Kriegsrat Mentzel inspiziert die Ackerbauschule Botzlar im August 1856
Dieter Gewitzsch
Oswald Mentzel[1] berichtet dem Landesökonomiekollegium von seinem Besuch der Ackerbauschule Botzlar. Der geheime Kriegsrat bereiste Westfalen, das Rheinland, Thüringen und kam bis nach Prag. Er besuchte auch die Schulen in St. Nicolas, Denklingen und Zodel. Hier der Auszug „Botzlar“ aus dem Schreiben vom 15.12.1856:
Wilhelm Brüning - als Landwirth an seinem Platze
Die dem Grafen Landsberg gehörige Besitzung ist von dem Vorsteher der Anstalt Amtmann [?] Brüning erpachtet, sie betrug ursprünglich 500 Morgen ist in neuerer Zeit aber durch Zukauf resp. Hinzupachtung des Gutes Berge um 300 Morgen vergrößert worden. Die Bewirthschaftung des im Ganzen guten Bodens ist als zweckmäßig und instruktiv zu betrachten; eine abgesondert belegene Fläche von 100 Morgen wird ohne allen Viehdung nur mit Guano und Knochenmehl behandelt, welchem Umstande in einer solchen Anstalt als nützliches Lehrmittel, erheblicher Werth beizulegen ist. Die Erndte war in vollem Gange, was ich an Früchten, Stoppeln und frisch gepflügten Äckern sah, deutete darauf hin, daß der Betrieb ein lobenswerthes und der Vorsteher als Landwirth an seinem Platze sei. Bemerkenswert war nur, daß nach Awel[2] oder Rübsen [ölgebende Gewächse], sofort Wickhafer (auch wohl mit Gerste oder Buchweizen gesäet wird, der beim Knappwerden des Klees im Herbst einen guten Schnitt zur Grünfütterung giebt und die nachmalige Bestellung von Winterkorn noch sehr gut zuläßt.
Kartoffeln für die Brennerei
Mit Rücksicht auf die in kleinem Maaßstabe zu 16 Scheffel Kartoffeln täglich, betriebene Brennerei, wird dem Anbau dieser Frucht recht viel Sorgfalt gewidmet. Versuchsweise waren 20 Morgen á 1 ½ Centner Guano und 7 Scheffel Asche gedüngt, sie standen aber auffallender Weise entschieden schlechter als die in gewöhnlicher Weise mit Stallmist gedüngten, die sich durch vorzüglich große Knollen auszeichneten.
Getreideernte
Bei meiner Ankunft am 16ten August war ein Theil der Schüler beim Einsetzen einer Kornmiethe, die ganz gut zu gerathen schien, beschäftigt. Auf dem Kornfelde selbst folgten dem Erndtewagen circa 40 Kinder aus den benachbarten Ortschaften, welche Aehren lasen, was der Vorsteher in Rücksicht auf die Armuth der kleinen Leute gern erlaubt.
Ackerpferde und sonstiges Vieh
Der Viehstand ist gut, die Ackerpferde stark und in guter Condition, Rindvieh von gutem wohlgenährten Schlag auf den Stall gefuttert; Zuchtschäferei besteht nicht, es werden nur alljährlich im Herbst Hammel angekauft und im nächsten Frühjahr und Sommer wieder abgesetzt; was zu neuem Besatz gegenwärtig bereits eingekauft war, gehörte der rauhwolligen Landrace von starkem Körperbau an. Die Schweinezucht bildet eine bedeutende Einnahme-Branche, indem die von einer beträchtlichen Zahl Sauen, gegenwärtig 25 Stück, fallenden Ferkel (durchschnittlich 2 x 6 pro Stück), bis auf den eigenen Zucht- und Schlachtbedarf verkauft werden und bei einem Preise von 3 bis 4 Thalern gegen 1000 Taler Brutto-Ertrag liefern.
Gerätschaften
Das todte Instrumentarium ist zwar wirtschaftlich gut und unter gewöhnlichen Umständen ausreichend, namentlich der bekannte, sehr gute Westphälische Pflug auch hier der angewendete; für eine Ackerbauschule wäre aber mehr Mannigfaltigkeit zu wünschen.
Kulturpflanzen auch als Lehrmittel
Noch mehr vermißte ich den Anbau verschiedenartiger Culturpflanzen, seien es Getreidearten Handels- oder Futter-Gewächse; sie bilden ein erleichterndes Lehrmittel, wenn auch nur ganz im Kleinen oder im Garten angebaut. Es existirt zwar ein kleines Versuchsfeld, welches dem Unterrichtszweck indeß nur sehr mäßige Dienste zu leisten scheint. Einige Beete in verschiedenen Dünger mit Wicken bestellt standen ganz kräftig, aber so gleichmäßig, daß auf ein differirendes Erndteergebniß kaum zu rechnen sein wird. Von Holcus saccharatus[3] [Zuckerhirse] waren nur ein Paar Pflänzchen wenige Zoll hoch vorhanden, also zu spät gesäet; Mais stand äußerst lückenhaft und von lupinus termis fanden sich nur 2 oder 3 Pflanzen vor. Große Trockenheit soll den bezüglichen Pflanzungen geschadet haben, es macht aber den Eindruck als wenn nicht die Sorgfalt darauf gewendet wäre, die in einer solchen Anstalt erwartet werden darf, in der füglich die Schüler selbst die nöthige Pflege interessanter und belehrender Anlagen besorgen können.
Ackerbauschule
Was nun die Lehranstalt im engeren Sinne anbetrifft, so fand ich in derselben die in dem anliegenden Verzeichniß namhaft gemachten 21 Schüler vor. Der ungünstige Umstand daß ich meinen Besuch zwischen zwei an bestimmte, nur zwei Tage auseinander liegende Termine gebundene amtliche Beschäftigungen, hinein legen mußte, brachte es mit sich, daß ich zu sehr ungelegener Zeit, nämlich: Sonnabends den 16. August Nachmittags in Botzlar eintraf und Sonntags gegen Mittag wieder abreisen mußte. Es ließ sich deshalb die Abhaltung von Lehrstunden nicht bewerkstelligen, in den über Lehrer und Schüler sich wenigstens einigermaßen ein Urtheil hätte bilden lassen.
Lehrkräfte
Der gegenwärtige Hauptlehrer von Ecker aus Augsburg stammend, ist nach zweijährigen Studien in Hohenheim, eine Zeit lang Assistent in der Lehranstalt zu Weihenstephan gewesen und auf Empfehlung des Direktor Walz seit Mai 1855 hier. Er war bei meiner Ankunft leider ausgegangen und ich sah ihn erst am anderen Morgen. Nach Versicherung des Direktors Brüning ist er sehr eifrig in seinem Lehrerberuf und hat einen klaren guten Vortrag.
Mit Ausnahme der Betriebslehre und der Gütertaxation, die der Vorsteher lehrt, fallen dem vorgenannten Lehrer fast alle Disciplinen zu, die nach dem anliegenden Lehrplan in den 9 Monaten vom October bis Juni fast täglich 3 Stunden in Anspruch nehmen und nur dann einigermaßen fruchtbringend behandelt werden können, wenn der Lehrer seine Befähigung auf allen Gebieten vorausgesetzt, das seltene Talent besitzt, den Schülern nur die wichtigeren Lehrobjekte vollständiger klar zu machen, von den übrigen aber, namentlich den naturwissenschaftlichen, nur einer gedrängten, in das Verständniß einführenden Abriß zu geben. In wie weit dies dann p v. Ecker gelingt, habe ich nicht wahrnehmen können, im Allgemeinen mag aber wohl in dem hier gedachten Sinne verfahren und der Lehrplan auch nicht gerade streng eingehalten werden, denn nach Angabe des Vorstehers fällt z.B. die Chemie jetzt aus, weil die dazu erforderlichen Apparate mit dem Ausscheiden des früheren Lehrers Dr. Dohnicke [Deneke] abhanden gekommen sein sollen.
Den Thierarzt Langekamp und den Schloßgärtner Metzinghaus, die in ihren beiden Fächern als Hülfslehrer fungiren, habe ich bei der Kürze der Zeit nicht kennen lernen können.
Schüler, Schulgeld und die betriebliche Kalkulation
Die Schüler machten einen ganz guten Eindruck, es sind nette junge Leute im richtigen Alter. Obschon die Hälfte von ihnen aus ländlichen Besitzungen, meist Kolonaten abstammt, so gehören doch auch diese nicht gerade der selbstarbeitenden Klasse an; verrichten zwar, der Unterweisung wegen allerlei Arbeit, jedoch nicht in dem Maaße, daß dem Vorsteher ein namhafter Nutzen daraus erwüchse, der sich veranschlagen ließe. Solche Schüler die gegen den niedrigsten Pensionssatz von 50 Thalern unter der Verpflichtung dauernder Arbeitsleistung eintreten, wären dem Vorsteher ganz angenehm, sie finden sich aber nicht; dagegen ist der Andrang wohlhabender junger Leute die gern höhere Pension zahlen bedeutend und der p Brüning scheint zu wünschen, in dieser Beziehung weniger gebunden zu sein als der Vertrag es bedingt.
Mentzel kommt zu dem Schluss:
Es walten also hier solche besondere Verhältnisse ob, wie ich sie im Eingange schon anzudeuten mir erlaubte; deren genauere Prüfung wäre zu wünschen, um der Anstalt die angemessendste Richtung zu geben, den Lehrplan nach dem wahren Bedürfniß festzustellen und entweder die Lehrkräfte danach zu vervollständigen oder Halbes und Unausführbares daraus zu entfernen.
Die Unterkunft der Schüler ist gut, ihre Verpflegung nach westfälischer Landessitte reichlich und kräftig, daher bei jetzigen hohen Preisen für den Unternehmer ziemlich kostbar.
pp.
Berlin, den 15ten December 1856.
(:gez:) Mentzel. [4]
Juni 2016
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[1] Mentzel, Oswald, *6.8.1801 †22.2.1874, Geheimer Kriegsrat, am 28. 2. 1846 in das Landesökonomiekollegium eingetreten – Annalen, 1855.
[2] Awehl, Ölpflanze, hält die Mitte zwischen Raps u. Rübsen, in den 1840er Jahren aus Belgien in Deutschland eingeführt, wo sie, wegen mehrerer Vorzüge vor dem Raps, bereits eine große Verbreitung gefunden hat. - Pierer's Universal-Lexikon, Band 2. Altenburg 1857, S. 104. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20009447083.
[3] Bei Wikipedia ist vermerkt, dass Holcus saccharatus L. nicht mehr zur Gattung Holcus gerechnet wird und nun unter Sorghum bicolor (L.) Moench zu suchen ist.
[4] GStA PK, I. HA, Rep. 164 A, Landesökonomiekollegium Nr. 61 Bd 2 + 3.