aktenlage
Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686


Der Kreis Lüdinghausen im Jahr 1858 - 

im Spiegel der ersten vom Landratsamt gefertigten statistischen Übersicht


Im April 1859 erinnerte der Innenminister die Bezirksregierungen an die gut zwanzig Jahre alte Aufforderung, die Landräte zu ermuntern, in bestimmten Zeitabschnitten eine Uebersicht sowohl über die statistischen und sonstigen Verhältnisse, als besonders auch über die Resultate der Verwaltung des Kreises zu geben.[1] Die Verfügung vom 2. September 1838 bezeichnete sechzehn „Gegenstände“, die in den „Übersichten“ zu behandeln seien. Jetzt unterstrich Berlin die Wichtigkeit solcher Arbeiten und wies die Regierung in Münster an, den Landräten die periodische Mittheilung über die statistischen Verhältnisse und allseitige Entwicklung der Kreise nicht mehr nur zu empfehlen, sondern vorzuschreiben. Von drei zu drei Jahren sei eine solche Darstellung zu fertigen und dem Ministerium von jeder Übersicht ein Druck-Exemplar oder eine Abschrift einzureichen. Der Bezirk Münster verpflichtete seine Landräte, die Berichte bis zum Oktober 1859 abzuliefern.

Die Wiederbelebung einer zwei Jahrzehnte alten Zirkularverfügung war 1859 für das Statistische Bureau in Berlin ein „Versuch“, der zeigen sollte, was von einem Landratsamt bei der statistischen Beschreibung des Kreises zu erwarten ist.[2] Obwohl die langfristige Zielsetzung eine andere war, wurde die alte „Versuchsanordnung“ beibehalten: Die zu behandelnden sechzehn Punkte blieben unverändert. 1838 wollte man nicht nur einen geordneten Informationsfluss nach „oben“ organisieren, sondern die Kreisstände und Kreisbewohner mit allen wesentlichen Verhältnissen bekannt machen und zu einem regeren Interesse für die Angelegenheiten des Kreises „anfeuern“. Dazu hätten die Kreisbehörden allerdings geeignete Wege der Bekanntmachung suchen müssen. In Berlin gingen die meisten Kreisstatistiken handschriftlich ein und man zweifelte, ob diese Texte jemals gedruckt, durch Kreisblätter veröffentlicht oder als Broschüren herausgegeben wurden.

Abb.: books.google.com, 22.08.2022

Das „Königlich Preußische Statistische Bureau“ unterzog die Rückläufe einer gründlichen Betrachtung und kritischen Wertung. Es reifte die Einsicht, dass ein Landrat nicht schon von selbst ein Statistiker ist und – so allgemein wie die Aufgabe gestellt war – das Ergebnis stark von der Person des Landrats abhing, weshalb die Arbeiten in Form und Inhalt auf das verschiedenste auseinander gingen. Folglich müsse man die Aufgabe präzisieren und die Erwartungen an die Landräte klarer beschreiben, wenn die statistische Beschreibung der Kreise ein integraler Teil der Aufgaben eines Landratsamtes werden sollte. Mit seinem „Programm“ dürfe das „Statistische Bureau“ nicht verlangen, dass zum Zwecke der Kreisstatistik irgend eine neue Aufnahme gemacht werde, sondern es müsse sogar die Quellen bezeichnen, denen die gewünschten Daten entnommen werden können. Die Kreisbehörden sollten einen Sinn dafür bekommen, welches Material durch ihre Hände geht und wie es für die Statistik auszuwerten und zu dokumentieren ist. Im Ergebnis sollte das Wissen über die Verhältnisse im Kreis einheitlicher erfasst und damit vergleichbarer werden.

Die Berliner Statistiker gingen davon aus, dass die Kreisbehörde aus den routinemäßigen Erhebungen und Meldungen den größten Theil des statistischen Stoffes [bereits] in Händen hat oder leicht erhalten kann. Dem Landrat bliebe die Aufgabe, die bereitliegenden Daten zu einem Bild des Kreises zu ordnen, er sei schließlich das Auge..., durch welches die Regierung die Verhältnisse des Kreises betrachtet. Es reiche aber nicht, Statistiken nur nach „oben“ weiterzureichen, sie sollten auch vor Ort Fragen provozieren: Welche Missverhältnisse sind hier zu beseitigen, welche Entwickelung ist hier zu fördern? An solchen Stellen müsse das vorgegebene Schema „dehnbar“ aufgefasst werden, d.h. es sei ausdrücklich erwünscht, die übliche Behandlung der geforderten Gegenstände um die eingehende Schilderung gewisser Verhältnisse des Kreises zu ergänzen.

LAV NRW W, Regierung Münster V-4-4, Blatt 171.

Gemessen an den Erwartungen des  „Statistischen Bureaus“ erfasst die Lüdinghauser Kreis-Statistik für das Jahr 1858 die gewünschten Inhalte weitgehend und lässt methodisches Geschick erkennen. Landrat von Landsberg benutzt die vorhandenen Quellen und ergänzt das Zahlenwerk um Anmerkungen zur Deutung der Daten oder gibt Hinweise auf spezielle Verhältnisse in seinem Bezirk. Zum Punkt „Wegebau“ nimmt sein Bericht die besagte „Dehnung“ in Anspruch. Landsberg beschreibt für alle 24 Ortschaften des Kreises die vorhandenen und im Bau befindlichen Verkehrsverbindungen nach Lage, Funktion und Zustand und verdeutlicht so, was momentan ganz oben auf der Agenda der Kreisentwicklung steht. 

Die „Übersicht“ folgt nicht der 1838 empfohlenen Gliederung, behandelt aber alle dort angeführten Punkte. – Damit befand sich Lüdinghausen in bester Gesellschaft mit einer stattlichen Zahl von Kreisen, die Ihren Darstellungen ebenfalls eine eigene Ordnung gaben. aktenlage.net dokumentiert hier die handschriftliche Version der „Übersicht über die Verhältnisse des Kreises Lüdinghausen für 1858“, wie sie im Oktober 1859 der Bezirksregierung vorgelegt und dort zu den Akten genommen wurde.

Ganz im Sinne der ursprünglichen Vorstellungen aus dem Jahre 1838 war man zwanzig Jahre später bereit, die ermittelten Daten und Beschreibungen in Druck gehen zu lassen und für eine entsprechende Verbreitung zu sorgen. In den Digitalen Sammlungen der ULB Münster sind verschiedene Drucke der Lüdinghauser Statistiken zu finden, darunter auch die Übersicht von 1859. 

Links zu den Fundorten: Bitte ins Bild klicken!

 


 


 
Email