aktenlage
Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686

Charles Geisberg - Verkaufsagent und Einzelhändler (1844ff.)

Beiträge zur Biografie, Übersicht >>

Dieter Gewitzsch

1 Wisconsin 1865 (I.A. Lapham)

1844 war Wisconsin das gelobte Land, Ziel zahlreicher Einwanderer, gleich ob sie aus der alten Welt anlandeten oder aus anderen amerikanischen Staaten kamen, immer westwärts, ihre Chance suchend. In Milwaukee trafen wöchentlich an die 1.000 bis 3.000 Personen ein, unter ihnen viele Deutsche. Wer über die Mittel verfügte, kaufte Land  im Innern des Staates und widmete sich dem Farmerleben, dem Ideal der meisten deutschen Einwanderer, die zur Axt, zum Pflug und zur Sense griffen, um ein freies, unabhängiges Leben zu führen. Mehr speculative Köpfe (Koss) zogen in die Städte und hofften, hier schneller Gut und Geld zu erwerben.[1] 

„Kerncastle“ – Rudolph A. Koss erzählt die Geschichte einer Stadtgründung

In ironisch amüsiertem Ton schreibt Koss über das Wirken eines Einwanderers aus den Stande der Glücksritter, Carl Julius Kern: Die Grandezza seines Auftretens habe ihm die Benennung „der schwarze Graf“ eingetragen und schnell hätte sich ein Kreis von Freunden um den  viel verheißenden Ankömmling versammelt. Die muntere Schar veranstaltete Ausflüge ins Innere des Landes, vorgeblich auf der Suche nach einer Grafschaft und einen passen Platz zur Locierung der Ritterburg. Tatsächlich fand Carl Julius Kern im Tal des Cedarcreek in paradiesische Lage seine „Grafschaft“, einige Meilen nördlich des späteren Cedarburg.

Koss zufolge wollte Kern selbst nicht ländlich residieren, sondern zog die Freuden und Genüsse des städtischen Treibens vor. Getragen von der Einsicht, auch als „Graf“ Bürger einer Republik zu sein, etablierte er sich als Sprachlehrer. Sein freudvoller Lebensstil und ein gewisser Hang zu Glücksspiel ließen die vom Ankauf der Grafschaft verbliebenen Mittel rasch zur Neige gehen. Er brauchte Hilfe und fand gutmeinende Freunde, unter ihnen der schon erwähnte Hermann Härtel (vgl. 5. Beitrag), ein junger Sachse, seines damaligen Zeichens ... Seifensieder. Kern gab den wenig einträglichen Sprachunterricht auf und verband sich mit Härtel. Der Graf kochte Seife und zog Lichte, aber der geschäftliche Erfolg blieb aus.

Dafür ging es in der „Grafschaft“ voran. Statt einer „Ritterburg“ wurde es nur ein cedernstämmiges Blockhaus, das aber künftigen Insassen genügend Schutz und Obdach bot. Es fanden sich auch zwei unternehmende Jünglinge, die 80 Acker Landes vom Kern kauften und gen Norden an den Cedarcreek zogen. Kern, jetzt auch der Lichtzieherei überdrüssig, folgte den beiden Pionieren, entschlossen, es mit der Landwirtschaft zu versuchen. Das neue Leben hatte jedoch den Uebelstand, dass die Einnahmen in gar so winzigem Verhältniß zu der aufgewandten Arbeit standen.

Koss beobachtet, dass sich die geträumte Idylle des Landlebens ... in ganz gemeine grobe Plackerei auflöste und die Enttäuschten – an Erfahrungen reicher, doch an Gütern ärmer – in den Kreis der Städter zurückkehrten. So auch Carl Julius Kern, der inzwischen wohl darauf spekulierte, dass es einträglicher sein würde, mit Land zu handeln, als es zu bebauen. Der verhinderte Graf plante den großen Wurf und verkündete seinen Freunden, er wolle eine Stadt gründen. „Kerncastle muss ihr Name sein“, soll Moritz Schöffler, Herausgeber des „Wisconsin Banner“, begeistert gerufen haben. Als Verkaufsagent sollte der junge Westfale Karl Geisberg fungieren, den Schöffler aus seiner Zeit in Jefferson City kannte und der gerade mit Hermann Härtel die Firma „C. Geisberg & Co.“ gründete.[2]

Nun war das Auslegen der Straßen, Abstecken der Baustellen und Bezeichnen öffentlichen Plätze  durch die Besitzer größerer Ländereien nicht ungewöhnlich, sondern die gewünschte Art der Vermarktung von Grund und Boden im „Kaskadenprinzip“. Die drei „Gründer“, Juneau, Kilbourn und Walker, hatten es in Milwaukee vorgemacht. (Vgl. 5. Beitrag) Jetzt wollten Kern, Schöffler und Geisberg dem Muster folgen und in kleinerem Maßstab eine Siedlung gründen. Die hochfliegenden Pläne sahen „Kerncastle“ als Fabrikstadt, die man sich sogar als künftigen Sitz der Behörden des nordwestlich gelegenen Washington County vorstellen konnte.

Lassen wir zunächst den Zeitgenossen Rudolf Koss berichten, was aus der Stadtgründung wurde. Bei allem Optimismus der Jungunternehmer: Die Land- und Lottenkäufer und zukünftigen Bürger Kerncastle’s wollten sich nicht recht einstellen. Nur einmal schien das Glück den kühnen Gründern der neuen Stadt lächeln zu wollen, als man in der Person eines gewissen Uhlich, der nicht ohne Mittel war, einen Fang machte, und es gelang, diesen Mann zu veranlassen, die erste Mühle in der Niederlassung zu errichten. Der Mühlenbau kostete viel Geld und als derselbe vollendet war, kam sehr wenig Geld wieder ein, denn in der armen, schwachbesiedelten Umgegend fehlte es an Material, am Getreide zum Mahlen, - und die Mittel des Herrn Uhlich waren bald verplempert. Es wollte die ganze Sache durchaus nicht voran gehen, und das Ende vom Liede war, das die Kerncastilianer Einer nach dem Andern wieder nach Milwaukee zurückzogen. 

Nimmt man die bei Koss hinterlegte Spur des Charles Geisberg auf, 

dann findet man im Anzeigenteil der örtlichen Zeitungen schnell Hinweise auf die Geschäftstätigkeit von „C. Geisberg & Co.“. Hermann Härtel hatte seine Kerzenfabrikation ganz aufgegeben und war als Compagnon bei Geisberg eingetreten und als Moritz Schöffler Mitte September 1844 sein „Wisconsin Banner“ herausbrachte, gehörte die junge Firma zu den ersten Inserenten. In dem deutschsprachigen Blatt zeigten Geisberg und Härtel ihren geehrten Landsleuten die Eröffnung eines Kolonialwarenladens in der West-Wasserstraße an der „roten Brücke“ an. Die Firma versprach, ein vollständiges Lager zahlreicher Artikel zu unterhalten und bot außerdem an, alle Arten Landes-Produkte zu kaufen oder gegen Waren zu tauschen.  

2


3


Ein Jahr später wandten sich „Cha’s Geisberg & Co.“ auch an das Englisch sprechende Publikum. Mit einer Anzeige im „Milwaukee Daily Sentinel“stellten sie sich im Oktober 1845 als Händler aller Art „Groceries and Provisions“ vor. Ihr „Store“ in der East Water Street halte ein Sortiment ausgewählter Artikel zu moderaten Preisen vorrätig und versorge auch durchziehende Einwanderer mit dem Nötigsten. „At their Bar“ seien Bier, erlesene Weine und Liköre, Delikatessen, Zigarren und viele andere, schöne und gute Dinge zu erwerben. Von Ankauf und Tauschhandel war indes nicht mehr die Rede.     

Für seine Tätigkeit als „Verkaufsagent“ bediente sich Charles Geisberg ebenfalls des gerade ins Leben gerufenen deutschsprachigen „Wisconsin-Banner“, in dessen Ausgabe vom 14. September 1844 er einen Land-Verkauf in Abtheilungen von zwanzig Ackern ankündigte und sich selbst als Eigentümer von 240 Acres Land im Washington-County vorstellte. Auf dem Weg der öffentlichen Versteigerung sollte auch weniger bemittelten Personen der Erwerb von Grundeigentum erleichtert werden. Von der adressierten Zielgruppe hatte er eine klare Vorstellung: Mit seinem Projekt werde mehreren, von ihrer Heimath aus befreundeten Familien … erwünschte Gelegenheit gegeben, auch in diesem Lande zusammen leben zu können.  

4


5


Während Koss davon erzählt, dass die Land- und Lottenkäufer und zukünftigen Bürger … sich nicht recht einstellen wollten, wusste der „Milwaukee Daily Sentinel“ im Februar 1845 von einem zügigen Verkauf der Parzellen im „New Village of Kerncastle“ zu berichten. Das Blatt führte die Nachfrage auf die günstige Lage der Siedlung an einer Wegekreuzung in der Mitte des Bezirks (County) zurück. Der Ort habe beste Aussichten, Sitz der Verwaltung zu werden. In schöner Landschaft, am wasserreichen Cedar Creek gelegen, könne man in kürzester Zeit eine Sägemühle errichten (Voraussetzung für den Hausbau). 

In den digital zugänglichen Publikationen der Geschichtsvereine oder anderer Gesellschaften in Wisconsin bleiben die Begebenheiten um „Kerncastle“ im Washington (Ozaukee) County unberücksichtigt. Aber auf „newspapers.com“, dem Portal mit mehr als 600 Millionen digitalisierten Seiten, ist der oben erwähnte Artikel des „Sentinel“ zu finden. Einen weiteren Hinweis enthält die Website der Forschungsstelle DAUSA.[3] Hier wird die Zeitung „Wisconsin Banner“ mit dem Bericht zitiert[4], dass im Washington-County ... die Städte wie Pilze aus der Erde wachsen. Nahezu wöchentlich gäbe es eine Nachricht von einer neu angelegten Stadt. So seien am Cedar Creek drei nahe beieinander liegende neue Städte entstanden: Cedarburg, Neu-Oldenburg und Kerncastle.

Sichere Belege für die Landkäufe archiviert das „Bureau of Land Management (BLM)“ als Nachfolger des schon erwähnten „General Land Office“. Dort werden „deeds“ (Urkunden über die ursprünglichen Verkäufe durch das Land-Office) aufbewahrt, unter anderem Dokumente über den am 9. Oktober 1844 von Carl J. Kern getätigten Kauf von 240 und noch einmal 80 Acres (zusammen fast 130 Hektar) in den Sektionen 9 und 10 des Townships „Cedarburg“.[5] Das größere Stück entspricht dem von Charles Geisberg schon am 20. August 1844 zur Versteigerung gestellten Besitz: Das gedachte Land liegt zusammenhängend in Town 10, Range 21, Sektion 9, worin es das Nord-Ost-Quarter und die nördliche Hälfte des Süd-Ost-Quarters ausmacht.  

7 Der an Uhlig verkaufte kleinere Teil des Grundbesitzes in Sektion 10


Durchaus möglich, dass der „gewisse Uhlich“, von dem Rudolf Koss berichtet, auch zu Charles Geisbergs Kunden gehörte und mit der Person identisch ist, der man auf der Website von Cedarburg Town[6] in anderer Schreibweise als Charles F. Uhlig (*1827) begegnet. Dessen Vater, Carl Uhlig, wanderte 1847 mit Frau und fünf Kindern aus Sachsen kommend über New York in die Staaten ein, starb aber kurz nach der Ankunft in Buffalo, NY. Die Witwe, Johanna Sophia Uhlig, ließ sich mit ihren Kindern auf 80 Acres am Cedar Creek nieder.

Carol D. Boettcher verweist auf die „Familiengeschichte“ der Uhligs, aus der nicht klar hervorgeht, ob der Sohn Carl F. Uhlig tatsächlich eine Getreidemühle gebaut hat, wie es Koss 1870 berichtet. Beendete ein Feuer den Betrieb, oder war es ausbleibende Nachfrage, die zum Bankrott der Mühle führte? Jedenfalls verkaufte die Mutter des jungen Uhlig das Land in der Sektion 10 im Oktober 1851 für 4.000 Dollar an J. H. Kaehler. Sohn Peter F. Kaehler baute ein Sägewerk und begründete den kleinen Weiler „Kaehlers Mill“.[7]

8
9


10


Blick nach Norden auf den Cedar Creek und auf die „Landmark KAEHLERS MILL“. 

Gerhard Fehl, der die kaskadenartige Vermarktung des Landes beschrieben hat[8], geht davon aus, dass die Bundesregierung für ein Acre mit allen Nebenkosten etwa zwei, höchstens zweieinhalb Dollar verlangt hat. Carl Julius Kern hat für die 80 Acres wahrscheinlich weniger als 250 Dollar bezahlt. Die zweiten Besitzer, die Familie des gewissen Uhlich, konnten das Grundstück nach nur vier Jahren bereits für das 16fache (4.000 Dollar) weiterveräußern.

Januar 2021
______________________________

Bildnachweise:
1 Wisconsin 1865, Increase Lapham, Public Domain, via Wikimedia Commons, 29.12.2020.
2 Wisconsin-Banner 21.09.1844  newspaper.com.
3 Milwaukee Daily Sentinel 11.02.1845 – newspaper.com.
4 Wisconsin-Banner 14.09.1844 – newspaper.com. 
5 Milwaukee Daily Sentinel 23.10.1845 – newspaper.com.
6 Image ID 115454, davidrumsey.com, Opera Screenshot 07.12.2020 – Bearb. dg.
7 Cedarburg, township 10 north, range 21 east – Digitale Sammlung der "University of Wisconsin", Image ID 14135, 29.12.2020 – Ausschnitt und Bearb. dg.
8 Digitale Sammlung der Universität of Wisconsin, Image ID 165827 –, Opera Screenshot 09.12.2020 – Bearb. dg.
9 Google, Opera Screenshot 07.12.2020 – Bearb. dg.
10 Google, Opera Screenshot 07.12.2020 – Bearb. dg

Quellen und Literatur:
[1] Koss, Rudolph A., Milwaukee, Milwaukee (Wisconsin) 1871.
[2] Koss beschreibt in „Milwaukee“ die Lage des Geschäfts: ... befand sich der Kilbourn’schen Ecke nördlich gegenüber, neben der rothen Brücke ..., a.a.O., S. 157. – Die Anzeige nennt als Adresse EAST WATER STREET.
[3] Forschungsstelle Deutsche Auswanderer in den USA – DAUSA, uni-oldenburg.de.
[4] Wisconsin Banner, Ausgabe vom 15. Februar 1845, z. Zt. als Digitalisat nicht auffindbar. 
[5] Wisconsin Land Patents Database: Ozaukee County – Surnames H-K, contributed by Joy Fisher and Tina Vickery - http://files.usgwarchives.net/wi/ozaukee/land/ - 06.12.2020.
[6] Carol D. Boettcher, Kaehler's Mill - town.cedarburg.wi.us/town-history – 05.12.2020.
[7] Town of Cedarburg, Landmark KAEHLERS MILL - wisconsinhistoricalmarkers.com 08.12.2020.
[8] Gerhard Fehl, „National  Grid“: Wie es 1785 in den USA zur Rasterförmigen Aufteilung und kaskadenartigen Vermarktung des Landes der „North-Western Territories“ kam, – pnd-online II/2010, S. 8, 11.12.2020.

 
Email