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Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686

Kaiserbesuch 1910: 
Oberbürgermeister Georg Brüning vertritt die gastgebende Stadt Beuthen

Dieter Gewitzsch

Folgt man dem, was in der Tageszeitung „Der oberschlesischen Wanderer“ im „Beuthener Brief“ zum Kaiserbesuch geschrieben wurde, dann erfüllte der Oberbürgermeister alle Obliegenheiten, die dem Repräsentanten der Gastgeberin auferlegt sind, mit hohem Takt und größter Ruhe und Gewandtheit. Brünings Rede habe wegen ihrer edlen Form und der Präzision des Ausdrucks ... allseitig hohe Bewunderung gefunden. Aus mehr als einem Anzeichen sei zu ersehen gewesen, dass das Stadthaupt die volle Sympathie des Herrschers gefunden hatte.[1]

Als sich die Repräsentanten von Staat und Stadt im November 1910 in Beuthen begegneten, brachten beide langjährige Erfahrungen in ihren so unterschiedlichen Ämtern und Positionen mit. Georg Brüning, inzwischen 59 Jahre alt, war seit 27 Jahren Bürgermeister und befand sich seit 1907 in seiner dritten Amtszeit. Der 51jährige Wilhelm II. war seit 22 Jahren deutscher Kaiser.

Von 1848 bis 1918 war Preußen eine konstitutionelle Monarchie. Formell blieb der König die ranghöchste Institution, aber praktisch lag die staatliche und politische Kontrolle bei der Regierung und nicht mehr beim Monarchen. Adliger Grundbesitz hatte als Basis ausgeübter Herrschaft an Bedeutung verloren. Begründet durch Reichtum und wirtschaftlichem Erfolg nahm das Bürgertum seinen Platz in Staat und Gesellschaft ein. Das herrschende Königtum hatte in dem Maße an Bedeutung verloren, wie der Aufgabenumfang des bürokratischen Staats zunahm. Die „neue“ Machtelite im preußischen Oberschlesien (Regierungsbezirk Oppeln) zur Zeit des Deutschen Reiches (1871-1918), in die auch die Bürgermeister der größeren Städte einbezogen wurden, hat Jakub Grudniewski untersucht. (Vgl. Literaturhinweis unten!)

Brünings Rede bediente das Protokoll und entsprach stilistisch den Erwartungen. Die wohlüberlegten Worte waren durchaus politisch. Aus der Rede des Oberbürgermeisters sprach das Selbstbewusstsein, mit dem eine erfolgreiche Stadt auch stellvertretend für die Region dem Staatsoberhaupt respektvoll gegenübertreten konnte. 

Brüning findet die richtigen Worte

Friedrich den Großen, dem das Denkmal gewidmet ist, bezeichnet Brüning als den großen Feldherrn, mit dem er den weisen Staatsmann verbindet, der mit staatlicher Ordnung das Fundament wirtschaftlicher Blüte legte. Brüning schreibt zwar Friedrich II. zu, dass er in Oberschlesien den Bergbau begründete, nennt aber dann die eigentlich verantwortlichen königlichen Beamten, den Minister von Heinitz und den Berghauptmann von Reden.

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Der Oberbürgermeister bemerkt, dass Friedrich II. volkswirtschaftliches Talent bewiesen habe, als er die Bedeutung der damals noch völlig unbeachteten Steinkohle erkannte und so den Grundstein zu der heutigen unvergleichlichen Entwicklung des oberschlesischen Industriebezirks legte und betont, dass das Standbild aus Liebe zur Heimat und Dankbarkeit gegen das Haus Hohenzollern in einem Brennpunkt gewerblichen Lebens und fleißiger Arbeit errichtet wurde.

Es gelingt dem Redner immer wieder, die angesprochenen Aspekte mit der Stadt und der Region zu verbinden. So werde der kaiserliche Besuch in dem Gedächtnisse der Bewohner unserer Stadt fortleben und als kostbares Merkblatt in dem Buche ihrer kommunalen Verwaltung eingefügt bleiben.

Gern bringe man dem Kaiser zur Kenntnis, dass man in Beuthen mit Stolz und Dankbarkeit auch der [heimischen] Stifter und des Bildners des Denkmals gedenke.
Dann bittet Brüning den Gast, Majestät wollen den Befehl zur Enthüllung des Denkmals zu geben geruhen.
Schließlich der Aufruf an die die Bürgerschaft, einzustimmen in einen Hochruf auf den großen König und den aktuellen Spross des Hauses Hohenzollern: Hurra.

Georg Brüning würdigt die königlichen Entscheidungen und erinnert an die Beiträge der Spitzenbeamten, er erliegt aber nicht der Versuchung, „untertänigst“ zum Ausdruck zu bringen, dass alles, was Stadt und Region vorzuweisen haben, allein der Obrigkeit zu verdanken sei. Der Oberbürgermeister hat sehr genau die „mittlere Reichweite“ gesamtstaatlichen Wirkens im Blick, die Grundlagen sichert und Rahmen schafft, die er in Oberschlesien erfolgreich ausgefüllt sieht.

Die in der Rede erwähnte „Bergordnung“ wurde mit Datum vom 5. Juni 1769 als eine revidierte Bergordnung für das souveräne Herzogtum Schlesien und die Grafschaft Glatz erlassen und folgte dem Muster der „Klevisch-Märkischen“ aus dem Jahre 1766.[2]  Das Regelwerk bestimmte u.a., dass Kirche, Schule, die Knappschafts- und die Armenkasse Kuxe (Anteile am Bergwerk) erhalten sollten. Friedrich II. wusste, dass mit der Errichtung von Bergwerken oder Hüttenbetrieben in einem bislang dünnbesiedelten Raume neue Dörfer und Städte entstehen würden. Es mußte also Kapital für Kirchen und Schulbauten angesammelt werden. ... Entscheidend für die Zukunft des deutschen Bergwesens war die gesetzliche Verankerung der Knappschaftskassen.[3]

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Friedrich Anton Freiherr von Heinitz
(geb. 1725 in Dröschkau bei Torgau - gest. 1802 in Berlin)
Seit 1743 an der Saline Kösen und in der Dresdner Bergverwaltung. 1762 Vizeberghauptmann des Unterharzer Bergbaues. 1763 zum sächsischen Generalbergkommissar und Leiter des Berg- und Forstwesens berufen. 1765 gründet er mit Friedrich Wilhelm von Oppel die Bergakademie in Freiberg. 1777 beruft ihn Friedrich der Große zum Wirklichen Geheimen Etats-, Kriegs- und dirigierenden Minister und als Oberberghauptmann zum Leiter des preußischen Berg- und Hütten-, ab 1786 auch des Salinenwesens, wo er sich bis zu seinem Tod unsterbliche Verdienste erwirbt.[4]
Heynitz rief seinen Neffen Friedrich Wilhelm von Reden nach Berlin und übertrug ihm 1779 die Leitung des schlesischen Berg- und Hüttenwesens.[5]

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Friedrich Wilhelm Graf von Reden
(* 23. März 1752 in Hameln; † 3. Juli 1815 auf Schloss Buchwald, in Buchwald im Riesengebirge)
war ein schlesischer Berghauptmann, ein preußischer Oberberghauptmann sowie Minister.[6]

Reden war anfangs im Bergbauministerium unter seinem Onkel tätig, begleitete diesen auf Dienstreise durch Schlesien und absolvierte schließlich seine Eignungsprüfungen mit Bravour. Er stieg auf zum Direktor des Oberbergamtes in Breslau und erarbeitete einen Entwicklungsplan für das Bergbau- und Hüttenwesen in Schlesien, woraufhin zunächst die königlichen Hüttenwerke modernisiert (Malapane / Orzimek), der Erzabbau in Tarnowitz wiederbelebt und die Verwaltungsstrukturen des schlesischen Bergbaus neu geordnet wurden. Von Reden gründete 1786 die Friedrichshütte, 1796 die Gleiwitzer Hütte, 1802 die Königshütte und 1804 die Berliner Eisengießerei.[7]


„Beuthen und Umgebung“ – Reiseempfehlung für ein Industrierevier

Die Rede des Oberbürgermeisters stellt Beuthen als Standort des Bergbaus und der Hüttenindustrie vor und fokussiert die Botschaft auf die wirtschaftliche Bedeutung der Region. Wie sehr Brüning mit seinen Worten das Selbstbild und die zeitgenössische Wahrnehmung des Oberschlesischen Industriegebietes traf, lässt sich mit einem Blick in das 1905 von Leo Woerl herausgegebene Reisehandbuch „Illustrierter Führer durch Beuthen O.-S. und Umgebung“ [8] verdeutlichen:

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Ein Besuch der Stadt führe in den Mittelpunkt eines der bedeutendsten Industriebezirke Deutschlands und werde für den Fachmann höchst anregend sein, verspricht das Vorwort um dann die spezielle Attraktivität einer Gegend zu beschreiben, die ohne die lieblichen Bilder voll Licht und Sonnenschein auskommen muss, in der Waldesgrün und schattige Anlagen ... nicht ganz fehlen und in der nur manchmal ein freies Feld oder ein Streifen Wald das geschäftige Leben unterbricht. Dieser Landstrich kenne kein dolce far niente, hier zeige sich die Kraft des menschlichen Geistes, der sich die Erde untertan macht. Der Weg des Besuchers führe – immer an Hütten und Gruben vorbei – durch Dörfer und Städte, über welche ein schwarzer Kohlendunst lagert. An diesen Orten überwiegen qualmende Schornsteine, fauchende Dampfkessel und rauchende Halden. Über und unter der Erde stampfen Hämmer und wimmeln Menschenkinder schaffend durcheinander.

Das Buch wolle dem Fremden eine klares Bild von dem Mittelpunkte der oberschlesischen Industrie geben. Beuthen sei ein günstiger Ausgangspunkt, den ganzen großartigen Betrieb des oberschlesischen Bergbaus kennen zu lernen. Die Stadt habe sich infolge des Aufblühens der Industrie sehr gehoben und gewähre dem Fremden einen lohnenden und angenehmen Aufenthalt.

Vor diesem Hintergrund wundert nicht, dass eine Abordnung schlesischer Bergleute bei der Enthüllungsfeier zugegen war:

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Die Hülle des Denkmals fällt

Auf Befehl des Kaisers wurde das Denkmal, das seinen großen Ahn darstellt, enthüllt und der „Wanderer“ beobachtete, dass der salutierende Monarch mit Befriedigung auf Tuaillons Meisterwerk schaute. Auf dem anschließenden Rundgang unterhielt sich Wilhelm II. mit den ihn führenden und begleitenden Herren [9], wobei er den Schöpfer des Denkmals, Professor Tuaillon, in ein längeres Gespräch zog. – Die Szene wurde im Bild festgehalten:

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Louis Tuaillon
(* 7. September 1862 in Berlin; † 21. Februar 1919 ebenda)
war ein deutscher Bildhauer und Medailleur sowie Hochschullehrer. – 1910 erhielt er die Ehrendoktorwürde der Berliner Universität. 1912 wurde er in den Orden Pour Le Mérite für Wissenschaften und Künste aufgenommen. Im Jahr 1916 wurde er zum Ehrenmitglied der Dresdner Kunstakademie ernannt.[10]

Dank und Auszeichnungen

Am Montag nach dem großen Ereignis ließ der Oberbürgermeister der Bürgerschaft den Allerhöchsten Dank ausrichten. Der „Wanderer“ veröffentlichte in der Rubrik „Letzte Depeschen“ Brünings Bekanntmachung nach der „Se. Majestät der Kaiser ... Seiner hohen Befriedigung über den ihm bereiteten festlichen Empfang und den prächtigen Schmuck der Straßen und Häuser der Stadt wiederholten Ausdruck gegeben“ habe.

Bei Besuchen dieser Art nahm der Monarch nicht nur die üblichen Huldigungen der ihn verehrenden Gastgeber entgegen, sondern nutzte die Gelegenheit, ihm genehme Personen zu würdigen und auszuzeichnen:

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Unter den im Staatsarchiv Opole (Archiwum Państwowe w Opolu) verwahrten Akten der Bezirskregierung Oppeln (Rejencja Opolska) befinden sich auch die Personalakten Georg Brünings. Es sind drei Bände, die zusammen eine Laufzeit von 1874 bis 1932 abdecken. Der dritte Band (Nr. 7788) enthält die Notiz mit der die Provinz Schlesien den Bezirk Oppeln über Brünings Auszeichnung informiert:

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Mai 2023  

Bildnachweise:

1. Der Oberschlesische Wanderer, Nr. 273, S. 2, 28.11.1910, Śląska Biblioteka Cyfrowa, Schlesische Digitale Bibliothek.
2. Von Anton Graff - Gemälde der Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden., gemeinfrei, commons.wikimedia.org.
3. Gemeinfrei, commons.wikimedia.org.
4. Von Anonym, gemeinfrei, commons.wikimedia.org.
5. Die Woche, 1910, Nr. 49, S. 2073, gemeinfrei, Internet Archive.
6. Die Woche, 1910, Nr. 49, S. 2073, gemeinfrei, Internet Archive.
7. Der Oberschlesische Wanderer, Nr. 272, S. 5, 26.11.1910, Śląska Biblioteka Cyfrowa, Schlesische Digitale Bibliothek.
8. Archiwum Państwowe w Opolu (Staatsarchiv) Rejencja Opolska (Bezirksregierung) Wydział I (Abteilung I) sygn.7788 (Nr. 7788) – Foto. Dieter Gewitzsch
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1. Der oberschlesische Wanderer, Nr. 279, 5. Dezember1910, S. 2 in: Śląska Biblioteka Cyfrowa, Schlesische Digitale Bibliothek, sbc.org.pl.
2. W. Schlüter, Das Allgemeine Berggesetz für die Preußischen Staaten von 1865 bis 1925 in: Glückauf, Berg- und Hüttenmännische Zeitschrift, Nr. 41 vom 10.10.1925, S. 1278.
3. Wilhelm Matull, Ostdeutschlands Arbeiterbewegung, Würzburg 1973, S. 145ff.
4. Staatliche Geologische Dienste Deutschlands, bgr.bund.de/infogeo/DE, besucht am 23.04.2023.
5. wikipedia.org, Friedrich Anton von Heynitz, besucht am 23.04.2023.
6. wikipedia.org, Friedrich Wilhelm Graf von Reden, besucht am 23.04.2023.
7. nat.museum-digital.de/object/1066579, besucht am 23.04.2023.
8. Leo Woerl (Hrsg.), Illustrierter Führer durch Beuthen O.-S. und Umgebung, Leipzig 1905, S. 5ff.
9. Der OW notiert in Nr. 273 vom 28.11.1910, S. 2: Durch den Oberpräsidenten ließ sich der Monarch folgende Herren vorstellen: Prälat Schirmeisen, Superintendent Gericke, Stadtverordneten-Vorsteher Justizrat Galusche. Stadtbaurat Brugger, Geh. Bergrat Hilger, Geheimrat Remy, Geheimrat Uthemann, Kommerzienrat Riedt, Generaldirektor Stephan aus Beuthen, russischer Landrat Baron Mirbach, Oberlandesgerichtspräsident Vierhaus, Landesgerichtspräsident Westphal aus Beuthen, sowie Sanitätsrat Dr. Mannheimer.
10. archinform.net/arch/74168 - besucht am 19.12.2022.

 
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