Charles Geisberg – familiäre Herkunft
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Dieter Gewitzsch
Carl „Charles“ Geisberg wurde am 12. September 1817 morgens um drei Uhr in Cappenberg geboren und am selben Tag in der St. Stephanus Kirche in Bork auf die Namen Carolus Ludewig Adolph getauft. Carl war das vierte Kind des Rentmeisters Franz Heidenreich Geisberg und seiner Frau Maria Anna geb. Westendorf. Die älteren Geschwister Carls waren Franz (*1808), Marie (*1812) und Johanna (*1816). Auf Carl folgten noch Antonia (*1819) und Caspar (*1820), alle drei auf dem Gut geboren und in das Taufregister der Kirche St. Johannes Evangelist in Cappenberg eingetragen.[1]
Quelle: matricula online, Bork, St. Stephanus, KB006_1, Taufen 1803-1821.
Carls Taufe ist zunächst im Borker Register zu finden, wurde aber auch in Cappenberg mit dem Zusatz eingetragen: den 12ten in der Kirche zu Bork [getauft]; aber nicht unrecht weshalb die Namen nebst … wieder hierhin abgegeben sind. Beide Register nennen als Paten Sr. Exellenz Minister v. Stein, Theresia Geisberg geb. Lohkampf [und] Doctor Henr. Westendorf. – Im Folgenden wird es „Charles“ heißen, wenn von diesem in Cappenberg geborenen Geisberg die Rede ist.
Quelle: matricula online, Cappenberg, St. Johannes Evangelist, KB001_1, Taufen 1804-1821.
Drei Generationen Geisberg
Die Geisbergs werden als alte Beamtenfamilie beschrieben, deren Angehörigen man seit dem 17. Jahrhundert in fürstbischöflichen Diensten, besonders als Amtsrentmeister von Stromberg, begegnet.[2] Hier soll die Betrachtung der Familie Geisberg auf drei Generationen und die Personen begrenzt sein, die in Charles Leben eine größere Rolle gespielt haben.
Beginnen wir mit den Großeltern: Franz Friedrich Geisberg (*1740, †1817) war seit 1760 Amtsrentmeister von Stromberg und seit dem 29. Juni 1762 mit Christine E. Wernekinck (*1744, †1810) verheiratet. 1774 übernahm er die Rentmeisterei zu Wolbeck[3]. Ab etwa 1775 verwaltete er das Amt von Münster aus.[4] Die Familie bewohnte hier das Haus Martinileischaft 192 (später Neubrückenstraße 28).[5]
Die Großeltern hatten sechs Kinder. Im August 1874 erblickte Max Friedrich Geisberg das Licht der Welt. Der Erstgeborene wurde noch in Stromberg getauft, die folgenden fünf Kinder in St. Lamberti zu Münster[6]: 1776 Bernhard, 1777 Franz Heidenreich, 1779 Adolph Victor, 1781 Ursula und ein Jahr später das jüngste Kind Caspar (1782). Bernhard und Caspar Geisberg blieben unverheiratet. Adolf Victor Geisberg heiratete 1814 Therese Lohkampf; die Ehe blieb kinderlos. Tochter Ursula Geisberg heiratete 1799 Max Friedrich Boner; das Paar hatte sechs Kinder. Die Geschwister bildeten als „Generation der Eltern, Onkel und Tanten“ in mehrfacher Hinsicht einen familiären Verbund, der wichtig wurde, als das frühe Ableben zweier Elternpaare dreizehn Kinder, darunter Charles Geisberg, zu Waisen machte.
„Aktenlage“ konzentriert sich unter den Aspekten „früher Verlust der Eltern“ und „Auswanderung“ auf zwei Personen aus der „Enkelgeneration“[7]. Da ist zum einen die älteste Tochter der Eheleute Max Friedrich Geisberg und Johanna Hüffer, Henriette („Jette“) *1813 und zum anderen deren Cousin Karl („Charles“) *1817, das vierte Kind der Familie des Rentmeisters Franz Heidenreich Geisberg und seiner Frau Maria Anna (Marianne „Jenny“) Westendorf.
Charles Vater starb am 16.11.1825. Seine Mutter zog im folgenden Jahr (1826) mit ihren sechs, zwischen fünf und siebzehn Jahre alten Kindern nach Münster. Charles zählte damals acht Jahre. Charles zählte damals acht Jahre.
Henriette verlor zuerst ihre Mutter. Johanna Hüffer starb am 1. Juni 1827 im Alter von 31 Jahren, Jette“ war zu der Zeit dreizehn Jahre alt. Vier Jahre später, am 20. November 1831 starb auch der Vater. Die inzwischen 18jährige Henriette fühlte sich für ihre sechs jüngeren Geschwister verantwortlich, konnte aber nur zusehen, wie Onkel und Tanten die Angelegenheiten regelten. – Deren Probleme wurden nicht geringer, als am 17. Oktober 1832 auch Charles Mutter im Alter von 56 Jahren starb und weitere vier minderjährige Waisen hinterließ.
Henriette und Charles verbindet für die hier angestellte Betrachtung nicht nur der frühe Tod ihrer jeweiligen Eltern, sondern auch, dass beide ihre Zukunft im Auswandern nach Amerika suchten und dabei unterschiedliche, aber recht typische Wege gingen und Erfahrungen machten, die sie – folgt man zeitgenössischen Berichten – mit vielen Ausgewanderten teilten.
Franz Heidenreich Geisberg - Rentmeister auf Cappenberg
Charles Vater, Franz Heidenreich Geisberg, war 38 Jahre alt, als er im Laufe Jahres 1816 Rentmeister des Freiherrn vom Stein auf Cappenberg wurde. 1807 hatte er geheiratet, die Eheleute brachten drei Kinder mit auf das Schloss: Franz (*1808), Marie (*1812) und Johanna (*1816).
In jungen Jahren war Franz Heidenreich Geisberg als Fähnrich bei der Münsterschen Infanterie eingetreten und Leutnant geworden, wurde aber im Jahre 1802 bei der Besitzergreifung des Fürstentums Münster durch Preußen entlassen, weil er nicht zum Adel gehörte. Der damals 24jährige nahm bis 1808 die Stelle eines Rentmeisters der Domänen Lüdinghausen und Werne ein und trat dann in gleicher Funktion in die Dienste des Grafen von der Reck zu Steinfurt ein, bevor ihn Stein 1816 für die Gutswirtschaft auf Cappenberg engagierte.[8]
Die Besitzung Cappenberg wurde als sehr schön, ausgedehnt mit weitläufigen Wald- und Ackerflächen beschrieben, aber das umfangreiche Gebäude [sei] verfallen, der Garten zu Kornfeld verwendet und die Wege befänden sich nach allen Richtungen im schlimmsten Zustande.[9] – Viel zu tun, doch Stein selbst war kein Landwirt;[10] der Gutsherr hatte, obgleich er die edle hohe Kunst sehr lobte, … nicht Zeit gefunden, Ackerbau zu lernen oder auszuüben.[11] In seinem Fall war das kein Mangel, denn zum Gut gehörte kein eigener landwirtschaftlicher Betrieb. Die Ländereien waren an benachbarte Bauern verpachtet und die übrigen Grundstücke lagen von dem Schlosse so weit entfernt, daß eine Selbstbewirtschaftung von hier aus nicht möglich war. Die Aufgabe bestand allgemein darin, Ordnung zu schaffen, d.h. Licht in die infolge der nachlässigen klösterlichen Wirtschaft „verdunkelten“ [12] Verhältnisse zu bringen.
In Voraussicht dieser Aufgaben hatte sich Stein nach einem tüchtigen Forstmann umgesehen … und diesen auf der Besitzung seines Schwiegervaters Wallmoden[13] gefunden: Oberförster Poock, der zum „vertrautesten Mitarbeiter Steins“ auf Cappenberg wurde.[14] Der geborene Hannoveraner, motiviert und gründlich ausgebildet, wurde Mitte August 1816 als Oberförster bestallt und erhielt seine Instruktionen mit dem Wunsch des Gutsherrn „der liebe Gott möge alle seine Ausführungen mit seinem Segen begleiten.“ Von Beginn an bestand zwischen Stein und seinem Oberförster ein geklärtes Verhältnis, anders als zu seinem Rentmeister.
Franz Heidenreich Geisberg hatte vor seinem Dienstantritt auf Cappenberg im Juni 1817 immerhin vierzehn Jahre in der Domänenverwaltung gearbeitet und Stein soll an ihm besonders die Kenntnis der Gesetze des Hochstifts Münster geschätzt haben. [15] Andererseits schien Stein nicht restlos überzeugt von seiner Wahl. Seinem Freund Gottlob Johann Christian Kunth schrieb er im April 1816, er wolle wohl an dem Rentmeister Geisberg festhalten.[16] Wenige Monate später bekannte Stein gegenüber Ludwig Vincke, dass er den Birnbaumer Wirtschaftsdirektor Haupt in Cappenberg angestellt hätte, wäre nicht Geisberg [schon Beamter der Rentei].[17]
Seiner Schwester schrieb Stein, Geisberg sei vornehm und bequem. Dem Rentmeister selbst gab er auf, sich durch Besichtigung … eine gründliche örtliche Kenntnis der verwalteten Gegenstände zu erwerben. Und er solle die Akten studieren, um eine vollständige Kenntnis der Gerechtsamen zu erlangen. Beides vermisse er bei ihm.[18] Immer wieder klagt der Gutsherr über die Bequemlichkeit oder Faulheit des guten Geisberg.[19] Auf Reisen veranlassten Stein die lange Entfernung und die Nachlässigkeit des Herrn Geisberg[20], eine Art Oberaufsicht zu organisieren und den Domdechanten in Münster, Ferdinand August von Spiegel[21], zu bitten, ein Auge auf die Gutsverwaltung zu haben. Aus Mailand erhielt Spiegel im Oktober 1820 den konkreten „Auftrag“, den langsamen Geisberg in Bewegung zu setzen, der ließe sonst die Reste [Zahlungsrückstände] bis in den Sommer stehen, wo der Landmann am wenigsten zu zahlen imstande ist.[22]
Aber auch Geisberg brauchte Zeit, sein Verhältnis zu Stein zu ordnen. Kurz nach seinem Dienstantritt 1816 sorgte sich der Rentmeister, dass gewisse Menschen mit eigennützigen Absichten versuchen könnten, das Vertrauen Steins zu erwerben, ohne dass sie er wert seien, und bot an, in solchen Fällen „mit vollkommener Wahrheit, Treue und Gewissenhaftigkeit“ Auskunft zu geben. Stein beruhigte ihn und versicherte, zudringlichen Menschen wohl zuhören zu wollen, aber in der Sache keine wesentliche und bedeutende Veränderung vorzunehmen, ohne sie zuvor mit ihm zu prüfen.[23] Zum Jahreswechsel 1816/17 nahm Stein die Gelegenheit, Geisberg zuversichtlich zu stimmen: Ich zweifle nicht, daß Sie den Erwartungen, die ich von Ihnen habe, entsprechen und mein Vertrauen zu Ihnen täglich mehr wird befestigt werden. War es demnach ein spezieller Vertrauensbeweis, dass Stein Im September 1817 die Patenschaft für das vierte Kind der Geisbergs übernahm, das fortan seinen Namen Karl (Charles) trug?
Grundsätzlich wollte Stein die Verwaltung selbst leiten.[24] In allen Angelegenheiten musste zunächst seine Entscheidung eingeholt werden. Stein tadelte es, wenn seine Beamten selbstständig handelten, ohne ihn um seine Ansicht gefragt zu haben. An Geisberg gewandt, brachte es Stein im Dezember 1817 auf die Formel: Wenn Sie zweifeln, so warten Sie, bis ich den Zweifel gelöst habe. Nur in besonderen Fällen übertrug Stein die Erledigung laufender Geschäfte seinen Mitarbeitern. So erhielt Geisberg im Januar 1824 – er war da schon siebeneinhalb Jahre im Amt – einmal freie Hand, was Stein in die Worte kleidete: „Nun überlasse ich Ihnen alles und wünsche Ihnen Glück und Segen zum ganzen Unternehmen.“
Oberförster Poock, der sich mitunter heftig mit dem Gutsherrn auseinandersetzte, beschreibt Rentmeister Geisberg als einen, dem es nicht gegeben war oder der es nicht wagte, sich gegen den Herrn Minister zu verteidigen,[25] sondern bei Gelegenheit aus dem Felde ging. Von gewachsener Wertschätzung seines Rentmeisters kündet dagegen ein Schreiben vom 10. November 1922. Stein schrieb an (nicht über) Geisberg:
Ich kann Cappenberg dieses Jahr nicht verlassen, ohne Ew. Hochedelgeboren meine Zufriedenheit über ihre Geschäftsführung auszudrücken und über den Eifer und die Einsicht, mit der Sie die Ihnen anvertrauten Verwaltungszweige leiten. Es ist mir sehr angenehm, Ew. Hochedelgeboren diese Gesinnungen auszudrücken, und begleite sie mit meinen besten Wünschen für Ihr und der Ihrigen Wohlergehen und Zufriedenheit.[26]
Drei Jahre später war Franz Heidenreich Geisberg tot. Der Rentmeister erlitt am 16. November 1825 einen Schlaganfall und starb am selben Tage. – In den von Stein verfassten Trauerbotschaften war der Rentmeister ein braver, treuer, geschäftsfähiger Beamter[27]; ein redlicher, schätzbarer[28], achtungswerter und gebildeter[29] Mann, dessen schnelles Hinscheiden alle sehr erschüttert habe. Im Brief an Spiegel fügte er hinzu: Seine Stelle gab ich an Oberförster Poock[30].
Einen Tag nach dem Tode Geisbergs hatte Stein noch geschrieben, dass ein 47jähriger gesunder Mann … innerhalb einer Stunde seiner gebeugten Familie entrissen wurde[31], danach finden Marianne Geisberg und ihre sechs Kinder kaum noch Erwähnung[32]. Von einer fortgesetzten Wertschätzung kündet dagegen eine Schrift mit zwei gedruckten Predigten des Pfarrers Alexander Stein, die Marianne Geisberg Anfang Dezember 1825 mit einer Widmung des Freiherrn erhielt.[33]
Marianne Geisberg schreibt an den Gutsherrn Stein
Der Witwe Geisberg war klar, dass ihre Familie die Wohnung auf Cappenberg räumen und sie das Gut verlassen mussten und so trug sie Stein Ende November 1825 einige Punkte vor, die ihr Sorge bereiteten.[34]
Marianne Geisberg wollte ungefähr wissen, wann sie wegziehen müsse und ob der ehemalige Dienstherr ihres Mannes bereit sei, die Transportkosten ihrer Mobilien nach Münster zu übernehmen. Sie schilderte Stein ihre finanzielle Situation: Aus der Auflösung ihrer Einrichtung und dem Verkauf von vielen Sachen, die teuer angeschafft wurden, sah sie einen bedeutenden Verlust auf die Familie zukommen, hielt sich aber für verpflichtet, den Erlös aus den Verkäufen soweit möglich zur Erziehung ihrer vaterlosen Kinder aufzuheben. Gegenwärtig sei sie ohne allen „Geldvorrat“, werde aber die Beerdigungskosten sowie laufende Rechnungen und Ausgaben vor ihrem Abzug aus Zinsen und aus dem laufenden Gehalt ihres Mannes bestreiten können. Dabei gehe sie davon aus, dass Stein es mit dem laufenden Gehalt nicht nachteiliger halten wolle als der Staat, aus dessen Dienst er ihren Mann übernommen habe. Sie versicherte ferner, dass man den Kassenbestand vollkommen richtig vorfinden werde, so wie alles wohl geordnet sei, was ihrem Mann anvertraut gewesen, wodurch seinem Nachfolger das Eingreifen erleichtert werde.
Schließlich „wagte“ sie nachzufragen, wie Stein es künftig mit den 180 Talern Erziehungsgelder halten werde, wenn – wie sie schrieb – ihr 8jähriger Carl, / an welchem Euer Excellenz Gevatterstelle zu vertreten die Gnade gehabt / vor dem 21ten Jahr sterben sollte? – Würde mit seinem Tode Euer E[xcellenz] wohlwollende Bestimmung … vielleicht schon nach einigen Jahren hinwegfallen? Werde sie dann durch den Tod eines geliebten Kindes … nicht aufs neue doppelt verliehren!
Witwe zu sein, empfand Marianne Geisberg als doppelten Verlust: zum einen den geliebten Ehemann und Vater ihrer sechs Kinder, zum anderen Einbußen an Vermögen und Einkommen. Sie bemühte sich daher, Geldquellen über den Tag hinaus zu sichern, also auch die mit der Patenschaft Steins für ihren Sohn Carl verbundenen Zuwendungen. Es gehörte zu den Lebenserfahrungen, dass Kinder früh starben und nicht unbedingt das Erwachsenenalter erreichten, deshalb lag es im Interesse der Witwe, Steins „Erziehungsgeld“ unabhängig von der Patenschaft als Unterstützung für die ganze Familie zu reklamieren.
Befreit man die Briefe von dem sprachlichen Aufwand und den Formeln, mit denen man sich üblicherweise schriftlich der Gutsherrschaft näherte, dann stand Marianne Geisberg nicht als Bittstellerin da. Sie schildert ihre materielle Notlage, begründet ihre Forderungen aber mit dem Dienstverhältnis ihres Mannes. Für die Hinterbliebenen sollte es nicht von Nachteil sein, dass Franz Heidenreich Geisberg aus dem Staatsdienst in ein gutsherrliches Beschäftigungsverhältnis wechselte. Selbst die mit der Patenschaft verbundene Zuwendung sieht Marianne Geisberg als Segnung treu erfüllter Pflichten (ihres) Mannes für die Seinen, m.a.W. als mit der Arbeitsleistung begründete Versorgung.
Die Befürchtung, schon bald ohne allen Geldvorrath zu sein, war wohl eher ein Hinweis auf aktuell knappe Barmittel als ein Signal für drohende Armut. Die Geisbergs waren gut situiert. Immerhin waren dem Verstorbenen im Sommer 1925 Vermögenswerte von etwas mehr als 4.690 Taler aus der Teilung des väterlichen Erbes zugesprochen worden. Zudem hatte Franz Heidenreich Geisberg noch Anspruch auf einen Teil der aufgelaufenen Zinsen aus dem väterlichen Vermögen. Aus dieser Quelle waren 65o Taler zu erwarten.[35] – Aber Besitztitel und Forderungen des Erblassers generieren nicht automatisch verlässliche Einkünfte für die Witwe. Nach bisherigem Kenntnisstand ist eine testamentarische Verfügung des Rentmeisters nicht überliefert. Fände das „Allgemeine Landrecht“ (ALR) Anwendung, stünde der Witwe ein Viertel und den Kindern zu gleichen Teilen drei Viertel des Nachlasses zu.[36]
In zeitgemäß verschriftlichter Dankbarkeit verabschiedet sich Marianne Geisberg schriftlich von Stein und Cappenberg[37], wobei sie als unterthänige Dienerin versucht, im Interesse der Kinder die Türen zur Gutsherrschaft offen zu halten. Sie versichert, dass sie Steins Huld gewissenhaft zum Wohle ihrer Kinder verwenden werde und empfiehlt ihre Familie auch für die Zukunft dem hohen Wohlwollen. Sie habe gehofft, dass ihre Kinder eine Chance bekämen, künftig treu und redlich auf dem Gut fortzuwirken, doch nun stünde sie in gänzlich umgestalteter Lage allein da. – Der Dank war nicht unangebracht, denn die bange Frage, wann sie mit Ihren Kindern ausziehen müsse, war so beantwortet, dass die Familie den Winter über bis zum Frühjahr 1826 auf Cappenberg wohnen bleiben durfte.
In der Folgezeit ist in Steins Briefen an den jüngeren Bruder seines verstorbenen Rentmeisters, Caspar Geisberg, von der ebenfalls in Münster lebenden Witwe nur am Rande die Rede. Stein erkundigt sich im September 1827 nach dem Wohlergehen der Frau Schwägerin[38] und übermittelt im Dezember des Jahres Glückwünsche und Empfehlungen an die Frau Schwägerin.[39] 1828 dankt Stein Caspar Geisberg und seiner Schwägerin[40], die ihm ein Quartier bei dem Tuchhändler Waldeck auf dem Prinzipalmarkt[41] besorgt hatten.
Im Juni 1831 wandte sich Marianne Geisberg ein weiteres Mal an den Freiherrn vom Stein, keine drei Wochen vor dessen Ableben (29. Juni 1831). Sie bittet Stein, gnädig verfügen zu wollen, dass die Gelder, welche sie aus Steins Kasse zu beziehen habe, bald ausgezahlt werden. Nach ihrer Rechnung ist der Gutsherr sechs Monate im Rückstand und das Eingehen der Erziehungsgelder werde sie aus einer Verlegenheit befreien, die sie gar genötigt habe, von einem Bankier Geld zu leihen. Die Dringlichkeit ihrer Forderung unterstreicht sie mit einer kurzen Darstellung ihrer Lage:
Der gegenwärtigen Teuerung setze sie strenge Sparsamkeit entgegen, doch drückten sie fortwährende Prüfungen. Die erschütterte Gesundheit ihres ältesten Sohnes Franz, der an Knochenfraß leide, habe sich zwar gebessert, sie sorge sich aber wegen der Dauer der Genesung. Ihre älteste Tochter Marie genieße zur Stärkung ihrer Gesundheit auf einige Zeit die Landluft, während der krank zu Bette liegenden Magd Behandlung und sorgfältige Pflege bis dahin nicht aufzuhelfen vermochten.
Marianne Geisberg listet auf, was für sie finanziell zu Buche schlug; den Tod ihres jüngsten Sohnes Caspar, der am 4. September 1830 im Alter von zehn Jahren an Schwindsucht starb, erwähnt sie nicht.
Quelle: matricula online, Münster, St. Paulus Dom, KB008, Sterbefälle 1820-1899.
Andere Patenkinder Steins
Nebenbei bemerkt: Bei den Recherchen zu diesem Beitrag wurden zwei weitere Patenschaften Steins registriert. Im November 1813 teilte Ludwig von Vincke Stein dem Freiherrn vom Stein mit, dass er jetzt glücklicher Vater zweier munterer Knaben sei und dass man Stein die Patenstelle zugedacht habe. Man sei geschmeichelt, wenn Stein annehmen und auf den Knaben die erhabenen Tugenden des Paten vererben werde.[42] Der am 6. September 1813 auf Gut Ickern geborene Junge wurde auf die Namen Karl Friedrich Gisbert getauft. Für Stein war es ein Beweis der Freundschaft, dass er zum Taufzeugen gewählt wurde.[43]
Im Fall des am 4. August 1791 in Blankenstein geborenen Karl Giesler dürfte Steins Patenschaft ein besonderer Ausdruck der Wertschätzung für den Vater gewesen sein: Franz Giesler war von 1802 bis 1808 Domänenrentmeister (Pächter der Rentei Blankenstein) und mit der französischen Neuordnung Maire von Hasslinghausen. 1814, mehr als zwanzig Jahre später, war der 64jährige Franz Giesler in den Augen Steins immer noch ein verständiger, redlicher und geschickter Mann, der wegen seiner Brauchbarkeit zu empfehlen ist. Und aus seinem Patenkind Karl schien Stein ein muntrer, kräftiger junger Mann geworden zu sein.[44] Der junge Mann heiratete am 25. Juni 1816 in Lüdinghausen Anna Maria Elisabeth Hülswitt. Das Paar hatte zwölf Kinder, von denen das älteste, die am 3. April 1817 geborene Mathilde Franziska Giesler, uns später noch begegnen wird.[45]
August 2020, geändert Oktober 2020
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Bildquellen:
"Henriette": Schütter (Hrsg.), Carla Schulz-Geisberg, Ein Auswanderinnenschicksal, a.a.O., S. 53. - bearb.: dg
"Charles": http://vademecum.nm.cz/nm/permalink?xid=2696FF0A323C11E3970E005056C00008 - bearb.: dg
Anmerkungen:
[1] Eintragungen im Taufregister St. Johannes Evangelist in Cappenberg: 12.09.1817 Carolus Ludowikus Adolphus („Charles”) Geisberg; – 03.03.1819 Franciska Adolphina Antonia Elisabeth Geisberg; – 27.03.1820 Casparus Ludowicus Petrus Antonius Geisberg.
[2] Alfred Hartlieb von Wallthor, Unbekannte Briefe des Freiherrn vom Stein an Caspar Geisberg aus den Jahren 1826 bis 1831 – Westfälische Zeitschrift 107, 1957, S. 157 / Internet-Portal „Westfälische Geschichte“.
[3] Wilhelm Kohl, Das Bistum Münster in: Germania Sacra, Berlin, New York, 2004, § 118, Amt Stromberg, S. 250. – In Stromberg übernahm Bernhard Maerle für 17 Jahre das Amt, bevor dessen Stiefbruder, Christoph Anton von Hatzfeld, 1802 Rentmeister wurde.
[4] Hartlieb von Wallthor, Briefe Steins an Caspar Geisberg 1826 bis 1831, S. 155. – Aufnahme in den Civilclub Münster im Februar 1775. – Vgl. dazu: Schütter, Ein Auswanderinnenschicksal, S. 365: 1774 … Großvater … ließ sich bleibend in Münster nieder.
[5] Silke Schütter (Hrsg.), Carla Schulz-Geisberg, Ein Auswanderinnenschicksal in Briefen und Dokumenten, Ein Beitrag zur Geschichte der Westfälischen Amerikaauswanderung im 19. Jahrhundert (1827-1899) – Geschichtsverein Beckum Warendorf e.V. (Hrsg.), Quellen und Forschungen zur Geschichte des Kreises Warendorf, Band 21, Warendorf 1989, S. 365.
[6] Vgl. Kirchenbücher unter: data.matricula-online.eu.
[7] Der Familienkreis der Henriette Bruns geb. Geisberg zu ihrer Lebenszeit 1813-1899 – Beilage zu Schütter/Schulz-Geisberg, Ein Auswanderinnenschicksal, a.a.O. – Carla Schulz-Geisberg zählt achtzehn Enkelkinder aus drei Familien. Caspar Geisberg, * 27. März 1820, sechstes Kind der Familie Franz Heidenreich Geisberg, blieb in dieser Zusammenstellung unerwähnt, † 4. September 1830 an Schwindsucht.
[8] Lappe, Josef, Freiherr vom Stein als Gutsherr auf Kappenberg, Münster 1920. – Der Text folgt der Darstellung Lappes auf den Seiten VII und VIII.
[9] Pertz, Georg Heinrich, Aus Stein’s Leben, Zweite Hälfte 1814-1831, Berlin 1856, S. 329.
[10] Lappe, Stein als Gutsherr, S. 25.
[11] Arndt, Ernst Moritz, Meine Wanderungen und Wandelungen, - zitiert nach Lappe, Stein als Gutsherr, S. 25.
[12] Lappe, Stein als Gutsherr, S. 25.
[13] Pertz, Aus Stein’s Leben, S. 329.
[14] Glasmeier, Heinrich, Aufzeichnungen des Oberförsters Poock über das Privatleben des Staatsministers Frhr. vom Stein Kappenberg, in: Westfälisches Adelsblatt, 8. Jg. Borken 1931, S. 165.
[15] Lappe, Stein als Gutsherr, S. 13.
[16] Freiherr vom Stein (Neubearb.), Bd. 5, Stuttgart 1964, S. 485 / Internet-Portal "Westfälische Geschichte" URL: http://www.westfaelische-geschichte.lwl.org – Die „Neue Stein-Ausgabe“ wird im Folgenden so zitiert: Stein, BuaS Bd. …, S. … – Kunth war schon 1804 in nähere Beziehung zu Stein getreten und hatte dann in der Zeit der Verbannung als treuer Freund dessen wirtschaftliche und finanzielle Angelegenheiten in Berlin verwaltet. – Stein, BuaS Bd. 5, S. 16.
[17] Stein, BuaS Bd. 5, S. 520.
[18] Stein, BuaS Bd. 5, S. 656f. – Anweisungen Steins für F.H. Geisberg.
[19] Stein, BuaS Bd. 6, S. 275 f.
[20] Stein, BuaS Bd. 6, S. 311f. – Brief vom 20.09.1820. In der Fußnote 4, S. 312, erläutert Erich Botzenhart in diesem Fall seine Dokumentenauswahl: Da es nur Anweisungen für eine geregelte Verwaltung seines Cappenberger Besitzes enthält, wird hier auf einen Abdruck verzichtet.
[21] Spiegel zum Desenberg, Ferdinand August Freiherr (seit 1815 Graf) v. (1764-1835) … 1817 Mitgl. des preuß. Staatsrates, 1819 Wirkl. Geh. Rat, seit 1824 Erzbischof von Köln. – Stein, BuaS Personenverzeichnis, S. 573f.
[22] Stein, BuaS Bd. 6, S. 316ff. – Brief vom 28.10.1820. – Stein hatte den „Resten“ (Rückständen) schon in seinen „Promemoria über die hiesige Geschäftsführung und Verwaltung“ vom 03.10.1817 an Geisberg einen eigenen Punkt gewidmet: 3. Reste müssen ohne eintretende und erweisliche Zahlungsunfähigkeit nicht gestattet und den Quartalsextrakten eine namentliche Rest-Designation beigelegt werden.
[23] Lappe, Stein als Gutsherr, S.149f.
[24] Lappe, Stein als Gutsherr, Wirtschaftsgrundsätze, S. 128ff.
[25] Glasmeier, Aufzeichnungen des Oberförsters Poock, S. 180.
[26] Stein, BuaS Bd. 6, S. 575.
[27] Stein, BuaS Bd. 6, S. 905.
[28] Stein, BuaS Bd. 6, S. 910.
[29] Stein, BuaS Bd. 6, S. 920.
[30] Stein, BuaS Bd. 6, S. 910.
[31] Stein, BuaS Bd. 6, S. 918, Anmerkung 1.
[32] Die Sammlung „Briefe und amtliche Schriften“ belässt es bei der Fußnote, dass des Rentmeisters Witwe, Marianne (Jenny) Geisberg geb. Westendorf (1776 bis 1832), …bald nach dem Tode ihres Gatten nach Münster [zog]. An gleicher Stelle findet sich ein Hinweis auf den 1817 geborenen Karl Geisberg, Steins Patenkind, der später nach Amerika ausgewandert sei. – Stein, BuaS Bd. 6, S. 918, Anmerkung 1.
[33] Stein, BuaS Bd. 6, S. 918f. – 04.12.1825 – Steins Widmung für die Witwe Marianne (Jenny) Geisberg auf einer Schrift mit Predigten des Pfarrers Alexander Stein (*1789, †1833) 1823 Pfarrer in Frankfurt/Main: In dem frommen, reinen, edlen Herzen des uns so plötzlich entrissenen Freundes herrschte der Friede, der mit dem Leben in Gott und aus Gott entsteht. Fest steht daher die seine hinterlassenen Teuern tröstende Überzeugung, daß er nun das besitzt, „was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben, welches kein Auge gesehen, kein Ohr gehöret und in keines Menschen Herz gekommen" (Corinther 2 V. 9).„Säen daher die tief Gebeugten mit Tränen, so werden sie mit Freuden ernten und tragen edlen Samen und werden kommen mit Freuden und bringen ihre Garben" (Psalm 126 V. 5, 6).
[34] LWL-Archivamt für Westfalen, Bestand Cap.C.I – S 792 – Briefe: Marianne (Jenny) Geisberg an Stein 1825-1831. – Schreiben vom 26.11.1825. – Unveröffentlichte(?) Transkriptionen der Briefe befinden sich im StA Münster, Nachlass Steinbicker, Clemens, Nr. 151, Materialien zur Familienforschung Geisberg.
[35] LAV NRW W, Sammlungen/Nachlässe, Geisberg (Dep.) Nr. 196.
[36] ALR, Zweiter Teil, Erster Titel, 7. Abschnitt, §§ 623 und 624; Zweiter Titel, 5. Abschnitt, §§ 300 bis 302 – opinioiuris.de/quelle/.
[37] LWL-Archivamt für Westfalen, Bestand Cap.C.I – S 792 – Briefe: Marianne (Jenny) Geisberg an Stein 1825-1831. – Schreiben vom 16. April 1826.
[38] Stein, BuaS Bd. 7, S. 233 f.
[39] Stein, BuaS Bd. 7, S. 265 f.
[40] Stein, BuaS Bd. 7, S. 414.
[41] Stein, BuaS Bd. 7, S. 409, Anmerkung 2.
[42] Stein, BuaS Bd. 4, S. 322, Vincke an Stein, Münster 18.11. 1813.
[43] Stein, BuaS Bd. 5, S. 58, Stein an Vincke, Frankfurt, 7. Juli 1814.
[44] Kochendörfer, Heinrich, Briefwechsel zwischen Stein und Vincke, Münster 1930, S. 55.
[45] Schulte, W., Die Gieslers aus Blankenstein – in: Der Märker, 9. Jg., Heft 5, S. 123ff.