aktenlage
Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686


Piotr Obrączka – Uniwersytet Opolski – Universität von Oppeln (Opole):

Die Brünings

Ein Beitrag zur Biographie des Bürgermeisters von Bytom

In diesen Tagen erschien Heft 47 der Zeitschrift ORBIS LINGUARUM, die vom Institut für Germanische Philologie der Universität Wrocław herausgegeben wird.
In vier Sprachen (Polnisch, Deutsch, Englisch und Französisch) veröffentlicht ORBIS LINGUARUM Beiträge zur Literaturgeschichte, Fremdsprachendidaktik, Geschichte der deutschen und polnischen Kultur in Schlesien und Linguistik.[1]

Bearbeitung: Dieter Gewitzsch

Piotr Obrączka wendet sich ausdrücklich der Herkunft und der Familie des am 12. August 1851 auf Gut Botzlar bei Selm geborenen Georg Brüning zu und bemerkt, dass schon mehrfach über die Verdienste des langjährigen Oberbürgermeisters der Stadt Beuthen (1883-1919) und seine Ehrungen geschrieben wurde, während sein Privatleben und das Schicksal seiner Kinder weniger Beachtung fanden. – „aktenlage.net“ nimmt diesen Aspekt auf und folgt dabei dem Aufsatz Prof. Obrączkas.[2] 

Am 20. November 1882 wählte der Stadtrat von Beuthen Georg Brüning einstimmig zum ersten Bürgermeister der Stadt. Brüning war zu der Zeit als Spezialkommissar der Generalkommission zu Münster[3] in Warburg beschäftigt. Die feierliche Einführung in das Amt erfolgte am 13. März 1883. 

Wenige Wochen später heiratete er am 30. Mai 1883 in Warburg die vierzehn Jahre jüngere Dorothea Köhne (* 20. Februar 1865), das jüngste Kind des Hotelbesitzers August Köhne und seiner Frau Fernanda, geb. Pieper.

In Beuthen wurde Dorothea Brüning auch mit den karitativen Aktivitäten vertraut gemacht, die von ihr als Frau des Bürgermeisters erwartet wurden. In einem Album über Frauen in der Geschichte von Bytom erscheint sie als unermüdliche soziale Aktivistin, die Hilfe für behinderte Kinder, Jugendliche und Personen, die bei Arbeitsunfällen verletzt wurden, organisierte. Sie wurde als herzlich, geduldig, liebevoll beschrieben und galt unter ihren Zeitgenossen als Vorbild weiblicher Würde, als wunderbare Ehefrau und Mutter, als Mensch mit einem weiten Horizont.[4]

Den Autoren, die bisher über den Bürgermeister schrieben, war bekannt, dass die Eheleute Brüning viele Nachkommen hatten; sie zählten fünf, manchmal sieben, zehn und noch mehr Kinder. Prof. Obrączka gelang es, in staatlichen und kirchlichen Archiven sowie im Standesamt Bytom zwölf Kinder zu identifizieren und deren Lebensdaten zu ermitteln. Es waren sechs Töchter und sechs Söhne, von denen nur zwei die Eltern überlebten: 

Ernst Reinhold Stanislaus, *2. Mai 1884, †2. September 1914
Margarethe Sophie Emilie, *28. April 1887, †12. Dezember 1893
Hedwig, *28. August 1888, †15. Juli 1900
Ruth, *28. August 1888, †9. Juli 1900
Wilhelm, *12. Oktober 1889, †09. Dezember 1893
Rudolph Paul, *5. Januar 1891, †12. Juli 1900
Magdalene, *17. Juli 1892, †20. Februar 1893
Georg, *31. August 1893, † 1917
Reinhold, *13. Oktober 1894
Johannes, *11. August 1896, †3. März 1911
Maria, *2. November 1901, † 1906
Dorothea, *29. März 1905, †19. Oktober 1999 

In den ersten zehn Jahren von 1883 bis 1892 vergrößerte sich die Familie des Beuthener Bürgermeisters beständig. Nach der Geburt des ersten Kindes Ernst Reinhold Stanislaus am 2. Mai 1884 folgten 1887 die Tochter Margarethe, 1888 die Zwillinge Hedwig und Ruth und ein Jahr später der zweite Sohn Wilhelm (1889). Rudolph erblickte 1891 das Licht der Welt und 1892 folgte ein weiteres Mädchen: Magdalene. Zur Jahreswende 1892/93 hatten der 41-jährige Georg Brüning und seine 27-jährige Frau Dorothea sieben Kinder, vier Mädchen und drei Jungen. 

Beuthen hatte zu dieser Zeit sein altes kleinstädtisches Gewand[5] längst abgestreift. Bergbau und Hüttenindustrie begründeten einen stetigen wirtschaftlichen Aufschwung, der die Stadt rapide anwachsen ließ. Von 1885 bis 1900 verdoppelte sich die Zahl der Einwohner fast von rund 26.000 auf 51.000.[6] Wie in anderen Industriestädten bescherte der rasante Wandel den für Beuthen Verantwortlichen besondere Herausforderungen, darunter die Bekämpfung der Infektionskrankheiten Masern, Keuchhusten, Scharlach und Diphtherie, denen vornehmlich Kinder im Alter von bis zu sechs bzw. bis zu vierzehn Jahren zum Opfer fielen.[7] Die Stadt nahm den Kampf auf und später belegten Statistiken, welch gewaltige Arbeit der Stadthygiene in Beuthen geleistet[8] wurde: Um 1910 lag die Zahl der an den genannten Krankheiten gestorbenen Kinder deutlich unter dem langfristigen Mittelwert. Es war eine Art Wettlauf, die Erfolge stellten sich erst nach und nach ein und bis es soweit war, forderten weitere Epidemien das Leben sehr junger Menschen. 

1892 erreichte die Kindersterblichkeit im Stadtkreis Beuthen Höchstwerte. Jedes 33. Kind unter fünfzehn Jahren fiel einer der Infektionskrankheiten zum Opfer. Allein an Masern starben in diesem Jahr vierzehn von tausend kleinen Kindern im Alter bis zu sechs Jahren. Ein Jahr später war es nicht besser, die Sterberate blieb insgesamt gleich, doch nun war der Keuchhusten häufigste Todesursache bei den kleinen Kindern und Scharlach bei den Kindern bis 14 Jahren. – Zum Vergleich: Zwanzig Jahre später (1913) starben von tausend Kindern unter fünfzehn Jahren weniger als fünf an einer der genannten Krankheiten. 

Die Epidemien verschonten Familie Brüning nicht. 1893 verlor das Ehepaar gleich drei ihrer Kinder, von denen zwei an Scharlach starben. Im Februar erlag Tochter Magdalene im Alter von sieben Monaten einer Lungeninfektion. Dorothea Brüning war mit ihrem achten Kind schwanger und brachte Ende August den vierten Sohn der Familie, Georg, zur Welt. Im Dezember des Jahres erkrankten dann zwei Kinder an Scharlach. Der vierjährige Wilhelm starb am 9. Dezember und nur drei Tage später die sechsjährige Margarethe.  

Im Jahre 1900 nahm die Diphtherie den Brünings in einer Woche drei weitere Kinder. Die elfjährigen Zwillingsschwestern Ruth und Hedwig und der neunjährige Rudolf Paul erlagen im Juli des Jahres der Krankheit, die auch den älteren Kindern gefährlich werden konnte. Um die Jahrhundertwende starben zwar anteilig weniger Kinder an den erwähnten Infektionskrankheiten als in den frühen 1890er Jahren, aber von Zeit zu Zeit meldeten sich die Seuchen zurück. 

Der älteste Sohn, der erstgeborene Ernst, war inzwischen sechzehn Jahre alt. Ihm blieben nach dem traurigen Jahr 1900 drei deutlich jüngere Geschwister, der siebenjährige Georg (*1893), der sechsjährige Reinhold (*1894) und der vierjährige Johannes (*1896). Die Brünings bekamen danach noch zwei Mädchen: Maria wurde 1901 geboren und verstarb nicht einmal fünfjährig im Jahre 1906. Ein Jahr zuvor hatte Dorothea das Licht der Welt erblickt.  

Zwei Söhne starben im Ersten Weltkrieg. Ernst Brüning, im Zivilleben in der Bergbauverwaltung tätig, fiel am 2. September 1914 an der Front in Frankreich; er wurde dreißig Jahre alt. Sein neun Jahre jüngerer Bruder Georg war Jurastudent und starb mit vierundzwanzig Jahren am 5. April 1917 in Russland.  

Als besonders tragisch wurde der Tod des 1896 geborenen Sohnes Johannes („Hans“) empfunden, dessen Umstände schockierten und weite Kreise der Öffentlichkeit betroffen machte: Der vierzehnjährige Gymnasiast wurde am 3. November 1911 von einem Mitschüler unbeabsichtigt angeschossen und starb einen Tag später in der Klinik an seine Verletzungen.  

Über den Lebensweg der verbliebenen Geschwister Reinhold (*1894) und Dorothea (*1905) schreibt Piotr Obrączka, dass Reinhold Schüler des „Gymnasium zu Warburg“ war, sein Abitur aber in seiner Heimatstadt Beuthen ablegte. In Münster studierte er zunächst Landwirtschaft, dann schloss er sich den Benediktinern in Niederschlesien an und lebte in Grüssau (Krzeszów, Teil der Gemeinde Kamienna Góra) und in Rio de Janeiro. Nach dem Verlassen des Klosters und der Rückkehr nach Deutschland studierte er kurz Theologie in Breslau. Reinhold Brüning heiratete die Beuthenerin Maria Kayser (* 4.09.1897, †27.10.1972 in Telgte). Die Ehe blieb kinderlos.  

Das jüngste Kind, die nach ihrer Mutter genannte Dorothea (* 29. März 1905, †19. Oktober 1999 in Lemgo) absolvierte eine Lehrerausbildung und heiratete im Dezember 1926 August Kayser (*18.05.1882, †25.09.1965). Das Paar hat Kinder und Enkelkinder. 

Siehe auch: Zu Botzlar geboren, in Bytom geehrt: Georg Brüning (1851 – 1932)

Die „Brünings zu Botzlar“ bleiben Gegenstand weiterer Recherchen. 

August 2018
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[1] Stichwort ORBIS LINGUARUM auf der Seite: ifg.uni.wroc.pl/magazine/orbis-linguarum/?lang=de – 08-07-2018.
[2] Piotr Obrączka, Uniwersytet Opolski: Brüningowie. Przyczynek do biografii nadburmistrza Bytomia – in: Orbis Linguarum Vol. 47, Dresden – Wrocław 2018, S. 251ff.
[3] Generalkommission: Behörde zur Regulierung der gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse.
[4] Obrączka zitiert: M. Goik, E. Horwat, I. Wójcik-Kühnel: Kobieta w dziejach i współczesności Bytomia, Bytom 2011, s. 73.
[5] Erwin Stein (Hrsg.), Monographien deutscher Städte, Band XV, Beuthen O/S., Berlin 1925, S. 17.
[6] Roman Smolorz: Beuthen/Bytom. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2014. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32424 (Stand 11.02.2015).
[7] Heinrich Schipper, Ueber Kindersterblichkeit an den Infektionskrankheiten Keuchhusten, Masern, Scharlach und Diphtherie in der Provinz Schlesien, Diss. Univ. Bonn, Bottrop 1938, S.11.
[8] Schipper, a.a.O., S. 17. 

 
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