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Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686

Charles Geisberg und die frühe deutsche Gemeinschaft 1844/45 

Dieter Gewitzsch

Zur Erinnerung (vgl. oben, Beitrag 5):

Als Charles Geisberg 1844 in Milwaukee eintraf, stand sowohl die künftige Ordnung Wisconsins als auch die des städtischen Gemeinwesens auf der politischen Agenda. Bei allen hoffnungsvollen Erwartungen der Einwanderer und allem „Sturm und Drang“ der ansässigen Siedler: Milwaukee hatte die formale Stadtwerdung noch vor sich. Die drei „Villages“[1] waren noch nicht zu einer „City“ verbunden, die Auseinandersetzung um die städtische Verfassung (Charta) noch nicht abgeschlossen. – Das Land „Wisconsin“ war 1844 noch kein Bundesstaat der USA, sondern ein „Territorium“, d.h. ein vom US-Kongress 1836 per Gesetz geschaffenes Hoheitsgebiet der Vereinigten Staaten mit der Option, nach Erreichen einer Einwohnerzahl von 60.000 der Union als Staat mit eigener Verfassung beizutreten. Nach zwölf Jahren als „Territorium“ wurde Wisconsin am 29. Mai 1848 der 30. Bundesstaat der USA. 

Mit seiner Niederlassung in Milwaukee entschied sich der 26-jährige Charles Geisberg dafür, sein Glück in einem städtischen Milieu zu suchen und nicht dem Plan vieler Auswanderer zu folgen, in Wisconsin „ungenutztes“ Land zu erwerben und unter den Pflug zu nehmen. Er hatte keine Ambitionen, sich bei den bäuerlichen Siedlern einzureihen, die es als Pioniere westwärts zog und denen das Dasein anfänglich die raueste Seite zeigte. In Milwaukee fand Charles Geisberg Ansammlungen zusammengeworfener Deutscher, die es auch in anderen Städten gab und von denen Wilhelm Hense-Jensen um 1900[2] schrieb, dass sich die deutschen Gruppierungen im sozialen Leben der Städte bald bemerkbar machten. In gern geübter Abgrenzung zu dem als seltsam empfundenen, feierlichen Gebaren der puritanischen „Yankees“ hätten sie es verstanden, privat und öffentlich einen frischen, frohen Ton anzuschlagen. Damals sei Milwaukee um seine vergnügten Bälle und die jeden Mittwoch stattfindenden Gartenkonzerte von vielen Städten beneidet worden. 

Die Deutschen siedelten um 1844 gern auf der Westseite Milwaukees, in „Kilbourntown“. Dort hatte sich auch die Firma „C. Geisberg & Co.“ niedergelassen. Das Geschäft befand sich nördlich der „Kilbourn’schen Ecke“, neben der „Roten Brücke“. Im selben Gebäude gab es einen Schlachterladen. Nebenan wurden Blechwarenladen verkauft und in einem weiteren Ladenlokal hatte eine Gewürz- und Tabakhandlung Platz gefunden. Später zog dort Carl Julius Kern ein, der nach seinem Abenteuer mit der „lateinischen Farmerei“ (vgl. Beitrag 6) eine kleine Schenke, die „Latin Grocery“ eröffnete. Gegenüber dem Hustis-Block hatte Moritz Schöffler, der Herausgeber des deutschsprachigen  „Banner“, seine Druckerei eingerichtet. In dieses Gebäude zog 1844 auch Dr. Hübschmann ein.[3] 

1 Market ca. 1850

Auf der Ostseite waren die meisten Deutschen in der Nähe des Marktplatzes an der East Water Street ansässig. Für die deutsche Gemeinschaft soll der Markt in den 1850er Jahren wie eine „Klammer“ gewesen sein. In dem „beehive of small trade“ wurde fast alles gehandelt. Für die deutschen Frauen war der Markt Ort und Gelegenheit, sich beim täglichen Einkauf zu treffen.[4] Am Marktplatz lag auch der „Milwaukee-Salon“, in dem 1844 viele der größeren politischen Versammlungen der Deutschen stattfanden.[5]

Nicht nur die Frage des Stimmrechts für „Fremdgeborene“ (vgl. Beitrag 5) bewegte die deutschen Einwanderer, die bis dahin wenig Interesse an politischen Fragestellungen zeigten. Es gab zwar den Büchsenmacher Mathias Stein und den Schumacher Eduard Wiesner, die beide – deutsch hin oder her – von den Yankees als zugehörig akzeptiert und zu Friedensrichtern gemacht wurden, aber die Zustimmung der „Hiergeborenen“ galt eher den alteingesessenen (kauzigen) Typen und sollte nicht als ein Akt der Beteiligung der „Fremdgeborenen“ an kommunaler Verwaltung gedeutet werden.  

1844 ergaben sich für die durch Herkunft und mehr noch durch Sprache geeinten Einwanderer aus deutschen Landen mehrere Gelegenheiten, als deutsche Gruppierung aufzutreten. Es fanden sich Leute, denen das Werden von Stadt und Land am Herzen lag und die bereit waren, den Beitrag der deutschen Gemeinschaft zum gesellschaftlichen Leben zu organisieren und politische Interessen auf demokratischem Wege zu vertreten. Sie bildeten einen Kreis von Aktiven, in dessen Umfeld sich auch Charles Geisberg bewegte und der nichts dagegen hatte, das eine und andere Mal aus der „zweiten Reihe“ hervorzutreten.  

„Merkwürdigerweise“, so der Chronist[6], feierten die Amerikaner und die Eingewanderten am 4. Juli den Unabhängigkeitstag gemeinschaftlich. Im „Arrangements-Committe“ beteiligten sich deutsche Mitglieder, die zu dem aktiven Kreis gezählt werden können: Dr. Hübschmann, „Leutnant“ D. Upmann, Moritz Schöffler, P.J. George und Hermann Härtel (Geisbergs Compagnon). Die angestrebte „Festlichkeit“ wurde durch eine große Prozession bewirkt, an der zwei improvisirte deutsche Militär-Compagnien teilnahmen, gefolgt von einem Festmahl mit Festreden und zahllosen Toasts.

Im Herbst 1844 bot der Wechsel im Amt des Gouverneurs von Wisconsin Anlass, ein weiteres Fest vorzubereiten. Nathaniel Tallmadge, der als den Einwanderern wohl gesonnen galt, war schon im Juni in das Amt berufen worden und besuchte Mitte September erstmals „sein“ Territorium.

2

Die deutsche Gemeinde Milwaukees ließ es sich besonders angelegen sein, ihren Hoffnungsträger auf das Feierlichste zu empfangen und organisierte einen Fackelzug, und wählte damit eine Art der Sympathiekundgebung, die den anderen Nationalitäten so nicht bekannt war. Wieder gab es einen Umzug – diesmal in von Fackeln erhellter Nacht – mit der Fahne voran, mit Musikkorps, Marschmusik und den unvermeidbaren Ansprachen. Die feierliche Prozession bewegte sich am Abend des 16. September 1844 über die Ostwasserstraße, Huronstraße, Mainstraße bis zum Milwaukee-Haus. Dem hier mehrfach erwähnten Carl Julius Kern war es vorbehalten, als Sprecher des Festkomitees einige Worte an den Gouverneur zu richten.[7] 

Nach dem Erfolg der Parade konnte es aus Sicht der Zeitgenossen[8] nicht ausbleiben, daß sich deutsche Milizkompanien bildeten – zuerst die pompöse Washington Garde, dann die Milwaukee Jäger und später eine Artillerie-Abtheilung ... In aller empfundenen und gelebten Freiheit begannen die Bewohner, die junge Stadt auch gesellschaftlich mit dem auszustatten, was sie für erstrebenswert hielten. Dabei folgten sie vertrauten Mustern und übten sich darin, das werdende Gemeinwesen durch Vereine zu bereichern, deren Zwecksetzungen so vielfältig waren, wie die sich artikulierenden Kollektivbedürfnisse. In den 1840er Jahren fanden Amerika-Reisende in den größeren Städten Liedertafeln, Liebhabertheater, Lese- und Bildungsvereine, Concert- und Ballgesellschaften, und im Sommer auch wohl Volksfeste im Freien – und die besagten kriegerische Vereine, die nach Wahrnehmung eines der Autoren nirgends fehlen, wo ein paar hundert Deutsche zusammenwohnen.[9]

In Milwaukee machte indes eine amerikanische Militair-Compagnie den Anfang und davon aufgerüttelt, fand die Idee, eine deutsche Infanterie-Compagnie aufzustellen, großen Anklang. Subskriptionslisten wurden auf der Ost- und Westseite der Stadt ausgelegt und – ganz in der Art der üblichen Selbstorganisation – ein Komitee ernannt. Zur ersten Generalversammlung der Garde am 30. Dezember 1844 informierte das Komitee über die Kosten der Uniformierung und das Plenum beschloss die Bildung der Washington-Garde.[10] Die Formation trat 1845 in Erscheinung und soll von allen Seiten aufs Freudigste begrüßt worden sein.[11] Chef der Garde im Range eines „Capitains“ war D. George, umgeben von weiteren Offizieren und Unteroffizieren, unter ihnen viele Namen aus dem Umfeld Charles Geisbergs, der selbst von Anfang an zur Garde gehörte, erst als „Sergeant“ und bald in der Position eines „zweiten Lieutenants“.

Verglichen mit einem stehenden militärischen Verband, war die Washington-Garde eine Art freiwillige Bürgerwehr. Als Verein organisiert, gab man dem „Soldatspielen“ Raum und brachte so militärisches Gebaren in die Öffentlichkeit. Um die stattliche Uniform kümmerte sich die Garde selbst, die Waffen wurden von der Regierung geliefert. Im Ergebnis zeigte sich die Truppe bei ihrer ersten Parade ... 36 Mann stark den staunenden Blicken des Publikums. Blaue Hosen, blaue Fräcke, reichverbrämt mit scharlachrothen Aufschlägen, breit die Brust bedeckend und auf den Köpfen mit Federbüschen gezierte Tschako’s. Die Berichterstatter schwankten zwischen „pompös“ und „prächtig“, wenn es um die Optik ging und kam Musik hinzu, so wurde sie als „schmetternd“ beschrieben. In den Texten durchzuckte es ... die Glieder ... höher pochte das Herz, feuriger flammte das Auge, fester stampfte der Fuß den Boden. Koss glaubte sich 1870 an eine Schaar der Helden zu erinnern[12], die da einherschritt und auch bei Hense-Jensen sind die Gardisten um 1900 noch eine Erwähnung wert. Siegesbewusst hätten sie bei festlichen Gelegenheiten, etwa dem 4. Juli, in ihren hellblauen Fracks mit den scharlachrothen Aufschlägen paradiert und im Ballsaal wie beim Becherlupf wahre Heldenthaten verrichtet.[13] 

3

Als hohes Verdienst für die Allgemeinheit wurde der Washington-Garde ein eher ziviles Projekt angerechnet. Der Verein baute eine Halle, nannte sie „Military Hall“ und nutzte die Räumlichkeit im Winter für Exerzierübungen. In der übrigen Zeit stand der einstöckige Holzbau den Mitbürgern für Versammlungen, Feste, Schaustellungen und dergleichen zur Verfügung. Das verhältnismäßig kleine Gebäude war fest und solide gezimmert und hatte eine Grundfläche von 216 Quadratmetern. An der Frontseite trugen vier Pfeiler den vorspringenden Giebel und bildeten eine Art Veranda, zu der von der Straße eine breite Treppenflucht führte. Auf dieser „Bühne“ fand im Spätherbst des Jahres 1845 eine bemerkenswerte Feier statt: die „Fahnenweihe“ der Washington-Garde. 

Das Freizeit-Militär erfreute sich sehr bald einer gewissen Beliebtheit. Zum einen zögerte die Kompanie nicht, dem Sheriff beim ersten Rufe zur Wahrung der Autorität der Vereinigten Staaten mit sämtlichen Mitgliedern zur Verfügung zu stehen, als es galt, unrechtmäßige Landnahme zu verhindern. Und zum anderen waren die Washington-Gardisten, bei Bällen und geselligen Festen aller Art ... stets die Löwen des Tages. Die jungen Männer waren bei den Frauen der Stadt hoch angeschrieben und dass sie der Stolz ihrer deutschen Mitbürgerinnen waren, verstand sich für den Beobachter Koss von selbst.[14] 

Aber noch fehlte den Wackeren ein Banner und dem abzuhelfen, konstituierte sich im Herbst des Jahres 1845 eine Gruppe Frauen mit dem Ziel, den Gardisten ein Kompaniebanner zum Geschenk zu machen.[15] Die „patriotischen Damen“ bestickten ein Fahnentuch mit den Sternen der Union[16] und ergänzten das Motiv um den Schriftzug „E pluribus unum“, dem Leitspruch der Vereinigten Staaten.[17] Zur Übergabe an die Truppe versammelten sich die Frauen am 3. November 1845  im offenen Portikus vor dem Eingang der Militärhalle; ihnen gegenüber nahmen die Uniformierten Aufstellung. Scharen Schaulustiger versammelten sich.[18] Den Berichten Rudolph Koss‘ ist ein Bild der Szene[19] beigefügt: 

4

Und es öffnete sich der Kreis der Schönen, und hervor trat Fräulein Louise Dresen ... Eine Rede war fällig und Frau Dresen wünschte in wohlgesetzten Worten, dass die Fahne bei heiteren Gelegenheiten zur Erhöhung des angenehmen Anblicks beitragen und im Ernstfall stets siegreich voranwehen möge. Capitain George nahm das Banner in Empfang, Sergeant Thomssen durfte es halten und Charles Geisberg vortreten. Der neuernannte junge Gardelieutnant dankte im Namen der Compagnie den schönen und freundlichen Geberinnen mit kräftigen, hochpatriotischen, vom Herzen kommenden und zum Herzen sprechenden Worten ..., die sämmtliche Anwesende in die gehobenste Stimmung versetzten. Es folgte das zu erwartende Festprogramm, oder mit Worten des Chronisten: Parade mit fliegender Fahne und klingendem Spiel, glänzend, prächtig, militärisch, kraftvoll und kriegerisch – allgemeiner Beifall und Bewunderung; Festmahl mit Musik, Trinksprüche und „lustige Soldatenlieder“. 

Moritz Schöffler, Herausgeber des „Wisconsin Banner“, schrieb der Garde ein Lied, das in einigen Zeilen erkennen lässt, was die „Patrioten“ motivierte:

 

Uns brachte zusammen die Liebe für das Land,
Wo der Unterdrückte die beste Heimath fand;
D‘rum fest, wie die Mauern, so wollen wir auch stehn,
Und hoch in Lüften soll stets das Banner wehn!
Und wenn ein Feind der Freiheit uns bedroht,
So sind wir streitgerüstet zu Kampf und Tod! 

 

Die Mitglieder des „Vereins“ Washington-Garde feierten sich selbst und ihren Beitrag zum Gemeinwesen. Die Gardisten bekamen ihre Fahne nicht von einer übergeordneten Autorität verliehen, sondern als Geschenk einer Frauengruppe, die sich nach der Übergabe des Banners wieder auflöste. Auch wenn sich im Zusammenhang mit der Feier das Wort „Weihe“ in die Texte einschlich: Es wurde keine Verbindung zu einer höheren Macht beschworen, sondern die Bereitschaft, als Bürger aus eigener Kraft gegen Unterdrückung zu kämpfen und für die Freiheit einzustehen.

Solch ein Ereignis verlangte einen „würdigen Rahmen“ und um den zu schaffen, bediente man sich vertrauter Bilder von Festlichkeit und stellte nach, was in den Herkunftsländern bekannt und beliebt war und auch Milwaukee gefallen sollte. Die dazu aktivierten Versatzstücke mitgebrachten Brauchtums sollten – damals wie heute – nicht den Blick dafür verstellen, dass hier Menschen feierten, die es ablehnten, standesgemäß Untertanen eines aristokratischen Herrschers zu sein.

Wer 1844 im Territorium Wisconsin lebte, konnte sich noch nicht an allen Wahlen beteiligen, aber die Einwohner Milwaukees fingen an, sich nach parteipolitischen Präferenzen zu sortieren. Bei den Einwanderern war die Stimmrechtsfrage entscheidend, deren Beantwortung sie fast ausnahmslos zu Parteigängern der Demokraten werden ließ. Die älteren Darstellungen berichten von einer grundsätzlichen Antipathie, die dem dünkelhaften, als anmaßend empfundenen Auftreten der Yankees entgegengebracht wurden, besonders, wenn sie aus den Neu-England-Staaten kamen, um den wahren Amerikanismus nach Wisconsin zu verpflanzen.[20] Die Einwanderer erkannten in den Parteigängern der Whigs diejenigen, die ihnen die Anerkennung als vollwertige, gleichberechtigte Bürger verweigerten. Der deutschen Gemeinschaft könne man deshalb die Zuneigung zu den Demokraten nicht verübeln, meint Koss (1870) und bekräftigt, dass man 1844 einen deutschen Whig in Milwaukee für eine Anomalie halten musste.[21] 

5 Thomas Jefferson

Hense-Jensen (1900) hält fest, dass Jeffersons Doktrinen von Freiheit und Gleichheit die politische Richtung der Demokraten bestimmten und die gebildeteren Einwanderer dort alles ausgesprochen fanden, was nach ihren Ansichten das Wesen einer volksthümlichen Regierung ausmachte: Lokale Selbstverwaltung, möglichst geringe Einmischung der Bundesgewalt in die Angelegenheiten des Einzelstaates, sparsamen Haushalt und die Erhebung von nicht mehr Steuern als zur Bestreitung des Staatshaushalts unumgänglich nothwendig.[22] 

6 James K. Polk

In der Zeit vom 1. November bis 4 Dezember 1844 wählte die Union zum fünfzehnten Mal ihren Präsidenten. Zur Wahl standen Henry Clay[23] für die Whigs und für die Demokraten kandidierte James K. Polk[24]. Die Unterstützer der Whigs fanden sich in „Clay-Clubs“ zusammen. Die Demokraten gründeten „Hickory-Clubs“, die Polk zur Seite standen. Auf der Westseite, unfern der „roten Brücke“, gleich an der Ecke des Geisberg-Härtel’schen Ladens errichteten die Polk-Leute einen riesigen Freiheitsbaum, einen Hickory. An der Spitze mit einer phrygischen Mütze geschmückt, stand der Baum bis in die 1850er Jahre und wurde von den Deutschen der Westseite gar hoch und heilig gehalten.[25] „Hickory“ ging zurück auf den Präsidenten Andrew Jackson, der in Anspielung auf das  harte, belastbare Holz „Old Hickory“ genannt wurde. Mit dem Kandidaten Polk verbanden die Demokraten die Botschaft, er werde als „Young Hickory“ in die Fußstapfen seines Mentors Jackson treten.[26] Kein Zufall, dass ein Hickorybaum zum „Freiheitsbaum“ gemacht wurde. An welche ältere Tradition das Errichten eines „Freiheitsbaums“ in Milwaukee anknüpfte, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Mit der Kopfbedeckung folgte man einem französischen Vorbild, der Jakobinermütze (bonnet rouge), was aber die Bewohner von Kilbourntown nicht gleich zu Revolutionären machte. Die Erfahrungen mit derartigen Symbolen in den Herkunftsländern waren vermutlich so unterschiedlich wie die Landstriche, die von den Eingewanderten mit dem Wort „Heimat“ belegt wurden. 

7 Henry Clay

Im Settlement „Westphalia“ (Missouri) verfolgte Bernhard Bruns den Wahlkampf und schrieb dem Onkel seiner Frau Henriette, Caspar Geisberg, wie er die Präsidentschafts-Kandidaten einschätzt:[27] Der Demokrat James K. Polk wolle keine Nationalbank und strebe den Anschluss von Texas, Oregon und Kalifornien an die USA an, wogegen der für die Whigs antretende Henry Clay für eine  Nationalbank sei, aber die drei Staaten sich selbst überlassen wolle. Clay neige zu den Aristokraten und sei kein echter Republikaner, urteilte Bruns und begründete seine Position damit, dass Clay nicht von dem Grundsatz geleitet [sei], daß das Prinzip der Volksfreiheit ein Segen ist, der allen Bewohnern der Erde zuteilwerden muß. Clay sei ein Bewohner eines sklavenhaltenden Staates [Kentucky], wo es mit dem Grundsatz der Gleichheit, wenn auf die farbige Bevölkerung, die doch auch Menschen sind, gesehen wird, eigentlich etwas schlecht aussieht.[28] 

Februar 2021
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Bildnachweise:

1 Jennifer Watson Schumacher, German Milwaukee, Arcadia Publishing, Charleston S. Carolina 2009, S. 111.
2, 3, 4 Koss, Milwaukee, a.a.O., S. 127 und S. 190f.
5, 6, 7 Wikimedia Commons

Quellen und Literatur:

[1] Autonome, inkorporierte Bereiche, vgl. oben, Beitrag 6.
[2] Wilhelm Hense-Jensen, Wisconsin’s Deutsch-Amerikaner bis zum Schluß des neunzehnten Jahrhunderts, Erster Band, Milwaukee 1900, S. 65. - 1898 nahm die „Deutsche Gesellschaft“ Milwaukee die Feier des 50jährigen Bestehens des Staates Wisconsin zum Anlass, unter dem Namen „Deutscher Historischer Verein von Wisconsin“ einen Fonds aufzulegen, um der Thätigkeit des deutschen Elements in Wisconsin ein „Gedenkblatt“ zu widmen. Des „Blattes“ erster Band umfasste schließlich knapp vierhundert Seiten.
[3] Koss, Milwaukee, a.a.O., S. 157ff.
[4] Jennifer Watson Schumacher (Editor), German Milwaukee, Arcadia Publishing, 2009, S. 111.
[5] Koss, Milwaukee, a.a.O., S. 160.
[6] Koss, Milwaukee, a.a.O., S. 163f.
[7] Koss, ebenda.
[8] Hense-Jensen, Deutsch-Amerikaner, a.a.O., S. 65.
[9] Franz von Löher, Geschichte und Zustände der Deutschen in Amerika, Leipzig 1847, S. 404.
[10] Koss, Milwaukee, S. 168f.
[11] Koss, ebenda.
[12] Koss, Milwaukee, S. 185.
[13] Hense-Jensen, Deutsch-Amerikaner, a.a.O., S. 65f.
[14] Koss, Milwaukee, S. 189.
[15] Anke Ortlepp, „Auf denn, Ihr Schwestern!“, Deutschamerikanische Frauenvereine in Milwaukee, Wisconsin, 1844-1914, Transatlantische Historische Studien Band 17, Stuttgart 2004, S. 11.
[16] Carl de Haas, S. 71. – Haas publiziert einen Text von Alexander Ziegler, Skizzen einer Reise …, 1848.
[17] Motto der USA, „E pluribus unum“ steht dafür, dass viele kleine Teile zu einem neuen großen Ganzen vereint werden ... wird aber auch in dem Sinne verstanden, dass verschiedenste Menschen sich zu und in einer Nation vereinen. Vorstellung, dass im Zusammenspiel von Teilen mehr entsteht als nur die Summe der Teile. - bedeutungonline.de 26.02.2021.
[18] Anke Ortlepp, Frauenvereine, S. 11. – Vgl. a.a.O.: Einordnung der Fahnenweihe in die Geschichte der Vereinstätigkeit deutschamerikanischer Frauen in Milwaukee.
[19] Koss, Milwaukee, S. 190f.
[20] Hense-Jensen, Deutsch-Amerikaner, a.a.O., S. 99.
[21] Koss, Milwaukee, S. 150.
[22] Hense-Jensen, Deutsch-Amerikaner, a.a.O., S. 100f. – Vgl. hierzu: Jürgen Heideking, Christof Mauch, Geschichte der USA, 6. Auflage, Tübingen 2008, S. 120f. – Desgl. 7. Auflage, Mauch, Ortlepp, Heideking, Tübingen 2020, S. 129: Die Demokraten seien für Autonomie, Freiheit und Rechtsgleichheit des Einzelnen eingetreten. Zur Bewältigung der Schwierigkeiten der Zeit setzten sie auf territoriale Expansion. Anders die Whigs, die überzeugt waren, dass die Bundesregierung die Plicht habe, auf die „progressive Verbesserung der Lebensbedingungen der Regierten“ hinzuwirken. Wirtschaftliches Wachstum und moralische Vervollkommnung seien den Whigs wichtiger gewesen als Gebietserweiterungen im Westen. Mit diesen Positionen fanden die Whigs Rückhalt bei den aufstrebenden Mittelschichten. Aus Angst, ihren inneren Zusammenhalt zu gefährden, haben beide Parteien vermieden, die Sklaverei zu thematisieren.
[23] Henry Clay (*1777, † 1852) war ein US-amerikanischer Pflanzer und Politiker. Er war Mitglied des Repräsentantenhauses und des Senats sowie Außenminister.
[24] James Knox Polk (*1795, †1849) war vom 4. März 1845 bis zum 4. März 1849 elfter Präsident der Vereinigten Staaten. Davor wirkte er als Gouverneur des Bundesstaats Tennessee und Sprecher des Repräsentantenhauses. Polk gehörte der Demokratischen Partei an.
[25] Koss, Milwaukee, a.a.O., S. 165.
[26] Samuel J. Astorino, Notes on the Henry Clay Clubs of Allegheny County, in: The Western Pennsylvania Historical Magazine, Vol. 40, No. 4, 1957, S. 246.
[27] Es ist der zweite Teil des Briefes vom 25.09.1844, mit dem Bruns den Geisbergs in Münster mitteilte, dass Charles nach Milwaukee gegangen war. – Vgl. oben, Beitrag 4.
[28] Schütter, Schulz Geisberg, Ein Auswanderinnenschicksal, a.a.O., S. 140f. – Schreiben vom 25.09.1844.

 
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