aktenlage
Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686

Keine Anstellung für den ehemaligen Landwehrmann[1] 

Dieter Gewitzsch

Im Spätsommer des Jahres 1859 war die Chaussee, die von Lüdinghausen über Selm und Bork nach Lünen führen sollte, weitgehend fertiggestellt und obwohl die Stelle eines Chausseeaufsehers nicht offiziell ausgeschrieben wurde, bewarben sich einige Zeitgenossen bei der Baukommission.[2] In der betreffenden Akte ist auch die Gehorsamste Bitte des Kötters und Landwehrmannes Bernard Schlierkamp genannt Schröer um Verleihung einer Chausseewärterstelle zu finden. Während andere ihre Erfahrung mit Chausseebauarbeiten herausstrichen, berief sich der Bewerber Schlierkamp darauf, als Soldat seine Pflicht getan zu haben und dass sich seine Familie in einer Notlage befände:

Schlierkamp schildert seine Lage 

Denkmünze, 1851 von Friedrich Wilhelm IV. gestiftet. Abb.: Ehrenzeichen-Orden.de

Ich besitze in Hassel einen kleinen Kotten, und suche mich im übrigen durch Landarbeit zu ernähren. Nach den Verleihungsurkunde vom 29“ August 1849 u. 1“ October 1852 besitze ich die Dankmünzen der Krieger von Baden und Hohenzollern, und habe, was die mehrgedachten Urkunden nachweisen meine Treue zu König und Vaterland in jedweder Lage bewährt.

Da ich nun von meiner Handarbeit und meinem Kotten nicht füglich bestehen kann, und zudem noch einen alten Schwiegervater und eine alte Tante zu ernähren habe, auch meinen Kotten hart an der Chausseestrecke gelegen ist, so bitte ich Einer Wohllöblichen Chausseebau Commission, mich in der Voraussetzung, das auf meine Treue zu rechnen, bei Besetzung der erwähnten Chausseewärterstelle, gütigst zu berücksichtigen, und mir durch die Verleihung derselben vor Kummer und Noth zu schützen.[3]

Wegewärter oder Chausseeaufseher?

Längere Zeit war durchaus üblich, Militärinvaliden als Wegewärter zu versorgen; seit 1836 gab es ein entsprechendes Regulativ. Schlierkamp konnte zwar die genannten Verleihungsurkunden vorweisen, war aber wohl nicht im Besitz aller geforderten Papiere. Gesuche um Anstellung wurden allgemein zurückgewiesen, wenn die Antragsteller die notwendigen Unterlagen, das waren der Zivilversorgungsschein, der Geburtsschein und ein ärztliches Attest, nicht vorlegen konnten. Die Bewerber durften nicht älter als 45 Jahre sein und die ärztliche Untersuchung sollte bescheinigen, daß der Gesundheitszustand der Anstellungsuchenden so beschaffen sei, daß sie in jeder Jahreszeit die täglichen Arbeiten als Wegewärter verrichten können.[4] 

Im Übrigen suchte die Baukommission einen „Chausseeaufseher“ und beabsichtigte nicht, „Wegewärter“ einzustellen. Gut möglich, dass diese Unterscheidung nicht allen Beteiligten geläufig war. Schon Mitte der 1830er Jahre bemühte sich die Finanzverwaltung, die Chausseen mit geringeren Kosten befriedigender zu unterhalten, als es jetzt durch Wegewärter geschieht. In staatlichen Diensten sollte künftig nur noch ein „ständiger Aufseher“ stehen. Dieser „Wegebaubeamte“ sei dann für größere Strecken zuständig und man würde ihm, in dem Maße als der Zustand der Straße es erfordert, geübte Lohnarbeiter zur Hülfe ... geben.[5]

Anforderungen an einen Chausseeaufseher

35 Paragrafen regelten so ziemlich alles, was die Einstellung und die Amtsführung eines Chausseeaufsehers betraf. Neben bescheidenen Ansprüchen an die fachliche Qualifikation der Bewerber ging es mehr um die persönliche Eignung für das Amt: 

§. 4. Die Chaussee-Aufseher müssen zu lesen, schreiben und etwas zu rechnen verstehen, sie müssen mit den vorhandenen Chaussee-Bau- und Unterhaltungs-Arbeiten bekannt und im Abpfählen und Abwägen geübt sein, so daß sie nicht nur selbst diese Arbeiten zu verrichten, sondern auch ihre Gehülfen darin zu unterweisen im Stande sind.

Unbescholtener Ruf und untadelhafter Wandel, Zuverlässigkeit, Fleiß, Ordnungsliebe, sind unerläßliche Eigenschaften eines Chaussee-Aufsehers; da er berufen ist, die Arbeit anderer zu leiten und diese zur Thätigkeit anzuhalten, so muß er sich durch ein ernstes, ruhiges und folgerechtes Betragen auszeichnen.[6]

Landrat von Landsberg, zu der Zeit auch der Vorsitzende der Chausseebaukommission, verzichtete darauf, Stellungnahmen zu Schlierkamps Bewerbung einzuholen. Dem ehemaligen Landwehrmann eröffnete man kommentarlos, dass die Stelle anderweitig besetzt wurde.

April 2016
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[1] Vgl. Dieter Gewitzsch, Plattes Land sucht Anschluss, Die Chaussee von Lüdinghausen über Selm und Bork nach Lünen 1850 – 1870, Selm 2013, S. 117ff.
[2] Neben Schlierkamp bewarben sich der Förster und Unternehmer Andreas Schönewald und der Polizeidiener Wilhelm Aswerns.
[3] LAV NRW W, Lüdinghausen Nr. 879 – Schreiben vom 24.10.1859. 
[4] Regulativ wegen Anstellung und Dienstentlassung der civilversorgungsbrechtigten Militär-Invaliden als Wegewärter, vom 27. Aug. 1836 – in: Rumpf, C. Die Verwaltung der Chausseen in den Königlich Preußischen Staaten, Ein Handbuch, Zweite vervollständigte Auflage, Berlin 1860, S. 95ff. 
[5] Rönne, Ludwig von/Simon, Heinrich, Verfassung und Verwaltung des Preußischen Staates, Teil 6,
Band 4, Die Bau-Polizei, Breslau 1848, S. 175. 
[6] Regulativ wegen Anstellung der Chaussee-Aufseher und deren Dienstverrichtungen vom 8. Sept. 1837 – in: Rönne, Verfassung und Verwaltung, S. 176.

 
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