aktenlage
Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686

Biografische Skizzen:

Franz Jakob von Hilgers, Landrat und Abgeordneter, * 1810  † 1877 

Dieter Gewitzsch

Landrat in Altenkirchen (1846)

Kreistag präsentiert Hilgers als ersten Kandidaten für das Landratsamt Altenkirchen 1846

Die Landratsstelle im Kreis Altenkirchen war durch Pensionierung des Amtsinhabers Wilhelm Koch Ende 1844 erledigt worden. Koch, evangelisch, Sohn eines Rentmeisters, war in Altenkirchen – wie Philipp von Hilgers in Linz – ein Landrat der „ersten Stunde“. Beide begannen ihren Dienst im April 1816 kommissarisch und wurden mit allerhöchster Kabinettsorder vom 16. Januar 1817 definitiv ernannt.[1] 

1 Siegelmarke

Anfang 1845 erhielt der Verwalter des Landratsamtes, Franz Jakob von Hilgers, die Verfügungen der Regierung  zur anstehenden Landratswahl und im Mai bekam der Kreisdeputierte, Advokat Meyer zu Altenkirchen, die Leitung des Wahlgeschäfts übertragen. Zuvor musste allerdings der Kreistag „aktualisiert“ werden. Einige Mitglieder waren ausgeschieden, bei anderen war die dreijährige Wahlperiode abgelaufen. Ergänzungswahlen wurden abgehalten – und mussten wegen mannigfaltiger Mängel wiederholt werden. In Altenkirchen brauchte man Zeit und die Koblenzer Regierung versprach dem Innenministerium: Wir werden es uns auch zur besonderen Angelegenheit machen, auf die äußerste Beschleunigung des Wahlgeschäfts nach Möglichkeit einzuwirken, ... aber das Resultat dieses Geschäfts [würde] doch schwerlich vor dem Monate Februar künftigen Jahres [1846] vorliegen.[2] Mitte Februar 1846 mahnte Berlin und bekam die Auskunft, dass der Kreisdeputierte, Advokat Meyer, den Wahltermin auf den 12. März 1846 festgesetzt habe. Man hätte ihm allerdings die Zurücknahme seines Auftrags androhen müssen.[3]

Vor dem Wahlgang verhandelte das Gremium zunächst über Einsprüche gegen den unbescholtenen Ruf des Kreistagsabgeordneten Bischof aus Weyerbusch, dann über Bedenken gegen die vom Grafen von Hatzfeld für den standesherrlichen Oberbeamten Schlechter erteilte Vollmacht. Nach Auffassung der Regierung waren die Einwände unbegründet. Die fünfzehn berechtigten Wähler gaben dem ersten Kandidaten, Regierungsreferendar von Hilgers, neun, dem zweiten, Advokat Meyer, sieben und dem dritten, dem Steuerkontrolleur Stoll, ebenfalls sieben Stimmen. Alle drei Kandidaten nahmen die Wahl an. Die Präsentationswahl vom 12. März hatte ein Ergebnis. Das Gerangel um den Posten des Landrats im Kreis Altenkirchen war damit nicht beendet – wohl aber vorentschieden.[4]  

Advokat Julius Pheiffer bewirbt sich außer der Reihe

Etwa vier Wochen nach der Wahl in Altenkirchen erhielt Innenminister von Bodelschwingh im Abstand von wenigen Tagen zwei Briefe. Mit Datum vom 17. April 1846 wandte sich der Advokat Julius Pheiffer aus Altenkirchen an den Minister und unter dem 19. April der Vater des an erster Stelle gewählten Kandidaten, der Neuwieder Landrat Philipp von Hilgers.[5]

Pheiffer erinnert Bodelschwingh an dessen Amtszeit als Oberpräsident der Rheinprovinz und dass er ihn damals – 1839 – dem Regierungspräsidenten zur Anstellung empfohlen habe. Das ermutige ihn nun, bey Wiederbesetzung der hiesigen Landrathsstelle durch Anträge an das Praesidium der Königlichen Regierung zu Coblenz in Concurrenz zu treten. Die stattgefundene Wahl sei von Kreiseingesessenen  reklamiert worden. Vor Ort habe man die Ansicht vertreten, daß die Wahl das Ergebniß confessionellen und gutsherrlichen Partheytreibens seye, daß nicht alle zur Wahl Berechtigte dabey konkurrirt haben, und daß der erst vom vorigen Jahre datirende Grundbesitz des p v. Hilgers diesen als Candidaten des Landrathsamtes nicht qualificire.

Der Advokat zeigt sich bereit, in die Lücke zu treten, wenn die Ernennung Hilgers‘ oder eines anderen Gewählten nicht wünschenswert wäre: Er wage es, unterthänigst auf sich aufmerksam zu machen. Bodelschwingh habe ihm schon einmal Wohlwollen und ... gnädige Unterstützung angedeihen lassen, erinnert sich Pheiffer, allerdings sei ihm damals die Verwaltung des Oberbeamten- und Richter-Postens in der Standesherrschaft Wildenburg-Schoenstein verweigert worden. Den eigenen Wünschen hätten Bestrebungen des Herrn Grafen E. von Hatzfeldt entgegengestanden, eine Auseinandersetzung[6], auf die Pheiffer am Schluss seines Schreibens zurückkommt.

Er dürfe sich schmeicheln, fährt der Advokat fort, die Mittel erlangt zu haben, mit denen den hiesigen Uebelständen abzuhelfen ist. Er sei seit 1840 im Kreise tätig und verfüge daher über mancherley Kenntniß von den Bedürfnissen. Pheiffer listet ausführlich die ihm gehörenden Grundstücke und Gebäude auf und rechnet auch die Erträge seines Besitzes vor, der ihm schon jetzt mehr gilt und ihn fester an den Kreis bindet, als ein entlegenes Bauerngut. Und er wäre bereit, noch einen Grundbesitz anzukaufen, ... wenn dieses als unerläßliche Bedingung der Gewährung meines Gesuches gefordert werden sollte.

Dann geht er auf seinen beruflichen Werdegang ein und streicht seine Qualifikation für das Landratsamt heraus. Vor Eintritt in den Kreis (1837) sei er Hülfsrichter zu Laasphe Brilon und Berleburg gewesen und hätte als Dirigent der Patrimonial-Gerichte Alme und Padberg fungiert. Die Befähigung zur Verwaltung eines Landratsamtes habe ihm  die Regierung Koblenz 1837 erteilt.[7] Ein gutes Jahr sei er Friedensrichter für Wildenburg gewesen und habe ebenso  lange den Posten eines Justizamtmannes zu Schoenstein verwaltet. Der Minister (damals im Amte des Oberpräsidenten) hätte ihn zu der Zeit durch Empfehlungen „beglückt“.[8] Mit den auf hiesiger Stelle häufig zur Frage kommenden standesherrlichen Rechte[n] und Verhältnisse[n] sei er – so Pheiffer weiter – durch mehrjährigen Aufenthalt in den beyden Wittgesteiner Fürstenthümern und in dem Standesgebiet Wildenburg-Schönstein so wie durch ... [seine] Advokaten-Praxis im Wiedschen ... hinreichend bekannt geworden. Vollständige Kurse in Staatswissenschaften und Kameralistik, die er an Universitäten absolviert habe, hätten bei ihm das Gemeinwohl berührenden Grundsätze angeregt und entwickelt.

Zum Schluss gestattete sich Pheiffer noch einmal, die Sache mit dem Grafen Hatzfeld zu erwähnen:
Mögten Euere Excellenz aus dem Vorgetragenen gnädigst Veranlassung nehmen, für die Verleihung des hiesigen Landrathspostens an mich zu stimmen, so würde mir hierdurch für die durch den Herrn Grafen E. von Hatzfeldt und durch den unglüklichen Ausgang des gegen denselben angestrengten Processes zugefügte Beschädigung Ersaz und Rechtfertigung zu Theil.
In unbegränzter Dankbarkeit für Euerer Excellenz edles Wohlwollen und in tiefster Devotion ersterbe ich als

Euerer Excellenz

2 "unterthänigster Diener Jul. Pheiffer Adv."

 


 



Minister von Bodelschwingh reagiert reserviert

Die Erste Abteilung des Innenministeriums wollte das Schreiben „kurzer Hand“ an die Königliche Regierung in Coblenz zur Benutzung bei dem zu erstattenden Bericht wegen Wiederbesetzung der erledigten Landrathsstelle im Kreise Altenkirchen[9] geben. Ein Vermerk verhinderte die Weiterleitung: Das Decret unterbleibt.

3 "Das Decret unterbleibt."

 



     






Pheiffers Bewerbung blieb in Berlin; er bekam als Bittsteller lediglich eine Kanzlei-Notiz als Bescheid.

Die knappe Anweisung, den Vorgang zu stoppen, ist von der Hand geschrieben, die auch die abschließende Vorlage an den König überarbeitet hat. Möglich, dass der Minister hier selbst eingegriffen hat, um zweierlei zu bewirken: Pheiffer von dem Besetzungsverfahren fernzuhalten und die Koblenzer Behörde gar nicht erst mit Pheiffers Erinnerungen und seiner fordernden Argumentation zu befassen. Wie immer die Rekrutierung von Kandidaten für die Ernennung eines preußischen Landrats allgemein zu bewerten ist, auf die drei präsentierten Bewerber wurde in der Folge das übliche Verfahren angewandt. Für Pheiffer blieb es bei dem Versuch, sich mit Hilfe des  Innenministers in den Kreis der Bewerber zu bringen. 

Philipp von Hilgers bittet für seinen Ältesten

Minister Bodelschwingh kannte den Bittsteller aus Neuwied bereits, als der sich wegen seines Sohnes, Franz Jakob von Hilgers, an ihn wandte.[10] Philipp von Hilgers wusste um die Schwachstelle in der Bewerbung seines Sohnes, dessen Qualifikation er in formeller Hinsicht als genügend feststehend betrachtete – mit Ausnahme des 5 jährigen Besitzes. Also bat er den Minister um Dispens von dieser Vorschrift und darum, den Sohn Seiner Majestät dem Könige als Landrath des Kreises Altenkirchen vorzuschlagen.[11]

4 Friedr. Wilhelm III

In Preußen hatte König Friedrich Wilhelm III noch im März 1839 darauf bestanden, dass auch der Besitz eines bestimmten Grundeigentums zur Verwaltung des Landrathsamtes befähigesich jedoch vorbehalten, Landräte in einzeln dazu geeigneten Fällen ... von dieser Bestimmung zu befreien. Das sollte auf Antrag des Ministers des Innern und der Polizei geschehen.[12]  

Hilgers sen. zweifelte nicht, dass die Regierung in Koblenz und der derzeitige Oberpräsident der Rheinprovinz sich positiv über die Eignung des Sohnes und in Bezug auf sein bisheriges Wirken und Handeln aussprechen werden. Seiner Bitte an den Minister verlieh der Vater Nachdruck, indem er seine familiäre Situation schilderte:

Schon manches Opfer habe ich gebracht um meinen fünf Söhnen (: wovon drey als Offiziere in der Armee stehen, und Einer jetzt im Begriffe ist als Justizbeamter das Assessor-Examen zu machen :) und insbesondere meinem ältesten Sohn eine ehrenvolle Stellung im Staate zu begründen; noch neuerdings durch Hingabe der Mittel zum Ankauf der nöthigen Grundstücke, und sehr hart müßte es mich bey 10 Kindern, und auch ihn treffen, wenn er sein Ziel abermals verfehlen sollte.

Die Mehrzahl der Ernennungen [zum Landrat] erfolgte im Alter zwischen 30 und 39 Jahren.[13] Mit jetzt 36 Jahren war Hilgers‘ Ältester also im besten Alter für den Dienstantritt. Der Senior hätte ihn gern versorgt gesehen, wegen der zahlreichen jüngeren Geschwister und der bisher nicht gerade glatt verlaufenen Karriere.

Rheinprovinz an Berlin – die amtliche Berichterstattung

Zunächst waren die rheinischen Behörden gefordert, ihre Berichte über die Wahlen in Altenkirchen und die personellen Alternativen für die Besetzung des Landratsamtes vorzulegen.  Die Schreiben der Regierung Koblenz und des Oberpräsidenten datieren wie die oben behandelten Briefe aus der Zeit vom 14. April bis zum 20. April 1846. Der Innenminister fertigte seine Vorlage für den König mit Datum vom 14. Mai 1846. – Wie üblich wiederholen die Texte Passagen aus den Berichten der jeweils nachgeordneten Behörde, aber hier hatte jede Hierarchiestufe einen ihr wichtigen Aspekt beizutragen. Alle äußern sich zu den Kandidaten und gehen dann auf Umstände der Wahl und Besonderheiten des Kreises ein.[14] 

Die Bezirksregierung zu den Kandidaten: 

Franz Jakob von Hilgers

war der Regierung kein Unbekannter, sie hatte ihn als Referendar erlebt und konnte ihr Urteil auch auf Erfahrungen mit der kommissarischen Verwaltung in Altenkirchen stützen. Er galt schon im November 1844 als ein Beamter mit treuer Anhänglichkeit an das Gouvernement, dem eine tadellose Führung und hinreichende Charakter-Festigkeit bescheinigt wurde. Die nötige Unabhängigkeit im Amt sah die Regierung durch geordnete wirtschaftliche Verhältnisse gesichert. Man bescheinigte Hilgers eine praktische Gewandtheit und ausdauernden Diensteifer. Auch mit der kommissarischen Verwaltung in Altenkirchen war man zufrieden: Hilgers habe die ihm gebotene Gelegenheit, seine practische Befähigung in selbstständiger Amtswirksamkeit zu vervollkommnen, gehörig benutzt [und] eine wirksame Thätigkeit entwickelt. Achtung und das Vertrauen der Kreis-Eingesessenen habe er sich erworben, was sich schon daran zeige, daß er bei der Wahl die meisten Stimmen erhielt. In der Frage des Grundeigentums sah man in Koblenz einen der Fälle gegeben, für die sich der König eine Befreiung von der Vorschrift des fünfjährigen Besitzes aus besonderen Gründen vorbehalten hatte. Hilgers habe zum einen die Qualifikation zu dem fraglichen Amt. Zum anderen sei den Kreisständen vor der Wahl die kürzere Dauer seines Grundbesitzes bekannt gemacht worden. Dennoch hätten sie ihn gewählt und folglich auch den Wunsch seiner Dispensation gehegt. Und im Übrigen könne man die beiden anderen Kandidaten nicht für qualifiziert erachten.  

Advokat Meyer

Der zweite Kandidat war vorweg eine evangelische Alternative zu dem katholischen Hilgers. Er hatte in Bonn drei Jahre Rechtswissenschaft studiert, dann die Prüfung zum Oberlandesgerichtsreferendar bestanden und wurde als Advokat bei den Untergerichten provisorisch angestellt. Allerdings mangelte es ihm nach Auffassung der Regierung daran,  daß er im Verwaltungsfache nie gearbeitet und sich daher selbstredend mit den landräthlichen Functionen nicht vertraut gemacht hat. Man vermisste bei Meyer die erforderliche Festigkeit des Carakters und die für die Wirksamkeit der Verwaltung so wesentliche Energie. Seine verwandtschaftlichen Beziehungen im Kreise Altenkirchen und die aus seiner gegenwärtigen Stellung hervorgegangenen Verbindungen mit den Eingesessenen ließen zudem keine unabhängige Vertretung der Interessen [des Kreises] von ihm erwarten.  

Steuerkontrolleur Stoll

In den Augen der Regierung war der katholische, 1798 zu Gehlweiler im Kreise Simmern geborene dritte Kandidat auch nur die drittbeste Wahl, noch weniger geeignet als Meyer, weil Stoll wegen Verschleppung der Arbeit über die feststehenden Termine noch jedes Jahr durch Straf-Verfügungen zur Erfüllung seiner Obliegenheiten angehalten werden mußte; ihm überdies weder die nöthige wissenschaftliche Bildung noch die praktische Befähigung zur Verwaltung eines Kreises beiwohnt, daher auch nicht vorauszusetzen ist, daß er als Kandidat des Landrathsamtes die vorgeschriebene Prüfung genügend zu bestehen vermögen würde. 

Der Oberpräsident über den Favoriten

5 Siegelmarke

Oberpräsident Eichmann reichte den Bericht der Regierung in Koblenz an das Innenministerium weiter und benutzte die Gelegenheit, den Vorgang um ihm wichtige Beobachtungen zu ergänzen.[15] Die Bewerbung sei im Collegium berathen und beschlossen und er haben dem Antrag den Freiherrn von Hilgers zu dem Posten zu ernennen, beigestimmt. Der Minister kenne Vater und Sohn Hilgers, erinnerte Eichmann seinen Vorgänger und bezeichnete den Neuwieder Landrat als einen rechtschaffenen, achtbaren Mann, dessen Thätigkeit in seinem überaus kleinen Kreise,[16] aber nicht gerühmt wird. Seine Vermögens-Verhältnisse sind gut, doch wird von dem Vermögen auf jedes seiner 10 Kinder, nur ein geringes fallen. Der Sohn, Franz Jakob von Hilgers, hätte sich während der fünfzehnmonatigen Vertretung in Altenkirchen als tätig, umsichtig und in seinem Urtheile unbefangen gezeigt. Dabei hat er freilich den Vortheil eines geübten und gewandten Kreis-Secretairs gehabt, allein viel kömmt immer auf seine Rechnung.

6 Franz August Eichmann, Oberpräsident der Rheinprovinz ab Juli 1845

Er ist katholisch, „unterstrich“ Eichmann an Bodelschwingh gewandt, doch wissen Euer Excellenz, daß seine Familie nicht für fanatisch oder ultramontan gilt. An der aufrichtigen Ergebung für Seine Majestät den König und das Land könne er nicht zweifeln. Der angesprochene Minister kommentierte die Unterstreichung am Rand des Blattes: gar kein Hinderniß am wenigsten in einem fast paritätisch gemischten Kreise. – Könnte man meinen, aber zumindest der aktuelle Oberpräsident sah die konfessionellen Verhältnisse anders. Er dürfe nicht verschweigen, so Eichmann, daß ein großer Theil des Kreises gegen den Candidaten eingenommen ist. Der Kreis Altenkirchen besteht zur großen Hälfte aus altem evangelischen Lande. Die Bevölkerung sei größtenteils evangelisch und habe sich einen evangelischen Landrath gewünscht. Es lägen schriftliche Äußerungen vor, eine von Dr. Arnoldi, einem gescheidten Mann von untadelhaftem Rufe, der etwas gereizt sei, weil er nicht zum Kreisphysicus ernannt wurde und der auch eine persönliche Differenz mit dem Herrn von Hilgers gehabt habe. Die andere Eingabe hätten mehrere Einsaßen des Kreises an den Oberpräsidenten gerichtet. Hilgers war in den Orten Wissen und Kirchen bei Streitigkeiten zwischen die Fronten geraten und hatte sich speziell in Kirchen bei der Besetzung einer Pfarrstelle unbeliebt gemacht, weil er den Rector Schneegans in Altenkirchen, den man in Kirchen als Pfarrer wünschte, der Wahrheit ... gemäß, geschildert hat. Für Eichmann war es eine Sache, in der Hilgers sich mit Characterfestigkeit benommen und dem Ort Kirchen einen sehr wesentlichen Dienst geleistet habe und er hoffe, dass der bald als solcher erkannt werden wird. Für das Verfahren zur Ernennung sei den Beschwerden kein entscheidendes Gewicht beizulegen, schloss der Oberpräsident seinen Bericht und referierte, was er dem Kandidaten mit auf den Weg gab:

Ich habe den Herrn von Hilgers dringend ermahnt, gerade in confessioneller Hinsicht mit aller Unbefangenheit und ohne alle Parteilichkeit zu verfahren, sich dem Einflusse keiner Partei hinzugeben. Ich habe ihm auch nicht vorenthalten, daß er die commissarische Verwaltung der Landrathsstelle, welcher hauptsächlich er seine Wahl zu danken habe, als eine große ihm durch die Königliche Regierung zu Theil gewordene Begünstigung anzusehen habe; indem er nehmlich Assessoren, die offenbar einen größeren Anspruch darauf gehabt, vorgezogen sei. So eindringlich wie möglich, habe ich ihm ans Herz gelegt, daß für den Kreis Altenkirchen, einen wenig wohlhabenden, meist armen, auch durch eine schlaffe Verwaltung lange verwahrloseten Landestheil, nach Kräften gesorgt werden müsse, daß er alle Kräfte Leibes und der Seele daran zu setzen und dies als die Aufgabe seines Lebens zu betrachten habe.  

Die Empfehlung Bodelschwinghs an Friedrich Wilhelm IV

7 Franz Krüger: König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, nach 1846

Bodelschwingh verfasste seinen Bericht an den König Mitte Mai 1846. Die Beschreibung der Wahl und die Charakterisierung der Kandidaten  folgten in weiten Teilen den Koblenzer Texten und der Minister ließ nicht unerwähnt, daß dieser Candidat von dem protestantischen Theile der Bevölkerung des Kreises als Landrath nur sehr ungern gesehen werden wird und daß viele, zum Theil sehr achtbare Kreisbewohner auf das dringendste um seine Nichtbestätigung gebeten haben, besonders in der Besorgniß, der ... Freiherr von Hilgers möge sich den Einflüssen der katholischen Partei, welcher er seine Erwählung verdankt und welche sich in neuerer Zeit durch ultramontane Bestrebungen sehr bemerkbar gemacht haben soll, nicht entziehen können. Dabei handle es sich aber um bedauerliche konfessionelle Anfeindungen, auf die in Ermangelung von Thatsachen ... weniger Werth zu legen sei, fand Bodelschwingh und begründete seinen Antrag so:

Da diesem Kandidaten von der Regierung und dem Oberpräsidenten Selbstständigkeit, Unparteilichkeit und Characterfestigkeit bezeugt werden, so bin ich nicht bedenklich, Eure pp. allerunterthänigst zu bitten, den Freiherrn von Hilgers, unter Dispensation von dem 5-jährigen Vorbesitze, zum Landrath des Kreises Altenkirchen – und zwar ohne Vorbehalt der Prüfung – huldreichst zu ernennen. 

Friedrich Wilhelm IV bestätigte am 29. Mai 1846 den erst erwählten Regierungs-Referendarius Freiherrn von Hilgers, ohne Vorbehalt der Prüfung und unter Dispensation von der Vorschrift des 5jährigen Vorbesitzes, in dem Amte des Landrats im Kreis Altenkirchen.[17]

September 2021 (aktenlage.net)
______________________________ 

Bildnachweise: 

1 Siegelmarke - Privatbesitz, Foto: dg
2 unterthänigster Diener Jul. Pheiffer Adv. - Akte wie zitiert, Ausschnitt: dg
3 Das Decret unterbleibt - Akte wie zitiert, Ausschnitt: dg
4 Friedrich Wilhelm III - Wikimedia Commons, Bearb.: dg
5 veikkos-archiv - Wikimedia Commons, Bearb.: dg
6 Franz August Eichmann, Oberpräsident der Rheinprovinz ab Juli 1845 - Abb.: LHA Ko, Best. 710 Nr. 16146, Wikimedia Commons, Bearb.: dg
7 Franz Krüger: König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, nach 1846 – Ausschnitt: LeMO, Bearb.: dg

Quellen und Literatur:

[1] Horst Romeyk, Die leitenden staatlichen und kommunalen Verwaltungsbeamten der Rheinprovinz 1816-1946, Düsseldorf 1994, S. 530 und 578.
[2] GStA PK I. HA Rep. 77 Tit. 323 B 29 Nr. 7, Blätter 37-39 – 11.12.1845.
[3] GStA PK I. HA Rep. 77 Tit. 323 B 29 Nr. 7, Blatt 42 – 04.03.1846.
[4] GStA PK I. HA Rep. 77 Tit. 323 B 29 Nr. 7, Blätter 53-58 – 14.04.1846.
[5] GStA PK I. HA Rep. 77 Tit. 323 B 29 Nr. 7, Blätter 43-48 – Pheiffer vom17.04.1846 und Blätter 51 und 52 – Philipp v. Hilgers vom 19.04.1846. – Wenn nicht anders zitiert folgt der Text diesen Briefen.
[6] Vgl. Uli Jungbluth, 1848 Westerwald und Altenkirchen, Montabaur 1999, S. 41: Julius Pheiffer hatte sich um die Oberbeamten- und Richterstelle der gräflich Hatzfeldtschen Standesherrschaft Schönstein-Wildenburg beworben und auch die bedingte Ernennung durch den Grafen erhalten. Nach drei Jahren Wartens auf die zugesagte Stelle sah er sich 1839 um diese geprellt: Graf Hatzfeldt bestellte ... den Landgerichtsreferendar Sames zu Koblenz zum Richter. 1841/42 prozessierte Pheiffer gegen den Grafen wegen Geldforderungen aus seiner Zeit als Amtsmann in Schönstein.
[7] GStA PK I. HA Rep. 77 Tit. 323 B 29 Nr. 7, Blatt 49 – Abschrift einer Bestätigung vom 11.09.1837.
[8] GStA PK I. HA Rep. 77 Tit. 323 B 29 Nr. 7, Blatt 50 – Oberpräsident an den Oberlandesgerichtsreferendar Pheiffer vom 21.01.1840: Euer Wohlgeboren benachrichtige ich auf die Eingabe vom 29ten v. Mts. und Js, daß der Königliche Justizsenat sich unter dem 15ten d. Mts über Ihr tadelloses Verhalten als Verwalter des Justizamtes Schoenstein, Ihren Fleiß und Ihre Geschicklichkeit gegen mich ausgesprochen hat.
[9] GStA PK I. HA Rep. 77 Tit. 323 B 29 Nr. 7, Blatt 43 – Vermerk vom 27.04.1846.
[10] GStA PK I. HA Rep. 77 Tit. 323 B 29 Nr. 7 – Bericht des Oberpräsidenten Eichmann vom 20.04.1846 an Minister von Bodelschwingh: Eure Excellenz kennen den Candidaten und seinen Vater.
[11] GStA PK I. HA Rep. 77 Tit. 323 B 29 Nr. 7, Philipp v. Hilgers vom 19.04.1846. – Wenn nicht anders zitiert folgt der Text diesem Brief.
[12] GS 1839, Nr. 2002, S. 154 f. – Allerhöchste Kabinettsorder vom 23. März 1839 – Urn:nbn:de:bvb:12-bsb 10509542-3, 10.11.2014.
[13] Romeyk, Verwaltungsbeamte, S. 183.
[14] GStA PK I. HA Rep. 77 Tit. 323 B 29 Nr. 7: Blätter 53-58 (Bericht der Regierung Koblenz vom 14.04.1846); Blätter 59-62 (Bericht des Oberpräsidenten vom 20.04.1846); Blätter 63-67 (Bericht des Innenministers vom 14.05.1846). – Wenn nicht anders zitiert folgt der Text diesen Berichten.
[15] GStA PK I. HA Rep. 77 Tit. 323 B 29 Nr. 7: Blätter 53-58 (Bericht der Regierung Koblenz vom 14.04.1846); Blätter 59-62 (Bericht des Oberpräsidenten vom 20.04.1846); Blätter 63-67 (Bericht des Innenministers vom 14.05.1846). – Wenn nicht anders zitiert folgt der Text diesen Berichten.
[16] Notiz am Rande, vermutlich Bodelschwingh, der die Verhältnisse kannte: ziemlich großen.
[17] GStA PK I. HA Rep. 77 Nr. 1233 PA, Blatt 15 – 29.05.1846 (Abschrift). – Vgl. Uli Jungbluth, 1848 Westerwald und Altenkirchen, Montabaur 1999, S. 42. – Jungbluth führt zur Amtsübernahme durch von Hilgers aus, 
daß Besitz und konfessionelle Parteinahme die Auswahlkriterien bei der Vergabe hoher Beamtenstellen ausmachten. Nicht qualifizierte liberale Bürger, sondern konfessionelle Parteigänger und Grundbesitzer werden bevorzugt.

 
Email