aktenlage
Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686

Die Übergabe des Landratsamts Lüdinghausen (1857) [1]

Altes Inventar in neuen Räumen

Dieter Gewitzsch

Ende Oktober 1856 übernahm Franz Jakob von Hilgers die Verwaltung des Kreises Lüdinghausen aus den Händen des Regierungsreferendars Lambert Rospatt, der bis dahin für ein gutes Jahr den erkrankten Landrat von Schmising vertreten hatte. Rospatt hatte es vorgezogen, wieder bei der Regierung in Münster zu arbeiten und sein Referendariat zügig abzuschließen. Es traf sich, dass in Köpenick der zur Disposition gestellte Landrat Hilgers dringend auf eine Anstellung wartete und gleich bereit war, seinen Dienst in Westfalen anzutreten.

Der gewählte Landrat, Maximilian von Korff gen. Schmising, hatte wenige Tage vorher sein Abschiedsgesuch eingereicht. Oberstabsarzt Werlitz attestierte dem damals 47-jährigen, dass sein Gesundheitszustand ihm nicht gestatte, die Amtsgeschäfte wieder aufzunehmen.  Innenminister von Westphalen versetzte Schmising im Januar 1857 mit einer Pension von jährlich 375 Talern in den Ruhestand, so dass Hilgers nicht nur die Person zu vertreten hatte, sondern sich um den Fortbestand der Dienststelle in Lüdinghausen kümmern musste.

Hilgers' erste Sorge galt der Unterbringung der Behörde, weil der Amtsvorgänger Schmising den Mietvertrag mit dem Freiherrn von Böselager über die Lokalien auf dem Gute Wolfsberg bereits zum 1. November 1856 aufgelöst hatte. Hilgers prüfte Alternativen und musste dabei feststellen, dass hier am Ort ... Mieth-Lokalien kaum zu erlangen sind und öffentliche Lokalien durchaus nicht disponible sind, was ihn wieder zu Böselager führte, der den Landratsamtsverweser als Nachmieter der zu Büreau und Wohnung benutzten Räume akzeptierte. Hilgers schloss den Vertrag und betonte gegenüber der Regierung, er habe so den störenden Umzug des Büreaus vermieden und zudem vereinbaren können, dass eine Kündigung während der Dauer seiner Verwaltung nicht eintreten kann. Für die aus 7 Piecen[2] und Holzstall bestehenden leeren Lokalien, wovon drei Piecen für die Aufnahme des Büreaus verwendet werden, zahle er monatlich neun Taler und er halte es übrigens für in der Billigkeit begründet, wenn Münster ihm für die amtliche Mitnutzung seiner Räume die halbe Miete erstatten würde.

Übergabeverhandlung vom 13.02.1857

Unterschriften der Übergabeverhandlung vom 13.02.1857, s.u.

Am 13. Februar 1857 traf Hilgers sich in Lüdinghausen mit dem Beckumer Landrat Graf Ferdinand von Schmising-Kerssenbrock. Der Cousin des ehemaligen Landrats war bevollmächtigt, die Übergabe der Registratur und der Formulare bis hin zum Verbrauchsmaterial zu verhandeln und das persönliche Eigentum des Pensionärs entgegenzunehmen. Hilgers bestätigte, dass sich die Registratur in ordnungsgemäßem Zustand befände, und er bereit sei, sie ohne jede nähere Erörterung zu übernehmen. Anders sei es mit Schmisings Büchern und persönlichen Utensilien, weil  er nicht wisse, ob er sie an den künftigen Amtsinhaber weitergeben könne. 

Für den bisherigen Verbrauch an Holz, Oel, und Papier erstattete Hilgers seinem Vorgänger den Tageswert. Der letzte Punkt der Verhandlung betraf die vorgefundenen öffentlichen Gelder und "geldwerte Formulare", bei denen es sich um verschiedene Pässe und Jagdscheine handelte, die gegen Gebühren ausgestellt wurden. In der Kasse befanden sich aktuell nur 17 Taler, 16 Silbergroschen und 6 Pfennige, weil man der Kreiskasse einige Tage zuvor 347 Taler an Jagdscheingeldern überwiesen hatte.  

Über die Stücke des Inventars, die Eigentum des Grafen Schmising waren, informierte Hilgers die Regierung in Münster mit einer gesonderten Aufstellung. Ein Blick auf die Liste verdeutlicht, dass Graf Schmising das Büro des Landratsamts in seiner Amtszeit von 1840 – 1856 möbliert hatte. Mit der Aufstellung signalisierte Hilgers, dass das Büro in Lüdinghausen nach Abzug seines Vorgängers weitgehend ausgeräumt war.

Münster hatte gegen das Vorgehen des Landratsamtsverwalters nichts einzuwenden, forderte aber ergänzend ein vollständiges Verzeichniß der Inventar-Gegenstände vorzulegen, welche Eigenthum des Landrathsamts waren. Ende März 1857 reichte Hilgers die gewünschte Liste der vorhandenen Bücher und sonstigen Mobilien nach. In 79 Positionen führte er auf, was sich an bedrucktem Papier, an Einrichtungsgegenständen und diversen Utensilien im Kreisbüro befand.

Die Amtsstube der Kreisverwaltung muss ein trostloses Bild abgegeben haben. Es gab keinen Tisch und keinen Stuhl, keinen Ofen und kein Licht, aber eine Reihe von Aktenschränken mit insgesamt 168 Fächern und Kästen zur Unterbringung der Registratur. Das Dienstsiegel mit zwei Ballen zum Schwarzsiegeln war vorhanden, wie auch eine Maschine zum Stempeln der Jagdschilder. Eine Loosungs-Urne stand bereit, wenn der Zufall entscheiden sollte. Das Landratsamt hielt eiserne und hölzerne Längenmaße vor und verfügte über Maßgefäße zur Kontrolle, ob „Scheffel“ und „Metze“ ordnungsgemäß abgemessen wurden. Zum Transporte der Gefangenen diente eine Schließkette.

Amtsblätter, Gesetzsammlungen, Ministerial- und Mitteilungsblätter waren Grundlagen der laufenden Verwaltung. Zusammen mit den höheren Orts gegebenen Verfügungen, die oft Bezug auf die Periodika nahmen, ermöglichten sie der Behörde, Ihren Beitrag zu einer einheitlichen, gesetzmäßigen Geschäftsführung zu leisten. Nach der napoleonischen Herrschaft kehrte man in den altpreußischen Gebieten bereits 1813 zum Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 zurück, das 1815 auch in den erworbenen Ländern eingeführt wurde. Allein in der Rheinprovinz behielt französisches Recht weiterhin Gültigkeit. Dessen ungeachtet befanden sich unter den Büchern im Lüdinghauser Landratsamt die französischen Gesetzeswerke Code Napoleon und Code de procedure civil. An die ehemalige Zugehörigkeit zum Großherzogtum Berg erinnern die Bergische Feuer-Ordnung vom 5 Septbr. 1807, die Bergische Verwaltungs-Ordnung vom 13. Octbr. 1807 und 18. Decbr. 1808 und die Sammlung Lois anterieures vom 3. Novbr. 1809.




In der Handbibliothek der Lüdinghauser Landräte befanden sich Schriften zu wiederkehrenden Themen und Aufgabenstellungen wie Einhaltung der Gesinde-Ordnung, Verpflegung von Rekruten und Unterstützungen für Militär-Familien und zu den großen preußischen Reformprojekten wie der „Bauernbefreiung“. Den 1817 eingerichteten Generalkommissionen fiel die Regulirung der gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse zu. Die technischen Grundsätze der Kommissionsarbeit waren im Kreisbüro nachzulesen. Eines der Bücher war an den Bürgermeister Eching zu Drensteinfurt ausgeliehen, es handelte von der Kultur des Maulbeerbaumes als Raupenfutter für die Seidenproduktion. Auf der anderen Seite sagte ein Werk der Wander- oder Prozessionsraupe den Kampf an und mit Blick auf menschliche Schwächen mag man auf Kreisebene in Bairds Geschichte der Mäßigkeitsgesellschaft in den Nordamerikanischen Freistaaten Rat gesucht haben.

Anfang September 1857 unterrichtete Hilgers die Bezirksregierung von der Verlegung des Landratsamtsbüros von dem Wolfsberg in den Saal des Posthalters Cremer:

Lüdinghausen den 3ten September 1857
Die Verlegung des landräthlichen Büreaus betreffend.

Der Königlichen Regierung beehre ich mich gehorsamst anzuzeigen, daß ich das Büreau von dem Wolfsberg in den Saal des Posthalters Cremer hierselbst verlegt habe.
Was mich dazu veranlaßt hat, war der Baulose-Zustand des Gebäudes auf dem Wolfsberg, in welchem bedeutende Senkungen entstanden waren, auch die Decken herabzufallen begonnen.
Das jetzige Büreau-Local besteht zur Zeit freilich nur aus einer Pince, dem großen Saale, woran jedoch meine Wohnzimmer stoßen, sodaß ich sogleich im Stande bin Leute, welche es wünschen, allein zu sprechen.
Dieser Saal ist indeß von einem Umfang, daß daraus sehr leicht drei große Büreau-Zimmer gebildet werden können, und ist überhaupt das schönste Lokal, was in und in der Nähe von Lüdinghausen vorhanden ist.

Verwaltung des Landrathsamtes
F v Hilgers


September 2015 (ergänzt im Dezember 2022)
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Bildnachweis:
http://digital.ub.uni-duesseldorf.de/ihd/periodical/pageview/3502632-3502634 - screenshot aus PDF-Dokument: dg.

[1] LAV NRW W – Regierung Münster Nr. 4895, Anordnung eines Landrats im Kreis Lüdinghausen – die Darstellung folgt dieser Akte.
[2] Vgl. pièce = frz. Zimmer

 
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