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Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686

1869 eröffnet in Lüdinghausen eine theoretische Landwirtschaftsschule ihren Lehrbetrieb und löst die Ackerbauschule Botzlar ab

Dieter Gewitzsch

Zur Erinnerung 

Im Mai 1850 trafen sich in Berlin Vertreter der landwirtschaftlichen Vereine und des Landesökonomiekollegiums, um unter anderem zu diskutieren, ob Ackerbauschulen besser als Staats-Anstalten oder als subventionierte Privat-Anstalten einzurichten seien. Für die privatwirtschaftliche Lösung spräche, dass sie von „minderer Kostspieligkeit“ sei und ein gut geführter Betrieb bereits über eine zweckentsprechende Einrichtung verfüge. Der „tüchtige praktische Landwirt“ eigne sich auch als Schulvorsteher. Skeptiker empfahlen, notfalls eine staatliche Einrichtung zu gründen, wenn sich keine geeignete Leitung finden ließe. Andere wussten zu berichten, dass in Westfalen ein Unternehmer gerade deshalb abgesprungen sei, weil sich der Charakter des Instituts immer mehr einer Staats-Anstalt … genähert habe. Schließlich sprach sich die Versammlung dafür aus, dass in allen Regierungsbezirken Ackerbauschulen gegründet werden. Auf Antrag des landwirtschaftlichen Hauptvereins solle einem tüchtigen praktischen Landwirt für den Betrieb einer Ackerbauschule eine Subvention aus der Staatskasse auf eine Reihe von Jahren zugesichert werden.

Die Gegenfrage „Erkennt die Versammlung die Nothwendigkeit der Errichtung von Ackerbauschulen als Staats-Anstalten an?“ verneinte die Versammlung. 

Keine zwanzig Jahre später … 

… nahmen die landwirtschaftlichen Schulen in Herford (14. Oktober 1868) und Lüdinghausen (1. Oktober 1869) ihre Lehrtätigkeit auf. Damit trat in der Provinz Westfalen ein neuer Typ Schule an die Seite der seit 1845 bestehenden Ackerbauschule „Riesenrodt“ bei Werdohl im Kreis Altena und an die Stelle der 1852 gegründeten Ackerbauschule „Botzlar“ im Kreis Lüdinghausen.

Die am Vorabend der Reichsgründung eröffneten Schulen können in mehrfacher Hinsicht als Reaktion auf den ökonomischen und gesellschaftlichen Wandel der letzten Jahrzehnte gesehen werden. Fortschritte in den agrarwissenschaftlichen Fächern veränderten auch die Vorstellungen von einer zeitgemäßen Bildung des landwirtschaftlichen Nachwuchses. Theorien suchten sich praktisch zu beweisen und gewannen gegenüber den Lehren der Praxis an Boden.Trägerschaft, Leitung, Qualifikation der Lehrer und Ausstattung der Anstalten – nahezu jeder, eine Schule bestimmende Aspekt erfuhr eine qualitative oft auch quantitative Anpassung an gestiegene Anforderungen:

  • Einrichtung von Vorschulen statt Klagen über mangelhafte Elementarbildung
  • Keine bemühte Suche nach der rechten bäuerlichen Schülerschaft, sondern definierte Aufnahmebedingungen
  • Anerkannte Abschlüsse, nicht zuletzt die begehrte Qualifikation für den einjährig freiwilligen Militärdienst.

Die neuen Schulen erfreuten sich vom ersten Tag an eines Zuspruchs, den die beiden Ackerbauschulen des alten Systems[1] so nicht kannten.

„Riesenrodt“ und „Botzlar“ wurden mit ernstem Engagement gegründet und von vielen Hoffnungen begleitet. Ackerbauschulen waren Instrumente einer Politik zur Förderung des landwirtschaftlichen Gewerbes. Privat geführt, standesgemäß kuratiert und staatlich bezuschusst blieben sie dem vormärzlichen Denken verhaftet. Auch wenn die Betreiber Gosker (Riesenrodt) und Brüning (Botzlar) sich schließlich „Ökonomierat“ nennen durften, beide schafften es nicht, ihren Gründungen eine Zukunft zu sichern.

Februar 2019
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[1] LAV NRW W – Lüdinghausen Nr. 788 – Förderantrag für die theoretischen Schulen vom 19.03.1868.

 
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