Franz Jakob von Hilgers* - Landrat und Politiker
2. Baustein zu einer Längsschnittbetrachtung von 1848-1870
*Hilgers war vom 27.10.1856 bis zum 15.03.1858 Verwalter des Landratsamts im Kreis Lüdinghausen.
Wahlkämpfe und Wahlen zu den Kammern des preußischen Landtags 1849
Dieter Gewitzsch
Berlin, 5. Dezember 1848: Der König ordnet eine Verfassung an.
Am 5. Dezember löste Friedrich Wilhelm IV. die in der Stadt Brandenburg ohne Ergebnis tagende „Rumpfversammlung“ auf und oktroyierte im gleichen Zug eine Verfassung für Preußen. Immerhin hatte sich die Krone gegen eine militärische Lösung entschieden und die mögliche Rückkehr zum Absolutismus vermieden. Die Ultrakonservativen, die jede Art Verfassung ablehnten, setzten sich ebenso wenig durch wie die Gemäßigten, die zu einer konservativ revidierten Vereinbarung rieten.(1) Unruh hatte das richtig eingeschätzt: Das Prinzip der Vereinbarung zwischen der Krone und dem durch die National-Versammlung vertretenen Volke war schon am 8. November gefallen.(2) Was der Monarch bereit war, seinem Land als Verfassung anzuordnen (zu oktroyieren), entsprach im Großen und Ganzen der „Charte Waldeck“, also dem Entwurf, der in der Nationalversammlung verhandelt wurde.
Altenkirchen und Koblenz:
Wie reagiert die Bevölkerung?
Nach den Berliner Entscheidungen sah sich die Verwaltung auf allen Ebenen aufgefordert, die Reaktionen der Bevölkerung zu beobachten und die jeweils nächsthöhere Ebene über die Stimmung im Lande zu unterrichten. Die Berichte der Landräte stimmten darin überein, daß die Bevölkerung von dem freisinnigen Inhalt der Verfassung überrascht sei, sie mache einen „günstigen“, „sehr guten“, den „günstigsten“ Eindruck [und] sei überall „mit Freuden“ begrüßt worden.(3) Auf Nachfrage der Koblenzer Regierung schrieb Hilgers am 18.12.1848, dass die Auflösung der National-Versammlung und der Erlaß der Verfassungs-Urkunde in dem hiesigen Kreis den besten Eindruck hervorgebracht hätten. Nur einzelne wenige einer extremen Richtung angehörige Beamte(4) [wollten] nicht anerkennen..., welch große Wohlthat unter den obwaltenden Verhältnissen dem Lande geworden ist.(5)
In Koblenz hatte man Anfang Januar 1849 einen Überblick über die Aufnahme der Verfassung gewonnen. Der Bericht des Koblenzer Regierungsvizepräsidenten Leo von Massenbach an Innenminister Manteuffel(6) widmete sich nochmals der Zeit vor dem 5. Dezember und wusste jetzt von Unruhe und „Wühlerei“ zu sprechen. Kurz vor der Oktroyierung sei die Partei der Ordnung und Gesetzlichkeit von großer Besorgnis ergriffen gewesen, während sich die Partei des Umsturzes maßlose Hoffnungen gemacht habe. Selbst bei den Gemäßigtsten sei aus Sorge, dass manche gehegte Hoffnung unerfüllt bliebe, Abneigung gegen eine „verliehene“ Verfassung bemerkt worden. Diese Besorgnisse schwanden jedoch völlig, als die Urkunde... bekannt wurde. Wenn auch hier und da einzelne Bestimmungen anders gewünscht wurden, so seien diese Punkte umso weniger ein Stein des Anstoßes, als die vorbehaltene Revision der Verfassungsurkunde... diese Wünsche zur weiteren Erörterung bringen werde. Verbunden mit freudigem Danke habe sich ein Gefühl der Ruhe und Sicherheit verbreitet und es wirke umso wohltätiger, je mehr man sich dessen in der letzten Zeit hatte entwöhnen müssen.
Die Demokraten kritisieren die Oktroyierung
Die demokratische Partei hinterließ bei Massenbach einen „eigentümlichen Eindruck“: Das was verliehen worden, war unendlich mehr als man hätte erwarten dürfen, ja fast mehr, als man erwartet hätte, wenn die Verfassung auf dem Wege der Vereinbarung zu Stande gekommen wäre. – Ungeachtet materieller Fortschritte konnten die Demokraten nicht darüber hinwegsehen, dass Oktroyierung für ein konstitutionelles Staatswesen ein zweitklassiges Verfahren war.(7) Massenbach sah die Partei verstimmt und bemüht, die Verfassungsurkunde in ein zweifelhaftes Licht zu stellen. Kritisiert wurde die Bestimmung, dass die Mitglieder der ersten Kammer keine Diäten erhalten. Von den Leuten, denen das materielle Wohl der Arbeiter und überhaupt der unbemittelten Volksklasse am Herzen liege, könnten sich aber nur wenige leisten, ohne finanzielle Entschädigung Abgeordnete zu werden. Wichtiger seien der Partei aber die Bestimmungen der Artikel 108 und 110.(8) Das Misstrauen gegen die beiden Artikel war für Massenbach der politische Fels, auf welchem sich die demokratische Partei vorzugsweise bewegte. Leuten dieser Art sei nicht unbekannt, dass namentlich die Besitzenden mit dem Erlangten zufrieden sind. In einigen öffentlichen Blättern würde das Bürgertum aufs heftigste angegriffen, und der Indolenz [Apathie, Gleichgültigkeit] angeklagt. Die Linke wolle deshalb auf die Wahl solcher Abgeordneten hinwirken, welche – um die Sache mit dem richtigen Namen zu benennen – alles wieder in Frage stellen. Zu den Tagesblättern, welche... dieses...Treiben begünstigen, zählte Massenbach die „Rhein und Moselzeitung“ und das „Koblenzer Tageblatt“(9) und schloss seinen Bericht mit einem zuversichtlichen Ausblick: Da aber der Kern der Bevölkerung diese Ansichten nicht theilt, so dürfen wir uns der Hoffnung hingeben, daß die Bestrebungen einer auf den Umsturz hinarbeitenden Partei an dem gesunden Sinn der übrigen Bevölkerung scheitern werden.(10)
Berlin: Neuwahl der preußischen Kammern unter provisorischem Wahlrecht
Im Zuge der Oktroyierung der Verfassung ordnete die Krone am 5. Dezember 1848 auch die Neuwahl der Kammern an. Für die zweite Kammer galt das allgemeine Wahlrecht, nachdem grundsätzlich jeder Preuße, der das 24. Lebensjahr vollendet hatte, stimmberechtigt war.(11) Die 180 Mitglieder der ersten Kammer sollten durch Provinzial-, Bezirks- und Kreisvertretungen gewählt werden, die jedoch noch nicht eingerichtet waren. Das provisorisch eingeführte Wahlrecht begrenzte den Zugang zur Wahl der ersten Kammer deutlich. Die Altersgrenze lag bei 30 Jahren und wählen durfte nur, wer ein Minimum an Steuerleistung, Grundbesitz oder Einkommen nachweisen konnte.(12) Das Regelwerk begünstigte die großen Steuerzahler und Besitzer.(13) In Urwahlen entschieden die Wahlberechtigten zunächst, wer als Wahlmann über die Abgeordneten abstimmen durfte. Diese Urwahlen sollten am 22. Januar 1849 zuerst für die zweite Kammer stattfinden und eine Woche später (29. Januar) für die erste Kammer. Im Abstand von zwei Wochen zur jeweiligen Urwahl (am 5. und 12. Februar), kämen dann die Wahlmänner zusammen, um ihre Abgeordneten zu wählen.
Unverzüglich nahm sich das Innenministerium der Aufgabe „Wahlen“ an, um über die ordnungsgemäße Abwicklung hinaus für ein regierungsfreundliches Ergebnis zu sorgen. Manteuffel versorgte die Oberpräsidenten mit Abdrucken der einschlägigen Vorschriften und verlangte, dass die Maßregeln zur Vorbereitung der Wahlen von den Landräthen und übrigen Behörden schleunigst getroffen und pünktlichst durchgeführt werden.(14) Der Minister wünschte keine bürokratischen Umwege und verlangte von dem nach Koblenz zurückgekehrten Oberpräsidenten Eichmann(15) die thätige Einwirkung,... dass das Geschäft nicht durch den collegialischen Geschäftsgang der Königlichen Regierung Aufenthalt erleide. Mit aller möglichen Vorsicht sei die Abgrenzung der Wahlbezirke vorzunehmen, damit nicht Interessen collidiren und die Minderheit sich über Ausschließung von der Vertretung zu beklagen habe. Für das Amt des Wahlkommissars möge man in der Regel auf einen der im Wahlkreis beteiligten Landräte zurückgreifen. Im Ton strikter schwor Manteuffel die Bezirksregierung und ihren Präsidenten auf die Aufgabe ein: Das Resultat der nächsten Wahlen werde die Geschicke des Landes stark beeinflussen. Es sei notwendig, alle in den Händen der Königlichen Behörden liegende Mittel in Anwendung zu bringen und den Wühlereien der anarchistischen Parthei entgegenzuwirken, damit eine der bestehenden Verfassung zugethane Volksvertretung aus den Wahlen hervorgehe. Hierauf mit allen seinen Kräften hinzuwirken, wollte der Innenminister dem Königlichen Regierungs-Präsidium... ausdrücklich empfohlen haben.(16)
Koblenz: Wie verhält sich die Verwaltung, was wird von den Landräten erwartet?
Den Landräten hatte die Regierung zunächst allgemeine Grundsätze zum Verhalten bei Wahlen an die Hand gegeben, bevor sie zum Jahresende um zielgerichtete Unterstützung warb. Man zweifle nicht – versicherte die Regierung – dass sämtliche Behörden ernsthaft bestrebt seien, auf die Verwirklichung einer wahrhaft freien Repräsentation hinzuwirken... und diese Ansichten auch innerhalb ihres Verwaltungskreises zur Geltung zu bringen. Schon in gewöhnlichen Zeiten sei es unerlässlich, nur charakterfeste Männer mit der Mission zu betrauen, als Abgeordnete die wahren Interessen des Vaterlandes zu vertreten. Die Ereignisse und Erfahrungen des ablaufenden Jahres verlangten aber, das Wahlgeschäft mit unbefangener ernster Besonnenheit zu betreiben. Andernfalls zögen neue Stürme herauf, die das Vaterland zerrütten und den Wohlstand, ja selbst die Sicherheit der Person und des Eigenthums in höchstem Maße gefährden würden. Jeder Vaterlandsfreund müsse gewissenhaft bestrebt sein, ähnlichen Gefahren zu begegnen. Wenn alle gesinnungslustigen Männer... mit vereinter Kraft und in treuem Zusammenhalten auf dieses Ziel hinwirken, dann kann und wird es... gelingen, den Einfluß, welche eine feindliche Parthei zu gewinnen sieht, erfolglos zu machen.(17)
Überregionale Wahlbewegung (18)
Im Wahlkampf stritt das rechte politische Lager (die Konstitutionellen) mit dem linken Lager (den Demokraten) um die Anerkennung oder Nichtanerkennung der Rechtsgültigkeit der oktroyierten Verfassung.
Vereine, die dem rechten Lager zuzurechnen waren, fanden in dem „Constitutionellen Central-Verein für Rheinland und Westfalen“ ihren Dachverband, der sich in Dortmund auf die Wahlen vorbereitete. An dem Kongress nahmen auch Deputierte aus dem Regierungsbezirk Koblenz teil. Im Wahlprogramm trat man für die unbedingte Annahme der Verfassung sowie deren Revision auf dem Vereinbarungswege und für eine baldige gründliche Verbesserung der Lage der arbeitenden Klasse ein. Mit dem zweiten Programmpunkt hoffte der Kongress, die sozialen Wahlparolen der Demokraten auffangen zu können.
Vor Ort bemühten sich Wahlausschüsse um geeignete Kandidaten, die sich in der Urwahl als Wahlmänner bewerben oder später für die Abgeordnetenwahl zur Verfügung stehen mochten. Letztere sollten aber nicht nur Gelehrte, Juristen, Geistliche und Lehrer, sondern auch Handwerker, Bauern usw. sein. Ein Aufruf erinnerte, dass der Landwirt des inneren und äußeren Friedens bedürfe und an einer festen bürgerlichen Ordnung interessiert sei. Er würde also nur Abgeordnete wählen, welche diese Güter wahren wollten.
Der aller Dinge anzunehmen, welche Kirche und Schule berührte größere Teil des politischen Katholizismus stand auch im Lager der Konstitutionellen und begrüßte die in der Verfassung garantierten kirchlichen Freiheiten. Am Sonntag vor den Wahlen sollte in den Kirchen ein Schreiben des Erzbischofs verlesen werden, das die Gläubigen belehrte und mahnte, nur die Abgeordneten zu wählen, denen ‚König und Volk, Kirche und Staat ebenso am Herzen liegen wie Ordnung und Gesetzlichkeit‘. Die verbreitete Meinung, das Wahlgeschäft gehe die Priester nichts an, konterte der Bischof von Trier mit dem Hinweis, die Geistlichen hätten im Gegenteil die Pflicht, sich aller Dinge anzunehmen, welche Kirche und Schule berührten. Und weil die Protestanten ohnehin im Lager der Krone standen, konnten die Konstitutionellen auf die Geistlichkeit beider Konfessionen zählen.
Dagegen befürchteten die Demokraten für das Rheinland einen schlimmen Ausgang der Wahl. Linke Abgeordnete schlossen sich in Berlin zu einem „Central-Comité für volksthümliche Wahlen im preußischen Staate“ zusammen und forderten ihre Parteigänger auf, in den Regierungsbezirken und auf örtlicher Ebene Komitees zu gründen. Für den Koblenzer Bezirk machte die Linke die Wohlfahrt zu ihrem zentralen Anliegen. Im Wahlprogramms argumentierte man, Wohlfahrt setze einen Staat voraus, der Ruhe und Ordnung durch die Befriedigung aller gerechten Ansprüche sichert... in dem Freiheit herrscht und alle Rechte und Pflichten gleich sind. Es solle ein nach innen und außen starker Staat sein mit einer starken Regierung, die aber nur für, niemals gegen das Volk handeln darf. Das Volk werde die Machtmittel der Regierung festsetzen und den Gebrauch überwachen. In Preußen müsse ein solcher Staat aber erst geschaffen werden und zwar auf einem friedlichen und gesetzlichen Wege.
In einem politischen Spagat warb die Linke um Zustimmung sowohl bei den Republikanern als auch bei den Konstitutionellen. Der extremen Linken galt das Bekenntnis zu staatlichen und sozialen Reformen und zur Herrschaft des Volkes. In Richtung Konstitutionelle pflegte man das Bild von dem König, der von seinen Räten verführt wurde. Zur Beruhigung des besitzenden Bürgertums unterließ die linke Propaganda, soziale Reformpläne näher auszuführen und verzichtete auf jede Gewaltandrohung.
Koblenz: Hilgers wird Wahlkommissar für den Wahlkreis I
Der Koblenzer Bezirk hatte insgesamt elf Abgeordnete zu wählen. Vom Regierungspräsidenten wurden fünf Wahlkreise gebildet und Landräte als Wahlkommissare eingesetzt. Hilgers bekam den aus den Kreisen Wetzlar, Altenkirchen und Neuwied gebildeten Wahlkreis I, der drei Abgeordnete für die Zweite Kammer stellte. Der Zuschnitt der Wahlkreise stand auch im Dienste des erhofften Ergebnisses: Die Konstitutionellen sollten begünstigt werden. Offensichtlich wollte die Koblenzer Regierung die demokratischen Elemente im Kreis Altenkirchen durch die bekannt guten Gesinnungen der Wähler der beiden anderen Kreise an die Leine legen.
Die Bestimmung Altenkirchens zum Wahlort erregte die Gemüter im Nachbarkreis Neuwied. Zahlreiche Petitionen und Beschwerden stützten die Forderung, die Kreisstadt Neuwied zum Wahlort zu machen. Der Rat der Stadt argumentierte, die Größe des Kreises spräche dafür und man stelle in Neuwied mit 217 Wahlmännern etwa ebenso viele wie Altenkirchen und Wetzlar zusammen. Selbst „gesinnungstreue“ Wahlmänner, gab man zu bedenken, würden nicht alle die beschwerliche Wintereise nach Altenkirchen unternehmen. Andere sahen die Unterkünfte am Wahlort überfordert.
Hermann Fürst zu Wied sorgte sich ebenfalls und machte den Koblenzer Oberpräsidenten auf einen Umstand aufmerksam, der auf die Resultate der Wahl in unserem Wahlbezirk von störendem Einfluß sein könnte. Er habe gehört, dass nach stattgefundener Wahl die Wahlmänner in Altenkirchen zur Deputirtenwahl zusammentreten sollen. Diese 400 Männer finden indeßen, so viel mir Altenkirchen bekannt ist, daselbst kein Lokal, das groß genug sein möchte, sie zu faßen; und zu den Hindernißen, die daraus für die Wahlhandlung selbst erwachsen könnten, kommen wahrscheinlich geschickte Manoeuvers von Partheihäuptern hinzu, die daselbst ihren Wohnsitz haben.(19)
Bei dem Gerangel der Städte ging es um mehr als die „Ehre“, die Wahlversammlung zu beherbergen. Der Aufenthalt von mehreren 100 Wahlmännern war für die örtlichen Hotels und Gaststätten... und deren Lieferanten ein lukratives Geschäft. Außerdem konnte das politische Lokalkolorit Wahlmänner beeinflussen, die noch ohne feste Bindung an einen Kandidaten zum Wahlort kamen. So galten die Abgesandten ländlicher Regionen als leichter zu beeinflussen; sie wurden erst in Gesprächen und Vorwahlen am Wahlort „bearbeitet“. (20)
In seiner Stellungnahme zu den Neuwieder Klagen sah Hilgers die Unterbringung gewährleistet und erlaubte sich den Hinweis, dass die Vorbereitungen nicht zurückgenommen werden könnten, ohne Missstimmung hervorzurufen. Wirthe und Private [hätten] schon Bestellungen an Bettwerk usw. gemacht und würden daher nicht unbedeutende Verluste erleiden. Der Landrat teilte die Befürchtung, dass die Demokraten am Wahlort Altenkirchen stärker Einfluss nehmen könnten als in Neuwied. Es gäbe aber auch hier [in Altenkirchen] eine große Zahl Wohlgesinnter und er selbst hoffe, dass die constitutionell-monarchische Partei in hiesigem Wahlbezirk obsiegen werde. Zu diesem Zweck habe man Justizrat Diesterweg zu Atzbach, Amtmann Schadt zu Neuwied und ihn selbst – Hilgers – als Kandidaten für die zweite Kammer in Aussicht genommen und man arbeite eifrig daran, eine Organisation zu Stande zu bringen. Für die erste Kammer stünde das Wahlprojekt noch nicht in dem Umfang fest. Hilgers verriet, sich bereits für Neuenburg als aussichtsreichen Bewerber entschieden zu haben und vermutete, dass die Demokraten Plönnies und Pheiffer aus Altenkirchen und Dr. Herr aus Wetzlar ins Rennen schicken werden. Hilgers fragte sich mit Sorge, ob von der conservativen Partei Fürst Solms-Lyck oder der Minister von Arnim am meisten Anklang finden werden.(21) Der Landrat, der selbst für die Konstitutionellen antrat und sich mit der Regierung im Einklang fühlte, nahm den politischen Gegner nicht nur links wahr, sondern sah auch die konservativen Kräfte rechts von seiner Position.
Die Sorge um den Wahlausgang im Wahlkreis I trieb sogar den Innenminister um; er empfahl Neuwied als Wahlort, aber der Oberpräsident folgte Hilgers, entschied sich für Altenkirchen und mahnte die Protestanten des Kreises Neuwied, unbeirrt patriotisches Verhalten zu zeigen und eifrig regierungstreu zu wählen.
Neuwied (Wahlkampf)
Neuwied und Linz standen für ein gespanntes Verhältnis zweier Nachbarstädte. Das katholische Linz sah mit Argwohn den Einfluss der Protestanten in Neuwied.(22) Bis 1822 war der Kreis Linz eigenständig. Linz verstand sich als Hauptort der katholischen Bevölkerungsmajorität im Kreis Neuwied. Der politische Hauptort des rechtsrheinischen Teiles des Regierungsbezirks war indes Neuwied, das sich gegenüber dem katholischen Koblenz als eine Art Vorkämpfer des Protestantismus fühlte.(23)
Zum Jahreswechsel 1848/49 fand sich in Neuwied ein „Konstitutioneller Verein“ zusammen. Schulamtskandidat Reck, Rektor Götz, Amtmann Schadt, aber auch Fürst Hermann zu Wied engagierten sich. Ein Komitee sollte die Wahlen vorbereiten und alle Aktionen – auch Urwählerversammlungen und Wahlmännervorwahlen – organisieren. Mit dem Eintreten für eine Trennung von Kirche und Staat und Abgrenzung gegen die Deutschkatholiken versuchte man eine Brücke zur katholischen Bevölkerungsmehrheit zu schlagen. Das gelang insoweit, als die Linzer Konstitutionellen die Neuwieder auf Kreisebene unterstützten. So verfügte man über eine eingespielte, gut funktionierende Organisation und wurde von zwei Zeitungen vorbehaltlos und von einer dritten teilweise unterstützt.(24) – Nicht bekannt ist, ob der Kreis eine eigene demokratische Wahlorganisation hatte, oder ob diese von dem Koblenzer ‚Comité für volksthümliche Wahlen‘ übernommen wurde.(25)
Am 2. Januar 1849 berichteten die Abgeordneten Schadt und Neuenburg, auf einer Bürgerversammlung in Linz über ihre Mission. Nach dem „Coblenzer Tageblatt“ gab Schadt eine ziemlich ausführliche Übersicht dessen, was in der Nationalversammlung zu Berlin verhandelt worden ist und berichtete getreulich und schminklos über seine Erfahrungen und Erlebnisse. Schadt zählte sich zum rechten Zentrum und schien – so das „Tageblatt“ – auf dem politischen Standpunkte zu stehen, der einer constitutionellen Monarchie ganz huldigt, und eine große und glänzende Krone erhalten wissen will; damit aber auch sicher und wohlgemeint den Wunsch und das Bestreben verpaart, die monarchischen Unterthanen möglichst frei und glücklich gestellt zu sehen.(26)
Altenkirchen (Wahlkampf)
Im Kreis Altenkirchen übernahm es Landrat Hilgers selbst, den regierungstreuen Wahlkampf zu organisieren. Es gab es drei Versammlungen der Konstitutionellen und auf der dritten, die am 21. Januar 1849 stattfand, wurden in einer Vorwahl Kandidaten bestimmt, die einen Tag später in Altenkirchen tatsächlich zu Wahlmännern gewählt wurden. Ob es sich schon um reguläre Treffen einer Parteigliederung handelte, lässt sich nicht sicher sagen, aber die Veranstaltungen hatten Zulauf und man zog für die Teilnahme nur eine Grenze: Demokraten wurden nicht zugelassen.(27)
Die Demokraten sollen in Altenkirchen nicht sehr weit links gestanden haben. In Plönnies, zuletzt Vizepräsident der preußischen Nationalversammlung, hatte der Kreis einen eigenen demokratischen Volkshelden und Wilhelmy, einer der Führer des demokratischen Klubs, war zweifellos gut königlich gesonnen.(28) Die Gegner der Konstitutionellen fanden in dem „Altenkirchener Intelligenz- und Kreisblatt“ ein verlässliches Sprachrohr. Landrat Hilgers, der nach dem Urteil Paul Schmidts ein ehrlicher Konstitutioneller und kein Reaktionär(29) war, wurde als politischer Widersacher und als Wahlkommissar heftig angriffen.
Wetzlar (Wahlkampf)
Über den Wahlkampf in Wetzlar ist so gut wie nichts bekannt. Es gab eine „Demokratische Partei“ und die Konstitutionellen, die von ihren Gegnern „Aristokraten“ genannt wurden. – Ein weiteres Beispiel für uneinheitliche Handhabung der Begrifflichkeiten. Selbst wenn sich örtliche Organisationen „Partei“ nannten, waren sie noch nicht Gliederungen eines landesweiten Parteiapparats.(30)
Altenkirchen (nach der Urwahl)
Das Ergebnis der Urwahl war für die constitutionell conservative Parthei um Hilgers enttäuschend. Man siegte zwar in Altenkirchen überzeugend und brachte alle Kandidaten durch(31), aber in Neuwied und Wetzlar – so Hilgers in einem Bericht an den Innenminister – seien die Wahlen sehr zweifelhaft ausgefallen und drohten noch zweifelhafter [zu]werden, weil die demokratische Partei alle und jede Mittel anwendet, die politisch unselbstständigen Wahlmänner zu sich herüber zu ziehen.(32)
Inzwischen protestierten die Demokraten förmlich gegen den wahlkämpfenden Hilgers(33) und verlangten, einen anderen mit der Leitung der Deputierten-Wahlen zu beauftragen(34). Der Landrat sei zu stark für die konstitutionelle Partei eingetreten und habe so seine neutrale Stellung zwischen den Parteien aufgegeben. Hilgers sah das anders und bezog Stellung:
Der Haß dieser Partei scheint sich insbesondere gegen mich geäußert zu haben und hat sie, wie allgemein bekannt, den Antrag gestellt, daß ich als Wahl-Commissar beseitigt werde. Ihre desfallsige Vorstellung meines Benehmens bei den hiesigen Urwahlen ist durchaus unrichtig und entstellt, und muß ich bitten, daß die Königliche Regierung das mir erteilte Commissorium nicht zurückzieht, weil damit nachgegeben werden würde, daß ich ungesetzlich gehandelt habe.
Jedem Wahlvorsteher, er mag für einen größeren oder kleineren Bezirk bestellt seyn, muß freistehen, sich einer politischen Partei anzuschließen, indem er sonst seines Wahlrechtes verlustig gehen würde, nur muß er bei der Wahl, die er zu leiten hat, unparteiisch zu Werke gehen.(35)
Der Altenkirchener Landrat blieb Wahlkommissar, vielleicht weil die Koblenzer Regierung die Absicht der Protestierenden erkannte, einen unbequemen Gegner aus dem Wege zu räumen. Möglich, dass Hilgers sich im Wahlkampf zu sehr engagiert hatte und mit dem ihm eigenen Eifer betrieb, was er für seine Aufgabe oder die an ihn gerichtete Erwartung hielt. Die untere Beamtenschaft sollte sich ja nicht neutral verhalten, sondern geschickt dazu beitragen, dass eine regierungsfreundliche Volksvertretung aus freien Wahlen hervorgehe. Im Grunde – so Schmidt – sagten diese Aufrufe alles und nichts und überließen die Verantwortung den nachgeordneten Behörden.(36)
Ihr Wahlprogramm veröffentlichten die Konstitutionellen übrigens erst zwei Tage nach der Urwahl. Der Zeitpunkt mag ein Hinweis sein, dass die politische Überzeugungsarbeit mehr den Wahlmännern als dem Wahlvolk galt. Bei der kommenden Abgeordnetenwahl am 5. Februar sollten die Gesinnungsgenossen Kurs halten und die konstitutionellen Kandidaten durchbringen. Inhaltlich bekannten sich die Konstitutionellen zur oktroyierten Verfassung, an der sie festhalten wollten bis das klare Bedürfnis unseres Staates oder die allgemeine deutsche Verfassung es verlangt, sie weiterzuentwickeln. Man befand sich in der Mitte, gegen Umsturz und Vernichtung der staatlichen Verhältnisse von links, aber auch gegen den reaktionären Rückfall in eine absolute Herrschaft.(37)
Neuwied (nach der Urwahl)
Eine der Vorberatungen für Wahlmänner verschiedenen Bürgermeistereien des Kreises Neuwied fand am 30. Januar in Rheinbrohl in einem Schullokal statt. Soweit es das „Volksblatt“ beurteilen wollte(38), handelte es sich bei den Wahlmännern um sämmtlich ruhige, besonnene und von dem guten Geiste für Recht und Wahrheit, Gesetz und Ordnung beseelte Männer, welche gewiß bei jedem ihrer Schritte, bei jeder ihrer Handlungen das allbeglückende Wohl des theuren Vaterlandes als unverrückbares Ziel im Auge halten werden.
Amtmann Schadt, der frühere Abgeordnete, fand den Zuspruch der überwiegenden Zahl der anwesenden Wahlmänner. Aus der Versammlung heraus wurden Diesterweg und Dr. Herr aus dem Kreis Wetzlar, Jung und der Advokat Pheiffer aus Altenkirchen und der Dr. Wurzer aus dem Kreis Neuwied vorgeschlagen. Bei einer Art Probeabstimmung konnten Schadt, Dr. Wurzer und Pheiffer die meisten Stimmen auf sich vereinigen. Pheiffer räumte das Blatt gute Chancen ein, als Abgeordneter aus der Wahlurne hervorzugehen. Im Übrigen sei außer allem Zweifel, daß der Kampf in Altenkirchen ein heißer sein werde. Die Zeitung fürchtete eine leicht mögliche Zersplitterung auf Seiten der Konservativen und dass das Resultat der Wahlen... ein nicht erfreuliches sein werde. Die Gegenpartei sei mächtiger, als vielleicht vermutet. Festes Zusammenhalten aller Gutegesinnten sei ganz besonders diesmal nothwendig. L’union fait la force, versprach das „Volksblatt“. Die Nominierungen waren das Ergebnis eines Proporzes: Pheiffers Benennung war das Zugeständnis an Altenkirchen, Schadt war evangelisch und Dr. Wurzer katholisch. Neuwied blieb außen vor und konnte auch auf weiteren Versammlungen keine Kandidatur festklopfen.(39)
Abgeordnetenwahl in Altenkirchen
In Altenkirchen traten zwei fast gleichstarke Lager zur Abgeordnetenwahl an, aber die Konstitutionellen konnten in den Wahlen am 5. und 6. Februar 1849 nur einen Kandidaten durchbringen.(40) Mit zwei Abgeordneten durften sich die Demokraten als Gewinner im Wahlkreis Altenkirchen – Neuwied – Wetzlar fühlen. Das erste Mandat ging an den Altenkirchener Advokaten Pheiffer, der zur demokratischen Partei gezählt wurde und mehrere Wahlgänge benötigte, um sich gegen den konstitutionellen Bewerber Diesterweg aus Atzbach(41) durchzusetzen. Pheiffers Wahl löste schon in der Kirche, in der gewählt wurde, großen Jubel und Bravo-Rufe bei den Demokraten aus.
Diesterweg nutze dann am zweiten Tag seine Chance und verschaffte dem konservativen Lager ein Mandat; er siegte gegen demokratischen Bewerber Mengelberg. Der dritte Wahlgang begann um 15 Uhr und benötigte mehr als vier Stunden, bevor feststand, dass die Demokraten einen weiteren Abgeordneten in die Zweite Kammer schicken konnten. Die Mehrheit wählte Dr. Herr, der für die Konstitutionellen kandidierende Amtmann Schadt hatte das Nachsehen. In allen drei Wahlen gab es weitere Bewerber, die nur wenige Stimmen erhielten und nicht zum Zuge kamen; unter ihnen Plönnies, der am ersten Tag mit nur 6 Stimmen schon in der ersten Runde ausschied und auch am zweiten Tag im parteiinternen Vergleich gegen Mengelberg den Kürzeren zog.(42)
Am Wahlort feierten die Demokraten, sie hatten zwei Abgeordnete durchgebracht. Das „Volksblatt“ druckte eine Extrabeilage für die Ausgabe vom 7. Februar mit einer „Nachschrift“ zum Ergebnis der dritten Wahl, für das der Reporter sich nicht verbürgen wollte, da der tobende Jubel ihn nicht Alles hören ließ. Mit Musik zieht man jetzt durch die Stadt von Herrn Pheiffer zu Herrn Herr.(43) Zwei Tage später wusste das mit den Konservativen – den Gutgesinnten – sympathisierende „Volksblatt“ noch von Demokraten zu berichten, die nicht nur Musik machten, sondern auch unter wildem Geschrei durch die Stadt zogen und durch ihr höhnendes Betragen an den Tag legten, daß Freiheit und Frechheit bei ihnen ziemlich gleichbedeutend seien.
Die Konservativen hätten ritterlich gekämpft und durch ihr festes Zusammenhalten selbst der Gegenparthei Achtung eingeflößt. Schadts Misserfolg führte die Zeitung auf mehrere Abtrünnige zurück, deren Verstimmung auch durch das Auftreten des Landrats von Hilgers in Rheinbrohl nicht hatte besänftigt werden können.(44) Zudem hätten sich einige katholische Orte von der konstitutionellen Seite abgewandt, aber der Erfolg der Demokraten sei auch damit zu erklären, dass die Wahl schließlich doch in Altenkirchen stattgefunden habe. Dort hätten die Demokraten für Unterkunft und einen Versammlungsort gesorgt und deshalb seien einige Wahlmänner eben zu den Demokraten gegangen. Viele Landleute wären vielleicht auch zu den Konstitutionellen gegangen, wenn sie sich in einem bescheideneren Lokale versammelt hätten. In Neuwied hätte man gesiegt, waren sich die Konstitutionellen sicher, doch vermutlich hatte man mit dem Protest gegen den Wahlort Altenkirchen Leute aus Wetzlar gegen sich aufgebracht, für die eine Reise nach Neuwied eine weitaus größere Zumutung war als nach Altenkirchen.(45)
Selbst die Demokraten leckten ihre Wunden. Gegen die Erwartungen hatten Neuwied, Unkel und Linz konstitutionell gewählt. Den Linzer Gesinnungswandel von der Ablehnung der Verlegung und Vertagung der Nationalversammlung... hin zu einer regierungsfreundlichen Wahl wollte man sich nur mit dem Einsatz von Branntwein, Geld und allerhand Versprechungen erklären. Zu beobachten war, dass Bürgermeistereien, in denen das "Altenkirchener Intelligenzblatt" stark verbreitet war, demokratisch wählten. Eine Wahlmännerversammlung beschwerte sich nach dem Vorbild dieser Zeitung auch über den Wahlkommissar Hilgers.(46) Der Landrat war katholisch, aber die konfessionelle Zugehörigkeit trat als Einflussfaktor für das Abstimmungsverhalten der Wahlmänner hinter anderen Motiven zurück. – Für Schmidt ist es vielleicht das überraschendste Ergebnis dieser Wahl.(47)
Neuwied war doppelt enttäuscht. Obwohl man fast jeden zweiten Wahlmann stellte, unterlagen die konstitutionellen Kandidaten und keiner der Abgeordneten kam aus dem Kreisgebiet.(48) Der Wahlausgang fand im „Volksblatt“ kein positives Echo(49); man bedauerte das Fehlen eines starken Zentrums: Die rechte und die linke Seite der Kammer sind die Scylla und die Charybdis für das Staatsschiff. Für den wirklich konstitutionellen Staat sollte das Ministerium eine Mehrheit haben, das sei aber nicht zu erwarten. Die Extreme seien zu sehr hervorgetreten, eine ruhige Vermittlung habe man vermisst. Bei aller Enttäuschung bemühte sich das Blatt aber in mehreren Artikeln um eine Versachlichung der Debatte: Die Demokraten seien nicht gerade absolute Republikaner; sie seien Rheinländer und für die gelte, dass sie Gott fürchten und den König ehren, sich aber nicht bevormunden lassen. Man wolle nicht bloß von Huld und Gnade leben, sondern verlange auch Rechte für das Volk.(50)
Schmidt erklärt den Misserfolg der Konstitutionellen mit der mangelnden Trennung der politischen Lager: Die Demokraten konnten propagandistisch nicht ohne weiteres ins Lager der Republikaner geschoben werden, dafür standen sie nicht links genug, denn „Königstreue“ war nicht das Alleinstellungsmerkmal der Konstitutionellen. Beide Seiten gebrauchten neben den vereinfachenden Attributen „konservativ“, „konstitutionell“ und „demokratisch“ für sich selbst und für den Gegner ebenso häufig die Bezeichnungen „konstitutionell-monarchisch“, „konstitutionell-aristokratisch“ und „konstitutionell-demokratisch“. Fehlt aber eine politisch begründete Unterscheidung der Lager, dann kommen bei den Wahlentscheidungen andere Aspekte zum Tragen.(51)
Der Koblenzer Oberbürgermeister Bachem attestierte der großen Masse, bei diesen Wahlen weniger einer republikanischen Tendenz als vielmehr einer sozialen gefolgt zu sein.(52) Wie vorgesehen, hatte der Regierungsbezirk Koblenz insgesamt elf Abgeordnete für die zweite Kammer gewählt: Altenkirchen wurde durch den ortsansässigen Advokaten Julius Pheiffer, 42 Jahre alt, vertreten; für Neuwied zog der 40jährige Justizrat Karl Diesterweg aus Atzbach in das Parlament ein und für Wetzlar, der dort wohnende Arzt, Dr. med. Friedrich Moritz Herr, der mit 31 Jahren der jüngste Abgeordnete im Bezirk war. Das Durchschnittsalter der elf Parlamentarier betrug 41 ½ Jahre.
Einige Tage vor der Eröffnung der Kammern in Berlin fand das „Volksblatt“, dass es an der Zeit sei, sich in Erinnerung zu rufen, was die demokratischen Abgeordneten Pfeiffer und Dr. Herr vor der Wahl gesagt hätten. Beide stünden bei ihren Kritikern im Rufe republikanischer Gesinnung, würden aber die Verfassung vom 5. Dezember 1848 und deren Revision durch die Kammern anerkennen. Pheiffer wünsche sich eine sofortige organische Gesetzgebung zum Wohle des Volkes und ein ungestörtes, schleuniges Verfassungs-Revisionswerk. Herr dagegen habe sich das materielle Wohl des Volkes zur Aufgabe gemacht. Ihm läge daran, die Mittelklasse zu fördern, aus der sich sonst das Proletariat rekrutieren würde. Er wolle Preußen stark sehen, damit auf dem Haupte der Hohenzollern die Krone Deutschlands einstens glänze. – Keine Ursache, sich zu grämen, folgert das Blatt, man sähe ja, dass der Republikanismus bei beiden Deputirten nicht heimisch ist.(53)
November 2024
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Bildnachweise:
1 Hans Victor von Unruh, Autor unbekannt, Wikipedia, gemeinfrei.
2 Leo von Massenbach, unbekannter Fotograf, Wikipedia, höchstwahrscheinlich gemeinfrei, Bearb.: dg
3 Siegel Oberpräsident des Rheinlands, veikkos-archiv - Wikimedia Commons, Bearb.: dg.
4 Siegel Bezirksregierung Koblenz, eigene Sammlung, Foto: dg
5 Hermann zu Wied, unbekannter Maler, Wikipedia, vermutlich gemeinfrei, Ausschnitt u. Bearb.: dg.
Quellen und Literatur:
(1) Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800 – 1866, Bürgerwelt und starker Staat, München 1983, S. 650.
(2) Hans Victor von Unruh, Skizzen aus Preußens neuester Geschichte, Magdeburg 1849, S. 116. – hdl.handle.net
(3) Paul Schmidt, Die Wahlen im Regierungsbezirk Koblenz 1849 bis 1867/69, Bonn 1971, S. 62.
(4) Schmidt, Wahlen, a.a.O., S. 62, Anmerkungen:... es handelt sich wahrscheinlich nicht um konservative, sondern um linksstehende Beamte im Kreise um Plönnies.
(5) LHAKo Best. 441 Nr. 8317, S. 35. – Schreiben vom 18.12.1848.
(6) LHAKo Best. 441 Nr. 8317, S. 43-46. – Konzept eines Schreibens mit Datumsangabe 02.01.1949. Der Text folgt dieser Quelle.
(7) Vgl. Schmidt, Wahlen, a.a.O., S. 61: Die Überraschung über die liberale Verfassung war allgemein... Kritik kam zunächst nur von den äußersten Flügeln..., sie bezog sich... bei der Linken vornehmlich auch auf die Tatsache der Oktroyierung als eines Bruches des durch das königliche Versprechen garantierten Vereinbarungsprinzips.
(8) Nach Artikel 108 sollten die bestehenden Steuern und Abgaben weiterhin erhoben werden und auch alle verfassungskonformen Gesetze und Verordnungen in Kraft bleiben, bis sie durch ein Gesetz abgeändert würden. Artikel 110 sah für den Fall eines Krieges oder Aufruhrs vor, einige Bestimmungen der Verfassung außer Kraft zu setzen. – Vgl. Text der Verfassung vom 5.12.1848.
(9) Vgl. Schmidt, Wahlen, a.a.O., S. 56: Die Koblenzer Presse stand hinter der Nationalversammlung. Dabei scheint sich die ‚Rhein- und Mosel-Zeitung‘ in den Angriffen gegen die Regierung besonders hervorgetan zu haben, denn selbst ein so anerkannter Liberaler wie der Landrat Delius von Mayen, ... forderte in einem Bericht an den Regierungspräsidenten (6. XII. 1848), diese Zeitung zur Verantwortung zu ziehen.
(10) LHAKo Best. 441 Nr. 8317, S. 46.
(11) Manfred Botzenhart, Deutscher Parlamentarismus 1840-1850, Düsseldorf 1977, S. 137f.
(12) Botzenhart, Parlamentarismus, a.a.O., S. 606.
(13) Nipperdey, Bürgerwelt, a.a.O., S. 650.
(14) LHAKo Best. 403 Nr. 9670, S. 187f. – Schreiben vom 08.12.1848.
(15) Eichmann, Franz August – Oberpräsident vom 16.7.45 bis 20.9.48 (dann Innenminister bis zum 8.11.48 im Ministerium Pfuel) vom 12.11.1848 an erneut Oberpräsident in Koblenz bis zum 31.8.1850. – Romeyk, Verwaltungsbeamte, S. 430.
(16) LHAKo Best. 403 Nr. 9670, S. 203f. – Schreiben vom 10.12.1848.
(17) LHAKo Best. 441 Nr. 8299, S. 47f. – Schreiben vom 31.12.1848.
(18) Schmidt, Wahlen, a.a.O. – Wenn nicht anders zitiert folgt der Text den Seiten 68 bis 71.
(19) LHAKo Best. 441 Nr. 8299, S. 69f. – Schreiben vom 29.12.1848.
(20) Schmidt, Wahlen, a.a.O., S. 66.
(21) LHAKo Best. 403 Nr. 9670, S. 309ff. – Schreiben vom 09.01.1849.
(22) Schmidt, Wahlen, a.a.O., S. 37.
(23) Schmidt, Wahlen, a.a.O., S. 43f..
(24) Schmidt, Wahlen, a.a.O., S. 72.
(25) Schmidt, Wahlen, a.a.O., S. 73.
(26) Coblenzer Tageblatt, 2. Jahrgang, Nr. 7 vom 09.01.1849.
(27) Schmidt, Wahlen, a.a.O., S. 71.
(28) Der zweite Versuch zur Gründung eines „links“ stehenden Vereins in Altenkirchen fand im November 1848 statt, vgl. oben. Ursprünglich als „Constitutioneller Club“ benannt, gab der Verein sich später – vermutlich in Abgrenzung zu denen, die die Oktroyierung akzeptierten – den Namen „Demokratischer Klubb“. – Schmidt, Wahlen, a.a.O., S. 71.
(29) Schmidt, Wahlen, a.a.O., S. 72.
(30) Schmidt, Wahlen, a.a.O., S. 74.
(31) Schmidt, Wahlen, a.a.O., S. 72.
(32) LHAKo Best. 403 Nr. 8299 – Abschrift eines Berichts des Altenkirchener Landrats an den Innenminister vom 27.01.1849.
(33) Schmidt, Wahlen, a.a.O., S. 66f.– Wenn nicht anders zitiert, folgt der Text den Ausführungen bei Schmidt.
(34) LHAKo Best. 403 Nr. 9671, S. 43 – Aktenvermerk zu einer Eingabe der Dr. Arnoldi, David, Pfeiffer & Cons. zu Altenkirchen vom 24. Januar. – Vgl. LHAKo Best. 403 Nr. 9671, S. 87 – Aktenvermerk zu einer Eingabe der Einwohner F.A.J. Liertz, Carl Schumann & Cons. zu Altenkirchen vom 29. Januar 1849: Die in dem Altenkirchener Kreisblatt No. 15 und in anderen Blättern befindlichen Inserate wider den Landrath v. Hilgers zu Altenkirchen wegen Wahl-Intriguen... an die zuständige Behörde weitergeleitet. – Vgl. LHAKo Best. 403 Nr. 9671, S. 89f. – Die im Kreisblatt von Altenkirchen No. 8 Volksblatt v. 28 Januar enthaltenen Beschuldigungen gegen den angeordneten Wahl-Commissar haben, in dieser gewichtigen Weise und von solchen Männern ausgesprochen, allgemeines Aufsehen und bei dem Volke allgemein Mißtrauen erregt.
Wir befürchten Unruhe im Volke, wenn es bei der Anordnung dieses Wahl-Commissars verbleiben sollte, und mußten uns erlauben, ohne irgend Partei zu nehmen, Ein hohes Oberpräsidium auf diesen Gegenstand aufmerksam zu machen. – Die in Neustadt versammelten Wahlmänner der Bürgermeistereien Asbach, Neustadt und Waldbreitbach (etwa 28 Unterschriften) – Bearbeitungsvermerk: Der Ueberbringer dieser Vorstellung Stephan Scheid ist mündlich beschieden worden, daher Zu den Acten. 2. Februar 1849.
(35) LHAKo Best. 403 Nr. 9671, S. 277ff. – Bericht an den Oberpräsidenten vom 28.01.1849.
(36) Schmidt, Wahlen, a.a.O., S. 66f.
(37) Schmidt, Wahlen, a.a.O., S. 71.
(38) Volksblatt für Stadt und Land. Neuwied, 1. Jahrgang, Nr. 15 vom 02.02.1849.
(39) Schmidt, Wahlen, a.a.O., S. 75.
(40) Volksblatt für Stadt und Land. Neuwied, 1. Jahrgang, Nr. 18 vom 09.02.1849.
(41) Franz Lauter, Preußens Volksvertretung... Alphabetisches Namensregister, S. 36: Nr. 433. Diesterweg, Justizrath, Atzbach.
(42) Schmidt, Wahlen, a.a.O., S. 76.
(43) Volksblatt für Stadt und Land. Neuwied, 1. Jahrgang, Nr. 17, Extra-Beilage vom 07.02.1849.
(44) Nach Beobachtungen des Volksblatts gingen viele Stimmen von Wahlmännern aus Engers, Heimbach, Maischeid, Oberbieber und der Umgegend für Herrn Schadt verloren. Nr. 18 ebenda.
(45) Schmidt, Wahlen, a.a.O., S. 77.
(46) Schmidt, Wahlen, a.a.O., S. 74.
(47) Schmidt, Wahlen, a.a.O., S. 104.
(48) Schmidt, Wahlen, a.a.O., S. 77.
(49) Volksblatt für Stadt und Land. Neuwied, 1. Jahrgang, Nr. 18 vom 18.02.1849.
(50) Volksblatt für Stadt und Land. Neuwied, 1. Jahrgang, Nr. 22 vom 09.02.1849.
(51) Schmidt, Wahlen, a.a.O., S. 77.
(52) Schmidt, Wahlen, a.a.O., S. 83.
(53) Volksblatt für Stadt und Land. Neuwied, 1. Jahrgang, Nr. 18 vom 09.02.1849.