Biografische Skizzen:
Franz Jakob von Hilgers, Landrat und Abgeordneter, * 1810 – † 1877
Dieter Gewitzsch
Wildenburg-Schönstein – "Rosenkrieg" in der Standesherrschaft im Kreis Altenkirchen
Zum Kreis Altenkirchen gehörte seit 1821 die Standesherrschaft Wildenburg-Schönstein, ein zusammenhängender Grundbesitz der Familie v. Hatzfeldt, nördlich und südlich der Sieg gelegen, mit den Schlössern Schönstein, Wildenburg und Crottorf. Die gräfliche Herrschaft mit eigenen Organen und Befugnissen erschien bisweilen als „Staat im Staate“, die sich in besonderen Situationen mit der Kreisbehörde rieb. Wie im Jahre 1847, als sich eine Episode des Ehedramas zwischen Edmund und Sophie v. Hatzfeldt in der Herrschaft Wildenburg abspielte und der Landrat des Kreises Altenkirchen, Franz Jakob von Hilgers, sich gefordert sah.
Die 1805 in Berlin geborene Reichsgräfin Sophie Prinzessin von Hatzfeldt-Wildenburg-Schönstein war 1822 im Alter von 17 Jahren mit ihrem Vetter Edmund Reichsgraf v. Hatzfeldt-Wildenburg verheiratet worden.[1] Die Ehe scheiterte und während des heftig geführten Rosenkrieges traf die Gräfin im Januar 1846 den zwanzig Jahre jüngeren Ferdinand Lassalle, der gleich für sie Partei ergriff. In ihm fand sie einen Freund. Der junge Gelehrte wurde ihr „Specialbevollmächtigter“ für die zu führenden Prozesse. Das ungleiche Paar war auf eine besondere Art verbunden; die Geschichte dieser Beziehung füllt einige Bücher. Im August 1846 scheiterte dann ein letzter Versöhnungsversuch der Ehegatten Hatzfeldt und im April des folgenden Jahres reichte Edmund eine Scheidungsklage gegen seine Frau Sophie ein. Das Publikum nahm regen Anteil an dem Schicksal der Gräfin, deren Kampf, unterstützt durch die liberale und demokratische Presse, zu einer öffentlichen Angelegenheit wurde.[2]
Für einige Betrachter bildete der Ehestreit die Fronten des Vormärz ab: Die demokratische Bewegung ergriff Partei für Sophie von Hatzfeldt, die feudale Reaktion stand auf der Seite des Grafen.[3] Lassalle darf unterstellt werden, dass er im Fall Hatzfeldt allgemein gegen Unrecht kämpfen wollte. Er sah aber auch die Chance, sich in einem populären Prozess zu profilieren. Die Gräfin lobte Lassalles Engagement, gewährte großzügige Honorare und unterstützte ihn finanziell über die Zeit der Prozesse hinaus.[4] Doch beide sahen sich in ihren Lagern der Kritik ausgesetzt: Parteifreunde warfen Lassalle die Beziehung zum „Klassenfeind“ vor und weder die Gesellschaft noch die Familie verzieh der Gräfin, daß sie sich mit einem „kommunistischen Juden“ einließ.[5] Im November 1847 reichte Sophie v. Hatzfeldt ihrerseits die Scheidungsklage ein. Der erste Abschnitt der Schrift mit dem Titel „Schwere Mißhandlungen und Beleidigungen“[6] führt auch ins Wildenburgische und berichtet, was sich Juni/Juli 1847 bei den Schlössern Schönstein und Crottorf zutrug.
Edmund von Hatzfeldt beschränkt den Zugang zu den Schlössern
Schönstein
Die Gräfin traf am 24. Juni 1847 auf Schloss Schönstein ein.[7] Sie wurde von ihrem Sohn Paul, dem Bevollmächtigten Lassalle und Sekretär Gladbach begleitet. Zur Gesellschaft gehörten zwei Bauern, die für die Zeit des Aufenthalts als Diener eingestellt wurden. Lassalle wohnte im nahen Dorf Wissen, alle anderen sollten im Schloss untergebracht werden. Am Abend erklärte Schlossverwalter Höller, dass er nach strenger Anweisung des Grafen Hatzfeldt nur die Gräfin und ihren Sohn ins Schloss lassen dürfe, dem Sekretär und den Dienern aber das Nachtlager verweigern müsse.
Am anderen Morgen erschien Bürgermeister Meyer aus Wissen mit einem Polizeisoldaten, ließ das Schlosstor besetzen und wünschte Sophie von Hatzfeldt zu sprechen. Er handle auf strengen Befehl des Oberbeamten Schlechter, habe die beiden Bauern aus dem Schlosse zu entfernen und [dürfe] keinerlei Besuch zu der Gräfin ... lassen. Im Verlauf der Auseinandersetzung wurde Schlechter herbeigerufen. Der Oberbeamte bestätigte die Anordnung des Grafen und ergänzte, dass er Besucher eventuell mit Polizeigewalt zu entfernen habe. Einwände der Gegenseite wirkten bei Schlechter nicht. Er gestattete weder Lassalle den Besuch seiner Klientin noch dem Sekretär den Zugang zum Schloss.
Zu Handgreiflichkeiten kam es, als die Gräfin, um zu erproben wie weit eine so unerhörte Beleidigung ... getrieben werden würde, mit Anwalt und Sohn am Arm die Stufen des Schlosses hinaufstieg. Mit den Worten „greift sie und schmeißt sie hinunter“, soll Schlechter den Polizeisoldaten und einige Knechte zur Tat kommandiert haben, die dann Lassalle, den Sohn und auch den Sekretär die Treppe hinunter stürzten. Die Gräfin selbst wurde hin und her gestoßen und verlor beinahe ihren Halt. Ein Knecht zog den Säbel des Polizeisoldaten ... und schwang ihn fortwährend über dem Haupte der Frau. Dorfbewohner wurden Zeugen der Rauferei; es war die Zeit der Messe.
Crottorf
Was in Schönstein nicht gelang, versuchte Sophie von Hatzfeldt am folgenden Tag (26. Juni 1847) bei dem zwei Meilen entfernten Schloss Crottorf, fand aber die eisernen Tore verschlossen. Der Schönsteiner Rentmeister hatte seinem Crottorfer Kollegen Wisselingk die Ankunft der Gräfin angekündigt und der hatte vorgesorgt. Er holte sämtliche Förster mit ihren geladenen Gewehren ins Schloss. Auf der anderen Seite bewegte das Gerücht von der Ankunft der Gräfin etwa zwanzig Bauern, sich vor dem Schlosstor einzufinden.
In Begleitung ihres Sohnes und Lassalles forderte Sophie von Hatzfeldt Einlass in das gräfliche Schloss. Rentmeister Wisselingk verweigerte ihr den Einlass und ließ sich auch von entsprechenden Aufforderungen des Gemeindevorstehers Sollbach und des Friesenhagener Bürgermeisters Müller nicht umstimmen. Wiederholt drohte der Rentmeister, „er habe die Förster zusammengezogen und werde Feuer geben, wenn die Gräfin sich nicht entferne.“ – Wieder wurde nach dem Oberbeamten geschickt, aber Schlechter ließ sich nicht blicken. Am Abend kehrte der gräfliche Tross nach Schönstein zurück.
Am dritten Tag, dem 27. Juni 1847, kehrte die Gräfin mit dem Friedensgericht nach Crottorf zurück, wo unterdeß Gensdarmen postirt waren ... die aber nicht hierher gehörten. Der Einsatz und das aggressive Verhalten der ortsfremden Waffenträger wurden später von der Regierung in Koblenz untersucht. Zunächst aber weigerte sich der Rentmeister von Crottorf auch dem Friedensgericht gegenüber, das Schloss zu öffnen. Als es Nacht wurde und in der näheren Umgebung kein Unterkommen und Schlaflager für eine Frau, geschweige für eine Dame hohen Standes zu finden war, veranlasste die fortdauernde Unnachgiebigkeit des Rentmeisters den Oberbeamten Schlechter, sich auf seine polizeilichen Kompetenzen zu besinnen. Er befahl den anwesenden Gensdarmen das Schloß gewaltsam zu öffnen. Ohne Erfolg, denn die Bewaffneten revoltierten gegen ihren Vorgesetzten. Sie würden sich gewaltthätig widersetzen, erklärten sie und beriefen sich auf die Privatinstruktion des Landrats Sonoré zu Waldbröhl (eines Freundes des Grafen). So endete der erste Versuch Sophie von Hatzfeldts, in eines der gräflichen Schlösser einzuziehen, damit, dass sie die Nacht in einer schlechten Bauernhütte ... auf einem Stuhle durchwachen musste.
Wie weit reicht der Arm der königlichen Behörde?
Anfang Juli 1847 unternahm die Gräfin einen weiteren Versuch, in das Schloss Schönstein zu gelangen. Diesmal war auch der Altenkirchener Landrat beteiligt. Hilgers erschien im Auftrag der Regierung, handelte sich aber später für seine Art der Amtsführung kritische Bemerkungen ein, die in der Personalakte verblieben.
Verschafft Hilgers der Gräfin Zugang zu den Schlössern?
Die Partei der Gräfin ging davon aus, dass die Regierung die Polizeigewalt des Landrats kommissarisch auf die Standesherrschaft ausgedehnt hatte und Hilgers nun der Gräfin voran [eilen wollte,] um etwaigen Widerstand gegen ihren Eintritt in Schönstein zu beseitigen. Das wäre ein schwieriges Unterfangen gewesen, denn dort vertrat inzwischen der Domänen-Direktor Wachter aus Düsseldorf die Interessen des Grafen Hatzfeldt. Er verbarrikadierte sich mit bewaffneten Förstern und vielen Knechten hinter den Schlosstoren und gab dem Landrat schriftlich zu Protokoll, dass er sich mit gewaffneter Hand jedem Versuch, der Gräfin Eintritt zu verschaffen, widersetzen wolle und auch der Anwendung von Polizeigewalt widerstehen werde. Auf Fragen des Landrats erklärte Wachter, er sei durch eine ausdrückliche General- und Special-Vollmacht des Grafen Hatzfeldt dazu ermächtigt. Hilgers hielt es unter diesen Umständen nicht für rathsam, das Aeußerste zu versuchen und bestätigte der Gräfin schriftlich,[8] dass es der königlichen Behörde unmöglich sei, ihr den Einlaß in das Schloß Schönstein mit Gewalt zu erzwingen, solange es kein eindeutiges Ersuchen des zuständigen Gerichts um Amtshilfe gäbe.[9]
Königlicher Landrat trifft auf standesherrlichen Oberbeamten
Wachter und Hilgers bekleideten in der Auseinandersetzung vergleichbare Positionen.[10] Dem königlichen Landrat im Kreis entsprach in der Standesherrschaft der gräfliche Oberbeamte; die Rolle hatte Wachter übernommen. Beide unterstanden der königlichen Regierung im Bezirk Koblenz. Die Standesherren hatten das Recht, in ihrem Bezirk die niedere Polizei in den Grenzen auszuüben, die auch für Landräte galten. Grundsätzlich waren die standesherrlichen Behörden frei von landrätlichen Verfügungen, aber sie hatten dem Landrat auf dessen Ersuchen über alle Gegenstände der Polizeiverwaltung Auskunft zu geben. Der Landrat – so das Allgemeine Landrecht – bleibt das Organ, durch welches die Provinzialregierung von dem Gange und dem Zustande dieses Zweiges der Verwaltung im standesherrlichen Bezirke Kenntnis nehmen kann.[11]
Koblenz empfiehlt Zurückhaltung gegenüber der Standesherrschaft, ...
Hilgers' Berichte hielten die Koblenzer Regierung auf dem Laufenden. Von der Abteilung des Innern bekam der Landrat am 5. Juli 1847 eine ausführliche Rückmeldung zu seinem Verhalten im Fall Hatzfeldt.[12] Im Ton belehrend, in der Sache bestätigend, führte die Regierung aus[13], dass sich weder die königliche noch die standesherrliche Polizeibehörde in Privatstreitigkeiten einzumischen habe und keinesfalls dazu herzugeben dürfe, ohne gerichtliches Ersuchen einer Seite durch Gewaltsmaßregeln behilflich zu seyn. Die Erledigung dieser Streitigkeiten muß vielmehr eben den Gerichten überlassen bleiben. Die Polizei habe nur darüber zu wachen und dafür zu sorgen, daß keine öffentlichen Ruhestörungen oder noch strafwürdigere Exzesse vorfallen. Gegen Täter solle sie innerhalb der gesetzlichen Schranken ... mit allem Ernste einschreiten.
Dem Landrat wurde aber zum Vorwurf gemacht, er habe seinen Auftrag überschritten, als er den Oberbeamten Wachter von seiner polizeilichen Funktion entband. Es hätte gereicht, Wachter zur Ausführung geeigneter Maßnahmen zu bewegen. Der Oberbeamte solle seine polizeilichen Funktionen im gewöhnlichen Rahmen und – wenn der Drang des Augenblicks es erheischt – selbstständig ausführen können. Von Hilgers erwartete die Regierung, dass er Wachter in seine polizeilichen Funktionen als baldigst wieder einsetzen werde. Wachter sei bevollmächtigt und berechtigt, den privaten Streit nach den Anweisungen des Grafen zu führen. Die Regierung sah ihn auch dann im Recht, wenn er sich gegen eine illegal einschreitende Polizeibehörde ... seines Hausrechts bediene. Bei Angriffen Dritter müsse ihm polizeilicher Schutz gewährt werden.
... die Ausweisung Lassalles und eine Ermahnung an die Gräfin.
Wenn Sie Ihr Verfahren nach obigen Andeutungen richten, so die Regierung weiter, werde es nicht zu Vorfällen kommen, für welche die Ihnen bereits zu Gebote stehenden Gendarmen nicht ausreichen würden. Die Angelegenheit selbst könne sich vor allem dann beruhigen, wenn der Landrat Lassalle wegen seines abgelaufenen Passes und des gegen ihn vorliegenden Verdachts, zu unruhigen Auftritten geraten und diese befördert zu haben, in seine Heimat zurückweisen werde.
Die Gräfin selbst möge eindringlichst zur Ruhe und Besonnenheit ermahnt werden. Hilgers wurde beauftragt, an ihre Verantwortlichkeit zu appellieren und sie an die Maßregeln zu erinnern, die ihr bei dem geringsten Anlaß turbulenter Auftritte ... bevorstünden.
Mit spitzer Feder: Rosenkrieg im Spiegel der Presse
Im „Altenkirchener Intelligenz- und Kreisblatt“ fand sich in der Ausgabe vom 8. Juli 1847 diese Anzeige:
[Bitte.] Es wäre sehr zu wünschen, wenn Jemanden über die Ereignisse der letzten Tage in Schönstein und Krottorf einiges in diesen Blättern niederlegte. Viele Leser des Kreisblattes.
Die Leser konnten sich nicht beklagen. In den Zeitungen fand der Streit der hochgeborenen Persönlichkeiten seinen Niederschlag und die Schreiber bezogen meinungsfroh Stellung. So befürchtete der Autor einer "Privatmittheilung" mit Blick auf die Vorgänge in Crottorf, dass ein gegenseitiges Auftreiben der Bauern ... zu blutigen Excessen führen könne. Die Mehrheit der Bauern stünde auf Seiten der Gräfin, die manchen durch wohltätige Spenden für sich gewonnen hätte.[14]
Flügelkleid und dampfende Zigarre
Mitte Juli wusste dann die „Rhein- und Moselzeitung“ zu berichten, was man sich in Köln mit Bestimmtheit erzählte, nämlich daß die Gräfin Hatzfeldt von Schönstein’schen Bauern, unter welche sie Aufruhrzettel verbreitet, gemißhandelt, körperlich ergriffen und eingesperrt worden sei. In der Herrschaft Schönstein ... soll auch Eins und Anderes ... vorgegangen sein, was Prozeduren zur Folge haben wird, aber ihrer leiblichen Freiheit ist die Dame nicht verlustig gegangen, denn sie marschirt im Flügelkleide, mit dampfender Cigarre, durch Rener’s Garten in Deutz, was Alles und noch Anderes der emancipirten Fürstentochter vergönnt sein mag, hielte sich dieselbe nur aus den Hallen unseres Gerichtshofes entfernt, wo sie mit Ritter Lasalle und Trabanten heute als Klägerin, morgen als Beklagte in den Schranken tritt und wo sie erst vor Kurzem wieder, ungeachtet ihres lilienfarbenen Gewandes Allen eine höchst widrige Erscheinung war, über die Vertagung der Sache sich besonders zu erlustigen schien, sich dann nach einigen Deliberationen [Beratungen] mit Vertheidiger, Zeugen und ihrem Leibmedicus aus dem correctionnellen Gerichtssaale[15] zum Diner in den kaiserlichen Hof begab.[16]
"Beispiellose Verleumdung"
Auf diesen Angriff hin schrieben die Verteidiger der Gräfin an die Redaktion der Rhein- und Moselzeitung. Sie störte Vorwurf, die Bauern hätten die Gräfin Hatzfeldt angegriffen, und hielten dagegen:
Nur der, welcher weiß, wie allgemein und groß die Verehrung und Liebe ist, die wir in der Standesherrschaft für unsere allgeliebte Gräfin empfinden, wird die Indignation, mit der uns diese beispiellose Verläumdung erfüllte, ermessen können. Der Artikel hätte den Zweck, die Bauern bei den Behörden in ein schlechtes Licht zu setzen. Es solle ihnen das Wohlwollen entzogen werden, welches sie sich durch ihr Betragen und die ruhige Erduldung drückender Uebelstände ... erworben hätten. Niedrig und gehässig sei es, fern abwohnende Bauern zu verleumden, die nicht zu dem zeitungslesenden Publikum gehörten und deren Namen und Ehre ... zu Grunde gerichtet werden könnten, ohne daß sie selbst etwas davon in ... in Erfahrung brächten. Für die Briefschreiber war es die Pflicht des Redakteurs, die Erklärung der angesehensten ... Pächter aus der Standesherrschaft ... abzudrucken. Sonst würden andere Redactionen die Loyalität haben, ... friedsame Bauern, die ohnedies schon mit Druck, Unbill und der harten Noth des Tages zu kämpfen haben, ... zu schützen. Alles sei erdichtet. Wir hätten unsere Gräfin mißhandeln sollen?! Im Gegenteil, sie wäre notfalls gegen jede Mißhandlung und Unbilde auf‘s kräftigste geschützt worden. Das hätten sie sich nicht als Verdienst anrechnen lassen, es wäre ihre Pflicht gewesen, oder Dankbarkeit für unzählige erwiesene Wohlthaten, für das liebevollste, hülfreiche Walten ..., für die Linderung unserer Noth, für die menschliche Theilnahme an unserem Leid und Freud. Der Correspondent treibe ein frivoles Spiel ... mit den treuesten Gefühlen einer ganzen Bevölkerung und das nur zur Erreichung seiner Privatzwecke.[17]
Den Text unterschrieben der Gemeindeverordnete Anton Solbach, der Bezirksvorsteher Johann Bächer und 23 andere.[18]
"Beamtenaufruhr" oder Bauernaufstand?
Für Lassalle waren die Erlebnisse im Wildenburgschen wohl nur eine interessante, mitunter amüsante Episode. Seine Bühne waren die „Hatzfeldt-Prozesse“, er wollte die Wechselwirkung mit den revolutionären Bestrebungen.[19] Seinem Vater schrieb er, er habe viel gelacht, obwohl dazu nicht immer Anlass gewesen wäre, denn in diesem allgemeinen Beamtenaufruhr war man eigentlich nicht so recht seines Lebens sicher. Doch die Bauern wären ihre Leibwache gewesen und nie hätte er solchen Enthusiasmus und solche Anhänglichkeit gesehen, wie diese Bauern für die Gräfin haben. Es kostete sie ein Wort, einen einzigen Befehl, und alle Schlösser des Grafen dort lägen in Trümmern, und die Beamten mit ihm selber hingen an den höchsten Fichten.[20]
Was auf den ersten Blick nach gemeinsamer Aktion aussah, wurde bei den Bauern und der Gräfin von unterschiedlichen Motiven getragen.[21] Die Bauern hatten sich schon im März beim König über die Herrschaftsmethoden des Grafen Hatzfeld beschwert. Sie erstrebten die Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse. Die Hilfe der Gräfin war ihnen willkommen. Für Sophie von Hatzfeldt ging hier um Zutritt zu ihrem Besitz. Ansonsten stritt sie vor Gericht und bediente sich nicht der „dumpftosenden Bevölkerung“, wie Lassalle die streitbaren Bauern nannte.
Und wo stand Hilgers?
Eifrig sein Amt ausübend, zeigte sich Hilgers nicht als Parteigänger des Grafen. Schließlich war nicht der gräfliche Oberbeamte, sondern königlicher Landrat. Wenn er zu gefallen suchte, dann nicht dem Standesherrn, sondern der Regierung in Koblenz, die auf seine Beflissenheit mit einem Anflug von Ironie reagierte.[22] Es blieb nicht unkommentiert, dass Hilgers seine Berichte nicht an die zuständige Abteilung des Innern, sondern gleich an den Regierungspräsidenten richtete und man reagierte auf seine Fragen mit Zurechtweisungen: Er hätte sich denken können, dass jeder Einsatz von Polizei eher den bisherigen Scandal zu vergrößern statt ihn zu steuern geeignet seyn werde. Und bezüglich des Umgangs mit der Gräfin und Lassalle hätte es auch keiner Anfrage, am allerwenigsten einer Estafette bedurft.
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Abbildungsnachweis:
1 "Sophie von Hatzfeldt" mit freundl. Genehmigung des Projekts Gutenberg-DE der Seite "Fedor von Zobeltitz, Briefe deutscher Frauen" entnommen.
2 "Ferdinand Lassalle" gedruckt in Hirsch, a.a.O., S. 34, Quelle: Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz - Foto und Bearb.: dg
3 "Schloss Schönstein": P. Vogel, Sammlung: Alexander Duncker (1813-1897), Druck: Winkelmann & Söhne, Wikimedia Commons.
4 Schloss Crottorf Torbau – Foto: andreast via Wikimedia Commons, Ausschnitt: dg
5 Siegelmarke der Königlichen Regierung Koblenz – Privatbesitz, Foto: dg
6 „Altenkirchener Intelligenz- und Kreisblatt“, 8. Juli 1847, Foto: dg
7 "Sophie ..." gedruckt in Hirsch, a.a.O., S. 33, Kölner Karikatur-Flugblatt aus dem Jahr 1849, Quelle (nach Hirsch): Besitz Professor Bert Andréas, Genf; Photo Internationales Institut für Sozialgeschichte, Amsterdam - Repro und Bearb.: dg
Quellen und Literatur:
[1] Britta Stein, Sophie von Hatzfeldt und Ferdinand Lassalle, in: Otfried Dascher, Everhard Kleinertz (Hg.), Petitionen und Barrikaden, Rheinische Revolutionen 1848/49, Münster 1998, S. 326.
[2] Manfred Gebhardt, Sophie von Hatzfeldt, Ein Leben mit Lassalle, Biografie, Berlin 1991, S. 66.
[3] Gebhardt, Sophie von Hatzfeldt, ebenda.
[4] Stein, Hatzfeldt und Lassalle, S. 326.
[5] Stein, a.a.O., S. 327.
[6] Vgl. Abdruck in: Helmut Hirsch, Sophie von Hatzfeldt in Selbstzeugnissen, Zeit- und Bilddokumenten, Düsseldorf 1981, S. 132-182.
[7] Hirsch, Sophie von Hatzfeldt, S. 132-182 – Der Text folgt den Seiten 49 und 50 der Scheidungsklage.
[8] Schreiben vom 4. Juli 1847, zitiert in der Klageschrift der Sophie von Hatzfeldt und abgedruckt in: Hirsch, Sophie von Hatzfeldt, S. 182.
[9] Soweit die Darstellung der Ereignisse in der Klageschrift der Sophie von Hatzfeldt, vgl. Hirsch, Sophie von Hatzfeldt, S. 132-182.
[10] Vgl. ALR, Teil II, Titel 9 – Text folgt den §§ 45 – 51, abgedruckt in: A.J. Mannkopf, Ergänzungen und Abänderungen der Preussischen Gesetzbücher, Bd. 3, Berlin 1835.
[11] ALR, Teil II, Titel 9 § 50, a.a.O.
[12] LHAKO, Best. 441 Nr.66.
[13] LHAKO, Best. 441 Nr.66 – Text folgt dem Schreiben vom 05.07.1847.
[14] Altenkirchener Intelligenz- und Kreisblatt, Nr. 52, 01.07.1847.
[15] Saal der Strafkammer.
[16] Altenkirchener Intelligenz- und Kreisblatt, Nr. 58, 22.07.1847, Correspondenz-Artikel aus der Rhein- u. Moselztg. vom 16. Juli 1847.
[17] Altenkirchener Intelligenz- und Kreisblatt, Nr. 76, 23.09.1847. Der Artikel wurde mit Hinweis auf die Herkunft abgedruckt: Altenkirchen, 18. September. Die Beilage der heutigen „Köln. Ztg. bringt unter ihren Annoncen untenstehende Entgegnung ohne Ort und Datum, auf einen, aus der Rhein- und Moselzeitung auch in Nro. 58 ds. Bls. übergegangenen Artikel. – Text folgt dem Leserbrief.
[18] Unterzeichner in alphabetischer Reihenfolge: Bächer, Johann, Bezirksvorsteher; Becher, Jacob; Becker, Heinrich; Behner, Mathias; Ellingshagen, Johann; Hombach, Gerhard; Koch, Joseph; Leidig, Peter; Mockenhaupt, Peter; Neuber, Karl; Quast, Jacob; Rosenbauer, Peter; Scheider, Heinrich; Solbach, Anton, Gemeindeverordneter; Solbach, Wilhelm; Stangier, Johann; Stausberg, Daniel; Stentenbach, Franz; Stock, Heinrich; Stock, Jakob; Stock, Johann; Stricker, Johann; Wagner. Lorenz; Weschebach, Wilhelm; Wingendorf, Mathias.
[19] Britta Stein, Sophie von Hatzfeldt und Ferdinand Lassalle, a.a.O., S. 327.
[20] Gebhardt, Sophie von Hatzfeldt, S. 69 – Gebhardt zitiert einen Brief Lassalles an seinen Vater.
[21] Vgl. Gebhardt, Sophie von Hatzfeldt, S. 69. – Text folgt den Einschätzungen a.a.O.
[22] LHAKO, Best. 441 Nr. 66 – Text folgt dem Schreiben vom 05.07.1847.