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Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686

Berlin setzt auf Ackerbauschulen (1843)

Dieter Gewitzsch

Nach langer, sehr lebhafter Discussion – so das Protokoll vom 26. August 1843 – war sich das Landesökonomiekollegium in Berlin einig, dem Minister die Punkte nahe zu bringen, auf welche es ...bei der Einrichtung von Ackerbauschulen unter allen Umständen ankommt.[1]

Das hohe Gremium folgte damit dem Gutachten des Landesökonomierats Johann Gottlieb Koppe[2], der in dem Bestreben der gewerblichen Stände, sich eine bessere Berufsbildung anzueignen,  ein erfreuliches Zeichen der Zeit sieht, um dann zu beklagen, dass es an einer Lehranstalt für junge Bauern noch ganz fehle. Eine solche „Ackerbauschule“ positioniert Koppe klar abgegrenzt unterhalb der Ebene höherer Lehranstalten.

Anschauung und Einübung

Johann Gottlieb Koppe - Sockel des Thaer-Denkmals Berlin, Foto: dg

Ackerbau sei eine Erfahrungswissenschaft und werde zweckmäßiger durch anschauliche Beispiele und durch Einübung gelehrt, als durch theoretischen Unterricht. Nur durch sinnliche Anschauung und oft wiederholte Vergleichung sei genaueste Kenntniß der Gegenstände zu erlangen, welche den Stoff des landwirthschaftlichen Gewerbes ausmachen. Und weil selbst diejenigen, deren Denkvermögen ausgebildet sei nicht auf anschauliche Einübung verzichten können, ergäbe sich von selbst, daß der bloße Unterricht aus Büchern oder durch mündliche Vorträge bei demjenigen Menschen nicht genügen könne, dessen Anlage zu denken und Schlüsse zu machen nicht ausgebildet ist. ... Durch Selbstunterricht aus Büchern – wenn sie auch populärer abgefaßt wären, als sie sind – würden „Landleute“ nur geringe Fortschritte machen.

Anders und viel zweckmäßiger werde man in einer Ackerbauschule vorgehen und zuerst die Werkzeuge handhaben und zweckmäßige Methoden einüben, bevor bei den Geschäften selbst erklärt werde, warum etwas so und nicht anders geschieht und geschehen müsse.

Ein Leben führen, wie es zum Beruf passt

Der junge Bauer müsse in der Schule ein Leben führen, wie es zu seinem Beruf passe und vom frühen Morgen bis späten Abend in angestrengter Thätigkeit gehalten werden. Von der gewöhnlichen Bauerwirtschaft solle sich die Beschäftigung nur durch die begleitende Ausbildung unterscheiden. Koppe rät deshalb, Ackerbauschulen solcher Art nicht mit einer höheren Lehranstalt zu verbinden.    

Als Gutachter sieht er die bestehenden gesellschaftlichen Schranken und will Standesunterschiede beachtet wissen. Ackerbauschüler sollten ihre fachlichen Kenntnisse erweitern und effizienter wirtschaften können, aber im Übrigen ihren angestammten Platz im sozialen Gefüge nicht verlassen.

"Höhere Schüler" leben anders

Koppe beschreibt die von ihm gesehenen Unterschiede zwischen den Schülergruppen mit einer verblüffenden Offenheit, weshalb die betreffende Passage seines Gutachtens hier ungekürzt wiedergegeben wird:

        

Die Ackerbauschüler sollten durchaus einen Teil der Arbeiter des Gutes ersetzen, aber ein zum Schulbetrieb geeigneter Betrieb müsse auch einen guten Stamm älterer, recht eingeübter Arbeiter besitzen, welche die Einübung der Zöglinge mit bewirken helfen.

Im Dienst einer standesgemäßen Erziehung 

In die Ackerbauschulen werde man junge, gesunde und kräftige Burschen ab dem 17. Lebensjahr aufnehmen. Die Schüler sollten ein deutsches Buch in gewöhnlicher Schreibart lesen und verstehen können und im Schreiben und Rechnen diejenige Fähigkeit erlangt haben, die nach dem Stande des Elementarunterrichts in unseren Dorfschulen von fleißigen und fähigen Knaben bis zur Confirmation zu erwarten sei. Es würde wohl drei Jahre dauern, bis die Zöglinge – rechtzeitig vor der Militärverpflichtungszeit – in allen Handgriffen geübt seien und ausreichend Kenntnis von der Wirtschaft und besonders der Fruchtfolge erworben hätten.

Bis dahin sollten die Schüler in einem besonderen Hause wohnen und die Speisen an einem gemeinschaftlichen Tische einnehmen. So könne verhütet werden, dass sie in so früher Jugend ... die üblen Gewohnheiten des Gesindes annehmen und wohlmöglich in ihrer Heimat weiter verbreiten. Ließe man sie im Dorf wohnen, so sei nicht zu vermeiden, daß die Zöglinge die nächtliche Freiheit mißbrauchten. Auch wäre den reicheren Schülern Gelegenheit gegeben sich durch größeren Aufwand in ihrer Lebensweise hervorzutun. In diesem Sinne empfiehlt Koppe, eine uniforme, einfache Kleidung einzuführen: leinene Blousen an den Werktagen und blaue Tuchkleidung an Sonn- und Festtagen. Wie die Tisch- und Bettwäsche müsse die Kleidung immer reinlich gehalten sein, damit auch der Tagelöhnersohn, wenn ein solcher als Zögling eintritt, sich Nettigkeit und Reinlichkeit als Bedürfniß aneigne.

Auf eine Formel gebracht fordert der Gutachter: Sparsamkeit und Einfachheit müssen ... in allen Zweigen der Anstalt sichtbar sein, weil sie als die ersten Grundlagen eines glücklichen Zustandes einer Bauerfamilie angesehen werden.   

Wieder will Koppe mit seinen Vorschlägen den unerwünschten Nebenwirkungen eines Schulbesuchs vorbeugen, die den jungen Menschen aus der vorgezeichneten Bahn werfen könnte: 


Juni 2016
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[1] Annalen der Landwirtschaft, Zweiter Jahrgang, Bd. 4, Heft 1, Berlin 1844, S. 21.
[2] Annalen der Landwirtschaft, Zweiter Jahrgang, Bd. 3, Heft 1, Berlin 1844, S. 120 ff. – Gutachten vom 04.08.1843.
Johann Gottlieb Koppe, * 21.01.1782, 
† 01.01.1863, Agronom und Reformer der Landwirtschaft.

 
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