aktenlage
Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686

Einmal jährlich ist genug

Schützenfeste im Amtsbezirk Bork 1826  1889

Dieter Gewitzsch

1829 erfuhren die Provinzialstände auf dem westfälischen Landtag, dass man in einem Kirchspiel vier Schützenfeste gefeiert habe und zwar zu unterschiedlichen Zeiten, an verschiedenen Orten, von Sonntagnachmittag bis zur Mitte der Woche. Die Stände äußerten die Überzeugung, dass  diese Volksfeste … die Grenze überschreiten, welche sie mit den übrigen Berufsgeschäften des Lebens vereinbar macht. Schützenfeste würden zwar mit eintretender Dämmerung geschlossen, fänden aber in der Tanzlustbarkeit an demselben Abend in den Wirthshäusern ihre Fortsetzung und würden bei der exaltirten Stimmung der Gemüther gewöhnlich jene Mißbräuche herbeiführen, welche die Öffentliche Ordnung bedrohen, die Berufsgeschäfte stören und die Reinheit der Sitten gefährden.[1] 

Die Provinzialstände ersuchten den Oberpräsidenten Ludwig von Vincke, die Grenze gegen Überschreitungen zu sichern und gaben vor, dass eine längere als zweitägige Dauer solcher Feste … sich nicht wohl rechtfertigen lasse. Damit war das Problem benannt und die zuständige Bezirksregierung in Münster forderte im Oktober 1829 von der Kreisbehörde eine Übersicht von den bestehenden Schützen- resp. Schießfesten. Die Landräte wurden aufgefordert, sich gutachtlich über die Vorschläge der Regierung zu äußern:  

  1. Schützenfeste sollten nur von wirklich geschlossenen Gesellschaften gefeiert werden, die sich nach von der Ortspolizeibehörde und dem Landrat genehmigten Statuten richten und auch das Ehrgefühl und die Sittlichkeit fördern.
  2. In keinem Land-Kirchspiele solle mehr als eine Schützengesellschaft geduldet werden und die Feste möglichst an National-Festtagen stattfinden.
  3. Die Dauer der Feste solle auf zwei, höchstens drei Tage beschränkt und Vor- oder Nachfeiern nicht gestattet werden. – Die Regierung sorgte sich auch um den Aufwand, der mit den Festen getrieben werde und riet zur Bescheidenheit: Die Gesellschaften sollten mittels ihrer Statuten Ostentationen [Gefallsucht, Angeberei] entgegenwirken und kostbare Uniformen, Schwelgereien usw. vermeiden.
  4. Schüler und Lehrlinge sollten nicht teilnehmen dürfen, sondern nur Leute, welche das Alter der Militärpflicht erreicht haben, zugelassen werden und insofern sie mitschießen wollen, nur nach vorgängiger Prüfung ihres Schießgewehrs sowohl als ihrer Kunde damit umzugehen. 

Bei allem Bemühen, gemeinschädliche Ausartungen öffentlicher Lustbarkeiten zu verhindern, wünschte die Bezirksregierung Schützenfesten gegenüber eine schonende Behandlung welche bloß dem Mißbrauche vorbeugt, jedoch die Sache in Ehren hält, schützt und fördert. Gefragt waren allgemeine Bestimmungen, die für alle Feste gelten sollten, aber Raum ließen, die alt hergebrachten Satzungen und Gebräuche in Ehren zu halten. Für die Sicherung des Lebens und Eigenthums gäbe es die polizeilichen Bestimmungen, aber die Handhabung der inneren Ordnung könne man den Vereinen selbst anvertrauen.
(Vgl. die Position Vinckes in: Der "fremde Blick" auf Schützenfeste im 19. Jahrhundert

Dem Amt Bork gewährte das Landratsamt vier Wochen, um sich gutachtlich zu äußern, angemessene Vorschläge zur Regelung der Schützenfeste anzugeben, und die erforderten Nachweise aufzustellen. Bürgermeister Köhler erfüllte den landrätlichen Auftrag in keiner Weise, ließ sich zwei Monate Zeit um dann Mitte Januar 1830 den Eingesessenen bekannt zu machen, was seiner Ansicht nach „höheren Orts“ bereits verfügt sei. 


Bekanntmachung

Zufolge höherer Verfügung soll in jeder Gemeinde alljährlich nur ein Schützenfest stattfinden, und sich dieserhalb Jung- und Alt vereinigen. Es werden deshalb sämmtliche Einge[sessenen] welche an dem Schützenfeste Theil nehmen wollen hierdurch aufgefordert, sich sofort zu melden, da ich nicht allein die Statuten vorlegen sondern auch zugleich das Verzeichniß der Schützenbrüder mit einreichen soll. Es wird hierbei indeß bemerkt, daß Jünglinge welche das Militairpflichtige Alter noch nicht erreicht haben, nicht zugelassen werden können.

Borck d 15ten Januar 1830
d.brgmstr
Köhler 

Gehörig bekanntgemacht
Borck d 17ten Januar 1830
Geischer[2] 

Anfang März 1830 riss dem Landrat der Geduldsfaden. Was ursprünglich in vier Wochen zu erledigen war, ruhte beim Borker Bürgermeister schon ein gutes Vierteljahr. Landrat Schlebrügge setzte eine neue Frist von acht Tagen und drohte den Vorgang auf Köhlers Kosten in Bork abholen zu lassen. Offenbar beeindruckt schrieb Köhler an die „Schützenvorstände“ zu Bork und Selm, erinnerte an eine unerledigte Aufforderung in Betreff der Statuten (die in der Akte nicht zu finden sind) und gab die Drohung des Landrats, ihn zu belasten, flugs weiter: … welche Kosten ich mir jedoch vom SchützenVorstande werde ersetzen lassen. 

Am 23. März 1830 wurde die Sache zu Ende gebracht. Kreissekretär Nolda sandte einen Boten, den Köhler mit 7 ½ Silbergroschen ex propriis[3] zu lohnen hatte. Dann schrieb der Bürgermeister des Amtes Bork auf, was es vor 190 Jahren „Schützenfeste betreffend“ zu berichten gab: 


B. d. 23ten Merz 1830.

An den Herrn Landrath!

Zu Borck fanden früher häufig Lustbarkeiten statt, denen ein Scheibenschießen vorherging, und fast jede Bauerschaft hatte ein auch wohl zwei dergleichen Feste in einem Jahre. Zu Selm war früher nur ein Vogelschießen und wechselten die Alten und Junggesellen um das andere Jahr. Zu Altlünen findet weder Scheiben noch Vogelschießen statt. Seit einigen Jahren aber hat sich zu Borck eine Schützengesellschaft unter den Alten sowohl als Junggesellen gebildet, woran jedoch die Kspls Eingesessenen bis jetz kein Theil genommen, sondern vor wie nach noch bauerschaftsweise nämlich Altenborck und Uebbenhagen jede für sich, Hassel u Netteberge zusammen ein ähnliches Fest feierten.

Ebenso ist es auch zu Selm unter den Alten und Junggesellen ein Schützen fest nur daß an diesem Schützenfeste das ganze Kispl mit Ausschluß der Bschft Westerfeld, welche für sich eigen ein Schützenfest feiert, Theil nimmt.

Es sind zwar zu Borck von der Schützengesellschaft der Altangesessenen Statuten entworfen, jedoch noch nicht allgemein anerkannt.

Die zu Anfange gedachten Lustbarkeiten waren ohne feste Regeln und Ordnung und galten solche bloß – ausgenommen zu Selm – den Junggesellen, fanden an einem Sonntage statt, wo das Fest nach dem Nachmittagsgottesdienst seinen Anfang nahm begann und um 2 höchstens 3 Uhr Nachts, oder nachdem die Tanzgebühr gezahlt auch schon um 10 Uhr endete. Die zu Borck und Selm errichteten Schützengesellschaften, welche bis jetz auch noch keine allgemein anerkannten Statuten (: obwohl zu Borck dergleichen entworfen :) bestehen, währen 2tage, nemlich von einem Sontag Nachmittag bis 2 oder 3 Uhr Dienstags Morgen.

Die Gesellschaften besitzen bis jetz außer einem Vogel an silberner Kette 2 Fahnen, 4 Hüte und 4 Schärpen für Borck, u 2 Fahnen und 2 Hüte für Selm, kein Vermögen, und ist auch bis jetz noch kein Jahresbeitrag stipulirt.[4]

Uebrigens ist es höchst zu wünschen, daß

  1. dergleichen Schützenfeste nur auf den Grund vorher genehmigter Statuten, für die Zukunft geduldet würden,
  2. in jeder Gemeinde (: Dorf und Kirchspiel :) alljährlich nur ein Schützenfest stattfände,
  3. zu diesem Ende und hauptsächlich zur Bewahrung Reinheit der Sitten Jung und Alt nur eine Gesellschaft bilden,
  4. die Dauer auf 2tage festgestellt
  5. Zur Theilnahme keine Schüler Lehrlinge sondern nur Leute welche Ihre Militairpflicht genüget, zugelassen würden.

Da ich mit Einreichung dieses Berichts gleichzeitig die Statuten der bereits bestehenden Gesellschaften mit vorlegen wollte, so ist gegenwärtige Berichterstattung dadurch aufgehalten worden, allein wiederholter Aufforderung zufolge ohngeachtet sind bis jetz dergleichen hier noch nicht eingesandt.

d.brgmstr.
Köhler (Kürzel)

Im Juli 1841 wandte sich der „Ausschuss für Beförderung der Sittlichkeit und Abstellung sittlich nachtheiliger Gewohnheiten“, den Mitglieder des landwirtschaftlichen Kreisvereins Lüdinghausen gebildet hatten, mit dem Wunsch an den neuen Landrat Graf Schmising, daß in jedem geschlossenen Dorfe nur ein Schützenfest gefeiert werde und daß möglichst viele Bauerschaften sich zu einer Schützengesellschaft vereinigen möchten. Damit rannten die Landwirte bei der Obrigkeit offene Türen ein und der Landrat nahm die Initiative zum Anlass, die Ortsbehörden seines Kreises an Regierungsverfügungen zu erinnern, nach denen in einem „Landkirchspiel“ nur jeweils eine Schützengesellschaft geduldet werden sollte.

Gegenüber dem Borker Amtmann von Stojentin räumte Schmising ein, dass eine auf die Bauerschafts-Eingesessenen beschränkte Gesellschaft munterer und fröhlicher sein wird als ein Gemenge mit vielen Unbekannten entlegener Bauerschaften und die Vorschrift nicht wohl ausführbar ist, wenn sich kein Lokal finden lässt, das groß genug ist, die Menge der Kirchspiels Eingesessenen aufzunehmen. Es sei aber trotz alledem möglich sein und gewiß auch ausführbar, mehrere Bauerschaften in einer Schützengesellschaft zu vereinigen. Wie das einzuleiten sei, überlasse er den Überlegungen des Bürgermeisters und der Schützenvorstände. Unzulässig bliebe jedenfalls, in einem Dorf oder einer Bauerschaft mehrere Schützenfeste zu gestatten.

So sehr die Behörden bemüht waren, das Schützenwesen überschaubar zu halten, örtlich zu konzentrieren und die Häufigkeit und Dauer der Festlichkeiten zu begrenzen, so pfleglich ging man mit den Gesellschaften selbst um. So zeigte sich die Bezirksregierung im Sommer 1834 von Vorfällen besorgt, in denen die Handhabung der Polizei durch die Gendarmerie zu unangenehmen Collisionen mit den Schützenvorständen Veranlassung gegeben hatte. Die hohe Behörde warb allgemein um Zurückhaltung und riet, für jeden möglichen Fall genaue Instruktionen zu geben.

Wie schon 1816 vom Oberpräsidium festgestellt, müsse man zunächst davon ausgehen, dass die Vorstände die Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung, Befolgung der Statuten und die Maaßregeln zur Sicherstellung gegen Gefahr bei dem Schießen selbst handhaben. Von Vorständen, die dem gebildeten Stande angehören, könne zudem angenommen werden, dass sie der Assistenz der Staats-Polizei-Gewalt nur in denjenigen Fällen bedürfen, wo offenbare Auflehnung und Unfolgsamkeit ihren Anordnungen entgegengesetzt wird. Gendarmen solle man nicht unbedingt zur Handhabung der Polizei bei den Schützenfesten … kommandieren, sondern namentlich auf dem Lande, oder wo dem Vorstande die moralische Einwirkung nicht zuzutrauen ist, in der Nähe bereit halten, um bei Ausbrüchen …her Unsittlichkeit oder offenbarer Auflehnung einzuschreiten. 

In der Gemeinde Bork hatte sich zur Mitte des Jahrhunderts kaum etwas an den Strukturen geändert, die Bürgermeister Köhler 1830 beschrieben hatte. Es war nicht einfach, die Vorstellungen der Behörden von einer wünschenswerten Organisation des Schützenwesens mit den lokalen Traditionen unter einen Hut zu bekommen.

Im August 1847 feierte die Gesellschaft der hiesigen Junggesellen im Dorf Bork ein Schützenfest beim Gastwirt Schumacher. Amtmann von Stojentin hatte das Fest genehmigt und vorgeschrieben, unter dem Namen des „Allgemeinen Schützenfestes“ zu feiern und das Fest bei jeder wiederkehrenden Gelegenheit abwechselnd von den Verheiratheten und dann wieder von den Unverheiratheten zu veranstalten.

Ein Jahr später, im Juli 1848, wollten die Eingesessenen von Hassel und Netteberge ihr Fest, das auch für andere Mitglieder der Gemeinde Bork offen sei, an einem Sonntag und Montag im Hause des Kolon Richter in Hassel feiern. Richter war kein Gastwirt und die Pläne der Bauerschafts-Eingesessenen riefen namentlich bei den Wirthen große Unzufriedenheit hervor. Amtmann von Stojentin war sich nicht sicher, ob er das Vorhaben der Schützen billigen dürfe und bat die Kreisbehörde um Rat und Weisung: Die gebildete Gesellschaft habe ihr eigenes Bier und der Richter, in dessen Haus getanzt werden soll, sei mit der Verabreichung kalter Speisen und vielleicht auch etwas Wein beauftragt. Stojentin hielt für erlaubt, Bier für Rechnung der Schützengesellschaft zu verkaufen, fragte aber, ob er nicht die die Verabreichung von … Wein pp untersagen müsse?

Landrat von Schmising klärte postwendend, wie grundsätzlich mit der zeitweiligen Gastronomie bei Schützenfesten auf den Höfen zu verfahren sei:

 

Sofern der p Richter nur für Rechnung der Schützen-Gesellschaft Bier, Wein und Speisen verabreicht, kann ihm kein Widerspruch gemacht werden.
Sobald er aber auf eigene Rechnung – nicht auf Gewinn und Verlust der Gesellschaft – die Getränke p verabreichen will, bedarf er der vorherigen Schankwirthschaftsconcession, und ist er der Gewerbesteuer zu unterwerfen.

Eine Schankwirtschaft dürfe nicht für die kurze Dauer von ein oder zwei Tagen konzessioniert werden, erläuterte der Landrat, sondern es müsse ein „allgemeines Bedürfnis“ vorliegen, das im vorliegenden Falle nicht anerkannt werden könne. Wenn der Richter dagegen für seine eigene Rechnung nur Speisen – mit gänzlichen Ausschluß aller geistigen Getränke – Bier, Wein, Schnaps – verabreichen wolle, so wäre bei der Erteilung einer Konzession nur auf die Persönlichkeit des Bittstellers u. dessen Local Rücksicht zu nehmen – und dazu gäbe es aus Sicht des Landratsamts keine Bedenken. Amtmann von Stojentin wurde autorisiert, Richter die Verabreichung von Speisen, exclusive aller geistigen Getränke, zu erlauben und ihn zu verpflichten, wenigstens auf 1 Monat lang die Gewerbesteuer eines Gastwirths zu zahlen. 

In den Akten des Stadtarchivs Selm belegte Schützenfeste in der Gemeinde Bork
(StA Selm AB-1 527 Schützengesellschaften 1826-1899 – Stand: Februar 2020)

01.März 2020
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[1] StA Selm AB-1 527, Schreiben der Bezirksregierung vom 23.10.1829 – Unterstreichungen im Original. – Wenn nicht anders zitiert, folgt der Text dieser Akte.
[2] Friederich Geischer, Polizeidiener in Bork und Altlünen von 1828 bis 1836.
[3] Ex proprĭis oder ex proprĭo (lat.), aus eigenen Mitteln; ex proprĭo Marte, aus eigener Kraft. - Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon 1911 – zeno.org, 09.02.2020.
[4] festgelegt, vereinbart.

 
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