Eine Ackerbauschule für den Bezirk Münster - oder besser zwei? 1850/51
Dieter Gewitzsch
Im April 1850 eröffnete das Ministerium für landwirtschaftliche Angelegenheiten dem Königlichen Landesökonomiekollegium, dass keine Aussicht bestünde, im Regierungsbezirk Münster zwei Ackerbauschulen einzurichten. Die disponiblen Fonds würden dazu nicht ausreichen und man wolle für diesen Landesteil auch keine Ausnahme machen. Das Ministerium ging nicht im Einzelnen darauf ein, wie die Provinz den Wunsch nach zwei Lehranstalten begründete, gestattete sich aber mit Blick auf Münster einen klärenden Hinweis an das Kollegium:
Uebrigens bieten die konfessionellen Unterschiede kein Hinderniß dar, Schüler verschiedener Bekenntnisse in eine Schule zusammen zu bringen, noch kann die Confession des Direktors oder des Lehrers entscheidend sein.
Das Königliche Landes-Oekonomie-Collegium wird daher angewiesen, bei Seinen Versuchen im Münsterschen Department, eine Ackerbauschule herzustellen, die confessionelle Seite unberücksichtigt zu lassen, und allein die übrigen Punkte, welche bei der Beurtheilung erheblich sind, in Betracht zu ziehen.[1]
Um 1850 waren mehrere Standorte für eine Ackerbauschule im Bezirk Münster im Gespräch; verschiedene Lösungen wurden geprüft und mit möglichen Betreibern verhandelt. So sollten die zu einem Remontedepot (Remonte = junges Militärpferd) gehörigen Vorwerke Friedrichshorst und Vinckenwalde einer anderen Nutzung zugeführt werden, eine Ackerbauschule war im Gespräch, aber aus dem Projekt wurde nichts. Dann entdeckte der landwirtschaftliche Hauptverein zwei neue Hoffnungsträger, auf der einen Seite den Oekonomen und Rittergutspächter Fischer zu Menzel (Stadtteil der Stadt Rüthen im Kreis Soest) und auf der anderen den Direktor des landwirthschaftlichen Kreis-Vereins Lüdinghausen ... Rentmeister Brüning zu Botzlar. Als der sich im Mai 1851 in Sachen Ackerbauschule auf Botzlar direkt an das Landesökonomiekollegium wandte, hatte Fischer bereits eine Empfehlung der Berliner: Es sei vorteilhaft, dass sich mit Fischer eine geeignete und mit den erforderlichen Geldmitteln versehene Persönlichkeit angeboten hätte, eine solche Anstalt ... zu begründen. – Allerdings müsse ihm das geeignete Grundstück noch vermittelt werden. Es war der letzte Bericht des Direktors des Hauptvereins in Münster, von Brandenstein, der beruflich versetzt wurde und daher den Vorsitz niederlegte. Er widmete er dem Projekt Ackerbauschule gute Wünsche und ein offenes Wort:
Möge endlich der Zweck in einer Weise erreicht werden, welcher ein glückliches Gedeihen der Anstalt sichert, die vorzugsweise in einer glücklichen Wahl des Direktors neben angemessenen Lokalitäten eine sichere Bürgschaft finden wird.
Im Übrigen verharre ich bei meiner schon oft ausgesprochenen Ansicht, daß namentlich mit Rücksicht auf die Verhältnisse im Regierungsbezirk Münster die Errichtung einer solchen Anstalt von Staatswegen die sicherste Garantie für das baldige Zustandekommen und das Gedeihen derselben gewähren würde. Prinzipien in der Landwirthschaft durchzusetzen welche nicht naturwüchsig sind ist niemals anzurathen. Für Private Ackerbauschulen ist aber meines Erachtens der Boden in Westfalen noch nicht reif.
Ackerbauschule Botzlar
1851 legte der Pächter des Guts Botzlar der Regierung in Münster einen Plan zur Errichtung einer Ackerbauschule vor.[2] Das Gut war Eigentum des Grafen von Landsberg Gemen zu Velen und der inzwischen 43 Jahre alte Wilhelm Brüning hatte es auf 30 Jahre in Pacht genommen.
Beim Oberpräsidium der Provinz Westfalen wurde die Initiative des Selmer Gutspächters positiv aufgenommen. Münster genehmigte im Januar 1852 vorläufig einen Einrichtungs- und Lehrplan, der ein halbes Jahr später im Amtsblatt[3] veröffentlicht wurde. Gleichzeitig kündigte die Oberbehörde an, dass zum 1. Oktober 1852 auf dem Gut Botzlar im Kreise Lüdinghausen eine Ackerbauschule ins Leben treten werde.
Die vom Gutspächter Brüning betriebene Schule erhielt eine jährliche Zuwendung von 1.300 Talern aus der Staatskasse[4] und unterlag der behördlichen Kontrolle. Mit der unmittelbaren Beaufsichtigung der Anstalt betraute das Oberpräsidium ein Kuratorium, bestehend aus
- dem Präsidenten des landwirtschaftlichen Zentralvereins Münster (zu der Zeit dem Generalkommissar Wilhelm Jonas aus Münster),
- dem Landrat des Kreises Lüdinghausen (zu der Zeit Graf Schmising) und
- dem Pfarrer Evers aus Selm.
Ich hoffe und wünsche – gab der Oberpräsident der neuen Schule mit auf den Weg – dass diese zur Beseitigung eines dringenden Bedürfnisses bestimmte Anstalt einen gedeihlichen, ihrem Zwecke, der Förderung der Landwirthschaft, entsprechenden Fortgang gewinnen möge.[5]
Die im Amtsblatt folgende Beschreibung stammt im Wesentlichen aus der Feder des künftigen Leiters der Schule, wurde aber für die Veröffentlichung bearbeitet.[6] Brüning stellt die bestehende Gutswirtschaft vor und erläutert, wie er sich den Betrieb einer privaten Lehranstalt auf dem Gut Botzlar vorstellt. Er beginnt mit einer Bestandsaufnahme und teilt den Lesern des Amtsblatts eingangs mit, wo sich Botzlar befindet und wie man den Ort erreichen kann: Das Gut liegt eine Meile südlich der Kreisstadt Lüdinghausen, die in zwei Jahren über eine Chaussee mit Münster verbunden sein wird. Nach Süden trifft man eine halbe Stunde entfernt auf das Dorf Bork, von dem eine Chaussee nach Dortmund und damit zur Köln-Mindener Eisenbahn führt.
Die Gutswirtschaft – so der Pächter – umfasst mit anderweitig gepachteten Grundstücken knapp 500 Morgen Land. Es wird angestrebt 380 Morgen als Ackerland zu nutzen, 80 Morgen als Riesel- und Stauwiesen und der Rest soll Weide sein. Zurzeit ist man damit beschäftigt, Waldstücke in Ackerflächen und Stauwiesen in Rieselwiesen umzuwandeln.[7] Auf den Äckern wechselt mittelschwerer Tonboden mit leichtem, gutem Sandboden, einige Felder leiden in nassen Jahren unter der Feuchtigkeit.
Zum Haus Botzlar gehören[8] drei größere Oeconomie-Gebäude, in denen auch eine Brennerei von Kartoffeln und Korn betrieben wird, ein Holzschober, zwei Schürzsiemen[9] sowie eine Öl- und eine Korn-Mahlmühle[10]. Zum Viehbestand zählen acht Ackerpferde, vier Fahrochsen, 30 bis 40 Stück Rindvieh, 200 Schafe und 50 bis 100 Schweine.[11]
Das große, zweistöckige Wohnhauses wird weiterhin von der Familie Brüning genutzt, aber bei starkem Andrang können in der oberen Etage weitere Schlafstellen für Zöglinge eingerichtet werden. Diese Möglichkeit soll auf Notfälle beschränkt bleiben, denn der Hausherr möchte an dieses Wohnhaus ... zum Zweck der Anstalt einen zweistöckigen, 40 und 38 Fuß haltenden Flügel anbauen, der eine Wohnung für den Lehrer, einen Hörsaal, einen Speisesaal und die eigentlichen Schlafstuben für die Zöglinge enthalten wird. Die Schule kann dann zwanzig Schüler aufnehmen.
Als Direktor will Brüning selbst unterrichten. Er plant zudem, einen wissenschaftlich gebildeten Lehrer einzustellen, der auch außer der Unterrichtszeit die Zöglinge überwacht und bei der Arbeit anleitet. Ferner sollen ein Tierarzt und ein geschickter Gärtner aus der Nachbarschaft Unterricht in den betreffenden Fächern ertheilen.
Man erwartet eine mindeste Zahl von vierzehn gesunden Schülern im Alter von fünfzehn bis 24 Jahren. Vor der Aufnahme sind Zeugnisse der Ortsbehörde und des betreffenden Pfarrers über die sittliche Führung und die Vermögensverhältnisse der Bewerber einzureichen. Eltern und Zöglinge verpflichten sich gemeinsam und schriftlich zum Gehorsam gegen den Direktor und die Lehrer. Bei der halbjährlich zum 1. April und 1. Oktober stattfindenden Aufnahme werden zuerst Schüler aus dem Regierungsbezirk Münster vorgezogen, danach will man Aspiranten aus Westfalen berücksichtigen, bevor andere Provinzen zum Zuge kommen.
Die Ausbildung dauert zwei Jahre, kann aber auf anderthalb Jahre oder auch ein Jahr verkürzt werden, wenn die mitgebrachten Vorkenntnisse einen erfolgreichen Abschluss erwarten lassen. Lehrgeld ist halbjährlich im Voraus zu zahlen. Neun Schüler werden zu einem ermäßigten Satz von 25 Talern aufgenommen, die anderen zahlen fünfzig bis 65 Taler pro Halbjahr. Im Rahmen ihrer Kräfte haben sich die Schüler an allen im Betrieb vorkommenden Arbeiten zu beteiligen. Die Winter- und Sommersemester unterscheiden sich hinsichtlich des Lernstoffs und der Tagesabläufe.
Die kalte Jahreszeit ist hauptsächlich dem theoretischen Unterricht gewidmet. Um fünf Uhr früh stehen die Schüler auf und erledigen schon vor dem Frühstück einige Arbeiten in den Viehställen, beim Fruchtdreschen und Reinigen. Nachdem gefrühstückt wurde, arbeiten die Zöglinge auf dem Hof, helfen beim Mergelfahren oder sind mit schriftlichen Arbeiten beschäftigt. Das Mittagsmahl wird zu jeder Jahreszeit um zwölf Uhr gemeinschaftlich unter Aufsicht des Lehrers eingenommen. Der Wechsel von praktischen und schriftlichen Arbeiten wird nachmittags fortgesetzt. Von 17 Uhr bis 19 Uhr hören die Schüler Vorträge des Lehrers. Nach dem Abendessen wird um 21 Uhr zur Ruhe gegangen.
Im Sommer beginnt der Unterrichtstag eine Stunde früher um vier Uhr. Von halb fünf an hält der Lehrer einen ersten Vortrag, dann wird gefrühstückt. Bis zum Essen wechseln sich körperliche und schriftliche Arbeiten ab. Mittagsruhe soll bis 14 Uhr gehalten werden. Gearbeitet wird bis 19 Uhr, dann gibt es Abendessen. Die längeren Sommertage werden vormittags um neun Uhr und nachmittags um 16 Uhr zur „Recreation“ unterbrochen. Regentage werden zu schriftlichen Arbeiten und Lehrervorträgen genutzt. Soweit die grobe Verteilung der Aktivitäten. Der Unterricht wird nach dem folgenden vom Königlichen Ministerio festzusetzenden Plane ertheilt:
Die Semester bilden abgeschlossene Lerneinheiten, damit es für die in jedem Halbjahre neu eintretenden Zöglinge möglich wird, an den Vorträgen ohne umständliche Vorbereitung sogleich Theil zu nehmen.
Zu den Pflichten der Schule gehört, für eine gesunde, angemessene Kost zu sorgen und den Schülern gesunde Räume zum Essen, Lernen und Schlafen anzuweisen. Jeder erhält ein eigenes Bett, einen Kleiderschrank, Tisch und Stuhl, Handtücher etc. Werkzeuge und Geräte werden gestellt. Für mutwillig oder fahrlässig verursachte Schäden müssen die Schüler aufkommen, die auch die Kosten für Schreibmaterial und Medizin zu tragen haben. Kranke Schüler werden vierzehn Tage im Krankenzimmer der Schule gepflegt. Um längerfristig Erkrankte sollen sich die Angehörigen kümmern.
Bei Verstößen gegen die Hausordnung wird ermahnt. Zeigen Strafen wie Absperrung mit magerer Kost und schriftlichen Arbeiten nicht die gewünschte Wirkung, erfolgt im Wiederholungsfalle die Entfernung aus der Anstalt. Unsittlichkeit, Frechheit, Aufwiegelung ziehen nach Umständen eine sofortige Entfernung nach sich. Wird ein Schüler der Schule verwiesen, so geht das im Voraus gezahlte Honorar verloren.
Schon die Zeitgenossen sahen die Betreiber von Ackerbauschulen als „Unternehmer“ und die 1850er Jahre zeigten, dass Gutspächter Brüning einen günstigen Zeitpunkt für sein Bildungsangebot gewählt hatte. Die westfälische Landwirtschaft erfreute sich nach 1848 eines durchgängigen Aufschwungs. Es hieß, ein gewisser Wohlstand sei beim Bauernstand der Provinz eingezogen und die Behauptung wurde u. a. daran festgemacht, dass die Zahl der gut gefüllten Sparkassen weder in der übrigen Provinz noch in anderen Bezirken Preußens so rasch angewachsen war, wie in den ackerbautreibenden Gegenden Westphalens. Die Kassen hätten ihren Sitz zwar in den Städten, würden aber von den Landbebauern zur Deposition ihrer überflüssigen Mittel benutzt.[12] Die Kreissparkasse in Lüdinghausen hatte Ende 1857 Einlagen in Höhe von 167.264 Talern, sie gehörte damit wie die in Beckum und Ahlen zu den kleineren Instituten.[13] Zu den Gründen für die günstigen Verhältnisse der letzten zehn Jahre zählte man 1858, dass sich die Getreidepreise über längere Zeit hoch gehalten hätten. In früheren Zeiten hatte Mangel die Preise getrieben, jetzt eröffneten verbesserte Verkehrsverbindungen allen Producten der Landwirthschaft neue und erweiterte Absatzquellen. In den Städten sorgten zuwandernde Arbeitskräfte allgemein für eine stärkere Nachfrage und wegen schlechter Kartoffelernten war speziell Brotgetreide gefragt.[14]
September 2015
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[1] GStA PK I. HA, Rep. 164 A, Nr. 61 Bd 2.
[2] LAV NRW W, Oberpräsidium Nr. 1760 – Plan von der Hand des Pächters Wilhelm Brüning ohne Datum. – Die Quelle wurde mit Auslassungen und Ergänzungen für weitere Veröffentlichungen benutzt. Vgl. Amtsblatt für den Regierungsbezirk Münster 1852, Nr. 29; Jahrbuch der Landwirthschaft und der landwirthschaftlichen Statistik für das Jahr 1852, Hrsg. William Löbe, 6. Jg., Leipzig 1852 S. 302ff.; William Löbe, Die Ausbildung des Landwirths und die landwirthschaftlichen Lehranstalten Europas, Leipzig 1856, S. 58f.
[3] Amtsblatt für den Regierungsbezirk Münster / Hrsg.: Bezirksregierung Münster, 1852, Nr. 29 vom 17. Juli 1852, S. 194ff. – Online-Ausgabe: Univ.- und Landesbibliothek, 2013, urn:nbn:de:hbz:6:1-55815. – Wenn nicht anders zitiert, folgt der Text dieser Quelle.
[4] Albert Florschütz, Die politischen und socialen Zustände der Provinz Westphalen während der Jahre 1848 – 1858, Elberfeld 1861, S. 107.
[5] Bekanntmachung des Oberpräsidiums mit Datum vom 05.07.1852, Amtsblatt Münster 1852, a.a.O., S. 194.
[6] Brüning zeichnete den Text im Amtsblatt mit Datum vom 15. Januar 1852.
[7] LAV NRW W, Oberpräsidium Nr. 1760 – Vgl. Brünings ursprünglichen Text: Hiervon sind 300 Morgen dem Pfluge unterworfen 90 Morgen Waldboden sind bereits in Angriff genommen um in Acker verwandelt zu werden. 80 Morgen sind Stau und Flößwiesen, der Ueberige Fischteiche Hofeplätze Weiden etc.Von den Wiesen sind im vorigen Sommer 20 Morgen in Rieselwiesen umgeschaffen für diesen Sommer werden anderswo 40 Morgen vollendet werden und der Rest von 20 Morgen bleibt für das nächste Jahr anzulegen.
[8] LAV NRW W, Oberpräsidium Nr. 1760 – Brüning differenziert die Angaben zu den Gebäuden: 1 zweistöckiges Wohnhaus, 1 Scheune 110 Fuß lang, 1 Scheune mit Pferdestall 120 f., 1 Brauerei mit Pferdestall 110 fuß, 1 Schweinestall.
[9] LAV NRW W, Oberpräsidium Nr. 1760 – Brüning benutzt das Wort Kornsiemen.
[10] LAV NRW W, Oberpräsidium Nr. 1760 – Brüning unterscheidet 1 Windmühle, 1 Wasser-Kornmühle, 1 Oelmühle, letztere vor dem Hofe.
[11] LAV NRW W, Oberpräsidium Nr. 1760 – Brüning erwartet, dass sich mit der fortschreitenden Kultur und der Ertragsfähigkeit des Bodens natürlich der Viehbestand vermehrt. Rückblickend bemerkt er: Das Gut war bei Uebernahme der Pacht sehr verkommen, stückweise verpachtet, die sauren Wiesen zu Kuh und Rinderweiden benutzt etc.
[12] Albert Florschütz, a.a.O., S. 103.
[13] Vgl. ebenda, S. 104: Ende 1857 hatten die Sparkassen in Soest 742.889, Paderborn 365.936, Beckum 114.024 und Ahlen 104.256 Taler an Einlagen.
[14] ebenda, S. 105.