Biografische Skizzen:
Franz Jakob von Hilgers, Landrat und Abgeordneter, * 1810 – † 1877
Dieter Gewitzsch
Jugend und Ausbildung (1830 - 1845)
Schule und Studium
Franz Jakob von Hilgers[1], der älteste Sohn des Neuwieder Landrats, verbrachte seine Jugend auf dem früher zu Nassau gehörigen väterlichen Gut Heister und erhielt dort seine erste Erziehung durch Haus-Lehrer. Später besuchte er die nahegelegenen Gymnasien in Köln und Koblenz. Schon während der Schulzeit zeigte sich seine schwache Gesundheit, weshalb er wohl mehrmals eine Zeit lang nach Hause zurückkehrte. Ostern 1830 „bezog“ der gerade zwanzigjährige Hilgers die Bonner Universität und studierte Rechts- und Staatswissenschaften. „Reiselust“ und der Abgang vieler Bekannter veranlassten ihn schon nach einem Jahr, das ihm werte Bonn in Richtung München zu verlassen, um dort Naturwissenschaften zu studieren. Doch nach einigen Vorlesungen trieb es ihn weiter und er verbrachte den größten Teil des Sommers 1831 auf Reisen durch Österreich, Tirol und Oberitalien. Im Spätherbst „gab er sich Bonn zurück“, um an diesem Ort der Militär-Dienst-Pflicht zu genügen und zugleich seine Studien fortzusetzen.
Es war nicht unüblich, den Militärdienst mit dem Studium zu verbinden oder später in die Vorbereitungszeit zum Staatsdienst fallen zu lassen. Reserveoffizier zu sein, gehörte zwar nicht zu den erklärten Voraussetzungen für eine Verwaltungskarriere, verschaffte aber bei Personalentscheidungen einen Vorteil für den „gedienten“ Bewerber.[2] Hilgers nannte es eine „übel gebaute“ Brust, wegen der er vom Militärdienst befreit wurde. Er blieb noch zwei Semester in Bonn, besuchte die Vorlesungen, und ging zu gleichem Zweck im Herbst 1832 nach Berlin, wo er ein Jahr später seine Universitäts-Studien beendete.[3]
Holpriger Start in den Staatsdienst
Auf das ausdrückliche Verlangen des Vaters meldete sich Hilgers bei dem Aachener Regierungspräsidenten von Reimann, um in den Dienst der dortigen Königlichen Regierung einzutreten. Sein Start in den Staatsdienst war holprig, die Prüfung zum Regierungsreferendar fiel unbefriedigend aus, so dass er am 11. Januar 1834 nur vorläufig als Auskultator beim Regierungskollegium Aachen eingestellt und vereidigt wurde. Hilgers befand sich damit auf der untersten Stufe der Lernenden als „Zuhörer“, der den Gremien ohne Stimme beisitzt.[4] Wie lange er Auskultator sein sollte, war nicht generell festgelegt, sondern richtete sich nach dem Ausbildungsfortschritt.[5] Ein Jahr später reichte es für eine bestandene Prüfung und die Ernennung zum Referendarius am 27.01.1835. Im Regelfall erstreckte sich ein Referendariat über dreieinhalb Jahre und schloss mit dem „großen Staatsexamen“, der Prüfung zum Regierungsassessor, vor der Ober-Examinations-Kommission in Berlin ab.[6] Eine Ernennung zum Assessor und weiterhin zum Rat und damit die Aufnahme in den höheren Verwaltungsdienst waren vom Bestehen dieser Prüfung abhängig.
Referendariat
Hilgers verbrachte sechs Jahre im Referendariat, er arbeitete in verschiedenen Departements der Regierung und erhielt von den Abteilungsleitern insgesamt fünfzehn Zeugnisse. Die Nachweise geben Auskunft über die Sachgebiete und enthalten Bemerkungen zur Qualität der Arbeit und des Kenntnisstandes. Im September 1840 lagen diese Papiere zusammen mit einem knapp gefassten „Zeugnis“ des Aachener Regierungspräsidenten, dass der Referendar nun die erforderliche Reife... [habe], um zur höheren Staats-Prüfung zugelassen werden zu können,[7] bei der Prüfungskommission für höhere Verwaltungsbeamte in Berlin; dort versuchte man, sich über die Ausbildung und den Bewerber ein Bild zu machen.
Zulassung zur Staatsprüfung mit Hindernissen: „Zeugnis der Reife“
Obwohl kein Ausbildungsplan bekannt ist, sollte der Referendar wohl in allen Geschäftsbereichen der Regierung Aachen gearbeitet haben, bevor ihm das Zeugnis der Reife als Voraussetzung für die Zulassung zur höheren Staatsprüfung erteilt wurde. Es ist anzunehmen, dass ein Referendar im Regelfall für vier Monate einem Dezernat zugewiesen wurde. Jedenfalls war die Dauer nicht beliebig, denn ein Hilgers-Zeugnis hielt fest, dass er im betreffenden Departement während einer, die regulativmäßige Dauer bereits überschreitenden Periode beschäftigt gewesen ist. Fleiß und Eifer sollte ein Referendar zeigen und seine zumeist schriftlichen Arbeiten eine bestimmte Qualität der Sprachbeherrschung aufweisen. Er hatte sich mit den gesetzlichen und "instruktionellen" Bestimmungen des Geschäftsbereichs vertraut zu machen, also genügende „Kenntnis“ nachzuweisen. Zur dem erklärten Ziel der Ausbildung – der „Reife“ – gehörte auch die Fähigkeit zur selbstständigen Übernahme von Aufgaben im Rahmen des Dezernats.
Wechselnde Interessen und uneinheitliche Leistungen
Insgesamt waren Hilgers‘ Leistungen gewissen Schwankungen unterworfen. Traf der Aufgabenbereich sein Interesse, so arbeitete er sich mit Fleiß in die Grundlagen des Sachgebietes ein, zeigte sich völlig kundig und offenbarte einen „praktischen Sinn“. Vielleicht fand die Beschäftigung mit Standessachen und der Kreisverwaltung sein Interesse, weil er in einer Landratsfamilie aufwuchs und im Heimatkreis Neuwied das Neben- und Miteinander von Standesherrschaft und preußischer Verwaltung erfahren konnte. Ob mäßiges Engagement auf fehlendes Interesse zurückzuführen ist oder ob Hilgers an seine Grenzen stieß, darüber geben die Beurteilungen keine schlüssige Auskunft. Die Schwäche seiner schriftlichen Arbeiten wurde schon früh bemerkt und es findet sich auch kein Hinweis, dass er sich im Laufe der Ausbildung verbessern konnte.
Berlin kritisiert das Aachener Zeugnis
In Berlin hatte die Prüfungskommission für höhere Verwaltungsbeamte einige Probleme mit Hilgers‘ Bewerbung, und zwar zunächst mit den von der Aachener Regierung eingereichten Unterlagen. Regierungspräsident Cuny[8] erregte Missfallen, weil er sich auf die fünfzehn Zeugnisse seiner Abteilungsleiter berief und in seinem „Zeugnis“ neben einigen Angaben zur Person lediglich feststellte, dass Hilgers sich mit den Verwaltungszweigen soweit praktisch bekannt gemacht und die erforderliche Reife erlangt hat, um zur höheren Staatsprüfung zugelassen werden zu können. Dem folgte noch der abschließende Satz: Hinsichtlich seiner moralischen Führung ist mir nichts Nachtheiliges bekannt geworden.
Der Ober-Examinations-Kommission war das zu wenig, sie beschwerte sich beim Staatsministerium (Innenminister von Rochow und Finanzminister von Alvensleben) und bemängelte die Aussagefähigkeit von gleich fünf Einzelzeugnissen. Gegenüber dem Regierungspräsidenten ließe sich die Sache mit einer Rüge erledigen, fand die Kommission, zumal wir bei der Prüfung selbst auf den p. von Hilgers um desto aufmerksamer sein werden.[9] Man wolle den Referendar zur Prüfung zulassen und ihm drei Probearbeiten aufgeben.
Kandidat mit Bedenken zur Staatsprüfung zugelassen
Im Januar 1841 schlossen sich die beiden Minister den Vorschlägen der Prüfungskommission an und bemerkten, dass es nach den bisher gemachten Erfahrungen allerdings zweifelhaft erschein[e], ob der Dienst an dem Regierungs-Referendarius von Hilgers eine große Erwerbung machen werde, wogegen die ihm ertheilten Zeugnisse aber auch nicht der Art ... [seien], daß man ihm die Zulassung zum Examen verweigern ... [könne]. Cuny habe man mißbilligend zu erkennen gegeben, dass er bei der Ausfertigung des ... ertheilten Zeugnisses nicht die gehörige Sorgfalt angewendet hat ... und ihm empfohlen, für die Zukunft bei Ertheilung von dergleichen Zeugnissen eine gestrengere Beurtheilung der für den Antritt des Examens erforderlichen Reife eintreten zu lassen.[10]
Eine Rüge für die Bezirksregierung
Die Aachener Regierung wurde aber nicht nur hinsichtlich der Qualität der Zeugnisse gerügt, sondern auch wegen ihres Vorgehens im Jahre 1835. Damals wurde Hilgers, nachdem er die Prüfung zum Referendariat nicht bestanden hatte, zum Regierungs Auscultator ernannt und vereidigt. Die entsprechende Regierungs-Instruktion sah dieses Amt nicht vor.[11]
Cuny nahm ausführlich Stellung und bescheinigte Hilgers ausdrücklich die „Reife“, um zur Prüfung für den höheren Staatsdienst zugelassen zu werden. Von einer weiteren vorbereitenden Beschäftigung bei einem Regierungs-Kollegium sei keine Verbesserung mehr zu erwarten. Er wird nach meinem Urtheile nie ein ausgezeichneter Geschäftsmann werden; ich zweifle aber nicht, daß er ein brauchbares und zuverlässiges Mitglied eines Regierungs-Collegiums werden werde, wozu er auch nach seinen persönlichen Verhältnissen geeignet ist.[12] Ende März stellten die Minister in einem weiteren Schreiben an Cuny zunächst fest, dass Hilgers zugelassen sei und griffen dann die Feststellung von der nicht mehr erreichbaren Verbesserung auf: So qualifiziert gehöre Hilgers zu der Gruppe von Referendaren, die nach Verfügung von 1835 von dem Übergange in die höhere Amtslaufbahn abzuhalten seien. Auf dieser Grundlage hätte man Hilgers das Reifezeugnis verweigern sollen.[13]
Verzicht auf das Staatsexamen
Hilgers ließ sich Zeit, geriet mit den Probearbeiten in Verzug und wurde Anfang März 1842 von der Kommission erinnert, dass man Nachsicht gehabt hätte und nun die Abgabe ernstlich anmahnen müsse: Wenn … die 3 rückständigen Arbeiten nicht bis zum 31. December [1842] oder auch nur 24 Stunden später eingehen, so werden solche nicht angenommen und Sie weiterhin zur Prüfung nicht zugelassen werden.[14] Zehn Monate Verlängerung konnten sicher auch unter damaligen Bedingungen nicht als kleinlich bewertet werden, indes gelang es dem Prüfling wieder nicht, alle Arbeiten termingerecht vorzulegen. Er reichte eine Arbeit ein und bat zur Anfertigung der beiden letzten ... noch eine Frist von drei Monaten hochgeneigtest bewilligen zu wollen, da widrige Verhältnisse mich bisher abgehalten haben, mich unausgesetzt mit den Vorarbeiten zur Prüfung zu beschäftigen. Hilgers strapazierte damit zumindest die Geduld der Kommission. Recht unbefangen erlaubte er sich, das Verfahren zu „gestalten“: Sollte indeß meinem Gesuch solchergestalt nicht Folge gegeben werden können, so bitte ich mir wenigstens zwei andere Aufgaben mit 2-monatlicher Frist hochgeneigtest zu-theilen zu wollen, und beehre mich zu zeichnen …[15]
Die ihm zu Beginn der Ausbildung vorgehaltene Dürre und Unbeholfenheit hatte der inzwischen 32-jährige, in Berlin, Französische Straße Nr. 11, lebende Hilgers zumindest in den ihn selbst betreffenden Schriftsätzen abgelegt. Ohne Erfolg, sein forsches Schreiben erhielt den Vermerk, dass die Ausschlussfrist nicht aufgehoben werden kann, da er [Hilgers] zwei volle Jahre Zeit gehabt und die angeblichen Hinderungen, auf welche er sein Gesuch stütze nicht einmal angezeigt viel weniger nachgewiesen habe.[16]
Unschlüssigkeit und Krankheit
Über den verfehlten Abschluss der langjährigen Ausbildung und Hilgers‘ Verbleib in der Verwaltung gibt ein Bericht Auskunft, den Innenminister von Bodelschwingh 1846 aus Anlass der Landratswahl im Kreise Altenkirchen an den König schrieb: Anscheinend aus Unschlüssigkeit gab er [Hilgers] die zu den schriftlichen Probearbeiten erhaltenen Aufgaben der gedachten Commission zurück und trat, angeblich durch Krankheit an der Ablegung des Examens behindert, im Dezember 1843 bei der Regierung zu Coblenz als Referendarius wieder ein, von welcher er im Januar 1845 mit der interimistischen Verwaltung des Landrathsamtes zu Altenkirchen, die er noch jetzt führt, beauftragt wurde.[17] – Seinen Dienst als kommissarischer Landrat in Altenkirchen trat Hilgers am 8. Februar 1845 an.
August 2021 (aktenlage.net)
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Bildnachweise:
1 Von-Weise-Haus: Wohn- und Amtssitz des Landrats Philipp von Hilgers in Heister. –Foto: Dankward Heinrich, rheinweinbruderschaft.de.
2 Siegelmarke - Privatbesitz, Foto: dg
3 Albrecht von Alvensleben - Abb.: Familie von Alvensleben e.V.
4 Gustav von Rochow - Wikimedia Commons
5 Neuester Grundriss von Berlin 1832 (Ausschnitt) mapywig.org
6 Ernst von Bodelschwingh - Abb. Privatbesitz, Foto: dg
Quellen und Literatur:
[1] GStA, I. HA Rep. 125 Nr. 2120 – Hilgers bewarb sich 1840 bei der Prüfungskommission für höhere Verwaltungsbeamte um Zulassung zur Prüfung für den Höheren Dienst. – Text folgt dem dazu vorgelegten Curriculum vitae, ohne Datum.
[2] Dietrich Wegmann, Die leitenden staatlichen Verwaltungsbeamten der Provinz Westfalen 1815-1918, Münster 1969, S. 35f. – Wegmann illustriert die Bedeutung der Militärverhältnisse für die Anstellung als Landrat am Beispiel des Landratsamts Meschede, bei dessen Besetzung ein Referendar, der wegen Körperschwäche seiner Militärpflicht nur passim hat genügen können nicht berücksichtig wurde. a.a.O., S. 36.
[3] Zur Mitgliedschaft in studentischen Verbindungen gibt es in den Kösener Korpslisten folgende Hinweise: 26. Bonn (Rhenania) 1830. Nr. 96: Hilgers, Jakob Frhr. v., XX, Landrat a.D., † 1887; 19. Bonn (Borussia) 1836. Nr. 119: Hilgers, Philipp (d.J.) Frhr. v., Landrat a.D., † 1891.
[4] Vgl. Die Amtssprache, S. 15; Duden Fremdwörterbuch, Mannheim 1966: „Auskultant“.
[5] Wegmann, Verwaltungsbeamte Westfalen, a.a.O., S. 37.
[6] Wegmann, ebenda.
[7] GStA, I. HA Rep. 125 Nr. 2120 – Die Beschreibung der Ausbildung folgt den Zeugnissen.
[8] Cuny, Jacob Christoph von, seit Dezember 1837 Regierungspräsident in Aachen.
[9] GStA PK, I. HA Rep. 77 Nr. 1233 PA, Blatt 2 – 29.12.1840.
[10] GStA PK, I. HA Rep. 125, Nr. 2120 – 06.02.1841.
[11] GStA PK, I. HA Rep. 77 Nr. 1233 PA, Blatt 3 – Alvensleben an Rochow vom 19.01.1841.
[12] GStA PK, I. HA Rep. 77 Nr. 1233 PA – 17.02.1841.
[13] GStA PK, I. HA Rep. 77 Nr. 1233 PA, Blätter 10 und 11 – 26.03.1841.
[14] GStA PK, I. HA Rep. 125, Nr. 2120 – 01.03.1842.
[15] GStA PK, I. HA Rep. 125, Nr. 2120 – 30.12.1842.
[16] GStA PK, I. HA Rep. 125, Nr. 2120 – 02.01.1843.
[17] GStA PK, I. HA Rep. 77 Nr. 1233 PA, Blätter 12 bis 14 – 14.05.1846.