Gründung des landwirtschaftlichen Kreisvereins Lüdinghausen 1840
Dieter Gewitzsch
Im September 1836 hatte das Landratsamt den Vorschlägen des Oberpräsidenten noch einmal Nachdruck verliehen und die Bildung von Kreis- und Ortsvereinen in den Fokus gerückt. Schlebrügge stellte den Bürgermeistern die Statuten des im Kreis Ahaus gebildeten Vereins mit dem lebhaften Wunsche zu, daß es Ihnen gelingen möge, aufgeklärte Landwirthe und Gutsbesitzer geneigt zu machen, zu einem gleichen Verein im hiesigen Kreise zusammenzutreten.[1]
Oeconomischer Orts-Verein des Amtes Bork 1837
In Bork konnte man den Vorgang nicht wie gewünscht bis zum Jahresende 1836 vom Tisch bekommen. Bürgermeister Köhler musste im Januar 1837 den Landrat vertrösten, weil die Abschrift des mitgetheilen Cirkulars noch in meiner Gemeinde cirkulirt, aber er konnte berichten, dass sich in allen Gemeinden mehrere Eingesessenen zur Bildung eines Vereins angemeldet haben; er werde ehestens ein Namensverzeichnis einreichen.[2] Ende Februar 1837 zeigte Köhler an, dass sich in seinem Amtsbezirk bereits ein Oeconomischer Orts-Verein gebildet hat. Die Wahl der Beamten habe man schon abgehalten und für eine monatliche Zusammenkunft gestimmt. In der nächsten Versammlung, die am 13. März stattfinden solle, würden die Statuten[3] zu Genehmigung vorgelegt werden. Der Bericht des Bürgermeisters endet mit der Nennung der Namen:
Als Mitglieder sind bereits beigetreten
zu Borck H. Kaplan Pröbsting, H. Berkenkamp, H. Rentmeister Steinmann, Zeller Hördemann, Zeller Richter, H Zurmühlen, Zeller Dahlkamp, H. Rentmeister Preiser. H. Verwalter Dobbelstein, , der unterzeichnete Bürgermeister,
zu Selm H. Pastor Evers, H. Rentmeister Brüning, H. Schulze Weischer, H. Wm Weischer, Zeller Evert, Zeller Witthoff und H. Schulze Osterhues,
und bin ich der Hoffnung daß noch mehr gemeinsinnige Männer sich nächstens anschließen werden.[4]
Vincke konnte sich nicht beklagen. Sein Anliegen und die Art, auf kurzem Wege die verständigen bäuerlichen Wirthe anzusprechen, schienen auf dem platten Land den Nerv zu treffen. Der landwirtschaftliche Ortsverein, die gesuchte und bevorzugte Basis der Selbsthilfe, wurde im Amt Bork unverzüglich realisiert. Der Oberpräsident hatte hier „offene Türen“ eingerannt. Jedenfalls entsprachen die „Geneigten“ nicht so ganz dem pessimistischen Bild von den misstrauischen Menschen, denen die bessere Überzeugung aufgedrungen werden müsse. – Oder hatten sich im Verein die Leute gefunden, die immer dabei waren und auch sonst das Gemeinwesen repräsentierten? Ein Anfang war gemacht, aber würde das Maßnahmenbündel die Adressaten insgesamt erreichen?
Kreisweite Gründung am 29. Juli 1840
Inzwischen machte die (Selbst-)Organisation der Landwirtschaft auch im Kreis Lüdinghausen Fortschritte. Schon im August 1839 adressierte Oberpräsident Vincke ein Schreiben an den künftigen landwirthschaftlichen Kreis-Verein und empfahl die Schrift „Der Landwirth wie er sein sollte“.[5] Bis zur Gründung sollte aber noch ein knappes Jahr vergehen. Der „Ökonomische Verein“ des Amts Bork wählte im Mai 1840 seine Deputierten für eine Gründungsversammlung[6] und zwei Monate später lud der Landrat dann kreisweit zur Versammlung am 29. Juli 1840 in den Saal des Amtshauses in Lüdinghausen ein. Schmising trug dem Borker Bürgermeister die Mitgliedschaft an und veranlasste ihn, die gemeinsinnigsten und erfahrensten Landwirthe Ihres Bezirks für den Verein geneigt zu machen, und zur Theilnahme an der Berathung wie zum Eintritt in den Verein aufzufordern. Ein Entwurf zu den Statuten läge vor, nach dem der jährliche Beitrag jedes Vereinsmitglieds 1 Thaler betragen, und die General-Versammlung des Vereins abwechselnd in der Stadt Lüdinghausen und in der Stadt Werne abgehalten werden solle.[7] Mit der landrätlichen Post kamen drei Briefe, adressiert an die Pastoren Böckmann und Evers und den p. Brüning. Köhler vermutete, dass es sich um Einladungen zum 29. Juli handelte. Er erlaubte sich, dem Landrat bemerklich zu machen, daß der Hr. Kaplan Pröbsting und H. Rentmeister Steinmann zu Borck, Herr Pastor Schemm zu Cappenberg, Herr Rentmeister Preiser und Herr Verwalter Dobbelstein daselbst Mitglieder des hiesigen Landwirthschaftlichen Vereins sind und ich es ... in ... Erwägung geben will, ob Genannte nicht auch vor dortaus zu diesem Termin einzuladen wären.[8] Darüber hinaus wurde eine öffentliche Bekanntmachung an alle Männer von Gemeinsinn vom Polizeidiener Schwager richtig publizirdt und angeheftet. Der Text motivierte mit der Ankündigung, dass der Verein beraten werde, welche die Industrie des Kreises belebende und belehrende Privat-Unternehmungen der Königlichen Regierung zur Unterstützung aus staatlichen Mitteln vorzuschlagen sind. In dem Allerhöchst bewilligten Fonds seien jährlich 600 Taler für die Beförderung landwirthschaftlicher Verbesserungen bereitgestellt. Der landwirtschaftliche Kreisverein Lüdinghausen gründete sich mit vorläufiger Genehmigung des Oberpräsidenten am 29. Juli 1840. Der Vorstand, das „Direktorium“, wurde auf drei Jahre gewählt. Erster Vorsitzender war der Landrat des Kreises Lüdinghausen, Graf von Schmising.
Mitglieder der ersten Stunde
Als im September 1841 eine Generalversammlung des Kreisvereins in der Gastwirtschaft Moormann in Werne stattfand, standen aus dem Amtsbezirk Bork die nachstehend aufgeführten „wirklichen“ Mitglieder und als „Ehrenmitglieder“ alle Schullehrer auf der Einladungsliste.[9]
I Wirkliche Mitglieder.
1. Der Oekonom Brüning auf Botzlar
2. Der Kaufmann Constanz Cirkel zu Borck
3. " Gutsbesitzer Zurmühlen auf dem Hause Berge
4. " Verwalter Wilh. Weischer zu Selm
5. " Schulze Weischer zu Selm
6. " Wirth Pieper zu Selm
7. " Kolon Witthoff zu Selm
8. " Pastor Evers zu Selm
9. " " Boeckmann zu Bork
10. " Oekonom Haverkamp zu Bork
11. " Rentmeister Steinmann auf dem Hause Dahl
12. " Pastor Schemm auf Cappenberg
13. " " v. Wieck zu Altlünen
14. " Graf v. Kielmannsegge auf Cappenberg
15. " Oekonomie-Gehülfe August Zurmühlen auf Berge
16. " Rentmeister Preiser auf Cappenberg
17. " Verwalter Dobbelstein daselbst
18. " Lieutenant Cirkel zu Bork
19. " Bürgermeister Koehler daselbst
...
II Ehren-Mitglieder. /: Schullehrer :/
20. " Lehrer Rande zu Bork
21. " " Kranz daselbst
22. " " Schwenniger zu Selm
23. " " Bathe zu Cappenberg
24. " " Schlüter zu Altlünen
Die Generalversammlungen der Kreisvereine (und später auch des Hauptvereins in Münster) waren Nachrichtenbörsen und wurden gern mit Tierschauen, Ausstellungen und landwirtschaftlichen Wettbewerben verschiedener Art verbunden[10], die das Treffen für die Besucher zusätzlich attraktiv machten. Häufig ließen sich die Veranstalter eine Verlosung genehmigen, verkauften Lose für kleines Geld und lobten Zuchtvieh und moderne Geräte als Gewinne aus.[11] Für die Jahre 1841 bis 1848 sind in den Akten des Amtes Bork jährliche Kreis-Tierschauen in Südkirchen belegt.[12]
Welcher Nachbar hat den besten Stier?
Über die Veranstaltung im Jahre 1842 liegt ein etwas ausführlicher Schriftwechsel vor. Der landwirtschaftliche Kreisverein hatte beschlossen, in jedem Kirchspiel des Kreises dem Eingesessenen eine Prämie von zwei Talern zu zahlen, der den besten Stier vorführt. Der Direktor des Kreisvereins, Landrat Schmising, ersuchte demnach Anfang Mai den Borker Bürgermeister Stojentin[13], die Leitung der Auswahl zu übernehmen. In jedem Kirchspiel hätten die Vereinsmitglieder drei Schiedsrichter zu wählen und sollten sich in dem einen oder andern Kirchspiele nicht so viele Vereinsmitglieder vorfinden ... so müssen auch andere als Wahlmänner zugenommen werden. Stojentin hatte Schautermine ... für Bork, Selm, Altlünen und Cappenberg incl. der zugehörigen Eingesessenen der Bürgermeisterei Werne abzuhalten, alle innerhalb der nächsten vier Wochen, rechtzeitig vor dem 6. Juni 1842, dem Tag der Kreistierschau in Südkirchen. Schmising wünschte einen Bericht, ob die Thierschau, deren hauptsächlicher Zweck dahin geht, den Kirchspiels Eingesessenen zu zeigen, welcher Nachbar den besten Stier habe, ... Ihrem Zwecke entspreche und Anklang finde?[14] Sämtliche Stierbesitzer wurden „vorgeladen“, sich mit ihren Tieren vor bestimmten Gastwirtschaften einzufinden.[15] Bork machte am 25.Mai den Anfang; man traf sich um 9.00 Uhr beim Wirt Schumacher. Nachmittags war Selm an der Reihe, um 14.00 Uhr bei Wormstall. Am 27. Mai folgten die Treffen in Cappenberg und Altlünen, um vormittags bei Kreutzkamp und nachmittags bei Mackenberg.
Die Liste der Wahlmänner, die sich eine halbe Stunde früher zur Wahl der Schiedsrichter an den Treffpunkten einfinden sollten, ist erhalten:
Borck Pastor Boeckmann | Selm Oeconom Brüning
| Cappenberg Pastor Schemm
| Altlünen Pastor v. Wieck
|
Gleich nach der letzten Bewertung und rechtzeitig vor der Kreistierschau meldete Stojentin das Ergebnis der in seinem Bürgermeistereibezirk stattgefundenen Bewertungen:
Ew. Hochgeboren ermangele ich nicht gehorsamst zu berichten, daß bei den hier anberaumten 4 Kirchspiels Thierschauen die ausgesetzten Prämien à 2 Thaler
1. dem Schulzen Geiping K’Borck für dessen 2jährigen dunkelbraunen Stier
2. dem Schulzen Weischer K’Selm für dessen 2jährigen schwarz und weißen Stier
3. dem Colon Dahlkamp Kspl Cappenberg für dessen 2jährigen dunkelrothen Stier und
4. dem Schulzen Pelleringhoff K‘ Altlünen für dessen schwarz und weißen Stier
zugefallen sind.[16]
Bei den kreisweiten Treffen in Südkirchen ging es schon bald um höhere Beträge. Offenbar fanden die Tierschauen Anklang und wurden vom Kreisverein und den Behörden als ein taugliches Mittel gesehen, erfolgreiche Züchter zu belohnen. Zur Schau im Juni 1845 konnte der zwei Jahre zuvor ins Amt gewählte Direktor von Bodelschwingh Plettenberg ansehnliche Prämien in Aussicht stellen: Für die besten Zuchtstiere wurden je einmal 20 und 15 Taler ausgeteilt, dreimal zehn Taler und noch einmal fünf Taler. Die vier besten Kühe wurden mit zwölf, acht, sechs und vier Talern prämiert und für die vier besten Zuchteber gab es jeweils fünf Taler. Abschließend erinnerte Bodelschwingh an die Regel: Nur hiesigen Kreiseingesessenen gehöriges Vieh kann konkuriren, fettes wird ausgeschlossen.
Das Gute und Nützliche in der nächsten Umgebung finden und zur Wirkung bringen
Wie erwähnt, verband Oberpräsident Vincke mit einem tätigen landwirtschaftlichen Vereinswesen auch die Vorstellung, dass die Mitglieder ihre Erfahrungen austauschen und das bewährte Gute und Nützliche nicht durch Schrift, sondern durch Beispiel und Anregung in der nächsten Umgebung verbreiten zur Wirkung bringen.[17] Das schloss einen Informationsstrom von unten nach oben ein, den Bodelschwingh 1844 mit der Aufforderung anstieß, man möge sich auch aus dem Amt Bork durch Hinschicken geeigneter Werkzeuge und Thiere an der Ausstellung landwirthschaftlicher Instrumente und an der Tierschau beteiligen, die der landwirtschaftliche Hauptverein anlässlich seiner Generalversammlung am Kump[18] bei Münster für den ganzen Regierungsbezirk veranstalten werde. Namentlich dürfte es im Interesse der Anfertigung von Ackerinstrumenten liegen, bei dieser Gelegenheit mit Arbeiten sich zu empfehlen. Stojentin wünschte, diese Aufforderung im Amtsbezirk Bork besonders bekannt zu machen. Vermutlich gab es hier Betriebe, die mit neuartigen Geräten zu tun hatten. Leider nennt der Bürgermeister keine Namen.
Mit Prämien fördern und beleben
Die an den Oberpräsidenten der Provinz Westfalen gerichteten Jahresberichte des Münsterschen Hauptvereins fassen u.a. die Berichte der Kreisvereine zusammen. Im Bericht für das Jahr 1846/47 wird die Arbeit des Kreisvereins Lüdinghausen etwas ausführlicher beschrieben. Dort fahre man fort, das Interesse der Landwirthschaft für einen besseren Rindviehstand durch Austheilung von Prämien zu fördern und zu beleben und habe 1846 für diesen Zweck 100 Taler ausgegeben. Der Verein widme sich aber hauptsächlich der Vermehrung der Futtergewächse. Dem Beispiel des Kreises Münster folgend habe man den Wiesenbauer Brüggemann engagiert, um mit ihm in den Gemeinden geeignete Grundstücke zur Anlegung künstlicher Wiesen zu begehen – gewiß eine äußerst zweckmäßige auch den übrigen Vereinen nicht genug zu empfehlende Maaßregel, kommentierte der Berichterstatter Brandenstein,[19] der als Vorsitzender des Hauptvereins Münster im Herbst 1846 an der Generalversammlung des Lüdinghauser Kreisvereins in Davensberg teilnahm und dabei Gelegenheit zur Besichtigung der interessanten und großartigen Wiesen-Anlage des Schulzen Hobbeling[20] hatte. Zu beklagen blieb indes, dass im Allgemeinen die Urbarmachung, Holzbesamung und Bepflanzung der wüsten Ländereien trotz aller Ermahnungen und Empfehlungen nicht in erwünschter Weise vorschreite. Auf der einen Seite ließen misslungene Versuche den Bauern gleich zurückschrecken, ohne daß er sich die Mühe gibt, die Gründe davon zu ermitteln und zu beseitigen, andererseits fehle einfach das erforderliche Anlagekapital.[21]
September 2015
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[1] [2] LAV NRW W, Kreis Lüdinghausen, Landratsamt Nr. 30.
[3] Die Statuten wurden am 13.03.1837 beschlossen.
[4] LAV NRW W, Kreis Lüdinghausen, Landratsamt Nr. 30.
[5] [6] [7] [8] StA Selm AB-1 Nr. 157.
[9] StA Selm, AB-1 Nr. 156 – Schreiben vom 21.08.1841. Vgl. auch StA Selm, AB-1 Nr. 157 – Verzeichnis vom 10.03. und Verteiler vom 27.05.1842: Eine Mitgliederliste und ein Umlauf aus der ersten Hälfte des Jahres 1842 bestätigen, dass es sich bei den gelisteten Personen um die „Männer der ersten Stunde“ im landwirtschaftlichen Kreisverein Lüdinghausen handelt.
[10] Behr, Vereinswesen, S. 208f.
[11] Behr, ebenda.
[12] StA Selm, AB-1 Nr. 156 und 157.
[13] Stojentin
[14] [15] [16] StA Selm, AB-1 Nr. 156.
[17] Vgl. oben: Bericht des westfälischen Oberpräsidenten Ludwig von Vincke über den gefährdeten Stand des landwirtschaftlichen Gewerbes und ... dessen Sicherung und Förderung - 1836.
[18] Der Hof Haus Kump bestand bereits 889 und ist einer der ältesten Höfe des Münsterlandes. ... Im 19. Jahrhundert war Haus Kump ein beliebtes Ausflugslokal der Münsteraner. - wiki.muenster.org/index.php/Haus_Kump, 08.02.2015.
[19] Brandenstein, Regierungsrat, von 1843 bis 1851 Vorsitzender des landwirtschaftlichen Hauptvereins des Regierungsbezirks Münster.
[20] Hobbeling
[21] LAV NRW W, Oberpräsidium, Nr. 1764 Bd. 1.