aktenlage
Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686

Zur Ausbildung und Geburt nach Paderborn

Christel Gewitzsch

Mindestens neun Hebammen, die im Amt Bork im 19. Jahrhundert praktizierten, absolvierten ihre Ausbildung in der 1833 gegründeten Paderborner Lehranstalt für Hebammen. Und zwei Hochschwangere aus dem Amtsbezirk begaben sich dorthin, um in der angeschlossenen Entbindungsklinik ihr Kind zur Welt zu bringen.

Die Lehranstalt

Die Bedingungen und Regelungen, unter denen ausbildungswillige Frauen in der Lehranstalt aufgenommen werden konnte, änderten sich im Laufe der Zeit ein wenig. Diese Darstellung folgt weitgehend der in der 8. Plenarsitzung des 22. Westfälischen Provinzial-Landtages in Münster beschlossenen Fassung aus dem Jahr 1875.

Danach wurden in jedem Jahr in zwei 4-monatigen Kursen (Kursbeginn: 1. Februar und 1. Oktober) bevorzugt die Schülerinnen aufgenommen, die von Gemeinden gemeldet wurden. Interessentinnen, die auf eigene Kosten eine Ausbildung erhalten wollten, kamen nur zum Zuge, wenn Plätze frei waren. Pro Kurs konnten zwanzig Schülerinnen aufgenommen werden.

Die Zulassung der Schülerinnen war abhängig von der Einreichung
a. eines Kreisphysikats-Attestes über die körperliche und geistige Befähigung der künftigen Lehrtochter;
b. eines ortspolizeilichen bezw. pfarramtlichen Attestes über ihren unbescholtenen Ruf;
c. eines Tauf- oder Geburtsscheines.
Für die präsentirten Lehrtöchter ist außerdem die Bescheinigung der Orts-Behörde über die vorschriftsmäßig stattgefundene Wahl beizubringen.

Aus dem Kreisphysikats-Attest (a), welches nicht früher als fünf Wochen vor der Aufnahme in die Anstalt ausgestellt sein darf, muß sich ergeben, daß die künftige Lehrtochter einen gesunden rüstigen Körper, gesunde Sinne und gerade, zum Hebammen-Geschäfte taugliche Gliedmaßen, insbesondere eine feine wohlgebildete Hand besitze; daß sie nicht mit einer widrigen oder ansteckenden Krankheit behaftet sei, sich nicht in erkennbaren Schwangerschaft befinde, einen gesunden natürlichen Verstand und ein gutes Gedächtniß zeige, fertig lesen und Gelesenes verstehen, auch leserlich schreiben könne.
Personen, welche jünger als 20 oder älter als 35 Jahre sind, werden als Hebammenschülerinnen nicht aufgenommen. Imgleichen werden schwangere Personen und gefallene Mädchen zu dem Hebammen-Unterricht nicht zugelassen
.[1]

Entschieden wurden die Gesuche von dem jeweiligen Anstaltsdirektor, bei dem sich die Schülerinnen gleich bei ihrer Ankunft persönlich zu melden hatten. Sollte es sich herausstellen, dass eine Auszubildende unqualifiziert oder schwanger war, konnte sie sofort entlassen werden. Eine Entlassung drohte auch, wenn eine Frau den Anordnungen des Direktors oder der Oberhebamme nicht folgte oder gegen die Hausordnung verstieß. Im §.5 der Aufnahmebedingungen wird außerdem ausdrücklich gefordert, dass die Neuankömmlinge angemessen gekleidet und besonders mit hinreichender Wäsche versehen sein müssen.

Für die von den Gemeinden oder Hebammenbezirke ausgewählten Schülerinnen übernahmen diese auch die Kosten für die Ausbildung. Das waren 1875 120 Mark Pflegegeld und 15 Mark Honorar für den Unterricht. In diesem Betrag waren die ärztliche Behandlung, Pflege und Arzneikosten im Krankheitsfall eingeschlossen. Die auf eigene Kosten angemeldeten Frauen mussten mehr bezahlen. 210 Mark hatten sie vor Beginn des Kursus an die Anstaltskasse zu entrichten. Dafür wurde ihnen vier Monate Unterricht, die etatsmäßige Beköstigung, Wohnung, Bett, Reinigung der Leib- und Bettwäsche, Feuerung und Licht zugesagt. Eine erforderliche Unterbringung im Krankenhaus und alle Arzneikosten mussten zusätzlich aufgebracht werden.

Die Grundlage für den Unterricht bildeten die Hebammenbücher, über deren Inhalte und Anspruchshöhe lange gestritten wurde. In der ersten Hälfte des Jahrhunderts folgten die meisten Mediziner dem Urteil des Leiters der Hebammenschule in Erfurt, der noch 1863 schrieb: Die meisten Hebammenschülerinnen haben auf der Schule nur das Gedächtnis und auch dieses fast nur mechanisch geübt, richtig denken, die schon von Natur schwache Seite des Weibes, haben die nicht gelernt.[2]

Wegen des regelmäßigeren Schulbesuchs der Kinder und der besseren Ausbildung der Elementarschullehrer glaubten einige Ärzte aber an einen Anstieg der Allgemeinbildung bei den Hebammenschülerinnen und hofften, durch eine gründliche Auswahl der Kandidatinnen qualifizierte Hebammen in die Gemeinden entlassen zu können.

Mit dem 1815 erschienen amtlichen Lehrbuch der Geburtshülfe von dem Berliner Geburtshelfer, späteren Lehrer einer Hebammenschule und praktischen Arzt Georg Gustav Hauck wurde die Basis geschaffen, die Hebammenausbildung in der gesamten Monarchie einheitlich zu gestalten.[3] Diese Ausgabe wurde mehrfach nachgedruckt, bis die rasante Weiterentwicklung der medizinischen Forschung neue Bücher erforderte. Das amtliche Lehrbuch diente nicht nur der Schulung, sondern auch der Herstellung von Rechtssicherheit, indem es die Lehrer auf den Lehrstoff verpflichtete und den Hebammen die Möglichkeit nahm, sich bei fehlerhaftem Verhalten mit Nichtwissen aus der Verantwortung zu stehlen.

Am Ende der Ausbildung wurden alle Absolventinnen eines Kurses von dem Regierungs-Medicinal-Rath der betreffenden Regierung, von dem Hebammen-Lehrer und von einem anderen Medicinal-Beamten, Medicinal-Rath oder Kreis-Physikus, geprüft und der betreffenden Regierung zur Approbation vorgeschlagen.[4] Von den drei Prüfern war einer für die Theorie, ein anderer für die Praxis zuständig und der dritte [ließ] an einem Phantome die verschiedenen Operationen: Wendungen, Fußgeburten, Entwicklung und Lösung der Nachgeburt ausführen. Für jeden Prüfer waren dreißig Minuten vorgesehen, oder so lange, bis die Kenntnisse hinreichend ermittelt waren. Andere Schülerinnen durften während der Prüfung nicht anwesend sein. Über die bestandene Prüfung wurde ein Zeugnis erteilt.

Anlässlich der Prüfungen im Januar 1878 machte der Oberpräsident Kühlwetter in einem Schreiben an die Regierung unmissverständlich klar, dass die oben erwähnte Hoffnung der Ärzte auf Verbesserungen zu optimistisch war. Der Oberpräsident klagte, es hätten sich in Bezug auf die körperliche und geistige Qualifikation so erhebliche Mängel herausgestellt , daß es im medizinalpolizeilichen Interesse dringend geboten erscheint, auf eine strengere Handhabung der die Zulassung der Hebammen-Lehrtöchter zum Lehrkursus betreffenden reglementarischen Vorschriften von Aufsichts wegen hinzuwirken.[5] Bei der Schlussprüfung waren von den vierzig Schülerinnen sechs schon im siebten Monat schwanger; eine Frau war so taub, dass es zu Missverständnissen bei der Prüfung kam; zwölf der Geprüften konnten bei ihrer Aufnahme in die Anstalt noch nicht richtig lesen und mussten diese Fertigkeit erst im Laufe des Kursus erlernen; ein Teil der Schülerinnen konnte sich nicht auf Hochdeutsch verständigen. In allen diesen Fällen lautete aber das von den Lehrtöchtern bei ihrem Eintritt in die Anstalt beigebrachte Kreisphysikats-Attest dahin, daß die betreffende Person die im Reglement vorgeschriebene Qualifikation besitze. Die Ortsbehörden und Kreisärzte wurden eindringlich angewiesen, Atteste nur nach gründlicher Überprüfung auszustellen.

Aus dem Amt Bork nach Paderborn

Die Selmer Hebamme Luise Glowsky war wohl die erste aus dem Amt Bork, die die Schule in Paderborn besuchte. Sie wurde 1842 als Hebamme eingestellt und mit einer Ausnahme hatten alle, die danach ihren Dienst in einer Gemeinde des Amtsbezirks aufnahmen, den Kursus dort absolviert. In den drei Gemeinden traf das für circa zehn Hebammen zu.

Die Unterbringung in Paderborn erfolgte in den meisten Fällen ohne Probleme, wenn alle Voraussetzungen geklärt waren. In einem Fall hatte die Kandidatin die Altersgrenze ein wenig überschritten und der Amtmann musste sich um eine Sondererlaubnis bemühen, die dann auch erteilt wurde. Als das Amt Bork es einmal versäumt hatte, die Anmeldepapiere rechtzeitig einzusenden und auch nicht um die Reservierung eines Ausbildungsplatzes gebeten hatte, ermöglichte die Zurückweisung einer anderen Anwärterin die Besetzung der Stelle durch Antonia Jürgens aus Nordlünen. Sie erwies sich dann auch als gute Wahl, die Prüfungskommission beurteilte sie mit der Note „sehr gut“. Auch eine zukünftige Borker Hebamme, Frau Heitkamp jun., konnte ihre Wartezeit verkürzen, weil eine andere Kandidatin ausfiel. Einmal meldete der Amtmann eine Frau an, die ihren Aufenthalt in Paderborn selber bezahlen wollte. Es handelte sich um Maria Neuwind aus Selm. Auch sie erhielt die nötigen Atteste. Ob sie angenommen wurde, steht nicht in der Akte.

Nach 1842 erhielt nur eine Hebamme, die nicht die Lehranstalt in Paderborn besucht hatte, eine Anstellung im Amtsbezirk: Die Ehefrau des Bahnwärters Carl Rieger, Therese Rieger, geborene Engbert aus Altlünen. Sie, die ab 1883 als selbständige Hebamme gearbeitet hatte und 1886, nach dem Tode der Gemeindehebamme Hülsmann, in Altlünen angestellt wurde, war in der Entbindungsanstalt in Gießen ausgebildet worden. Ihr von der Anstalt ausgestelltes Zeugnis lautet: Theresa Rieger aus Altlünen (Preußen) ist vom 1.3.bis 27.7.1882 in der hiesigen Entbindungsanstalt als Hebamme ausgebildet worden. Sie hat dem Hebammenunterricht beigewohnt, sich mit der Behandlung und Pflege von Gebärenden, Wöchnerinnen und neugeborenen Kindern beschäftigt und in allen Verrichtungen ihres Faches geübt.
Auf Grund ihrer Leistungen während des Cursus und der heute in Gegenwart von drei Medizinalpersonen, durch den Director der Entbindungsanstalt und den Unterrichtsrepetenten vorgenommenen Prüfung wird dieselben zur Ausübung der Praxis für sehr gut (II) befähigt erklärt.
Gießen, 27.7.1882, Großh. Direction der Entbindungsanstalt
gez. Ahlfeld (L.S)

Die Entbindungsanstalt

Ab dem §. 9 befassen sich die schon oben angeführten Aufnahmebedingungen für die Hebammen-Anstalt der Provinz Westfalen mit den armen Schwangeren, [die] im letzten Monat ihrer Schwangerschaft unentgeltliche Aufnahme und Pflege in der Anstalt finden können. Dies allerdings nur vom 1. Oktober bis Ende Mai, wobei Schwangere, deren Niederkunft voraussichtlich erst nach Ablauf des Monats Mai erfolgt, nicht aufgenommen wurden. In der Regel verpflegte die Anstalt die Schwangeren sechs Wochen lang, doch dem Direktor war es gestattet, in Fällen dringender Noth, sowie im Interesse des Unterrichts-Zweckes die eine oder andere Mutter mit ihrer Einwilligung länger zu verpflegen. Die zur Zeit des Unterrichts Aufgenommenen werden nach Ablauf des Monats Mai so lange verpflegt, bis ihre Entlassung (medizinisch) möglich ist.

Einen Anspruch auf Aufnahme hatte keine Schwangere. Für jeden Kursus benötigte die Klinik 25 werdende Mütter. Beim Anstaltsdirektor allein lag die Auswahl, allerdings schien der Andrang, trotz der kostenlosen Versorgung, nicht sehr groß gewesen zu sein. 1877 fühlte sich der Oberpräsident veranlasst, um die Anmeldung von der Aufnahme von Schwangeren in die Provinzial-Hebammen-Lehr-Anstalt zu Paderborn thunlichst zu fördern, die königliche Regierung aufzufordern, den Ortsbehörden diese Möglichkeit erneut in Erinnerung zu bringen. Daran, dass venerische [geschlechtskranke] Schwangere, sowie solche, welche mit Krätze oder anderen ansteckenden Krankheiten behaftet sind, ... von der Aufnahme ausgeschlossen waren, hat die mangelnde Nachfrage sicher nicht gelegen; auch, dass ledige Schwangere nur kommen durften, wenn sie den Nachweis eines Unterstützungswohnsitzes erbringen konnten, kann das Problem nicht gewesen sein, aber vielleicht die hinter der Formulierung des §. 11 vorstellbaren Anforderungen. Der Paragraf lautet: Jede in der Anstalt befindliche Schwangere und Wöchnerin hat den Anordnungen des Directors und der Ober-Hebamme sowohl in Beziehung auf ihr Verhalten und ihre Beschäftigung, als auch in Rücksicht der den Schülerinnen zu verstattenden Gelegenheit zur practischen Ausbildung Folge zu leisten und die Hausordnung genau zu beachten.

Das hieß in der Praxis, Untersuchungen und Entbindung vor den Augen vieler über sich ergehen lassen zu müssen, auch für Untersuchungsübungen zur Verfügung zu stehen. Einspruchsmöglichkeiten gegen therapeutische Eingriffe und instrumentale Operationen waren nicht gegeben.[6] Ein Direktor der Anstalt in Göttingen fasste die Situation so zusammen: Es ist sehr unrichtig geurteilt, wenn man glaubt, dies Haus sei der Schwangeren wegen da. Mitnichten! Die Schwangeren ... sind der Lehranstalt halber da.[7] Oberpräsident Kühlwetter, der sich 1878 über die Qualifikation der Hebammenschülerinnen geäußert hatte, beklagte in seinem Schreiben auch die zu geringe Zahl von Schwangeren in der Anstalt. Die Ortsbehörden sollten sich um eine Vermehrung des lebenden Unterrichtsmaterials[8] kümmern, in dem sie den Wöchnerinnen die Hin- und Rückfahrt bezahlten.

Zur Entbindung nach Paderborn

Zum ersten Mal fragte der Amtmänner aus Bork 1897 in Paderborn wegen der Unterbringung einer Schwangeren an. Die ledige Dienstmagd Anna Borgert aus  Netteberge hatte bei ihm um öffentliche Fürsorge gebeten. Sie befand sich im letzten Monat ihrer Schwangerschaft, verfügte über keinerlei eigene Mittel und gab an, dass auch ihre Mutter und ihre Geschwister nicht für sie sorgen könnten. Ihr Vater war schon seit 21 Jahren tot. Bis vor zwei Monaten sei sie noch bei dem Kolon Bockholt in Olfen im Gesindedienst gestanden, danach hatte sich ihre Schwester in Brünninghausen ihrer angenommen. Der Ziegelmacher Aloys Siewecke, ihr Schwängerer, war nicht bereit, sie zu heiraten oder auch nur vorübergehend für sie zu sorgen

Die Anstalt in Paderborn konnte die Frau sofort aufnehmen, wenn 1. eine ärztliche Bescheinigung darüber, daß die Niederkunft in den nächsten 4 Wochen erfolgen wird und daß keine ansteckenden Krankheiten, namentlich auch keine Venerie oder Krätze bestehen,
2. das nöthige Rückreisegeld und ev. 1,50 M für Taufgebühren, 3. eine amtliche Bescheinigung über Ortsangehörigkeit, sowie über Tag und Ort der Geburt
mitgebracht
wurde. Nach der Geburt kam Anna Borgert bei dem Doktor Wortmann in Lünen als Amme unter. Zwei Jahre später heiratete sie den Bergmann Nauman und verlegte ihren Wohnsitz nach Lünen.

Etwas komplizierter geriet der Fall der 1877 in Lünen geborenen Magd Maria Gessling. Mit einem Eilt sehr! versah der Amtmann das Protokoll zu der Aussage des Kolon Hermann Röllmann aus Nordlünen, der erklärte, seine Magd habe ihm die Mittheilung gemacht, daß sie hochschwanger sei. Seit acht Monate sei sie in seinen Diensten und er müsse sie nun entlassen. Er mache hiervon pflichtmäßig die Anzeige, da die Gessling vollständig mittellos ist und der öffentlichen Fürsorge anheim fällt. Sie sei aus Stadtlohn zu ihm gekommen und dort sei auch ihr Unterstützungswohnsitz.

Maria Gessling bestätigte die Angaben des Kolon und bat um die Unterbringung in einer Anstalt. Sie ergänzte das schon Bekannte folgendermaßen: Der Name meines Schwängeres ist mir nicht bekannt, Ich bin an einem Sonntag Abend mit ihm zusammengetroffen und habe ich mich nach seiner Persönlichkeit nicht weiter erkundigt, ich würde den kaum auch bei einer Gegenüberstellung nicht wiedererkennen. Ihre Eltern, so erklärte sie weiter, waren gestorben, als sie noch klein war und sie sei in einer Erziehungsanstalt bei Coesfeld erzogen worden. Ein Halbbruder von ihr wohne in Lünen mit Frau und acht kleinen Kinder, ein anderer, unverheirateter Bruder lebe als Schreiner ebenfalls dort und verdiene pro Tag nur 2,50 Mark.

Auf die Anfrage in Stadtlohn wegen der Anerkennung als Unterstützungswohnsitz kam die Meldung zurück, die Frau sei dort vollständig unbekannt. Im nächsten Schreiben räumte man den Aufenthalt der Magd von 1896 bis 1899 ein und nach Einschaltung des Landeshauptmanns erkannte der Amtmann in Stadtlohn nach sechs verflossenen Wochen die Verpflichtungen seiner Gemeinde an. Im März 1900 fand Maria Gessling Aufnahme in Paderborn. Ob sie dort bis zur Geburt bleiben konnte, war nicht sicher, denn die Niederkunft wurde erst im Juni – also nach Ablauf des Hebammenlehrgangs – erwartet.

In seinem Schreiben an den Landeshauptmann, in dem Busch Maria Gessling als ein ganz verkommenes Mädchen charakterisierte, behauptete er auch, dass sie von ihrem leiblichen Bruder geschwängert worden sei. Der Fall sei der Königlichen Staatsanwaltschaft schon übergeben worden.

Ein weiterer Antrag an die Entbindungsanstalt erledigte sich von selbst. Als die Zusage aus Paderborn für die Näherin Antonia Mossinghoff aus Selm in Bork eintraf, hatte diese schon vor längerer Zeit bei Verwandten in Holland ihr Kind zur Welt gebracht.

Und Theresia Lenz, Dienstmagd bei Witthoff-Osterhaus in Ternsche, die vom Knecht Josef Wilhelm Brostehus geschwängert worden war, hatte auch einen anderen Weg als den nach Paderborn gefunden. Sie meldete sich in Bork ab, um auf eigene Kosten in einer Privatklinik entbunden zu werden.

Die besondere Abtheilung

Der Vollständigkeit halber sei noch die dritte Abteilung der Hebammen-Lehr-Anstalt in Paderborn erwähnt, die ohne jede Beziehung zum Hebammenunterricht und dem Pensionat der Schülerinnen für zahlungsfähige Schwangere eingerichtet worden war. Diese war ins Leben gerufen worden, um
1. zahlungsfähigen Frauen, die wegen körperlicher Mißbildung und wegen harter Erfahrungen in frühere oder Gefahr drohenden Erscheinungen in der jetzigen Schwangerschaft, einer regelwidrigen Entbindung entgegen sehen, eine leichtere Kunsthülfe und größere Sorgfalt zu gewähren, als ihnen im Privatleben, namentlich auf dem Lande zu Gebote steht;
2. außerehelich geschwächten Personen aus ehrbaren Familien einen Zufluchtsort zu  gewähren, wo sie in stiller Zurückgezogenheit ihre Schwangerschaft und Wochenzeit ohne Veröffentlichung ihrer Lage abwarten können.

Januar 2018
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[1] und folgende Zitate: StA Selm, AB-1 – 484.
[2] Reinhold Zilch, Das preußische Kultusministerium und die amtlichen Hebammenlehrbücher 1815-1904. In: Daniel Schäfer (Hrsg.), Rheinische Hebammengeschichte im Kontext, kassel university press GmbH, Kassel 2010, S. 168f.
[3] Zilch, Das preußische Kultusministerium, S. 181.
[4] und folgendes Zitat: A. H. Nicolai, Grundriß der Sanitäts-Polizey. 2. Band, Berlin 1838, S. 31ff.
[5] und folgendes Zitat: StA Selm, AB-1 – 484.
[6] Marita Metz-Becker, Hebammen und medizinische Geburtshilfe im 18./19. Jahrhundert, die hochschule, Halle-Wittenberg, 1/2013, S. 40.
[7] Friedrich Benjamin Osiander, zitiert nach: Das Accouchierhaus in Göttingen, literaturatlas.de.
[8] und folgende Zitate: StA Selm, AB-1 – 484.

 
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