sie mit einem Stein geworfen und Fensterscheiben eingeschlagen hat.
v-g-u
A Disselbrede
Die anderen vier Zeugen konnten nicht wesentlich Neues berichten, hatten auch nicht alle Einzelheiten gesehen, nur Franz Walter betonte, den Dreyer nicht nur angetrunken, sondern sehr betrunken empfunden zu haben.
Einen Tag vor dieser Zeugenvernehmung, sechs Tage nach dem Vorfall und vier Tage nach Schneiders Anzeige beim Amtmann schrieb Gutspächter Wilhelm Brüning an Döpper:
Lieber Herr Amtmann!
Der p Dreyer u Schneider aus Selm waren hier und ersuchten mich, ein Fürwordt bei Ihnen einzulegen, damit Sie die Sache, die zwischen beiden schwebt, auf sich beruhen lassen möchten. Die Beiden haben sich vertragen und glaube ich, daß der Dreyer soviel Angst ausgestanden hat, daß er sich für die Zukunft in Acht nehmen wird.
Wenn dieses geht, so hoffe ich die Sache beruhen zu lassen
freundlichen Gruß
Brüning
Ob dieser Brief allein für Döpper ausreichte, den Fall zu beenden, wird nicht deutlich. Aber am 27. Januar 1873 erschien Theodor Schneider erneut auf dem Amt und erklärte: Meinen Antrag auf Bestrafung des Dreyer wegen Verletzung meiner Frau nehme ich hiermit zurück indem ich mich mit demselben verglichen habe.
Gendarm Hillebrand gegen Steinhauer Siegenroth
Der Fußgendarm Hillebrand berichtete am 26. Juni 1874[4] dem Amtmann in Bork von folgendem Vorfall:
Bei meiner heutigen Patrouille in Wethmar erfuhr ich, daß der Steinhauer Fritz Siegenroth daselbst von der Hütte Westfalia zwei weiße Marmorplatten welche derselbe zu Gedächtnißtafeln für die Familie Schulze Rechtrup im Amt Camen verwandt im October 1873 zwischen 10 u 11 Uhr Nachts gestohlen habe, bei der von mir angestellten Recherge hierüber erfuhr ich von dem Hüttenarbeiter Joh. Holländer in Wethmar, daß der Fritz Siegenroth im October v.J. etwa 10 Uhr Nachts zu seiner Wohnung gekommen sei und Ihm ersucht, doch mit den Siegenroth nach der genannten Hütte zu gehen er habe dort etwas vergessen, zuerst habe er der p Holländer nicht mitgehen wollen jedoch nachdem der p Siegenroth Ihm noch mehrfach ersucht sei er mitgegangen und wäre am Busche des Schulze Wethmar in der nächsten Nähe der Hütte Westfalia stehen geblieben, der Fritz Siegenroth zur Westfalia gegangen und mit zwei weißen Marmorplatten zurückgekehrt und er habe demselben demnächst tragen helfen.
Die Ehefrau Holländer äußerste einige Monate später sei der Fritz Siegenroth zu ihr in die Wohnung gekommen und habe gesagt er wäre sehr unruhig, er habe einen Diebstahl begangen, auch theilte dieselbe mir mit, daß der p Siegenroth damals gegen 10 Uhr Nachts zu ihrer Wohnung gekommen und ihren Mann ersucht habe doch mit Ihm zur Hütte zu gehen, welches ihr Mann auch gethan habe.
Einem Amte zeige ich dies zur Untersuchung ergebenst an, und beantrage Gerichtliche Eidliche Vernehmung des Hüttenarbeiters Joh. Holländer und dessen Ehefrau welche ich als Zeugen angebe.
Da Johann Holländer inzwischen nicht mehr in Wethmar wohnte, musste zuerst sein derzeitiger Aufenthalt ermittelt werden. Auch galt es, bei der Eisenhütte Westfalia nachzufragen, ob Marmorplatten abhanden gekommen seien. Am 17. Juli konnte Holländer befragt werden. Er erklärte:
Im Herbst v.J. kam der damals neben meinem Hause wohnende Bildhauer Friedrich Siegeroth zu mir, und bat mich mit ihm zur Eisenhütte Westfalia zu gehen um ein Paar Marmorplatten zu holen. Es mag dieses im October v.J. Abends zwischen 5 und 6 Uhr gewesen sein und war es schon nahezu dunkel geworden. -
Da mir bekannt war, dass der Siegeroth sehr furchtsam ist und sich scheut im Dunkeln allein auszugehen, bin ich mit ihm zur Eisenhütte Westfalia gegangen und habe mich, während der Siegeroth in das Geschäft zur Eisenhütte ging, auf dem Wege aufgehalten, bis der Siegeroth zurückkam. Er trug die beiden Platten in der Hand unterm Arm und obschon er diese mit Leichtigkeit beide zusammen hätte nach Hause tragen können, habe ich ihm die eine Platte nach getragen. Zu dieser Zeit als der Siegeroth die Räume der Eisenhütte betrat, waren noch Arbeiter daselbst beschäftigt. …
Amtmann Döpper folgerte daraus: Meines Erachtens dürfte der Siegroth der Eigenthümer der fraglichen Platten gewesen sein und hier ein Diebstahl nicht vorliegen. Der Linnemann gt Vietor in Wethmar wird bezeugen können daß er die Platten für den Siegeroth von Dortmund mitgebracht. Ich bitte daher, denselben hierüber zu befragen. Eventuell dürfte diese Sache als erledigt anzusehen sein.
So sahen es auch die Vertreter der Eisenhütte. Sie verzichteten auf ein weiteres Verfahren gegen Siegeroth.
Colon Ludwig Niehues gegen Bahnwärter Wilhelm Weber
Bork, 12. Juli 1887
Erschien der Colon Ludwig Niehues aus der Bauerschaft Altenbork Gemeinde Bork und machte folgende Anzeige:
Am 8. Juli cur. Abends gegen 11 Uhr hat mir der Bahnwärter Wilhelm Weber zu Dorf Bork von meinem im Nierfelde belegenen Grundstücke Klee entwendet resp. Entwenden wollen.
Mein Sohn Louis hatte sich am obengenannnten Abende zum Nierfeld begeben und den p. Weber beim Kleeschneiden abgefaßt. Weber hat jedoch sich zuerst noch durch die Flucht retten wollen, ist aber von meinem Sohne wieder eingeholt und erkannt worden.
Ich bitte um gef. weitere Veranlassung und Bestrafung des p. Weber.
Es war mir in der letzten Zeit wiederholt Klee entwendet.
Am 2. August kam der Colon erneut auf das Amtsbüro. In Abwesenheit des Amtmanns nahm der Amtssekretär Niehues das Protokoll auf (ob verwandt oder verschwägert mit dem Ludwig Niehues entzieht sich meiner Kenntnis). Der Colon … nahm den unterm 12. Juli cur. wider den Bahnwärter Wilhelm Weber zu Bork gestellten Strafantrag wegen Entwendung von Klee … zurück.
Der Amtmann vermerkte in seiner Randnotiz des Protokolls vom 12. Juli einen Monat später: Nebenstehender Strafantrag vom Colonen Ludwig Niehues ist am 2. August cur. zurückgenommen, da eine gegenseitige Einigung stattgefunden, nach der p. Weber an die Armenkasse Bork resp. Gemeindekasse Bork zum Besten der Armen in Bork 15 M. „Fünfzehn Mark“ als Strafe zahlen mußte, welche der Colon Ludwig Niehues heute hier abgab und welche heute zur Gemeindekasse Bork vereinnahmt sind, daher ad acta.
Zusammenfassung
Neben den drei etwas ausführlicher dargestellten Fällen liest man in der Akte von rund 95 weiteren Anzeigen, Anfragen u.ä. Nicht, dass damit alle Vergehen und Verbrechen aufgelistet wurden. In dem Findbuch sind viele Akten, die über die Polizeiarbeit im weiteren Sinne geführt wurden, von denen sich aber nicht alle auf Vergehen und Verbrechen beziehen. In dem Unterkapitel 48 Verbrecher und Beaufsichtigung entlassener Verbrecher sind weitere sieben Akten. Die hier angeführte scheint so eine Art Sammelsurium von eher unbedeutenden oder ins Leere laufenden Vorfällen zu sein.
Ungefähr sechzig Anzeigen handeln von Diebstählen, auch im Zusammenhang mit Einbrüchen. Kleidung, Werkzeug, Gerätschaften, Ackerfrüchte, bzw. -pflanzen, Geld - alles weckte bei den Dieben das Interesse, die Aufklärungsrate war äußerst gering. Vielfach waren aber auch die Zeugenaussagen oder die Anschuldigungen sehr vage formuliert, so dass die Fälle kaum verfolgt werden konnten.
So erging es z.B. dem Gastwirt Franz Wilhelm Heitmann in Ondrup. Er erstattet am 22. Juli 1880 folgende Anzeige:
In der Nacht vom 20. auf den 21. d.Mts. sind mir mittelst Einbruchs aus meinem wohl verschlossenen Wohnhause mehrere Gegenstände, als
1. einen schwarzen Tuchrock
2. eine Bouxkin Sommerjuppe (cariert) und ein Cigarrenetuis nebst Gebetbuch enthaltend
3. eine Talma mit schwarzen Franzen/Frangen und Perlen besetzt,
4. ein schwarzes Umschlagtuch (Caschmier) mit schwarz gestickten Blumen und Perlen durchwirkt, mit seidenen Franzen
5. ein graues [???] mit gestreiftem Rande
6. ein weißer Wollschlipps
7. mehrere Chemisetten gez. W.H.
8. eine goldene Brosche
9 eine Flasche mit Bitter
10. sämmtliches die Theklade enthaltendes Geld
11 mehrere Pakete Tabak „B. Winkelmann“ und endlich
12 einen schwarzen Filzhut.
(Zum Gesamtwerthe von circa 120 Mark) entwendet worden.
Er äußerte den Verdacht gegen zwei ihm unbekannte Gäste der letzten Tage, deren Spur er bis Lünen verfolgen konnte. Von dort aus, so nahm Heitmann an, seien diese wohl mit der Eisenbahn Richtung Dülmen/Coesfeld weiter gefahren. Der einzige Bearbeitungsvermerk des Amtmanns lautet: Ad Acta, da Nachforschungen erfolglos geblieben und Diebe nicht ermittelt sind.
Ab den 80er Jahren kam es vermehrt zu Einbrüchen und Diebstählen bei der Bahn. In Stationsgebäuden und Bahnwärterhäuschen glaubten die Diebe Brauchbares finden zu können, aber auch mit Signalen und Kontrolltafeln machten sie sich aus dem Staub.
In fünf Fällen spielten Körperverletzungen eine Rolle. Überfälle, Kneipenschlägereien oder Angriffe werden angezeigt. Auch Betrügereien kamen vor. Sechs Anfragen bezogen sich auf weiter entfernt liegende Tatorte. Diese lösten keine Aktivitäten im Amt aus.
Oktober 2024
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1. Und folgende Zitate: Stadtarchiv Selm, AB-1 – 453.
2. actum ut supra = geschehen – verhandelt – wie oben.
3. vorgelesen, genehmigt, unterschrieben.
4. Im Bericht des Gendarms steht irrtümlich 1873.