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Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686

Vom Gymnasiasten zum Regierungsreferendar

Maximilian Graf von Korf gen. Schmising schreibt einen Lebenslauf (1835)*

Dieter Gewitzsch

Friedrich Magnus von Bassewitz, s.u.

Im November des Jahres 1835 bewirbt sich Maximilian Graf von Korff gen. Schmising in Potsdam um eine Stelle als Referendar bei hiesiger hochlöblicher Regierung. Der Bewerber ist 26 Jahre alt und seit wenigen Wochen Gerichtsreferendar. Schmising möchte gleich in die Verwaltung wechseln und wendet sich an den Oberpräsidenten der Provinz Brandenburg von Bassewitz.[1] Einige Tage später reicht er sein „Curriculum  Vitae“ nach.   

Der adelige Knabe wurde standesgemäß auf dem väterlichen Gut durch Privatlehrer unterrichtet, bevor er 1822 mit dreizehn Jahren zum Paulinischen Gymnasium in Münster wechselte. Wie er schrieb, genoss er sechs Jahre den dortigen Unterricht, davon ein Jahr in der Prima. 1828 verließ Schmising die Schule mit dem Zeugniß No. II der bedingten Reife und begann im November des Jahres ein Studium als Rechtswissenschaft–Beflissener an der Universität in Göttingen.

Traditionell im Staatsdienst

Es darf unterstellt werden, dass der für Maximilian gewählte Bildungsgang auf eine Karriere im Staatsdienst zielte. Nach Wegmann standen im 19. Jahrhundert  schließlich sechs Mitglieder der Familie Korff als Landräte in preußischen Diensten. Da war zunächst ein älterer Onkel, Franz von Korff gen. Schmising-Kerssenbrock, der 1804 eine definitive Ernennung zum Landrat des Kreises Münster erhielt und 1816 für nicht ganz zwei Jahre Landrat des Kreises Halle wurde. Ein weiterer Onkel, ein jüngerer Bruder des zuerst genannten, Clemens von Korff gen. Schmising, war zunächst Landrat des Kreises Warendorf (1819) und wurde später in gleicher Position im Kreis Münster eingesetzt (1831). Von beiden wurde jeweils ein Sohn ebenfalls Landrat in Westfalen. Diese Vettern waren Ferdinand von Korff gen. Schmising-Kerssenbrock, der von 1848 bis 1873 als Landrat im Kreis Beckum tätig war und Klemens von Korff gen. Schmising der 1896 zum Landrat zum Landrat von Halle ernannt wurde und 1911 aus dem Amt schied. – Letzterer ist nicht zu verwechseln mit Maximilians älterem Bruder Klemens, der auch seinen Weg in den Staatsdienst fand; er war 1855 bis 1875 Landrat des Kreises Halle.[2]

Student in Göttingen 

In Göttingen standen für Maximilian  Jura und Cameralia[3] auf dem Stundenplan, genauer Vorlesungen zu den folgenden Themen, die der junge Student nach dem Urteil der Professoren mit sehr rühmlichem Fleiße besuchte:[4]

Institutionen, deutsches Privatrecht, Lehnsrecht, Theorie des Zivilprozesses, Kriminalrecht und Kriminalprozess, sowie zwey Examinatorien über die Pandecten[5], ferner die Vorlesungen über die neuere Geschichte, Deutsche Geschichte, Geschichte des Europäischen Staatensystems, Diplomatik, Länder- und Völkerkunde, Statistik, Technologie, Civilbaukunst, Staatsschulden und Staatspapiere, Physik und Naturgeschichte .

Schmising blieb vier Semester in Göttingen, wo man mit dem Abgangszeugnis auch bemerkte, er sei hier einer Theilnahme an verbotener Verbindung ... nicht verdächtig geworden. 

"Bildungsstudium" statt "Ausbildungsstudium"

Nebenbei: Auch der der spätere Oberpräsident von Westfalen, Ludwig von Vincke, hatte sich Jura und[6] Cameralia vorgenommen, als er 1792 in Marburg mit seinen Studien begann und sich von Professor Jung-Stillings[7] Vorlesungen über Landwirtschaft, Nationalökonomie und Polizeiwissenschaft angezogen fühlte. Vincke studierte dazu in Göttingen und Erlagen und absolvierte ein breit gefächertes Studium, das von den Pandekten bis zur Tierarzneikunde reichte.[8]  Nur die Verbindung beider Studienrichtungen schien ihm die geeignete Vorbildung zum „Staatsmann“ zu sein.[9] Das lag nahe der Linie der preußischen Reformer, die das bisherige „Ausbildungsstudium“ durch ein umfassendes allgemein-, staats- und rechtswissenschaftliches „Bildungsstudium“ ablösen wollten und keinesfalls wünschten, die kameralistische durch eine rein juristische Vorbildung zu ersetzen.[10] Es kam aber anders. Schon 1817/18 wurde eine einjährige Gerichtsauskultatur und die erste juristische Prüfung für jeden angehenden Regierungsreferendar obligatorisch. Dazu gab es immer wieder Appelle, die künftigen Verwaltungsbeamten sollten neben dem juristischen Studium die allgemeine und staatswissenschaftliche Bildung nicht vernachlässigen, aber die Praxis lehrte die Aspiranten, auf der rechtswissenschaftlichen Seite ihres Studiums den Erfolg zu suchen.[11] 

Studien in Berlin

Universität Berlin 1819/23 - © Stiftung Stadtmuseum Berlin Reproduktion: Michael Setzpfandt, Berlin - vgl.u.

In Berlin, wo Schmising für drei Semester die Universität besuchte, immatrikulierte er sich gleich zweimal[12] als Student der Rechtswissenschaften. Im Wintersemester 1830/31 hörte er bei Friedrich Carl von Savigny „Pandekten“, bei Friedrich von Raumer „Staatsrecht und Politik“, bei Georg Phillips „Deutsche Reichs- und Rechtsgeschichte“ und bei Julius Störig „Landwirtschaftslehre für Kameralisten“.  Im Sommersemester besuchte er die Vorlesungen Johann Gottfried Hoffmanns über „Staatswirtschaft“ und „Polizeiwissenschaft“ und die Carl Ernst Jarckes über den „Gemeinen und Preußischen Civilprozeß“. Chemie hörte er bei Eilhard Mitscherlich. Im letzten Semester rundeten Vorlesungen zum Kirchenrecht und preußischen Landrecht, zum Naturrecht, zur Rechtsgeschichte wie auch zur neueren Geschichte seine Studien ab. – Durchgehend lobten die Dozenten seinen Fleiß. Sein letztes Abgangszeugnis erhielt Schmising mit Datum vom 21. April 1832.

"Zuhörer" bei Gericht in Münster und „einjährig Freiwilliger“ bei den Husaren 

Schmising beendete sein Studium im Alter von 22 Jahren und meldete sich unverzüglich zur Prüfung, um Auskultator am Oberlandesgericht Münster zu werden. Er bestand die Prüfung, wobei die Kommission zu dem Schluss kam, dass der Bewerber, unterstützt von guten mittleren Naturanlagen auf einer ausreichenden wissenschaftlichen Grundlage … für die Auscultatur gehörig qualifiziert erscheine. Gleich an ein Oberlandesgericht zu kommen, wurde ihm allerdings verwehrt. Die Auskultatur, die unterste Stufe des Vorbereitungsdienstes, auf der die Lernenden als „Zuhörer“, den Gremien ohne Stimme beisitzen[13], fand an einem Untergericht statt und so forderte man Schmising auf, sich um eine Anstellung beim Land- und Stadtgericht Münster zu bemühen. Am 8. August 1832 wurde er als Auskultator vereidigt. Die Ausbildung bestand in der Hauptsache in der Beschäftigung mit subalternen Tätigkeiten und Dienstleistungen, mit Protokoll und Registerführen und dergleichen.[14] – Oder man leistete seinen Militärdienst ab. Schmising trat im Sommer 1832 als „einjährig Freiwilliger“ in das 11. Husaren Regiment ein und empfand seine Ausbildung störend unterbrochen, als er im folgenden Herbst an einem Manöver mitmachen musste, um dann im November 1832 mit besagtem Regiment zu dem gegen Belgien aufgestellten Observationscorps zu marschieren. Von dort kehrten die Truppen Anfang Februar 1833 zurück und Schmising trat wieder in den  Zivildienst ein. Nach seinem Bekunden hatte er auch während des Militärdienstes Gelegenheit, seine juristische Carière mit Fleiß zu verfolgen; ausschließlich habe sich aber erst nach der Entlassung im September 1833 der Ausbildung widmen können.

Zurück nach Berlin

Ein Jahre später – halb zog es ihn, halb schob man ihn – bat Schmising das Oberlandesgericht Münster um Versetzung zum Königlichen Stadtgericht Berlin: Besondere Verhältnisse, so wie das Dafür-Halten meines Vaters, machen es mir äußerst wünschenswerth meine amtliche Stellung in Berlin zu verfolgen. Seinem Schreiben vom 23. Juli 1834 legte Schmising ein entsprechendes Gesuch an den Berliner Stadtgerichts-Director Beelitz bei und betonte, dass er seine baldige Abreise dringend wünschen müsse und sich in Erwartung eines positiven Bescheides erlaube, um Ertheilung eines Urlaubs auf unbestimmte Zeit zu bitten. Was den jungen Mann trieb, Münster eilig den Rücken zu kehren, verrät der Schriftwechsel mit der Behörde nicht, aber er wird sich später in ähnlichen Situationen erneut auf väterliche Wünsche berufen. In seinem im Dezember 1835 geschriebenen Lebenslauf begründete Schmising die gewünschte Versetzung an das Stadtgericht zu Berlin vorzüglich damit, dass er sich dort den Vorlesungen des Herren Geh. Rath Prof. Hoffmann[15] über Statistik und Finanzwissenschaft ... mit Fleiß und Eifer widmen konnte.

Das Präsidium des Oberlandesgerichts wusste davon nichts und zeigte sich im Übrigen von dem direkten Angehen des Direktors Beelitz durch den Bittsteller wenig erbaut. Man wollte nicht den Briefträger für Schmising machen und beschied, er möge sich selbst bei dem gewünschten Stadtgericht bewerben. Dazu gab man ihm auf den Weg, dass dem bestehenden Ministerialrescript gemäß, bei dem Stadtgerichte zu Berlin keine aus anderen Provinzen kommende Auscultatoren zugelassen werden sollen. – Eine solche ministerielle Verfügung war allgemein zu beachten, sie schloss aber nicht aus, dass sich der zuständige Minister eines speziellen Einzelfalls annahm. Es brauchte keine zwei Wochen, da lag dem Oberlandesgericht Münster die knapp gefasste Entscheidung des Justizministers Kamptz vor: 

C. A. von Kamptz, Justizminister, s.u.

Der bei dem dortigen Land und Stadtgericht bisher beschäftigte Auscultator Max Graf Korff-Schmising ist auf sein Ersuchen in derselben Eigenschaft an das hiesige Stadtgericht versetzt worden. Das Königliche Oberlandes-Gericht hat daher den Grafen von Korff-Schmising von den Arbeiten bei dem genannten Land und Stadtgerichts zu entbinden, und die betreffenden Dienstakten dem hiesigen Stadtgerichte zu übersenden.
Berlin den 12ten September 1834

Wieder in Berlin wohnte Schmising in der Friedrichstraße 165; er hörte Professor Hoffmanns Vorlesungen und ließ sich die Teilnahme bestätigen. Im April 1835 richtete er sein Gesuch um Zulassung zur zweiten juristischen Prüfung an das Präsidium des Kammergerichts Berlin. Zum Nachweis seiner vorschriftsmäßigen praktischen Beschäftigung während der Zeit ... als Auscultator legte er Zeugnisse der Dienststellen und hinsichtlich seiner Stellung in der Landwehr ein Zeugnis des Kommandeurs vor.[16] Schließlich versäumte der Prüfling nicht, sich gehorsamst zu erbiethen, den Nachweis hinlänglicher Subsistenz-Mittel durch meinen Vater den Königl. Kammerherrn und Ritter-Gutsbesitzer Grafen von Schmising auf Tatenhausen bei Bielefeld nöthigen falls nachzubringen.

Der Referendar sollte des Vermögens sein, sich anständig zu erhalten

Der junge Mann, der sich bis hierhin zielstrebig zeigte und keineswegs verschwenderisch mit der Zeit umging, war inzwischen 25 Jahre alt und wurde bis dato von seinem Elternhaus unterhalten. Jetzt forderte der Staat von dem Bewerber um die Aufnahme in das Regierungsreferendariat den Nachweis ..., „daß er des Vermögens sey, sich bis zu seiner Anstellung auf Gehalt anständig zu erhalten.“ [17] Referendare und Assessoren warteten in Ausbildung bzw. Anwartschaft viele Jahre ohne eigene Einkünfte auf eine Stelle, die ein regelmäßiges Gehalt versprach. Zu der wissenschaftlich-intellektuellen Qualifikation gesellte sich so der Vermögensnachweis als ein nahezu gleichgewichtiges Auslesekriterium, das materiell geringer ausgestattete Anwärter zu einer kargen Lebensführung zwang oder ihnen den Weg ins Amt verstellte.[18] 

Im Juni reichte Schmising seine Proberelation[19] zu einem Rechtsstreit zwischen dem Erbpächter Nagel als Kläger und dem Fiscus forestalis (preußischer Forstfiskus) vertreten durch die Regierung Potsdam als Beklagter ein. Er nahm auch diese Hürde: Kammergerichts-Assessor von Bülow bewertete Schmisings Relation als eine gelungene Probe-Arbeit und im Protokoll der mündlichen Prüfung steht, dass der Graf von Korff-Schmising ... die ihm vorgelegten Fragen größtentheils ganz richtig [beantwortete] und ... überall gute theoretische und practische Rechtskenntnisse und eine gute Beurtheilungskraft [zeigte], der mündliche Vortrag aus den Process-Acten sei ebenfalls gut und somit das Examen gut bestanden. Der Geprüfte sei zum Referendariat geeignet.

Schmising lässt sich keine Zeit. Unverzüglich betreibt er seine Entlassung aus dem Justizdienst. Er bewirbt sich um die Stelle eines Regierungsreferendars in Potsdam und schreibt einen Lebenslauf.

Februar 2017
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* LAV NRW W - Regierung Münster PA Nr. 41 Korff-Schmising - wenn  nicht anders zitiert, folgt der Text dieser Akte.

[1] Friedrich Magnus von Bassewitz, *17. Januar 1773; †14. Januar 1858.
[2] Dietrich Wegmann, Die leitenden staatlichen Verwaltungsbeamten der Provinz Westfalen, Münster 1969, S. 296ff.
[3] Wegmann, a.a.O., S. 298.
[4] Abgangszeugnis von der Universität Göttingen vom 26. Juli 1830.
[5] Pandekten (griechisch „alles enthaltend“), fünfzig Auszüge aus den Schriften römischer Juristen, Bestandteile des Corpus Juris Civilis, einer mit Gesetzeskraft ausgestatteten Sammlung römischen Rechts. – DIE ZEIT, Lexikon, Bd. 3, S. 163 und Bd. 11, S. 136.
[6] Hervorhebung durch den Autor.
[7] Johann Heinrich Jung (gen. Jung-Stilling), *12. September 1740; †2. April 1817.
[8] Wilhelm Bleek, Von der Kameral-Ausbildung zum Juristen-Privileg, Berlin 1872, S. 87.
[9] Bleek, a.a.O.; – zitiert wird E. v. Bodelschwingh, Leben des Ober-Präsidenten Freiherrn von Vincke, Berlin 1853, S. 21 ff.
[10] Bleek, a.a.O., S. 102f.
[11] Bleek, a.a.O., S. 106f.
[12] Erste Immatrikulation am 6.11.1830, Verbleib bis zum Schluss des Sommersemesters 1831, Abgangszeugnis vom 31.10.1831; zweite Immatrikulation am 26.11.1831, Verbleib bis zum Schluss des Wintersemesters, Abgangszeugnis vom 21.4.1832.
[13] Vgl. Die Amtssprache, S. 15; Duden Fremdwörterbuch, Mannheim 1966: „Auskultant“.
[14] Bleek, a.a.O., S. 104f.
[15] Johann Gottfried Hoffmann, *19. Juli 1765; † 12. November 1847 war ein deutscher Statistiker, Staatswissenschaftler und Nationalökonom – Wikipedia.
[16] Attest des Directoriums des Königl. Stadtgerichts hiesiger Residenz vom 18.04.1835 und Attest der Landwehr vom 22.03.1835.
[17] Bleek, a.a.O., S. 124.
[18] Bleek, ebenda.
[19] Relation Bericht, Aktenbericht, Streitbericht – Amtssprache, S. 146.

 
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