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Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686

Unterricht im Obstbau

Christel Gewitzsch

Daß der Obstbau höchst wohlthätig und segensreich auf die Bevölkerung wirke und besonders für den Landsmann von unendlicher Wichtigkeit sei, wird Niemand in Abrede stellen. ... Wo der Obstbau sich ausbreitet, da nimmt Wohlstand, Sittlichkeit und häusliches Glück im Allgemeinen zu.[1] Und um die Kenntnis der Bevölkerung über die Behandlung der Obstbäume zu vermehren, so muss man den Sinn dafür im kindlichen Gemüthe schon während der Schulzeit erwecken und die Schüler in der Erziehung und Pflege der Bäume unterrichten.

So schrieb es der Lehrer und Gutsbesitzer Ferdinand Rubens aus Solingen im Vorwort seiner Überarbeitung des Pomologischen Lesebuchs für Schulen. Er stand mit dieser Meinung gewiss nicht allein, denn die Anlage von Obstbaumschulen wurde früh gefordert und gefördert. So machte die Königliche Regierung in Münster im Mai 1822 im Amtsblatt auf die vierte, erweiterte Auflage einer Schrift über die Obstbaumzucht aufmerksam.

Vor Ort

In Selm wurde 1828 dem Lehrer Schwenniger in Aussicht gestellt, eine Obstbaumschule für Unterrichtszwecke aufgrund der Schenkung des Vikar Madels von viereinhalb Morgen Gartenland anlegen zu können.[2] Doch obwohl die Regierung drei Jahre später den Eindruck erweckte, diese Einrichtungen seien abgeschlossen, hatten noch nicht einmal die scheinbar guten Bedingungen in Selm bis 1840 Früchte getragen.

Das geschenkte Gartenland, so erinnerte 1840 der landrätliche Kommissar Graf von Schmising, sollte laut Wortlaut der Schenkungsurkunde zu zwei Gärten für den Lehrer und die Lehrerin nach Abzug des Bauplatzes für das Schulhaus verwandt werden.[3] Um die Beschaffung eine geeigneten Platzes für eine Obstbaumschule sollte sich Bürgermeister Köhler schleunigst bemühen. Ihn rettete Lehrer Schwenniger. Er gab einen Theil des aus der Madelschen Stiftung ihm zustehenden Gartens zur Obstbaumschule her und sollte dafür eine angemessene Miethentschädigung erhalten.

Für die Borker, bzw. Cappenberger Schule, wurde erst 1858 eine Akte betreffend den Obstbaumschulen[4] angelegt, in der als erstes Nachweise über die Fortschritte der Obstbaumschulen zu Cappenberg pro 1858 verzeichnet wurden. Danach bearbeitete Lehrer Bathe dort eine Anlage über vierzig Ruthen, auf denen 392 Wildlinge und 389 Stämme wuchsen. 75 Stämme waren 1858 verkauft oder verteilt worden. In Selm sah die Situation in dem Jahr folgendermaßen aus: Größe der Anlage: zwanzig Ruthen, 270 Wildlinge, 45 veredelte Stämme, 18 verkaufte, bzw. verteilte Stämme. Die Zahl der Wildlinge war gegenüber dem Vorjahr wegen starken Mäusefraßes um 125 Exemplare zurückgegangen und die Aussaat der Kerne wegen anhaltender Dürre ohne Erfolg gewesen.

Für 1860 liegen die Zahlen aller drei Obstbaumanlage im Amtsbezirk Bork vor. In Cappenberg gab es an Stämmen am Ende des Jahres 364. Bei der Anzahl der Wildlinge ist entweder dem Lehrer oder dem Amtmann ein Rechenfehler unterlaufen, entweder waren es 470 (wie es die einzelnen Zahlen ergeben) oder die notierten 398 Exemplare; (1861: 415 Wildlinge, 363 Stämme). In Altlünen, wo Lehrer Markfeld nur sieben Ruthen zur Verfügung hatte, befanden sich 198 veredelte Stämme, die im nächsten Jahr alle verkauft wurden, da der Grund für Schulbaumaßnahmen benötigt wurde. In Selm standen Herrn Schwenniger weiterhin zwanzig Ruthen zur Verfügung, auf denen 392 Wildlinge und 85 Stämme wuchsen; (1861: 810 Wildlinge, 98 Stämme). Weitere Zahlen fehlen, da 1862 die jährlichen Berichterstattung an die Regierung über den Zustand der Obstbaumschulen abgeschafft wurde. Trotzdem wurde erwartet, daß die Erlassung der jährlichen Nachweisung der Sache selbst keinen Eintrag thut, Sie vielmehr der Förderung der Obstbaumzucht Seitens der Elementarlehrer in der Ueberzeugung von der Nützlichkeit derselben auch ferner sich angelegen sein lassen werden. Die den Schulinspektoren aufgegebene Anzeige über den Zustand der Obstbaumschulen ihres Bezirkes in den Schuljahresberichten bleibt unverändert fort bestehen. Für die Arbeit der Lehrer Schwenniger und Bathe bei der Förderung des Obstanbaus beantragte Amtmann Föcker 1861 beim Landrat – nach einer Eingabe Schwennigers – eine Gratifikation.

An der Knabenschule der Gemeinde Bork gab es 1860 noch keinen Platz für eine Obstbaumschule. 1862 sprach die Gemeindeversammlung den Wunsch aus, ein Grundstück für diesen Zweck anpachten zu wollen, doch dürfe die Pacht nicht über 1 ½ Taler betragen. 1868 wiederholte man diesen Beschluss, erklärte die Anlage einer Obstbaumschule für die hiesige Schule ... im Allgemeinen nothwendig und für die Obstbaumzucht fördernd und beschloss mit fünf zu vier Stimmen beim Pfarrer Pröbsting ein Grundstück anzupachten. Diese Initiative kam aber erst durch die Klage des Kreisschulinspektors gegenüber dem Amtmann zustande. Föcker war daraufhin vom Landrat beauftragt worden, die Gemeinde-Versammlung für die Anlage einer Obstbaumschule zu gewinnen und fragte beim Pfarrer an, ob er geneigt sei, der Gemeinde ein kleines genügendes Grundstück für die Obstbaumschule gegen ... Pacht zu überlassen, und wann solches in Besitz genommen werden kann.

Pfarrer Pröbsting konnte nur ein kleines Grundstück in der Nähe der Schule anbieten, welches bislang vom Gärtner Kleyhege genutzt worden war. Zwei Taler Pacht würde dieses kosten. Pröbsting erinnerte daran, dass er Grundstücke immer nur auf vier Jahre verpachten durfte, versprach aber, nach Ablauf der Pachtzeit, wenn [er] noch leben sollte, den abgeschlossenen Pacht-Kontract jedesmal auf 4 Jahre wieder zu erneuern. Der Amtmann ging auf das Angebot ein und informierte die Lehrer Sanders und Pohlschröder. Jeder von ihnen sollte eine Hälfte des Grundstücks zugewiesen bekommen, die entsprechenden Kulturen dafür schon aussuchen und mit der Einrichtung der Obstbaumschule beginnen. Föcker sprach noch die Hoffnung aus, dass die beiden sich der Förderung der Obstbaumzucht mit größtem Eifer widmen und der Schuljugend die nothwendige Anleitung geben werden.

Das Glück währte ganze zehn Jahre. Dann gab es Ärger von Seiten des Kirchenvorstandes in der Person des Louis Cirkel. Er reklamierte eine ausstehende Pachtzahlung für 1877/78, die vom Amtmann Döpper bestritten wurde. Das nächste, was zu lesen ist, ist ein Brief der Lehrerin G. Westermann an den Amtmann mit dem Wortlaut: Bezug nehmend auf die mit Ew. Wohlgeboren gehabte Unterredung theile ich Ihnen hierdurch mit, daß der Verkauf der Obstbäume im hiesigen Schulgarten am Donnerstag den 27. d.M. Morgens 11 Uhr stattfinden soll.

Schon 1881 aber dreht sich der Wind wieder. Der Kirchenvorstand war einverstanden, das besagte Grundstück unter Vorbehalt der jährlichen Kündigung für einen Pachtzins von 5,75 Mark und den seit längere Zeit von der Schule zum Turnen genutzten Platz zwischen Küsterei und Pfarrgarten für eine Mark zu verpachten. Der Schulvorstand akzeptierte das Angebot.

Neue Bemühungen

Die Regierung verstärkte in den 80er-Jahren ihre Forderung nach einem aller Orten abzuhaltenden Unterricht im Obstanbau. Sie ordnete an, dass nach Möglichkeit die zwei wöchentlichen Stunden für Naturkunde zu Gunsten des Unterrichts in der Obstbaumzucht und der praktischen Anleitung in der Obstbaumschule verwendet werden. Durch geschickten Aufbau des Stundenplanes könnten in der Zeit die Kinder der Unterstufe entlassen und die Mädchen mit Handarbeiten beschäftigt werden. Um den Unterricht anschaulich zu gestalten, sollten die Kinder vom Lehrer in die Obstbaumschule geführt und dort in der lebendigen Natur mit der Zucht und Pflege des Baumes, sowie mit seinen Feinden aus dem Thier- und Pflanzenreiche bekannt gemacht werden. Darüber hinaus war ihnen klar zu machen, welche Freude und Erhebung wie auch welcher materielle Vortheil aus der Pflege der Baumzucht erwächst.

Verstärkt sollten an den Schulen die Lehrer, die an einem Kursus der „Königlich Preußischen Lehranstalt für Obst- und Weinbau“ im hessischen Geisenheim (gegründet 1871) teilgenommen hatten, zur Fortbildung ihrer Kollegen herangezogen werden; auf Konferenzen und durch praktische Anleitung der jüngeren Lehrer in der schulfreien Zeit. Die Landräte wurden angehalten, auf die Gemeinden einzuwirken, geeignete Grundstücke zur Verfügung zu stellen.

Im Amt Bork

Landrat Graf von Wesel forderte Informationen von den Ämtern an. Innerhalb von zwei Monaten war anzuzeigen, welche Obstbaumschulen bestanden, bzw. welche Bemühungen stattgefunden hatten, um eine zu errichten und welche Hindernisse dem eventuell entgegenstanden. Amtmann Döpper antwortete mit rund zwei Wochen Verspätung am 12. Oktober 1883: Im hiesigen Amtsbezirk sind nur an den Schulen Bork und Cappenberg Obstbaumschulen vorhanden und im Betriebe.
Bei der Schule in Netteberge ist zwar ein geeignetes Gartengrundstück vorhanden, eine Baumschule jedoch wegen der Unkenntniß der bisherigen Lehrer und des geringen Interesses derselben an einer solchen noch nicht angelegt.
Zu Selm und Altlünen fehlt es an einem geeigneten Grundstück und können solche auch nicht beschafft werden.

Die Reaktion des Landrats auf die Netteberger Nachricht fiel erwartungsgemäß aus. Der Amtmann hatte den Lehrer zu veranlassen, sich die nöthigen Kenntnisse, durch Unterstützung des dazu gewiß gern bereiten Lehrers Sanders in Bork, anzueignen. Im Übrigen ist der Lehrer in Netteberge mit Rücksicht auf das von ihm bekundete geringe Interesse an der Sache, darauf aufmerksam zu machen, daß er den Unterricht in der Obstbaumzucht als seine Amtspflicht anzusehen habe. Bezüglich der Situation in Selm und Altlünen wollte er die Hinderungsgründe genauer wissen. Und allein seine Nachfrage bewirkte, dass Döpper im Februar 1884 die Anlage von Obstbaumschulen sowohl in Altlünen als auch in Selm melden konnte. Wobei allerdings die Altlüner Obstbaumschule sich nur an die in Nordlünen angeschlossen hatte und in der Regie eines Lehrers blieb.

Ein Jahr später fragte der Landrat vorsichtshalber noch einmal nach. Döpper meldete als Obstbaumschulen Grundstücke von jeweils fünf Ruthen für Bork, Netteberge, Selm und Altlünen. In Cappenberg war es immer noch nicht gelungen, ein Grundstück zu beschaffen. Auch 1889, als die Altüner Anlage schon nicht mehr existierte, gab es in Cappenberg keine derartige Schule. Landrat Wedel wollte nun aber wissen, in welcher Weise der Lehrer Josephy zu Netteberge, seine im Obstbau erlangten Kenntnisse seither verwerthet hatte. Leider wird in der Akte nur angezeigt, dass der Lehrer seine Antwort fristgerecht einreichte.

Im selben Jahr äußerte sich der Kreisschulinspektor erneut zur Fortbildung der Lehrer im Obstbau. 1887 hatten im Regierungsbezirk 17 Volksschullehrer an Obstbaumkursen teilgenommen, 15 in Lüdinghausen und zwei in Geisenheim. Ueberall ist das Bestreben zu erkennen, die erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten nicht blos in der Schule, sondern auch in weiteren Kreisen nutzbringend zu verwerthen. Aber immer noch musste er auch bemerken, daß den Lehrern keine passenden Grundstücke zur Anlegung eines Obstmuttergartens zur Verfügung stehen und die Landräte sich doch weiterhin bemühen sollten, den guten Willen der Gemeinden in dieser Hinsicht anzuregen.

Außerschulische Bemühungen

Unter dem Namen: „Obstbau-Verband für Westfalen und Lippe“ bilden Obstbau- und Obstverwertungs-Vereine, Genossenschaften, Obstbauer und Obstbaufreunde der Provinz Westfalen und des Fürstentums Lippe eine Vereinigung, welche ihren Sitz in Herford in Westfalen hat.[5] So lautet der Paragraf 1 der Satzung des Vereins. Im Paragraf 2 heißt es: Der Verband will den Obstbau, den Gartenbau und die Obstverwertung nach allen Richtungen fördern. Die Satzung trat am 1. April 1908 in Kraft.

Über den Landrat gelangten regelmäßig Informationen über die Angebote und Aktivitäten dieses Vereins an die Ortsbehörden. Zuerst ging es um die Schädlingsbekämpfung, speziell um die Blutlaus. Unentgeltliche eintägige Kurse wurden zu dem Thema angeboten. Listen mit empfohlenen Obstorten für den Kreis konnten beim Verband bezogen werden und er bot an, private oder öffentliche Obstpflanzungen zu besichtigen und deren Besitzern mit Rat zur Seite zu stehen. Fachleute konnten für Vorträge in den Gemeinden angefordert werden. Auch Wegewärter, Polizeidiener und Flurschützen sollten für Kurse interessiert werden, da diese die auf Gemeindewegen angepflanzten Obstbäume im Auge behalten sollten. Für die Beamten in Bork war diese Unterrichtung nicht nötig, da es Obstbäume an den Wegen nicht gab.

Amtmann Busch zeigte sich bei all diesen Angeboten wenig interessiert und gab die Schreiben schnell zu den Akten; einmal mit dem Zusatz: da nicht erwünscht.[6]. Das änderte sich erst, als das Landratsamt einen Bericht über die getroffenen Maßnahmen für den 1. Februar 1910 anforderte.

Befördert wurde dies sicher auch durch die Anstellung eines Obstbautechnikers im August 1909 für die Kreise Münster, Lüdinghausen und Warendorf mit Sitz in Münster. Auch dieser stand Gemeinden und Eingesessenen für Vorträge, Ortsbesichtigungen, praktische Tipps und Anleitungen zur Verfügung. Dieses Angebot ließ der Amtmann immerhin auf die Tagesordnung der Gemeindeversammlungen setzen, nachdem der Landrat allerdings durch eine Bekanntmachung in der Zeitung für eine Verbreitung dieser Information gesorgt hatte.

Beinahe fristgerecht meldete Busch dem Amtmann am 21. Februar 1910: Im dies. Bezirke haben in vergangenen Jahren in Selm der Obstbauinspektor Hagenau - Herford und in Bork der Obstbautechniker Weißenborn - Münster öffentlich Vorträge gehalten. Ferner haben die Gewerkschaft Eisenhütte Westfalia, Wethmar, Gutsbesitzer Sch. Wischeler, Netteberge und Ziegeleibesitzer Reygers, Bork ihre Obstbaubestände durch den Herrn Weißenborn untersuchen lassen. Im übrigen wird das Publikum bei sich eintretenden Gelegenheiten fortgesetzt auf die zur Förderung der Obstbauzucht getroffenen Einrichtungen aufmerksam gemacht.

Oktober 2023

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1.und folgendes Zitat: Ferdinand Rubens, Vollständige Anleitung zur Obstbaumzucht, 1. Band, Essen 1843, Vorwort. www.e-rara.ch
2. siehe auch: Vikar Madel will nicht mehr >
3. und folgende Zitate: Stadtarchiv Selm, AB-1 - 254.
4. und folgende Zitate: Stadtarchiv Selm, AB-1 - 235.
5. Satzung des Obstbaum-Verbandes für Westfalen und Lippe, in: StA Selm, AB-1 - 172.
6. und weitere Zitate: Stadtarchiv Selm, AB-1 - 172




 
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