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Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686

Verein zur Pflege verwunderter und kranker Krieger - 1870/71

Christel Gewitzsch

1.  Die süßesten Früchte fressen nur die großen Tiere,
nur weil die Bäume hoch sind
und diese Tiere groß sind.
Die süßesten Früchte schmecken dir und mir genauso,
doch weil wir beide klein sind,
erreichen wir sie nie.
[1]



2. 8466,50 Taler fließen aus dem Reptilienfonds[2] in die Verpflegung des Bismarckschen Quartiers. Die Tafelfreuden sind beträchtlich: Schildkrötensuppe, Omelette mit Champignons, Fasan mit Sauerkraut in Champagner, Ente mit Oliven, Wildschweinkopf mit Kompott aus Himbeergelee und Senf. Dazu Liebensgaben aus der Heimat: Pommersche Spickgänse, Leipziger Lerchen, Forellenpasteten, Reinfelder Schinken. Beim Dessert stöhnt Bismarck, er habe zu schwer gegessen, es sei immer ein Gericht zu viel.[3]

3. Wie von Bismarck kalkuliert, war es die Veröffentlichung der ‚Emser Depesche‘ in der französischen Presse, die das Fass zum Überlaufen brachte. Die Erklärung, die Emile Ollivier am Morgen des 14. Juli vorbereitete und die den Friedenswillen Frankreichs angesichts des Verzichts auf die Thronkandidatur betonte, vermochte die Kriegsbegeisterung, die in Paris sofort wild aufschäumte, nicht zu dämpfen. Ollivier war Zeuge der Empörung geworden, in der die Pariser Öffentlichkeit moussierte, und es war die Stimmung, von der die letzten Bedenken, die dazu rieten, einen Krieg zu vermeiden, weggespült wurden.[4]

4. Aufruf!
Ihre Königliche Hoheit die Frau Kronprinzessin hat das nachfolgende Handschreiben an uns gerichtet:
Noch einmal ruft das Vaterland seine Söhne zu den Fahnen, um für seine heiligsten Güter, für Deutschlands Ehre und Unabhängigkeit zu kämpfen. Ein Feind, den wir nicht verletzten, mißgönnt uns die Früchte unserer Siege, die Vollendung des großen nationalen Werkes in friedlicher Arbeit und Entwicklung. Verhöhnt und beleidigt in dem, was ihm am theuersten ist, strömt das ganze Volk – wir haben kein anderes Heer – zu den altbewährten Waffen, um den eignen Heerd, um die Seinen zu schützen. Tausende von Frauen und Kindern sind auf längere Zeit ihrer Ernährer beraubt, die Sorgen des Herzens, welche sie belasten, können wir nicht von ihnen nehmen. Wohl aber sind wir im Stande, sie vor äußerer Noth zu bewahren. Glänzend haben die Deutschen in allen Theilen der Welt ihre Vaterlandsliebe bewiesen, als sie angerufen wurden, dankbar die Leiden jenes Kampfes zu lindern, den wir vor Kurzem zu glücklichem Ende geführt. Wohlan denn! Möge wiederum freie Liebesthätigkeit Alle vereinen, um die Angehörigen Derer vor Entbehrung zu schützen, welche Gesundheit und Leben für uns hinzugeben bereit sind! Spenden wir schnell und reichlich, damit die Streiter für das heilige Recht unseres Landes mit dem tröstenden Gedanken in den Kampf ziehen, daß das Schicksal ihrer Lieben treuen Händen anvertraut ist. Den geschäftsführenden Ausschuß der Victoria-National-Invaliden-Stiftung fordere Ich auf, seine Thätigkeit diesem Werke zu widmen, Sammlungen von Liebesgaben zu veranstalten und deren Verwendung zu leiten.
Neues Palais, den 19. Juli 1870
Gez. Victoria, Kronprinzessin.
[5]

5.  Die Herren Landräthe, Bürgermeister, Amtmänner, Geistliche und Eingesessene des Regierungs-Bezirks Münster.
Unserem theueren Vaterlande ist unerwartet ein Kampf aufgedrungen, der das einmüthige Zusammenwirken aller seiner Kräfte erfordert. Bald werden unsere Söhne und Brüder einem Feinde gegenüber stehen, der unser Vaterland mit seinen heiligsten Interessen bedroht. Es tritt demnach an jeden die heilige Pflicht heran, für diejenigen, welche für König und Vaterland Blut und Leben einsetzen, nach Kräften zu sorgen und insbesondere zur Pflege und Erquickung der Verwundeten und Erkrankten in opferwilliger Liebe zu wirken.
Zu diesem Zwecke spricht der unterzeichnete Vorstand des auf Grund des Statuts vom 23. Juni 1866 hierselbst gebildeten Regierungs „Bezirks“ Vereins zur Pflege verwundeter und erkrankter Krieger die dringende Bitte aus, unserem Verein beizutreten, an allen Orten Kreis- und Lokal-Vereine zu gründen, Gaben an Geld, sowie an Naturalien und Lazareth-Bedürfnissen zu sammeln und erste an den Regierungs-Bezirks-Verein zu Händen des Vorsitzenden, Oberbürgermeister Offenberg hierselbst, letzte an das Depot des vaterländischen Frauen-Vereins im Ständehaus einzusenden.
Wir vertrauen fest, daß die patriotische Opferwilligkeit der Bewohner des Münsterlandes in werkthätiger Liebe zu unseren kämpfenden Brüdern sich wie bisher aus Glänzendste bewähren wird.
Münster, den 19. Juli 1870
Der Regierungs-Bezirks-Verein zur Pflege verwundeter und erkrankter Krieger.
Offenberg Oberbürgermeister als Vorsitzender.
[Es folgen 22 weitere Namen.]

6. Lüdinghausen den 20. Juli 1870.
Bei dem so plötzlich ausgebrochenen in seinen unmittelbaren Wirkungen und demnächstigen Folgen voraussichtlich furchtbaren und schrecklichen Kriege bedarf es wohl einer neuern Hinweisung auf meine Verfügungen vom 12. April 1864 und 6. Juli 1866, um die Erwartung und feste Zuversicht hegen zu können, daß ungeachtet der Ihnen jetzt obliegenden Arbeiten Euer ___ Wohlgeboren mit patriotischer Hingebung auf eine recht lebhafte Theilnahme an dem wieder in Thätigkeit tretenden Kreis Verein zur Unterstützung und Pflege der im Felde verwundeten und erkrankten Krieger hinwirken werden. – Es wird sich vorläufig hauptsächlich um Geld, Leinwand Verband und Bettzeug handeln. –
Ich habe gleichzeitig die Herren Pfarrer ersucht, für den Verein zu wirken und würde gemeinsames Wirken jedenfalls mehr Erfolg haben, Wegen Absendung der Geldbeträge pp wird weitere Mittheilung erfolgen.
Der Landrath v Landsberg
An die Herrn Amtmänner und Bürgermeister

7. Zum Besten und zur Pflege der in dem bevorstehenden Kampfe verwundeten und erkrankter Krieger wird im hiesigen Amte im Laufe dieser Woche durch mit Legitimation versehenen Eingesessenen eine Sammlung von Geldern, Leinwand, Charpie [Wundverbandsmaterial] und Verbands- und Bettzeug vorgenommen werden.
Die Eingesessenen des hiesigen Amtes werden daher ergebenst ersucht, zu diesem Zwecke nach Möglichkeit und nach Kräften beizutragen.
Bork den 31. Juli 1870
Der com. Amtmann
Döpper
...
Mit der Sammlung der Gaben sind beauftragt:
Gemeinde Bork dars. Herr Carl Wesener und Heinrich Marschall
"                 "     Altenbork Förster Deppe und Colon Bramkamp
"                 "     Hassel Heinrich Richter und Wilhelm Dahlkamp
"                 "     Netteberge Col. Wilhelm Ickerodt u. Wilhelm Schwarzwald
"                 "     Uebbenhagen Theodor Vieter und Tischler Elberfeld
Gemeinde Selm, Dorf Heinrich Fuisting und Hch Sanders
"                 "     Beifang Christoph Spinn gt. Evert ... Lonnemann
"                 "     Westerfelde Colon Schwenken und Rudolph Frielinghaus
"                 "     Ohndrup Colon Rotert gt. Kerkmann und Lippelt
"                 "     Ternsche Colon Schlütermann und Baumeister
Altlünen Altstedde Colon Anton Middendorf und Jos Br Busemann
"                 "     Nordlünen Jos Her Röllmann u. Col Jos Luhmann
"                 "     Wethmar Wirth Wilh Kirchlinde und Colon Anton Wienke

8. Verzeichniß über die Sammlungen zum Besten der im Felde verwunderter erkrankter Krieger.

 












9.  Bork den 26. August 1870
Sammlung zur Pflege der im Felde verwundeten und erkrankten Krieger betreffend. – ad Verf. vom 22 dmts N. 4097
Euer Hochwohlgeboren verfehle ich nicht auf die nebenbezogenen verehrliche Verfügung gehorsamste anzuzeigen, daß für den in rubro gedachten Zweck im hiesigen Amt T 109 – 26 - 4 nebst 2 Ballen mit Verbandsgegenstände gesammelt und am 9. dmts abgesandt sind und daß außerdem am 22. dmts von der Eisenhütte Westfalia 50 T hier eingezahlt sind welche ich am selben Tage dorthin abgesandt habe.
Der com Amtmann Döpper

10. Bekanntmachung
Seitens des General-Commandos des mobilen 7. Armee Corps in Frankreich ist nach einem Schreiben des stellvertretenden Generalcommandos telegrafirt worden, daß als dringendstes Bedürfniß die möglichst rasche und zahlreiche Überweisung von wollenen Leibbinden anzusehen sei. Die Eingesessenen des hiesigen Amtes sowie die Mitglieder des Local Vereins ersuche ich daher ergebenst, gef. nach Möglichkeit zur Beschaffung wollener Leibbinden, sei es in Lieferung derselben oder durch Beitragung in Geld zur Abhülfe dieses Bedürfnisses beizutragen und mitzuwirken. Lieferungen und Gaben können bei dem Gemeinde Vorsteher und auf dem Amtsbureau zu Bork abgeliefert werden.
Bork, 10.9.1870 der com. AM Döpper

11. Lüdinghausen, den 20. Dezember 1870
... Es würde sich in der jetzigen Zeit empfehlen, wiederum für den Kreisverein zu sammeln und ersuche ich ebenmäßig in dieser Richtung mit den Herrn Geistlichen Sich in Vernehmen zu setzen und nach Kräften für eine ergiebige Sammlung wirken zu wollen.
Der Landrathsamtsverwalter Callenberg Regierungs-Assessor
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Bork, den 21 Januar 1871
An den Herrn SteuerEmpfänger Hentze Wohlgeboren Lüdinghausen
Zum Besten der verwundeten und erkrankten Krieger sind am hiesigen Amte seit 1. Januar cur. zusammengebracht worden
Tha 97 – 9 - .
Welche ich Euer Wohlgeboren ... zur gef. Vereinnahmung in die dortige Kreis Vereinskasse übersende. Quittung wird erbeten.
Der com. Amtmann Döpper
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12.  Bork den 8 Febr 1871
Beitritt zur Deutschen Wilhelms Stiftung betr.
ad Verf. v. 30 Januar cur.
N. 5772
An das Königliche Landraths-Amt zu Lüdinghausen
...
In dem hiesigen Amte sind mehrere Eingesessenen dem Verein zur Pflege der verwundeten und erkrankten Krieger beigetreten und zu diesem Zwecke bereits mehrmals Beträge gesammelt und an den Verein zu Lüdinghausen abgesandt. Ich habe bereits mit mehreren Eingesessenen rücksichtlich des Beitritts zur Wilhelms-Stiftung Rücksprache genommen und bin zu der Ueberzeugung gelangt, daß die Stimmung nicht für den Beitritt ist.
Diese Sache sowie auch die fernere Sammlung von Beiträgen dürfte vorläufig auszusetzen sein, da bei der letzten Sammlung in der Bauerschaft Hassel nur 1 T 20 Sgr aufgekommen sind.
Der com. Amtmann Döpper

13. Bork, 26. März 1871
Die Leistungen der Gemeinden des Amts Bork während des Feldzuges 1870/71 an freiwilligen Gelder und sonstigen Beiträgen betreffend
ad Verf. vom 16 dmts N. 1378
Zufolge nebenbezogener verehrlicher Verfügung beehre ich mich dem Königlichen Landraths Amte beigehalten die in rubro bezeichnete Nachweisung gehorsamste einzureichen.
Der Amtmann Döpper
Nachweisung ...
1
. An den Kreisverein abgegeben sind
a. an Geld insgesamt: 276 Taler, 2 Silbergroschen und 4 Pfennig.  / 1 Ballen und 1 Kiste
b. an Leinensachen u.ä.: 1 Ballen und 1 Kiste Leinensachen
2. An andere Vereine abgesandt: - - -
3. An Soldaten abgesandt resp. den Familien bewilligt: in Bork 90 Taler, in Selm 92 Taler
4. Bestand: 4 Taler
Der Amtmann Döpper

September 2020
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[1] Musik/ Text: Kurt Feltz, Vittorio Mascheroni, Gesang Peter Alexander und Leila Negra, 1952.
[2] Beschlagnahmtes Vermögen des 1866 besiegten Hauses Hannover, über das Bismarck frei verfügen konnte.
[3] Franz Herre, Anno 70/71, Ein Krieg, ein Reich, ein Kaiser, Köln, Berlin 1970, S. 33.
[4] Johannes Willms, Napoleon III., Frankreichs letzter Kaiser, München 2008, S. 253f.
[5] und alle folgenden Zitate: Stadtarchiv Selm, AB-1 – 601.

 
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