aktenlage
Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686

Viel Arbeit für die landwirtschaftliche Polizei 

Christel Gewitzsch

Über die Arbeit der landwirtschaftlichen Polizei liegt eine umfangreiche Akte im Selmer Stadtarchiv. Aber bevor der Gedanke aufkommt, es hätten sich besonders viele Vergehen und Verbrechen auf den Feldern und Höfen ereignet, sei daran erinnert, dass der Polizeibegriff früher ein weiteres Betätigungsfeld umfasste als heute.

Die Polizeiverwaltung hatte zwei Aufgaben zu erfüllen: Erstens soll sie die öffentliche Sicherheit und Ordnung vor möglicher Verletzung bewahren, und die geschehene Verletzung sogleich erkennen und ausgleichen; zweitens soll sie die Bildung und Wohlfahrt der Staatsbürger nach ihrem ganzen Umfang begründen, befördern, erhalten und erhöhen.[1] Und in dieser Funktion als sogenannte Kultur- und Wohlfahrtspolizei kümmerte sie sich u.a. um die Belange der Landwirtschaft. Für die Sicherheit der Flur wurde 1847 eine Feld-Polizei-Ordnung erlassen.[2]

Die landwirtschaftliche Polizei hatte sich um viele Aspekte zu kümmern, z. B. um die Kartoffelkrankheit, Schädlingsplagen, Förderung besonderer Kulturen oder der Weiterbildung der Landwirte. Themen, die auf aktenlage in verschiedenen Aufsätzen aufgegriffen wurden. Darüber hinaus forderte die Regierung immer wieder Informationen über die Lage vor Ort an. So wollte sie unter anderem wissen, wie viele Spar- und Darlehnskassen, landwirtschaftliche Versicherungsvereine und Genossenschaften vorhanden waren, wie weit die Landwirte mit ihren Fuhren den gewerblichen Fuhrunternehmern Konkurrenz machten, welche Erbgewohnheiten verbreitet waren oder welche Größe die landwirtschaftlichen Betriebe hatten. Nicht zu allen Anfragen liegen die Antworten vor.

An landwirtschaftlichen Versicherungsvereinen meldete der Amtmann vier für das Rindvieh (je einer in Bork, Cappenberg, Selm und Altlünen) und je einen für Schweine in Nordlünen und Wethmar. Auf die Frage nach der Größe der landwirtschaftlichen Betriebe listete Busch sieben Großgrundbesitzer auf, von denen zwei im Amtsbezirk wohnten (Heinrich Holtbrink und Heinrich Wethmar); fünfzig größere Bauerngutsbesitzer und (nur als Zahl) 309 kleine Landwirte.

Drei Themenblöcke nehmen in der Akte etwas mehr Raum ein als andere: Die Melioration, die Körung und die Lage der landwirtschaftlichen Arbeiter.

Die Lage der Arbeiter

1852 betrachtete die Regierung diesen Aspekt unter der Nothwendigkeit, ... die Gelegenheit zum Broderwerb für die arbeitende Klasse zu vermehren.[3] Durch die schlechte Ernte waren die Preise für Lebensmittel stark gestiegen und die Landräte wurden angewiesen, auf die Maßnahmen hinzuweisen, die von den Orts- und Kreisbehörden in diesen Fällen zu ergreifen waren. In den Gegenden, in denen ein Mangel an lohnender Arbeit zu befürchten war, sollte an die Arbeitsmöglichkeit bei öffentlichen Bauten erinnert werden. Wenn die Arbeiter dafür ihre Heimat verlassen mussten, waren die Behörden angehalten, einen entsprechenden Theil [des] Arbeits-Verdienstes zum Unterhalt [der] zurück gebliebene Angehörigen zurückzulegen und zu verwenden. Reichten die laufenden Projekte nicht aus, sollten sie neue Baumaßnahmen in der Nähe der Heimat in Angriff nehmen und die Mittel dafür beschaffen. Sie wurden ermahnt, sinnvolle Projekte zu planen und nicht nur, wie es 1848 praktiziert worden war, eine augenblickliche Verlegenheit wegen Beschäftigung müßiger Hände zu beseitigen. Das öffentliche Interesse sei z.B. durch nützliche neue Chausseeanlagen oder größere Wegearbeiten ins Auge zu fassen. Unter diesen Voraussetzungen würden eine angemessenen Bauprämie und ein mäßiger Zuschuss gern gewährt werden.

Vierzig Jahre später musste bei der Erörterung der Frage von Nothständen in den arbeitenden Klassen besonders die Wechselbeziehungen zwischen industriell und ländlich geprägten Regionen betrachtet werden.

Die Regierung forderte Informationen darüber ein, in wieweit bei der Landwirthschaft Ueberfluß oder Mangel an Arbeitern besteht und in letzterem Falle, in wieweit etwa die Neigung landwirthschaftlicher Arbeiter der Industrie oder den größeren Städten sich zuzuwenden, weitere Verbreitung gefunden hat. Die Landräte bekamen den Auftrag, jährlich bis zum 15. August einen Bericht über die Lage der landwirthschaftlichen Arbeiter einzusenden.

Der erste Bericht musste im September 1894 abgegeben werden. Der Borker Amtmann teilte dem Landrat mit, daß hier weder Ueberfluß noch Mangel an landwirthschaftlichen Arbeitern besteht, vielmehr die Landwirthe mit den hier sesshaften Arbeitern auskommen können. Eine besondere Neigung der landwirthschaftlichen. Arbeiter sich der Industrie oder den größeren Städten zuzuwenden, ist nicht gefunden worden. Die Verhältnisse der betreffenden Arbeiter haben sich gegen früher nicht geändert.

Ein Jahr später, als der zweite Bericht fällig wurde, schätzte der neue Amtmann Busch die Lage anders ein. Er befürchtete für die nahe Zukunft einen Arbeitskräftemangel in der ländlichen Region. Die jüngeren und besseren Kräfte würden sich verstärkt der Eisen- Berg- und Papier-Industrie zuwenden und auf den Eisenwerken in Altlünen und Lünen, den Zechen Gneisenau und Preußen und den Papierfabriken von Harmann Kopp und Comp. lohnende Beschäftigung suchen. Es lockten die höheren Löhne und die regelmäßigeren Arbeitsgelegenheiten. Die Landwirte in den angrenzenden Teilen der Bezirks müssten schon recht hohe Löhne zahlen.

Diese Situation änderte sich in den Folgejahren kaum, so dass die Ministerien der Landwirtschaft und des Innern 1897 vorschlugen, von der alljährlichen Berichterstattung abzusehen. Die Regierung in Münster folgte dem Vorschlag nicht. Sie wollte wesentliche Veränderungen auf diesem Gebiete thunlichst bald ... erfahren, um in angemessener Zeit reagieren zu können. Um den Arbeitsaufwand zu minimieren, empfahl sie, in allen denjenigen Fällen, in denen die thatsächlichen Verhältnisse zu einer eingehenden Berichterstattung keinen Anlaß bieten, sich auf die Anzeige zu beschränken, daß wesentliche Veränderungen nicht eingetreten sind.

1904 teilte der Landrat den Ortsbehörden mit, dass es nun auch dieser Anzeige nicht mehr bedürfe.

Die Körung

Bei Hengsten, die zu Zuchtzwecken eingesetzt werden sollen, wird vorher in einer Körung ihre Eignung dazu festgestellt. Gesundheitszustand, Körperbau, Bewegungsablauf u.a. werden kontrolliert und begutachtet. In preußischen Landgestüten, sogenannte Beschäler-Depots[4], war man auf die Steigerung und Verbesserung der Landespferdezucht bedacht. Im Deckjahr 1850/51 zum Beispiel deckten in diesen Gestüten 1.000 Hengste 44.739 Stuten.

In der Selmer Akte wird die Körung erst in den 90er Jahren zum Thema. Im April 1889 war eine Polizeiverordnung erlassen worden, die auch die Körung der Privatbeschäler, der Zuchthengste in Privathand, zum Thema hatte. Der Landrat mahnte alle Ortsbehörden, auf die strengste Durchführung ... hinzuwirken und die Polizeibeamten dieserhalb gefälligst zu instruiren. Amtmann Busch notierte dazu: Der Haverkamp’sche Hengst ist abgekört, was bedeutete, dass ihm die Genehmigung zur Zucht entzogen worden war.

Ein Jahr später (1896), als der Landrat seine Ermahnung wiederholte, meldete Busch, dass im diesseitigen Amtsbezirk kein Hengst ungekört sei und den Polizeidienern eine strenge Controlle zur Pflicht gemacht worden war. Diese und der Gendarm nahmen die Anweisung durch ihre Unterschrift zur Kenntnis.

Im selben Jahr sandte der Landrat den Ortsbehörden die Abholungslisten der mit Königlichen Beschälern bedeckten Stuten mit der Aufforderung, beigefügte Listen sorgfältig auszufüllen. Busch notierte auf dem Anschreiben: Stute von Kertelge – nach Ausfüllung zurück.

Die Melioration

Der Begriff kommt vom lateinischen melior (besser) oder meliorare (verbessern). Es werden damit Maßnahmen bezeichnet, die zur Bodenverbesserung, Be- und Entwässerung, Urbarmachung, Landschaftspflege u.a. ergriffen werden. Eine weitere Verwendung findet das Wort in der Sprachwissenschaft, wo es einen positiven Bedeutungswandel kennzeichnet. So wurde zum Beispiel aus der verächtlich gemeinten Bezeichnung Restefraß für Ratatouille der Name eines beliebten Gemüsegerichts.[5]

In den 50er und 90er Jahren des 19. Jahrhunderts brachte jeweils das Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten durch Erlasse und Verfügungen die unteren Behörden dazu, sich mit Verbesserungsarbeiten zu befassen. Im April 1850 wollte es über noch vorhandene wüsten Ländereien (Haiden, Oeden und Brachen) in den jeweiligen Verwaltungsbezirken informiert werden. Bürgermeister von Stojentin stellte für die Gemeinden die Zahlen zusammen und kam für Bork auf rund 158 Morgen, Selm 559 Morgen und Altlünen 1186 Morgen wüste Ländereien. Seit der Aufnahme des Katasters (in Selm ab 1826) waren in Bork 481 Morgen, in Selm 933 Morgen und in Altlünen 644 Morgen kultiviert worden.

Als ein Jahr nach dieser Aufstellung die Abteilung des Innern in Münster finanzielle Unterstützung für vorbereitende Arbeiten weiterer Meliorationen anbot, konnte Stojentin davon keinen Gebrauch machen, da Pläne für größere Maßnahmen nicht vorlagen.

Anfang 1854 beantragte Graf von Landsberg-Velen, zur Bewässerung der zu seinem Gute Botzlar bei Selm gehörenden ... Wiesen den diese Flur durchfließenden Bach aufzustauen, zu dem Zwecke 2 Schleusen anlegen, so wie mehrere Zuleitungs- und Abzugsgräben, desgleichen auch Durchlässe und Dämme anfertigen zu lassen. Landrat Schmising wies in öffentlichen Bekanntmachungen auf dieses Vorhaben und die Einsichtsmöglichkeit in genaue Pläne auf dem Kreisbüro hin. Er forderte all die auf, die über ein Widerspruchsrecht verfügten oder Entschädigungsansprüche gelten machen konnten, diese in den nächsten drei Monaten bei ihm anzumelden.

Als im Oktober des Jahres Regierungsvizepräsident Naumann den Behörden sein Projekt zur Entwässerung feuchter Wiesen zur Kenntnis brachte, wandte sich Bürgermeister Stojentin an den Pächter des Gutes Botzlar Wilhelm Brüning.

Brüning äußerte sich sehr ausführlich. In Bezug auf die Gemeinde Selm stand er „im Stoff“. Als Direktor der Ackerbauschule auf Botzlar war er seit 1852 verpflichtet, jedes Jahr einen Rechenschaftsbericht abzuliefern.[6] Einen allumfassenden Gesamtplan für Entwässerungsmaßnahmen konnte er nicht empfehlen, weil jedes Flussgebiet in der Gemeinde anders beschaffen war. Für die Funne hielt er eine Vertiefung für unnötig. Zwei andere Flüsse, einer davon der Mühlenbach, würden durch eine Vertiefung die anliegenden Ackerländereien bedeutend entwässern und trocken legen können.

Um Bewässerung ging es im April 1859 auch dem Kolon Schwenken in Westerfelde. Er beabsichtigte ein Grundstück, die sogenannte Mertenwiese, in eine Rieselwiese umzuwandeln. Der Landrat, inzwischen Freiherr von Landsberg, leitete das übliche Verfahren der dreimaligen Bekanntmachungen ein. Die Kosten dafür, sieben Taler, zwei Silbergroschen und drei Pfennige, musste Schwenken übernehmen. Im Juli erließ die Regierung den sogenannten Präclusions-Bescheid, der das Fristende für Einsprüche bedeutete.

Weitere konkrete Maßnahmen vor Ort kommen in der Akte nicht vor. Zweimal meldete sich noch das Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten zu Wort. 1896 beklagte es die häufige Überschreitung der Kostenanschläge bei größeren Meliorationsarbeiten. Die Ursache dafür sah es in den Eigenmächtigkeiten der Wassergenossenschaften, die im Laufe eines Projekts Änderungen vornahmen, ohne Genehmigungen dafür einzuholen. Den Landräten wurden verstärkte Kontrollen auferlegt, sowohl hinsichtlich der planmäßigen Ausführung und Unterhaltung der genossenschaftlichen Anlagen, wie hinsichtlich der planmäßigen Verwendung des genossenschaftlichen Kredits und der eigenen Mittel der Genossenschaft.

1901 stellte das Ministerium zur Förderung der Land- und Forstwirtschaft in den westlichen Provinzen einen stattlichen Betrag in den Etat für 1902 ein. Die Zuwendung für die Provinz Westfalen würde bei Genehmigung dieses Etats 120.000 Mark betragen. Die Regierung wurde aufgefordert, Vorschriften für die Verwendung der Gelder zu erlassen und die eingehenden Anträge für Mittelzuwendungen einzureichen. Bei Amtmann Busch in Bork gingen keine Anträge ein, so legte er den Vorgang zu den Akten.

Juli 2014
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1. J. D. F. Rumpf, Handbuch für preußische Landräthe, Berlin 1835, S. 217.
2. Siehe aktenlage: Immer diese Kühe >
3.  Und folgende Zitate, falls nicht anders erwähnt: Stadtarchiv Selm, AB-1 – 155.
4. Und folgende zwei Zitate: Haubner, Zur Beurtheilung der Landgestüte, in: Annalen der    Landwirthschaft in den königlich Preußischen Staaten, Berlin 1854, S. 29ff.
5. Nach Wikipedia.
6. Siehe aktenlage: Bewirtschaftungsplan und Ertragsanschlag des Gutes Botzlar >




 
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