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Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686

Eichenlaub für einen Westfalen 

Die Villa Brüning in Bytom und ihr Architekt Karl Brugger

Im Sommer 2018 veröffentlichte Prof. Piotr Obrączka, Universität von Oppeln (Opole), im Heft 47 der Zeitschrift ORBIS LINGUARUM, unter dem Titel "Die Brünings" einen Beitrag zur Biographie des Bürgermeisters von Bytom.(1) 

Obrączka stellt Georg Brüning als den (Ober-)Bürgermeister vor, in dessen Regierungszeit Beuthen (Bytom) die Periode der schnellsten Entwicklung und des größten Wohlstands erlebte und schon vor dem Ersten Weltkrieg zu einer wahrhaft europäischen Stadt wurde. Beuthen erhielt in dieser Zeit eine moderne Wasserversorgung, die entsprechende Kanalisation, gepflasterte Straßen und ein elektrische Netz. Ein Stadttheater (heute Schlesische Oper) gehörte ebenso zum Bauprogramm wie Kirchen, Schulen und Krankenhäuser. In enger Zusammenarbeit mit den Architekten Paul Jackisch und Karl Brugger ermöglichte die Verwaltungsspitze eine kulturelle Entwicklung, die Beuthen zu einer Stadt des Jugendstils machte, was im heutigen Bytom noch aufzuspüren ist.  Stolz dokumentiert die „Digitale Bibliothek Beuthener Architektur“ Häuser, Stadtvillen, industrielle Bauten und öffentliche Gebäude(2), die vor 1945 in Beuthen O.S. errichtet wurden.

Eichenlaub für einen Westfalen

Die Stadt schätzte Georg Brünings Verdienste. Obrączka berichtet, das dankbare Bürger ihrem Bürgermeister eine wunderschöne Jugendstilvilla  schenkten, ein Werk des bereits erwähnten Architekten Carl Brugger.(3) Bei Przemysław Nadolski waren es seine Verdienste um die Stadt, für die der Oberbürgermeister die Villa als Eigentum erhielt.(4) 2011 erschien das Buch "Frau in der Geschichte und Gegenwart von Bytom/Beuthen" in deutscher Sprache. Ein Beitrag, der "Dorothea Brüning geb. Köhne" gewidmet ist, wurde mit einer alten Ansichtskarte der Villa illustriert und in der Bildunterzeile ist wieder die Rede von dem "Geschenk der dankbaren Einwohner".(5)


Vergegenwärtigt man sich noch einmal das besondere Schicksal der Familie des Beuthener Oberbürgermeisters, dann liegt auf der Hand, dass die jüngste Tochter Dorothea (*1905 und zur Abgrenzung von Ihrer Mutter auch "Dora" genannt) mit ihren Erinnerungen und Erzählungen für spezielle Fragen der Familiengeschichte eine wichtige Zeugin war. Albert Brüning befragte 1971/72 Dorothea Kayser, als er sich für das Familienwappen der Brünings interessierte, das offenbar in die Fassadengestaltung der Villa in Beuthen/Bytom eingearbeitet wurde. Frau Kayser schrieb zu einem Bild ihres Elternhauses in der Kurfürstenstraße 4:

"Die eingefügten Ornamente bedeuten: in der Mitte das Beuthener Stadtwappen, Bergmann und Adler, drumherum der westfälische Eichenbaum, darüber die bürgerliche Krone aus dem Familienwappen der Brünings. Die Inschrift bedeutet das Jahr des Baues." (Anno Domini MDCCCC1 steht hier für 1901, vgl. MCMI.)(6)





Das Eichen-Motiv ist auch auf dem Siegelabdruck eines Briefes zu finden (Abb. links), der 1850 in Enniger geschrieben wurde. Wilhelm Brüning siegelte 1849 zu Botzlar einen Brief. Beide Siegel ähneln sich sehr, aber bei Wilhelms Abdruck ist die Stelle mit dem Eichen-Motiv seltsam verklebt.(7)




Dorotheas Sohn, Georg Kayser(8), schreibt über die Villa seines Großvaters:

Um die Jahrhundertwende erwarben die Eltern(9) in der etwas außerhalb des Stadtkern auf einer kleinen Anhöhe gelegenen Kurfürstenstraße zwischen dem alten Krüppelheim und dem Konvikt der Armen Schulschwestern in unmittelbarer Nachbarschaft zur Schule V. ein großes Grundstück und erbauten darauf ein stattliches, drei Stockwerke hohes Wohnhaus. Dessen Außenwände waren mit hellen glasierten Klinkern belegt, die von einem die ganze Wandfläche ausfüllenden, kunstvoll gearbeiteten Mosaik geschmückt waren. Der Glanz dieses Gebäudes strahlte weithin sichtbar das aus, was das Lebenswerk der beiden geworden war: Frische und Gesundheit in der sonst so tristen Beuthener Luft. Von der Breiten glasüberdachten Veranda erreichte man über einige Treppenstufen den Garten. Ein Mittelweg, der nach Art der westfälischen Bauerngärten durch kurzgeschnittene Buchsbaumhecken zu den Beeten hin begrenzt war, führte den Besucher bis zur etwa sechzig Meter entfernten Mauer des angrenzenden Konviktgartens. Auf halbem Wege unterbrach ein Rondell, in dessen Mitte ein steingehauener Brunnen zum Verweilen einlud, die den Garten teilende Längsachse, und nach beiden Seiten gingen Querwege ab, über die man bis zu den jeweiligen Grundstücksgrenzen gelangte. So war die gesamte Anlage durch diesen Kreuzweg in etwa vier gleich große Felder geteilt. Im Schnittpunkt befand sich die Wasserstelle, die das Herz des Gartens darstellte.(10)

Stadtbaurat Karl Brugger

Architekt der Villa war der schon erwähnte Karl Brugger, der - mit heutigen Worten gesprochen - als Stadtbaurat zum "Team Brüning" gehörte und einer der wichtigsten Mitarbeiter war, wenn gebaut werden sollte. Brugger entwarf eine Jugendstilvilla, seine Architektur orientierte sich an Vorbildern der Wiener Sezession. Doch bevor hier auf den Bau im einzelnen eingegangen wird, soll geklärt werden, wer der Beuthener "Karl Brugger" war, denn es gab einen weiteren Architekten, Karl Heinrich Brugger, der sich etwa zur selben Zeit in Saarbrücken erfolgreich dem Jugendstil verschrieben hatte. Die beiden werden in einigen Zusammenstellungen nicht klar unterschieden, so dass dem Beuthener Brugger auch Bauwerke aus Saarbrücken zugerechnet werden.(11) 

Tatsächlich waren es zwei "Brugger", die beide "Karl" als Vornamen hatten, etwa in der gleichen Zeit lebten und als Architekten dem Jugendstil folgten, nur dass der eine im Saarland, der andere in Oberschlesien wirkte. "Karl Heinrich Brugger" (1858-1931) war Architekt in Saarbrücken und "Karl Brugger" (1853-1935) Stadtbaurat in Beuthen. Im Staatsarchiv Oppeln (Archiwum państwowe Opole) kann in der Personalakte des Stadtbaurats ein von ihm im Jahre 1901 ausgefüllter Personalbogen eingesehen werden, der seine Herkunft klärt.

Karl Brugger wurde am 16. Januar 1862 in Rahlen-Ravensburg (Württemberg) geboren und katholisch getauft. Der Vater, Severin Brugger, war Bürgermeister in Ravensburg und seit 1849 mit Walburga Brugger, geb. Nesensohn, verheiratet.
Bis zum Herbst 1878 besuchte Karl die Realschule in Ravensburg, wechselte dann zur Ober-Realschule nach Ulm, die er 1880 mit dem Zeugnis der Reife verließ, um bis zum Frühjahr 1886 an den Technischen Hochschulen in Stuttgart Hochbau zu studieren. Nach der ersten Staatsprüfung wurde Brugger im April 1886 zum Regierungs-Bauführer ernannt.
Brugger war "militärfrei" gestellt und widmete sich in den nächsten Jahren der Vorbereitung auf die zweite Staatsprüfung. Aus dem Personalbogen geht nicht hervor, ob seine Anstellungen einem gewissen Plan folgten, aber die unterschiedlichen Einsatzorte und Aufgabengebiete ermöglichten ihm, berufliche Erfahrungen zu sammeln. Seine erste Stelle war die Hofbauinspektion in Stuttgart, gefolgt von der Provinzial-Verwaltung in Schlesien, der Garnision-Bauinspektion in Wesel und dem Bauamt der städtischen Wasserwerke Berlin. Nach Ablegen der zweiten Staatsprüfung wurde Karl Brugger am 25. November 1889 zum Regierungs-Baumeister ernannt und für ein weiteres halbes Jahr bei der Bezirksbauinspektion in Ravensburg beschäftigt.
Das erste längerfristige Engagement fand Brugger 1890 im Hochbauamt der Stadt Köln, wo er sieben Jahre blieb, bevor er 1897 für vier Jahre zur bayerischen Militärbauverwaltung (Kriegsministerium in München) wechselte.
Karl Brugger wurde am 21. März 1901 als Stadtbaurat in Beuten O.S. in sein Amt eingeführt und am 18. Juli 1912 einstimmig wiedergewählt. Im Frühjahr 1919 wurde Brugger für mehrere Monate wegen Krankheit beurlaubt  und auf eigenen Wunsch zum 1. Oktober 1919 mit 57 Jahren in den Ruhestand versetzt.

Brugger war mit Marie (Maria Katharina) Weyand (* 23. März 1860 in St. Wendel) verheiratet. Marie war die Witwe des Geometers Ludwig Crell und brachte eine Tochter mit in die Ehe (Bertha Crell, *1882). Das Ehepaar Brugger hatte selbst keine Kinder. Die Familie lebte Ende der 1890er Jahre in München und bewohnte in Beuthen eine von Karl Brugger entworfene Villa in der Gartenstr. 7 (derzeit Powstańców Warszawy 31).(12)

Die Seite fotopolska.eu dokumentiert für die Stadt Bytom sieben Bauwerke, die die erkennbare Handschrift des Architekten Karl (Carl) Brugger tragen, darunter die Villa des Architekten. 


Bilder und Archivalien zur "Villa Brüning"

Die folgende Bilderserie zeigt die Villa und die Nachbarschaft zur "Bezirksschule Schule 5" im Jahr 2018.





Die Innenräume der "Villa Brüning" waren zum Zeitpunkt vorstehender Aufnahmen nicht zugänglich. Es gibt aber eine Serie des Fotografen, Sammlers und und "Liebhabers" seiner Stadt, Czesław Czerwiński(14), die im Dezember 2012 aufgenommen wurde. Die Bilder zeigen u.a., dass das Motiv aus Eichenlaub und Eicheln nicht nur in der äußeren Umzäunung, sondern auch innen bei der Gestaltung des schmiedeeisernen Treppengeländers und in einer Deckenverzierung (Stuck) verwandt wurde.

"Fotopolska" hält eine bemerkenswerte Sammlung mit Ansichten der "Villa Brüning" aus über einhundert Jahren (1905-2023) bereit.(13) 

Die Schlesische Digitale Bibliothek (Śląska Biblioteka Cyfrowa) hat eine Akte betreffend die baulichen und gesundheitspolizeilichen Verhältnisse etc. der Besitzung Kurfürsten-Strasse No. 4 ins Netz gestellt, die div. Bauzeichnungen und Korrespondenz enthält. (Dokumentacja budowlana archiwum miejskiego w Bytomiu, Legionów 4.)

Juli 2023
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Bildnachweise:

1. Magdalena Goik u.a., Frau in der Geschichte und Gegenwart von Bytom Beuthen, Bytom 2011, S. 73. - Repro: dg.
2. Albert Brüning, Geschichte des Schulzenhofes Brüning ... als Manuskript gedruckt, Bonn - Bad Godesberg 1975. - Repro: dg.
3. Sammlung Ralph Brüning - Repro: dg.
4. Wikipedia - Creative Commons.
5. + 6. LWL AAW Archivamt für Westfalen, Archiv Erpernburg, Erp. Fam. 76. - Ausschnitte (Fotos): dg.
7. Maria Brugger. In: Deutschlands, Österreich-Ungarns und der Schweiz Gelehrte, Künstler und Schriftsteller in Wort und Bild. Bio-bibliographischer Verlag Albert Steinhage, Hannover 1908-1911, hier Band 2, 1910, S. 103. - Wikipedia.
8. - 11. cg + dg, April 2018. 

Anmerkungen:

(1) Piotr Obrączka, Brüningowie. Przycznek do biografii nadburmistrza Bytomia, in: Orbis Linguarum, Vol. 47, Dresden - Wroclaw 2018, S. 251ff. -
(2) Cyfrowa Biblioteka Bytomskiej Architektury – architekturabytomia.org – 08.07.2018.
(3) Piotr Obrączka, Między Bytomiem a Opolem, Bytom 2014, S. 10. - Siehe auch ders., Teksty Bytomskie i Opolskie, Klielce 2019, S. 11ff. - Siehe auch ders.: O Nadburmistrzu Brüningu - i inne Skzkice, Bytom 2015, S. 12.
(4) Przemysław Nadolski: Georg Brüning – ein hochangesehener Bürgermeister, zyciebytomskie.pl, Ausgabe vom 04.11.2022, besucht am 12.06.2023: Otrzymał tę willę na własność za swe zasługi dla miasta.
(5) Magdalena Goik u.a., Frau in der Geschichte und Gegenwart von Bytom Beuthen, Bytom 2011, S. 73.
(6) Albert Brüning, Geschichte des Schulzenhofes Brüning und seiner Familie in Enniger, Maschinenschrift, als Manuskript gedruckt, Bonn - Bad Godesberg 1975.
(7) LWL AAW Archivamt für Westfalen, Archiv Erpernburg, Erp. Fam. 76.
(8) Georg Anton Kayser, *3.06.1930 in Berlin, (†2016) lebte in Lemgo, war Kreistierarzt in Lippe und Verfasser der autobiografische Erzählung „Zwischen Sand und Lehm“, Egelsbach (Fouqué) 1999.
(9) ... der der damals noch nicht geborenen jüngsten Tochter Dorothea "Dora"(*1905) ... (Georg und Dorothea Brüning) ... Dora heiratete 1926 in Beuthen den zweiundzwanzig Jahre älteren Dr. phil. August Kayser und feierte ihre Vermählung bei den Eltern in Brünings großer Villa. Kayser, a.a.O., S. 188.
(10) Kayser, Sand und Lehm, a.a.O., S. 138f. - Nach den Aufzeichnungen Albert Brünings (1975) zog Dora nach dem Tode ihres Vaters (1932) nach Lemgo, wo Sohn Georg als Veterinär lebte.
(11) Die Seite "Digitale Bibliothek Beuthener Architektur" unterscheidet Ausgewählte Bauten in Bytom und Andere Bauten, zu denen man über 20 Gebäude in Saarbrücken, Stadtvillen in Neunkirchen ... zählt. http://alte.architekturabytomia.org/de/osoba/show/Brugger+Karl, besucht am 16.06.2023.
(12) Staatsarchiv Opole (Oppeln), Archiwum państwowe, Jednostka aktowa: 45/1191/0/40/117128, Acta personalia des Stadtbauraths Karl Brugger in Beuthen (Bytom) O.S. (Oberschlesien), vgl. auch Wikipedia.
(13) https://fotopolska.eu/Bytom/b33446,Willa_nadburmistrza_Georga_Brüninga
(14) Zur Person vgl. Stadt Bytom, bytomski.pl/czeslaw-czerwinski-zatrzymal-bytom-w-czasie-byl-wielkim-milosnikiem-bytomia - besucht am 12.06.2023.

 
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