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Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686

J. V. Cirkel – Post-Expediteur und Dichter

Christel Gewitzsch

Schon 2007 veröffentlichte Udo Kaiser, Stadtarchivar in Selm von 1990 bis 2012, im Jahrbuch des Kreises Unna eine Erinnerung an den Borker Holzhändlersohn Jacob Vincenz Cirkel[1], der vielleicht weniger  wegen seines schriftstellerischen Wirkens als durch die Anerkennung und Förderung, die er durch den Freiherrn vom Stein erhielt, von sich reden machte. Stein hatte ihm bei der Beschaffung der Posthalterstelle in Bork geholfen und bemühte sich auch, Leser für ihn zu finden.

In dem Buch Menschen in Selm, Bork und Cappenberg[2] wurde dem Borker ebenfalls eine Seite gewidmet und bei Recherchen im Internet kommen einige Fundstellen zu seinem Namen zu Tage.

Dem im April 1800 geborenen Cirkel war nur ein kurzes Leben beschert. Er starb 1833 an Lungentuberkulose. Sein beschwerliches Dasein beeindruckte und beeinflusste einen frühen Rezensenten seiner Schrift Hilborn. In den Blättern für literarische Unterhaltung schrieb dieser 1832: Es gibt Gedichte, die uns durch die zufällige Persönlichkeit ihrer Verfassers anziehend werden. Zu solchen gehören die vorliegenden, deren Verf. seit seinem zweiten Lebensjahre an einer gänzlichen unheilbaren Lähmung der Füße leidet. Späterhin gesellte sich dazu ein Asthma, ein Brustkrampf von der größten, anhaltendsten Heftigkeit. Die einzige, treue Gesellschafterin in des beklagenswerthen Mannes Einsamkeit ist die Leier, die denn auch nur elegische Laute haucht. ... Die Wehmuthslaute dieses Einsamen und Bekümmerten vor das Forum einer strengen Kritik ziehen, hieße nichts Anderes, als ihm die Lyra ... mit feindseliger, roher Faust in Stücke schlagen.[3]

Auf eine gewisse beeinflussende Wirkung seiner Leiden scheint Cirkel auch ein wenig  gesetzt zu haben, obwohl er dies in einem Schreiben an August Wilhelm von Schlegel von sich weist. Cirkel wandte sich 1824 an den Schriftsteller, Übersetzer von Shakespeare, Calderón de la Barca, Dante u.a., Wissenschaftler und Literaturkritiker und bat um dessen Meinung zu einer Auswahl seiner Arbeiten.

Cirkel schrieb:

Hochwohlgeborener, Hochverehrter Herr Professor!

Ew. Hochwohlgeboren werden verzeihen daß ich so frei bin an Sie zu schreiben, wenn Hochdieselben gütigst die Veranlassung und folgende Umstände erwägen wollen.

In einem abgeschiedenen Dorfe, verschloß schon in der frühesten Jugend ein feindselig Geschick durch Lähmung der Füße und Kränkelei, für mich die weiten Kreise des Lebens, und da ich weder Gymnasium noch Hochschulen besuchen konnte, blieb es mir selbst überlassen die Mittel zur Ausbildung zu suchen, um wenigstens einigen Ersatz für das Verlorene zu finden.

Natur, Musik, Zeichnung und Lectüre halfen also die Stunden verkürzen, welche ich, besser nicht verwenden zu können, erbittert war.

Dann beschenkte auch die Muse meine einsamen Stunden zuweilen mit einem Liede, und ich hätte wohl Lust daraus ein Bändchen gedruckt zu sehen, nur wünschte ich vorher die Meinung eines würdigen Dichters und Kenners darüber zu wissen, und dieses ist die Ursache meines Schreibens.

Ew. Hochwohlgeboren bin ich daher so frei, in der Anlage Einiges vorzulegen und Sie zu bitten mir darüber gütigst Ihr Urtheil sagen zu wollen. Ich bin übrigens nicht der Meinung, daß der Kunstrichter auf die Individualität und Umstände des Verfassers Rücksicht nehmen könne, nur um der genommenen Freiheit zur Entschuldigung zu dienen, habe ich einiges darüber angeführt.[4]

Circel beendete seinen Brief in der Hoffnung, bald eine Antwort von Schlegel zu erhalten, die er aber wohl nicht bekommen hat. Der Professor hatte sich inzwischen der altindischen Philologie zugewandt; Lyrik aus dem Münsterland wird ihn vermutlich nicht allzu sehr interessiert haben.

Da der erste Rezensent schon seine Kritik zurückhielt und Schlegel sich nicht äußerte, möge  der geneigte Leser sich selber an drei Beispielen[5] der Cirkel‘schen Lyrik ein Urteil bilden.

1.

Das Mädchen.

Dem linden leisen Laubgelispel lauschend,
Gelagert in des Waldes Schattengrün,
Am Quellenrande, ließ ich liebeträumend
Die schnellen Wasser mir vorüber ziehn,
Und streut Blümchen in den spiegelklaren
Kristall, die bald dem Blick entschwunden waren.

Da kam ein Mädchen durch die schmalen Pfade
Dahergegangen, wie der Mai so schön,
Sie sah mich an mit himmelblauen Augen,
So mild und klar, wie ich sie nie gesehn;
Mir war’s als wenn der Himmel sich enthüllte
Und Rosenglanz den grünen Wald erfüllte.

Sie ging dahin, und kehrt wohl nimmer wieder,
Ich forschte viel, doch fand ich keine Spur;
Wie an der Kindheit längst verlornen Tagen
Hängt noch an ihr des Busens Sehnsucht nur.
Und bald ist dieses Lebens Lenz entschwunden
Umsonst in trüben lieblosen Stunden.

2.

Frühlingsnähe.

Immer noch liegt verwildert, öde, wüst und
Trauernd alles umher; die dürren Bäume
Schütteln wohl vom Winde bewegt das Haupt, doch
Lispelt kein Läubchen.

Grimmig umher im Wald‘, im Feld‘ und Gärtchen
Hat der Winter gehaust, noch trägts die Spuren;
Kaum daß wieder keimendes Grün sich hier und
Dorten hervorwagt.

Säume nicht länger, Frühling, da die Hora
Schon dir winket; o komm mein Jüngling, säume
Länger nicht. Ersehnet vor allen schallt dir
Lautes Willkommen;

Schwebst du einher im schönen Rosenglanze,
Blüthen sprossen, der Himmel lacht uns blauer,
Wonne strömt der Flur; es erklingen laut die
Stimmen der Vögel.

In der Natur entkeimet neues Leben
Rings um; hier in den schönen Blüthenkelchen,
Dort im Schooß des blühenden Mädchens; Alles
Leben und Liebe.

3.

Hoffnung.

Gaukelnde Hoffnung, die du oft mich täuschtest,
Wieder nahest du, treibst die alten Spiele,
Schmückst die Zukunft lächelnd mit tausend Bildern
Freudiges Anblicks.

Weißt so gelind den Gram mir zu verscheuchen,
Blickst treuherziger daß ich gern dir traue,
Mit dir viel von künftigen freud’umglänzten
Frühlingen träume.

Täuscherinn, deines Spiels bedarf es dieses
Lebens dunkele Bahn zu hellen; gaukle
Immer fort nur liebliche Bilder von mir,
Flatterndes Irrlicht.

April 2016
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[1] Udo Kaiser, Jacob Vincenz Cirkel – ein vergessener Dichter, Kreis Unna 2007, S. 75 – 78.
[2] Menschen in Selm, Bork und Cappenberg, 242 Selmer Persönlichkeiten, Bürgerstiftung Stadt Selm 2015, S. 73. 

[3] Blätter für literarische Unterhaltung, Freitag, 3. August 1832, Nr.216, S. 917. https://books.google.de
[4] Brief von Jacob Vincent an August Wilhelm von Schlegel, in: Schlegels gebundener Briefwechsel, Bd.5, urn:nbn:de:bsz:14-db-idDE-1a-18777963
[5] aus: Gedichte von Jacob Vinc. Cirkel, Münster, 1825, S. 20f, 28f, 32. urn:nbn:de:hbz:6:1-79207.

 
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